Der Aluhelm sitzt jetzt fest auf linken Köpfen

Anschläge durch Migranten? Dahinter steckt wahrscheinlich - wieder einmal - Putin. Und Trump ist eigentlich der Wahlverlierer. Glauben Sie nicht? Manche sehen das ganz anders – auch in den Öffentlich-Rechtlichen.

Screenprints via X - Collage: TE

Der Begriff „Verschwörungstheorie“ behauptet seinen festen Platz im politisch-medialen Sprachgebrauch. Üblicherweise dient er dazu, Ansichten zu diskreditieren beziehungsweise lächerlich zu machen, die den sogenannten Narrativen von Regierung und bestimmten Blättern und Sendern in ihrer Nähe zuwiderlaufen. Als Verschwörungstheorie galt beispielsweise, dass das Corona-Virus aus einem chinesischen Labor stammt, dass SPD und Grüne nach der Wahl 2021 versuchen würden, eine Impfpflicht durchzudrücken, außerdem, dass die Covid-Impfstoffe Langzeitschäden verursachen können. Letzteres bestreitet mittlerweile niemand mehr, Nummer zwei konnte jeder selbst miterleben. Und heute halten zumindest US-Behörden die Labor-Theorie für die wahrscheinlichste.

Neben diesem instrumentalisierten ‚Verschwörungstheorie‘-Vorwurf gibt es natürlich auch echte Verschwörungserzählungen. Und sie tauchen neuerdings gerade dort verstärkt auf, wo der Begriff sonst besonders häufig für andere verwendet wird: in den etablierten Medien, sogar im Wissenschaftsbereich. Sofort nach dem Auto-Anschlag durch einen afghanischen Migranten auf einen Verdi-Demonstrationszug in München am Donnerstag fluteten Posts die Plattform X regelrecht, deren Urheber raunten und mutmaßten, hinter diesem Attentat und anderen ähnlichen Taten müsste etwas ganz anderes stecken: Russland beziehungsweise Putin. Als Beleg gilt ihnen die Tatsache, dass der Anschlag von München 10, der von Solingen 7 und der in Mannheim 9 Tage vor einer Wahl stattfand. „Zufall?“, fragte nicht nur dieser X-Nutzer.

So wie er äußerten sich auch viele andere.

Nein, es handelt sich – wie eigentlich jeder mit intakter Auffassungsgabe erkennt – bei diesen Daten mitnichten um Zufall, sondern schlicht um eine Koinzidenz mit hoher Wahrscheinlichkeit. In einem Land, in dem einerseits ständig Mehrfachmorde und Anschläge durch Migranten stattfinden, und andererseits bei drei Wahlebenen – 16 Bundesländer, Bund, EU – auch ständig Wahlgänge, liegt die Wahrscheinlichkeit bei einhundert Prozent, dass einige Mordtaten in Zeit vor einer gerade anstehenden Wahl fallen. Wahrscheinlichkeitskalkulationen dieser Art gehörten früher zum Realschulstoff, irgendwann wanderten sie in den Abiturstoff. Und auch dort wird die Fähigkeit zu Plausibilitätsüberlegungen offenbar kaum noch gelehrt.

Wer von einem „Muster“ raunt, muss erst einmal die vielen Anschläge verdrängen, die nicht in eine Wahlkampfphase fielen: etwa das Attentat vom Breitscheidplatz im Dezember 2016, der Mord und zwei Mordversuche in Chemnitz im August 2018; das islamistische Attentat auf ein schwules Paar im Oktober 2020. Der Anschlag in Würzburg ereignete sich ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl 2021, das Attentat von Brokstedt im Januar 2023 wiederum weit nach einer Wahl.

Dieses Mal blieb die abstruse und völlig beleglose Spekulation nicht auf soziale Netzwerke beschränkt. Noch am Abend des 13. Februar trat der stellvertretende Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios Wulf Schmiese vor die Kamera der Hauptnachrichtensendung, um dem Verschwörungsgarn einen halbseriösen Anstrich zu geben. Auch er verwies auf die drei Anschläge jeweils vor Wahlen, und fabulierte, dass „manche im politischen Raum darin ein Muster sehen“. Jetzt würden „Sicherheitsbehörden“ überprüfen, so Schmiese, ob es da eine „Steuerung“ gegeben habe.

