Die Grünen sacken oft zwischen Umfragen und Wahlen ab

Die Grünen haben mit Bettina Jarisch in Berlin lange vor der SPD geführt. Doch sie sind auf den letzten Metern gescheitert. Nicht zum erstenmal. Es ist der Realitäts-Effekt, der die Grünen oft vor Wahlen einholt.

IMAGO / Mike Schmidt
Eine grüne Steuerberaterin schlägt intern Alarm. Im Februar 2013. Ihre Leute würden jetzt ihre Steuererklärung machen – und nachrechnen. Ihnen werde  dabei klar, was die im November beschlossenen Pläne der Grünen für ihr eigenes Konto bedeuten würden und sie sagten zu ihr: Tut mir leid, aber bei aller Liebe, wenn mich das soviel kostet, kann ich dieses mal nicht grün wählen. Im Herbst 2013 ist Bundestagswahl und die Grünen bleiben weit hinter den Werten zurück, die sie im Februar noch hatten.
Das liegt auch an den Steuerplänen der Partei, die teuer für Besserverdiener geworden wären – der Stammwählerschaft der Grünen.
Bettina Jarasch sah in dem zurückliegenden Wahlkampf lange wie die neue Regierende Bürgermeisteirn Berlins aus. Doch auf den allerletzten Metern verpatzte es die Spitzenkandidatin. Das hängt zum einen mit Themen zusammen, die Jarasch im Wahlkampf setzte. Vor allem der Teilsperrung der Friedrichstraße für Autos. Zum anderen liegt es aber an einem Effekt, den die Grünen nicht zum ersten Mal heimgesucht hat: Je näher die Wahl rückt, desto mehr schmilzen ihre Umfragewerte zusammen.
Dieser Effekt ist in den Reihen der Grünen durchaus bekannt. Vor Wahlen warnen die Älteren die Jüngeren vor Euphorie. Die Grünen führen diesen Effekt intern auf die Rolle der Spitzenkandidaten zurück. Das ist nicht ganz verkehrt. Über die Wahlperiode hinweg spielen diese eine geringere Rolle, im Wahlkampf stehen sie aber über Wochen im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Verfügen die anderen Parteien dann über Wahlkampflokomotiven wie Kurt Beck oder Klaus Wowereit, verschieben sich die Stimmanteile entsprechend.
In Berlin spielte das 2011 bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus eine entscheidende Rolle. Im Vorfeld lagen die Grünen in den Umfragen fünf bis zehn Prozentpunkte vor der SPD. Renate Künast galt intern als Favoritin darauf, die erste grüne Landeschefin zu werden – nicht Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Es kam anders. Die Grünen landeten hinter der SPD, Wowereit blieb Regierender Bürgermeister.
Wahlen, die sich an Personen ausrichten, sind unter politischen und journalistischen Funktionären verpöhnt. Auf die Inhalte komme es an. Doch dass der Wähler gar nicht so falsch liegt, wenn er sich an den Menschen orientiert, zeigt sich in Sondersituationen wie der Pandemie. Die hat eins bewiesen: Im entscheidenden Moment kommt es eben doch darauf an, ob da ein Mensch sitzt, der kühl kalkuliert und warm fühlt. Oder Renate Künast.
Den Effekt, von Umfragewerten zu Wahlergebnissen zu verlieren, führen die Grünen intern aber auch deshalb gerne auf den Personen-Effekt zurück, weil ihnen das erspart, sich einer unangenehmen Wahrheit zu stellen: Es sind die Inhalte. Denn je näher die Wahl rückt, desto eher spielt der Realitäts-Effekt eine Rolle. So wie im Februar 2012: Die Starken geben freiwillig mehr und mit dem Geld lösen wir alle Probleme, so dass wir künftig in Frieden, Freude, Eierkuchen zusammenleben – das klingt toll, da hat keiner was dagegen. Bis die Erkenntnis durchdringt: Ich habe künftig im Moment tausend Euro weniger auf dem Konto. Da überlegt es sich halt doch mancher auf den letzten Metern, ob er die Grünen tatsächlich wählt oder ob es ihm nicht doch reicht, die Grünen nur gut zu finden.
Diese Berlin-Wahl war keine Personenwahl. Franziska Giffey war Teil des Problems der SPD: Bei der Doktorarbeit gemogelt, als Ministerin untragbar, in der Silvesternacht hilflos… 32 Prozent der Befragten hätten laut ARD Franziska Giffey in einer Direktwahl ihre Stimme gegeben. Ein verheerender Wert für einen Amtsinhaber. Trotzdem haben die Grünen unter dem Realitäts-Effekt gelitten: Eine willkürliche Verkehrspolitik, die sich sogar über Gerichtsurteile hinwegsetzt. Vermieter, die zum staatlichen Gesinnungstest müssen. Je mehr sich die Menschen mit den Inhalten der Grünen auseinandersetzten, desto mehr schmolz deren Vorsprung. Am Ende fehlten gut 100 Stimmen auf die SPD.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Realitäts-Effekt die Grünen heimgesucht hat. Nicht in Berlin, wo ihn nach Künast fünf Jahre später dann Ramona Pop traf. Und nicht im Bund. Die Mutter aller Realitäts-Effekte erlebten die Grünen im März 1998. Nach 16 Jahren Helmut Kohl (CDU) hatten sie alle Chancen, im Bund erstmals zweisteillig zu werden. Dann beschlossen sie auf einem Parteitag, unter ihnen solle der Liter Benzin 5 Mark kosten – am Ende reichte es für die Grünen noch zu 6,7 Prozent im Bund und zur Rolle des Kellners von Bundeskanzler Gerd Schröder (SPD).
Den bekanntesten Realitäts-Effekt erlebte Annalena Baerbock. Die lag im März 2021 deutlich vor Olaf Scholz (SPD) und schien die erste grüne Kanzlerin werden zu können. Doch dann kam die Plagiatsaffäre. Aber an der Affäre scheiterte Baerbocks Kandidatur nicht – sondern an dem Umgang mit der Affäre. Sie wand sich; dementierte, bis es nicht mehr anders ging; versuchte sich in der Umkehr vom Täter zum Opfer; verdrehte Sätze und Inhalte, erwies sich somit als unzuverlässig und gab, kurz gesagt: Ein Bild ab von einer Person, die ein Wähler nicht als Bundeskanzler will.
Die Deutschen wollen grüne Inhalte: Als Deutsche das Weltklima retten, die Armen dieser Erde zu Reichen machen, den Weltpolizisten spielen, nur noch erlesenes Essen auf den Tisch lassen, Strom ganz ohne Kraftwerke produzieren – wer will das alles nicht. Zumal ARD, ZDF, Süddeutsche und Co den Deutschen suggerieren, dass das alles ginge. Bis kurz vor der Wahl. Bis 85 Prozent der Menschen darüber nachdenken, dass E-Autos blöd sind, wenn sie mit Braunkohle befeuert werden; doch nicht so viel Platz ist wie gedacht oder ein Stromausfall nur in Kinderbüchern etwas Wünschenswertes ist. Dann überlegen sich 85 Prozent der Wähler – entgegen der Staatsfernsehenräson – ob sie wirklich die Grünen wollen. Und lassen den Realitäts-Effekt über die Partei der hohen Umfragewerte kommen.

