SPD verliert nach 74 Jahren den sicher geglaubten Amtssessel

Seit 1949 stellte die SPD in Mainz die Oberbürgermeister. Nun ist sie raus. Ein parteiloser TV-Millionär könnte neuer Chef in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt werden. Ein Lehrstück der Politikverdrossenheit.

IMAGO / Sämmer

Eigentlich ist in Mainz alles gut. Eine Milliarde Euro Steuern hat Impfhersteller Biontech an den Stadtsäckel überwiesen. Mit einem Schlag war die hochverschuldete Landeshauptstadt plötzlich reich. Statt Theater zu schließen, konnte sie plötzlich darüber reden, diese besser auszustatten. Eigentlich dürfte in Mainz keine Wechselstimmung herrschen. Doch am Sonntag gerieten die Mainzer Verhältnisse ins Rutschen: Die Wahl zum Oberbürgermeister ging in die erste Runde: Der parteilose Nino Haase und der Grüne Christian Viering gehen in die Stichwahl – die SPD ist raus.

74 Jahre hat die SPD die Oberbürgermeister gestellt. Darunter die weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Legende Jockel Fuchs. Doch damit ist jetzt Schluss. Gerade mal 13,3 Prozent holte die sozialdemokratische Kandidatin Mareike von Jungenfeld. Nur das viertbeste Ergebnis an diesem Wahlabend. Was ist schiefgelaufen in der Stadt, die in dem mRNA-Impfgeld schwimmt?

Da ist zum einen die Kandidatin. Mareike von Jungenfeld. Sie ist perfekt: jung, weiblich, links. Genau so will Ministerpräsidentin Malu Dreyer die SPD haben. Genau so sieht die SPD das kommende Wahlvolk. Nur das Wahlvolk – das scheint’s anders zu sehen: 13,3 Prozent. Platz vier. Jungenfeld ist 41 Jahre alt. Nach dem Abitur studiert sie Jura und bricht ab, danach erwirbt sie einen Bachelor in Betriebswirtschaftslehre. Dann arbeitet sie für den Landesverband der Partei als Referentin und wird dort für höhere Weihen vorbereitet. Schließlich ist sie als Kandidatin perfekt: jung, weiblich, links. Wenn es denn nur der Wähler einsehen würde.

Zum anderen ist da die sozialdemokratische Politik. Vor allem der Wohnungsbau. Die Stadt ist jetzt dank Biontech reich. Doch das treibt die Mietpreise weiter hoch. Die Sozialdemokraten kündigen seit Jahren an, den sozialen Wohnungsbau stärken zu wollen – und bauen stattdessen ein Luxusviertel nach dem nächsten. Günstige Bestandswohnungen werden auf teuer subventioniert, sodass alte Mieter weichen müssen. Aber es soll ja sozialen Wohnungsbau geben. Bald. Also demnächst. Irgendwann. Ist ja auch nötig. Wirklich. Echt.

Das Mainzer Stadtparlament hat nicht mehr viel zu sagen. Den eigentlichen Handlungsspielraum hat die Politik in die stadtnahen Gesellschaften verlegt. In deren Hinterzimmer haben die Parteien das Sagen. Vor allem die SPD und der Oberbürgermeister. Das gilt auch für die Baugesellschaft, die günstige Wohnungen errichten soll. Bald. Oder für die Verkehrsgesellschaft, die günstige Hilfskräfte für die Busse trainiert, weil das Stammpersonal so teuer geworden ist. Auch hier mischt die SPD mit – und redet anders, als sie handelt.

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Die Leute haben von dieser Art politischer Klasse die Schnauze voll. Das bekommt eben diese Klasse 2018 zu spüren. Das Gutenberg-Museum soll einen Bibelturm erhalten, ein hübscher Platz mit schönen Bäumen soll dafür weichen. Hinter diesem Projekt steht eine überwältigende Mehrheit – an Politikern. Die Bevölkerung lehnt es mit zwei Drittel der Stimmen ab. Das liegt auch an dem Wahlkampf. Der ist von Arroganz geprägt. Zu den Gegnern des Bibelturms gehört Nino Haase. Das Scheitern des Projekts ist auch Haases Triumph. Auch und gerade weil ihm die politische Arroganz abgeht und die Bürger ihn als einen der ihren wahrnehmen.

