Keine Abschiebung von Adil Yiğit

Viele Journalisten in der Türkei sitzen unter schlimmen Bedingungen gemeinsam mit vielen der 100.000 entlassenen Lehrer und Beamten in Gefängnissen, die anderen feiern Erdoğan in voller Lautstärke auf allen Seiten und in allen Kanälen.

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Er darf bleiben. Adil Yiğit wird doch nicht abgeschoben und erhält eine Aufenthaltsgenehmigung »aus humanitären Gründen«, erklärte die Hamburger Ausländerbehörde gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Adil Yiğit, das ist jener Journalist, der vor kurzem für einen handfesten Skandal in der Bundespressekonferenz sorgte, als der türkische Präsident Erdoğan Deutschland einen Besuch abstattete. Er wurde bekanntlich von SPD-Bundespräsident Steinmeier und Angela Merkel untertänigst hofiert. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Merkel und Erdoğan hatte er ein T-Shirt mit der Aufschrift »Gaze-tecilere Özgürlük – Freiheit für Journalisten in der Türkei« getragen. Das sorgte während der offiziellen Pressekonferenz für einen Skandal. Ordner brachten ihn mit heftigem Körpereinsatz aus dem Saal.

Ein unerhörter Vorgang, der vor allem deswegen zum Skandal wurde, weil die anwesenden regierungstreuen Hauptstadtmedienschaffenden den Vorgang stillschweigend akzeptierten; es stand keiner auf, keiner protestierte laut und verließ den Saal, wie es sich eigentlich gehörte. Erdoğan betrachtete es mit Wohlwollen.

Seit Anfang dieses Jahres sollte Yiğit in die Türkei abgeschoben werden, weil die Stadt Hamburg seine Aufenthaltserlaubnis nicht verlängern wollte. Doch am Freitag der vergangenen Woche (und nach erheblichem Medienecho) habe er den entsprechenden Verlängerungsbescheid bekommen, sagte er dpa.

Er führte die Entscheidung auf seine Protestaktion bei Merkel und Erdoğan zurück. »Das hängt zusammen, anders kann es gar nicht sein«, sagte Yiğit. Er lebt nach eigenen Angaben seit 36 Jahren in Deutschland.

Die Hamburger Ausländerbehörde begründete die Abschiebung damit, dass seine journalistische Arbeit nicht hinreichend belegt sei. Er lebe nicht mit seinen deutschen Kindern zusammen und beziehe seit Jahren Arbeitslosengeld II. Damit würden die Gründe für seine bisherige Aufenthaltsberechtigung wegfallen, sagte ein Sprecher laut SZ. Doch in dieser Woche dann die Kehrtwende. Ein Sprecher der Ausländerbehörde sagte gegenüber der SZ, eine Ausweisung oder Abschiebung sei nicht geplant. Adil Yiğit erhält eine neue Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen.

Yiğit floh vor 35 Jahren nach Hamburg, war damals in der linksextremen Szene aktiv. Er fälschte Pässe, die Polizei fand bei einer Wohnungsrazzia Waffen. Nach einer Gefängnisstrafe schrieb er für zuerst die taz. Er, der eigentlich Ertugrul Yigit heißt, lebte dann mit Frau und zwei Kindern in Hamburg, betreibt eine Erdoğan-kritische Internetseite und wird dafür von Erdoğan-treuen Türken angegriffen. Als vor vier Jahren von einem »türkischer Frühling« die Rede war, wollte er in die Türkei zurück. Er bekam auch einen türkischen Paß – dann kam der Putsch gegen Erdogan und die Verhältnisse drehten sich dramatisch. Yiğit blieb in Deutschland.

Kurz vor dem Besuch Erdoğans in Deutschland hatte die türkische Regierung übrigens gewissermaßen als »Gastgeschenk« die Auslieferung des türkischen Journalisten Can Dündar verlangt. Der ist einer der bekanntesten Journalisten der Türkei, war Chefredakteur der regimekritischen und ältesten türkischen Zeitung Cumhuriyet (»Republik«) und lebt seit 2016 im Exil in Deutschland. Er veröffentlichte unter anderem, dass die türkische Regierung heimlich Waffen nach Syrien lieferte. Im Mai 2016 wurde er in der Türkei wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt.

Cumhuriyet ist mittlerweile von Erdoğans Helfershelfern mundtot gemacht worden. Die Spitze der Stiftung, die über die Geschicke der Zeitung bestimmt, wurde gegen Erdoğan-Hörige ausgetauscht. Die letzte kritische Stimme in der Türkei ist verstummt. Viele Journalisten in der Türkei sitzen unter schlimmen Bedingungen gemeinsam mit vielen der 100.000 entlassenen Lehrer und Beamten in Gefängnissen, die anderen feiern Erdoğan in voller Lautstärke auf allen Seiten und in allen Kanälen.