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Kommentare ( 29 )

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Takeda
1 Jahr her

Nun, ich bleibe bei meinem Urteil. Nicht die AFD ist gefährlich… Gefährlich ist die Partei, die wirklich rassistisch ist, antisemitisch ist, sich über Gerichtsurteile setzt, der Meinung ist, das Protest mit Gewalt gleichgesetzt werden darf wenn es der gute Sache dient, den Osten „ausgeharrist“ wünscht, mit Deutschland nichts anfangen kann und es als Stück Sche… bezeichnet. Es ist die Partei, die wieder Hautfarben in den Vordergrund setzt und ausgrenzen will. Es ist die Partei, die rückwärts denkt und alte, bereits überstandene Probleme wieder zu Problemen macht. Es sind diejenigen, die man vermeindlich bekämpft. Es ist die Partei, die Hass und… Mehr

WGreuer
1 Jahr her

Dass Rot/Grün eigentlich heftig an Stimmen verloren hat, sieht man nur, wenn man auch die Wahlbeteilligung mit einfließen lässt:
2023:
Grüne: 18,4% bei 63,1% Wahlbeteilligung = 11,61% der Wahlberechtigten.
SPD: 18,4 bei 63,1% Wahlbeteilligung = 11,61% der Wahlberechtigten.
2021:
Grüne: 18,9% bei 75,4% Wahlbeteiligung = 14,25% der Wahlberechtigten.
SPD: 21,4 bei 75,4% Wahlbeteilligung = 16,1% der Wahlberechtigten.
Da mussten beide Parteien also ordenlich Federn lassen. Ganz abgesehen davon, dass mit FDP (4,6%), den Sonstigen (9,1%) und den Nichtwählern ca. 45% der Wahlberechtigten überhaupt nicht im Landtag vertreten sind.