— Claus-Peter Beringer (@ClausPeterB) February 14, 2025

Wen er aus dem „politischen Raum“ meinte – im Zweifelsfall womöglich sich selbst? –, verriet der ZDF-Kader ebenso wenig wie den Namen der Sicherheitsbehörde. Die Journalistin, die im Studio den zugeschalteten Kollegen interviewte, fragte auch nicht nach. Schade, denn man hätte dann gern auch eine Theorie gehört, wie sich junge afghanische beziehungsweise syrische Männer von irgendwelchen östlichen Mächten fernlenken lassen, wobei einer auch noch – der Attentäter aus München – wohl unter wahnhaften Vorstellungen litt.

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk steht Schmiese mit seiner Kolportage nicht allein. Auch die WDR-Journalistin Isabel Schayani – die nach den Morden von Aschaffenburg die Falschnachricht verbreitet hatte, der Mann, der sich dort dem Möder entgegengestellt hatte, sei Syrer gewesen – schrieb auf X, jetzt müsste geprüft werden, ob nicht irgendein großer Lenker hinter den Anschlägen stecke.

Der Sender Phoenix holte sogar einen mediokren mann namens Jörg Trauboth vor die Kamera, angeblich Sicherheitsexperte, der wild herumspekulierte („irgendwas sagt mir“), der Täter von München und womöglich noch andere mordende Migranten seien „irgendwoher eingekauft“. Woher, von wem – dazu kein Wort. Auch nicht, warum jemand Leute überhaupt „einkaufen“ muss, die schon mit Verachtung für den Westen nach Deutschland kommen, und zur Einreise nur das Zauberwort „Asyl“ aussprechen müssen.

Die Antwort, dass schlicht und einfach das Versagen des deutschen Staates in der Migrationspolitik als Muster hinter jedem Anschlag auftaucht, scheint für sie, Schmiese und alle anderen offenbar von vornherein ausgeschlossen.

Die linke Variante des Aluhuts beschränkt sich nicht nur auf die Bluttaten von Migranten. Die Immobilienentwicklerin Monika Dobberstein, die Lehraufträge an der TH Hamburg, der TU Berlin und der Universität Dortmund hatte, und in ihrem X-Konto einen Professorentitel anführt, behauptete auf dieser Plattform, Trump habe die US-Wahl gar nicht wirklich gewonnen. In Wirklichkeit habe Elon Musk die Wahlmaschinen manipuliert.

Als Beleg gelten ihr Satzfetzen aus einer US-Nachrichtensendung – teils noch falsch übersetzt – und ein Interview von Tucker Carlson mit Elon Musk, in dem Musk nach Dobbersteins Ansicht die Wahlfälschung durch „Space X“ – wie auch immer die funktioniert haben sollte – zugegeben haben soll. Warum dann Kamala Harris und die US-Demokraten Trumps Wahlsieg (der den Republikanern übrigens auch eine Mehrheit im Kongress brachte) akzeptierten, beantwortet Dobberstein nicht. Aber selbst offenkundige Widersprüche und Sinnwidrigkeiten stellen für Erzählungsbastler bekanntlich kein Hindernis dar, sondern wirken eher als Bestätigung.

Der Aluminiumhelm gehört also mittlerweile zur festen Ausstattung bei manchen etablierten Journalisten und Akademikern. Möglicherweise schnallen ihn einige noch etwas fester, wenn die Bundestagswahl am 23. Februar doch etwas anders ausgeht, als sie es erwarten.


Am 23. Februar ist die Urnenwahl zum Bundestag. Liegen Sie mit Ihrer Prognose besser als die Demoskopen? Machen Sie mit bei der TE-Wahlwette!
Unterstützung
oder