Zur medialen Brutalität und zum Terror fand die »Kulturzeit« des ZDF-Anhängsels 3Sat einst in einem Bericht über türkische Medien die wohligen Worte: »Die Medienwelt in der Türkei hat an Vielfalt verloren.«

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Kommentare ( 12 )

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Andreas Mueller
5 Jahre her

Nicht, dass ich ein besonderer Freund linksradikaler Türken, die in Deutschland von Hartz 4 leben, wäre.
Aber wenn ich sehe, dass ein kritischer Journalist abgeschoben werden soll, während es für Mörder und Vergewaltiger Dutzende von Abschiebehemmnisse gibt, stellen sich mir die Nackenhaare hoch.
So tief ist Deutschland dann also doch (noch) nicht gesunken …

Robert Tiel
5 Jahre her

Unbetrachtet, wer AY ist, war die Reaktion auf seine Provokation der in der Türkei recht ähnlich.
Demokratisch wäre gewesen, ihn aufzufordern, das Hemd auszuziehen, wieder zu bedecken, oder den Saal zu verlassen. So aber konnte jeder sehen, wie es bei uns wirklich zugeht ..

Julian Schneider
5 Jahre her

Für mich gibt es zwei Arten von Türken: Diejenigen, die sich integriert haben (da kenne ich einige wenige) und sich zumindest halbwegs als Deutsche fühlen. Und die anderen. Die sollen ihr Zeug in der Türkei unter sich ausmachen (und ich will auch gar nicht wissen wer angefangen hat).

Ananda
5 Jahre her

So ist das in diesem Land. Die echten Schutzbedürftigen werden abgeschoben, inklusive Kuscheln mit dem verfolgenden Diktator, dafür wird jeder unberechtigte Glückritter und Kriminelle, die schon längst hätten abgeschoben werden müssen, dauerhaft „integriert“.

„Moral“ Weltmeister.

Peter P.
5 Jahre her

»Die Medienwelt in der Türkei hat an Vielfalt verloren.« Das ist doch bei uns genauso.

Cethegus
5 Jahre her
Antworten an  Peter P.

Das Schlimme ist nur, dass für die „Gleichschaltung“ der deutschen Medien noch nicht
mal ähnliche Massnahmen nötig waren wie in der diktatorischen Türkei!
Das ging hier quasi schleichend ganz von selbst…

Albert Pflueger
5 Jahre her

Klingt nicht so, als müsse man froh über diesen Mitbewohner Deutschlands sein. Spielt mit Waffen, geht nicht arbeiten, verlässt seine Familie…
Er wollte ja die deutsche Staatsbürgerschaft offensichtlich nicht, sonst wäre ein entsprechender Antrag sicherlich nicht abgelehnt worden. Hat er Asyl beantragt? Oder nur Sozialleistungen?
Aber vermutlich würde er in der Türkei wirklich verfolgt. Also müsste ein Asylantrag positiv beschieden werden.

Maria Jolantos
5 Jahre her

Dass „Freiheit für Journalisten in der Türkei“ in Deutschland für einen Skandal sorgen kann, ist ein Skandal.

Alfonso
5 Jahre her

Bisher war ich der Meinung dieser Türke sollte abgeschoben werden, weil er sich bei der Pressekonferenz von Merkel und Erdogan so unfreundlich verhalten hat, zumindest konnte man diesen Eindruck bekommen, wenn man die Pressemitteilungen der vergangenen Tage las. Dabei tat er das nur, um nicht abgeschoben zu werden.

Jetzt lese ich in dem Artikel oben, dass dieser Türke sich hier in unserem Land bestens integriert hat (tummelte sich in der links-extremen Szene, fälschte Pässe, besaß Waffelen, lebt von HarzIV, …). Da gab es ja nun wirklichen keinen Grund diesen Mann auszuweisen. Ja wo leben wir denn!

Contra Merkl
5 Jahre her
Antworten an  Alfonso

Bei uns ist jeder Flüchtling, der mit der Polizei in seiner Heimat Stress hat, aus welchen Gründen auch immer, herzlich willkommen. Bei uns können die dann auch weitermachen, mit ihrem kriminellen Tätigkeiten. Wie kann es sein, dass der seid Jahren ALG 2 bezieht, dann aber als akreditierter Journalist auf einer Pressekonferenz teilnimmt ? Hat der jetzt einen Job oder nicht ? Dann ist das Sozialbetrug. Aber egal. Aus humanitären Gründen gibt’s ne Aufenthaltserlaubnis. Man muss nur aus humanitären Gründen handeln, ab dem Moment spielen Gesetze keine Rolle mehr. Hält mich das nächste mal die Polizei an, weil ich mit 60… Mehr

cm hoover
5 Jahre her

Fragt man sich, wem man eigentlich mit nassen Fetzen durch Sonne und Mond jagen sopllte, dann sei nur an die Antwort der Seeräuberjenny erinnert: Alle!

Archophob
5 Jahre her

Tja, dumm gelaufen, wenn die Pflege der eigenen Internetseite nicht für den Lebensunterhalt reicht, und man Hartz-4 beanspruchen muß. Klar, daß die Ausländerbehörde dann irgendwann prüft, ob die Aufenthaltsgenehmigung verlängert wird oder nicht. Vielleicht sollte er sich noch mal bei der taz bewerben…?