Als gut ein Jahr später der Oberbürgermeister gewählt wird, stellt die CDU den parteilosen Haase als ihren Kandidaten auf. Der holt einen Achtungserfolg, schlägt im ersten Wahlgang die schwache grüne Kandidatin Tabea Rößner, scheitert aber in der Stichwahl an Amtsinhaber Michael Ebling. In einer Partei, die immer mehr von Apparatschicks geprägt wird, ist der ehemalige Ortsvorsteher des Arbeiterstadtteils Mombach der letzte Sympathieträger. Nach der Wiederwahl sieht es so aus, als ob er seine landespolitischen Ambitionen begräbt – weil klar ist, dass die SPD ohne den beliebten Ebling den Chefsessel verlieren wird.

Doch dann kommt die Ahrflut. Dreyer und ihr Innenminister Roger Lewentz (SPD) gehen in dieser Katastrophennacht schlafen. Lewentz muss zurücktreten. Dreyer darf im Amt bleiben. Auch weil ARD und ZDF auf jegliche kritische Berichterstattung über Dreyer verzichten, wie jüngst eine Studie gezeigt hat. Ebling folgt auf Lewentz, soll als Krisenmanager die SPD-Vorherrschaft im Land retten. Die Stadt werde schon rot bleiben. Schließlich ist die Kandidatin der Partei weiblich, jung und links – was soll da schon schiefgehen? Nun: alles.

Die SPD landet auf Platz vier – die CDU auf drei. Dieses mal hat sie eine eigene Kandidatin aufgestellt. Die Dezernentin Manuela Matz. Die schneidet mit 13,5 Prozent kaum besser ab als die SPD-Kandidatin. In die Stichwahl geht nun gegen Haase der grünen Kandidat Christian Viering, der im ersten Wahlgang 21,5 Prozent holte. Haase kann 40,2 Prozent der Wähler auf sich vereinen. Er ist unabhängig. Ähnlich wie die Stadt selbst ist er mit einem Schlag reich geworden. Genauer gesagt mit „Schlag den Raab“. In der Show auf Pro Sieben gewann Haase 2009 drei Millionen Euro gegen Stefan Raab. Er ist also Zweikämpfe gewohnt.

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Kommentare ( 31 )

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Skeptiker
1 Jahr her

Impfgeld ist also der neue Finanzausgleich. Kein Wunder, dass die Impferei den Politikern so wichtig war.

Ostfale
1 Jahr her

„In die Stichwahl geht nun gegen Haase der grünen Kandidat Christian Viering, der im ersten Wahlgang 21,5 Prozent holte. Haase kann 40,2 Prozent der Wähler auf sich vereinen.“
Wie dem Artikel zu entnehmen ist, ist Meenz auf’n Schlach reich geworden, durch Impfabpressungsgelder der Bürger, gewaschen als milliardenhohe Steuergelder.
Ungeachtet dessen kann man wetten, daß der nächste OB Viering heißt. Die Stimmen der überwiegenden Zahl der Wähler der beiden im Wettstreit untergegangenen Nymphen dürften ihm sicher sein. Herr Haase kann in Ruhe seinen Gewinn beim TY-Event päppeln.

bani
1 Jahr her

Das mit den Sozialwohnungen läuft super. Den Investoren werden z. B. 30 % Grünflächen plus 30 % Sozialwohnungsanteil aufgedrückt. Finanziert werden soll das mit den 70 % der freien Flächen. Damit ergibt sich dort inzwischen dank der Inflation, Zinsen, grünen Bauanforderungen ca. 20 Euro/ m2. Zu teuer!! Also wird jetzt umgesteuert. Man schiebt bzw. erhöht den Sozialwohnungsanteil, wenn, ja wenn es Fördermittel gibt. Einziehen tut dann das Klientel aus….jedenfalls die, die noch nie einen Handschlag hier gemacht haben.

Last edited 1 Jahr her by bani
Fred Schneider
1 Jahr her

Auch in Mainz hat sich die absolute Mehrheit dafür entschieden, nicht zu wählen.

