Als das Leipziger Museum „PoC“-Künstlerinnen cancelte

Eigentlich sollte die Performance zweier Berliner Künstlerinnen mit afrikanischen Wurzeln über Rassismus in der DDR perfekt in das Beuteschema ideologisierter Museen passen. Doch als diese zur Veranschaulichung das Wort "Neger" verwendeten, fühlten sich einige Besucher verletzt und das Museum sagte die Vorstellung ab.

IMAGO / Manfred Segerer

Die Revolution frisst bekanntlich ihre Kinder und zur Zeit hat sie wieder reichlich Appetit. Eigentlich sollte die Performance „Dark Side of the GDR“ („Dunkle Seite der DDR“) ideal in das woke Programm zeitgenössischer Museen passen. Die Berlinerinnen Bibiana Malay und Grit Díaz de Arce haben beide afrikanische Väter und thematisierten ihren ethnischen Hintergrund in einer Lesung, die das Aufwachsen mit Rassismus in Ost-Berlin zum Thema hatte.

Doch die geplante Veranstaltung der beiden Damen im Leipziger Museum der bildenden Künste wurde nun kurzfristig abgesagt, nachdem einige Museumsbesucher das Programm bereits Mitte Mai bei einer Ausstellungseröffnung miterlebten und dabei von der Nutzung des „N-Wortes“ anscheinend zutiefst traumatisiert wurden.

— BERLINER KURIER (@BERLINER_KURIER) June 7, 2023

Denn Malay rezitierte in dem Programm ein populäres Gedicht aus einem DDR-Kinderbuch, in dem das Wort „Neger“ vorkam. Sie erklärte, dass dieses Wort sie bereits als Kind verletzte und sie das Gedicht deshalb bereits als 11-Jährige umschrieb. Anstatt jedoch die inspirierende Botschaft dieser Geschichte zu erkennen, bissen sich einige Besucher der Ausstellung offensichtlich an der Nutzung des Wortes fest, auch wenn es kritisch kontextualisiert wurde. Da half auch der plakative Warnhinweis auf der Webseite des Museums nicht mehr, es würden „historische Texte, Bilder und Lieder bewusst dokumentarisch und kontextualisiert eingesetzt, auch wenn sie heute nicht mehr vertretbare Aussagen enthalten.“ Doch vergebens, die Schnappatmung hatte bereits eingesetzt, das Museum sah sich genötigt einzuschreiten und die angedachte Vorstellung abzusagen.

Die Künstlerinnen waren verblüfft ob dieser Entscheidung und empfanden die Absage nach ihren Kindheitserfahrungen mit Rassismus als eine neuerliche Verletzung: „Wir fühlen uns abgelehnt und verstehen nicht, warum wir unsere Geschichte nicht erzählen dürfen. Wir zeigen einfach, wie wir als Kinder damit umgegangen und nicht daran zerbrochen sind, sondern uns immer wieder selbst ermächtigt haben. Deswegen ist es eigentlich eine Ermutigungsgeschichte“, so Malay im Gespräch mit MDR Kultur.

Nicht fragil genug um woke zu sein

Vielleicht liegt aber auch gerade darin das Problem. Der woke Zeitgeist möchte keine Ermutigung und Selbstermächtigung, sondern Menschen, die sich als Opfer gerieren. Alleine schon dadurch, das Wort beim Namen zu nennen, erwiesen sich die Künstlerinnen als zu gefestigt, denn das präferierte Kürzel „N-Wort“ hätte stattdessen eine fast schon abergläubische Fragilität signalisiert, dass die Künstlerinnen nicht imstande seien, sich dem Klang des verhassten Wortes auszusetzen.

Klingt drastisch? Nun, es ist das Leipziger Museum, das in einer Stellungnahme behauptete, Anwesende bei der Ausstellungseröffnung wären durch das Programm „offenbar verletzt“ worden. „Wir nehmen das ernst und bedauern, dass es aufgrund der Aufführung zu Verletzungen gekommen ist.“ Ob mit diesen „Verletzungen“ irreparable seelische Schäden gemeint sind, oder ob sich jemand vor Schreck an einem Blatt Papier schnitt, konnte bislang nicht eruiert werden, ebenso wenig wie der ethnische Hintergrund der Verletzten.

Allerdings reiht sich diese Entscheidung in die lange Liste jener linken Erscheinungen, die unverfroren und schamlos zu genau jenen Phänomenen von Diskrimination und Intoleranz werden, die zu bekämpfen sie vorgeben. Ob nun linke Musiker, die aufgrund ihrer kulturell angeeigneten Dreadlock-Frisur aus der Mitte der Progressiven verstoßen werden, erfolgreiche woke Autorinnen von Kinderbüchern, die plötzlich zum Feindbild ernannt werden weil sie den letzten Trend nicht mitmachen, oder dunkelhäutige Künstlerinnen, die im besten Deutschland aller Zeiten gecancelt werden wenn sie das Wort Neger in einem kritischen Kontext benutzen – die Revolution hat wieder Hunger bekommen und auf dem Speiseplan stehen ihre Kinder. Doch Obacht! Mit dem Essen kommt der Appetit, wer bei drei nicht auf dem nächsten Baum des Wahnsinns ist, könnte schon das nächste Opfer des Leviathans sein.

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