Wolfgang Schuckmann
1 Jahr her

Mainz und Macht, wär doch gelacht, wenn dess nett irgendwie zusammenging, dann hätt die Fassenacht doch keinen Sinn. Der Narr in Mainz hat stets, die Frage uff de Lippe, na, wie geht’s? Die Antwort iss, nemm mich nett auf deine Schippe. Alles kann der Narr ertrage, Nur kä dumme, bleede Frage. Weil er ja stets gewiss, Im Besitz der Antwort iss. So wie Genosse, früher König, heute beinah Gosse, nää so geht dess nett, legt sich dort jeder mit nem annern in e fremdes Bett. Um die Dinge zu kapiere, muss merr als Gardist im Zug wohl mitmaschiere, weil merr… Mehr

DerHerbert
1 Jahr her

Der Absatz zum Wohnungsbau erinnert mich an ein Satireplakat das ich mal zur SPD gesehen habe. Da hieß es, weiß auf rot: „SPD, seit 150 Jahren wollen wir euch aus der Armut holen, diesmal schaffen wir es, ganz sicher!“

Phil
1 Jahr her
Antworten an  DerHerbert

Ja natürlich schaffen die das, dass ist ebenso erwiesen wie das Vorhandensein des Weihnachtsmanns und der 48 (oder waren es mittlerweile 56?) verschiedenen Geschlechter, wer was anderes behauptet ist ein Nationalsozialist (Nazi), ein sogenannter „brauner“, welcher sich vom ordinären grünroten Sozialisten (ausser anhand äusserer Merkmale, aber diese sind rein soziale Konstrukte) in genau einem Punkt unterscheidet. Beim Nazi ging es um die Rasse beim sonstigen Sozialisten um die Klasse, was dem einen seine nationale Volksgemeinschaft war, ist dem anderen seine internationale Brudergemeinschaft. Könnte man sich in diesem Punkt einig werden, stünde dem Gleichschritt (oder langen Marsch) in eine schöne neue… Mehr

Skeptiker
1 Jahr her
Antworten an  DerHerbert

Solange Armut (und Armutsgefährdung) als Prozensatz des Durchschnittseinkommens gemessen wird, kann das ohnehin nicht klappen. Wenn es endlich gelungen ist, etliche Leute näher an das Durchschnittseinkommen zu bringen, dann ist das ja dadurch schon wieder gestiegen.

Franzl
1 Jahr her

Das Problem ist, dass Figuren wie von Jungenfeld nun nicht etwa in Sack und Asche gehen und sich sinnvolle Arbeit suchen. Sie verschwinden nur kurze Zeit von der Bildfläche um dann für einen zweiten oder weitere Versuche wieder auf einer Liste möglichst weit vorne aufzutauchen. Sie hätte sogar nach einem erfolglosen Jurastudium entsprechend ihrem Lebenslauf durchaus was brauchbares gelernt und mit etwas Fleiß ein Politikerleben gar nicht nötig.

norbertb783
1 Jahr her

Dann kann ich den parteilosen Kanditaten nur die Daumen drücken, daß er die Stichwahl gewinnt und anschließend zeigen kann, daß es bessere Politik gibt wie links/rot-rot-grün. Vielleicht nehmen sich dann die Wähler anderswo ein Beispiel und ändern ihr Wahlverhalten.

LiKoDe
1 Jahr her

Der parteiunabhängige Kandidat für die OB-Wahl in Mainz, Nino Haase, ist der Gewinner von „Schlag den Raab“ im Jahr 2009; er ist aber vor allem Chemiker und Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens, hat also etwas Ordentliches gelernt und geleistet.

Fulbert
1 Jahr her

Nun ausgerechnet fehlende Eingriffe in den Immobilienmarkt a la Berlin zu bemängeln, erscheint bei aller berechtigten Kritik an der Mainzer SPD doch etwas merkwürdig. Tatsache ist, dass die Stadt schon vor dem Biontech-Geldsegen wegen der Nähe zu Frankfurt und der Lage im Rhein-Main-Gebiet extrem teuer war. Was allerdings nichts daran ändert, dass die Mainzer Innenstadt den Charme einer heruntergekommenen Ruhrgebietsmetropole verströmt und stellenweise mit ihren eingeschossigen Notbauten wirkt, als wäre der Weltkrieg erst zehn Jahre vorbei. Zu dieser Attraktivität tragen in den letzten Jahren Vermüllung, die wachsende Zahl von Handy- Shops, Döner-Buden etc. sowie marode Strassen und Bürgersteige noch bei.… Mehr