imapact
1 Jahr her

Ich finde es fast rührend, wie man versucht, das grüne Elend in diesem Land zu relativieren. Fakt ist, daß die Grünen bei stabil bei irgendwo 18% im Bund, jetzt in Berlin und anderswo stehen und daß die beiden ehemaligen Volksparteien, wollen sie nicht miteinander koalieren, nicht ohne die Grünen auskommen (die CDU hätte zwar eine „Alternative“ im Doppelsinn, verzichtet jedoch zur Gaudi des linken Lagers auf diese und sei es nur als Verhandlungsmasse). Und da die Grünen ihre Anhänger auf fast sämtliche Schlüsselpositionen gesetzt haben und medialen Rückenwind wie keine andere Partei bekommen, können sie unabhängig von der realen Machtverteilung… Mehr

Herr Schmidt
1 Jahr her

Die Umfrageinstitute sind den Grünen gegenüber sehr generös. Es ist doch fast immer so dass die Grünen in Umfragen circa 20% besser sind als bei der Wahl. Selbst bei ner Umfrage eine Woche nach einer Wahl sind die 20% besser. Beispiel itr NRW wo die von 18% auf 21 % bei der nächsten Umfrage nach einer Woche gestiegen sind. Das ist das Problem mit den Umfrageinstituten.

tsundoku
1 Jahr her

Ich weiß, dass es möglicherweise nicht ganz zu dem Artikel passt, trotzdem würde ich gern eine Beobachtung loswerden. Was mich am Phänomen „Grün“ seit einiger Zeit verblüfft ist, dass „Grün“ überwiegend in Innenstädten/großstädtischen Ballungsräumen gewählt wird, nicht aber auf dem Land, wo es tatsächlich grün ist. Ein anderer Forist hat hier schon unter einem anderen Artikel darauf hingewiesen, dass die Grünen in Berlin vor allem innerhalb des überwiegend von Mietwohnungen dominierten S-Bahn-Rings stark sind, nicht aber in den Außenbezirken mit vielen Eigenheimen in echter Natur. Ähnliches ist mir bereits bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich aufgefallen (FPÖ stark auf dem Land,… Mehr

Weisheitszahn
1 Jahr her
Antworten an  tsundoku

Sie gehen davon aus, dass „Grün“ auch was mit Natur zu tun hat. Dem ist aber leider nicht so. Wenn Milka vegane Schokolade in der Werbung anpreisen würde, wären bei denen die Kühe lila. Vielmehr ist es das, was der gemeine Prenzlberger Salonlinke für Natur hält Eben genauso, wie das Salonlinksgrüne nichts mit echter, linker Politik zu tun hat, Es geht darum, sich als Retter der Menschheit und moralisch überlegen zu fühlen, ohne dabei auf seine eigenen Annehmlichkeiten verzichten zu müssen. Sieht man sich unter diesem Gesichtspunkt die politischen Ziele der Grünen an, passt das recht gut in die heile… Mehr

Luckey Money
1 Jahr her
Antworten an  tsundoku

Na, ja in Wien haben wir einen Migrationsanteil von 43%. Das erklärt es vielleicht ein wenig.
Wenn ich heute lese, dass ein zu 8 Jahren verurteilter aus dem Miri-Clan in Berlin freigesetzt wurde, weil er keinen Therapieplatz bekam und sich sofort in die Türkei abgesetzt hat. Wird wohl der Clan und alle anderen Clans Rot, Grün wählen. (Bericht im TV WELT) Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man sich vor lauter lachen nicht einkriegen.

Last edited 1 Jahr her by Luckey Money
Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Wen interessieren denn bei den Grünen schon Wahlergebnisse, wenn fast alle konkurrierenden Parteien und fast alle Medien die eigene Politik gut finden? Siehe Angela Merkels Agenda…

Thorben-Friedrich Dohms
1 Jahr her

Mir scheint es genau umgekehrt zu sein. Die Grünen werden zwischen den Wahlen gezielt nach oben „demoskopiert“ und die Institute korrigieren kurz vor den Wahlen nach unten, um sich nicht lächerlich zu machen. Die Patzer der Grünen sind da eher Verstärker als Ursache.

Klaus Kabel
1 Jahr her

Wen scheerts. Sollen sie doch machen, was sie wollen in Berlin und in Deutschland. Der Unsouverän hat gewählt und will es so. Warum sollte ich mir weiter meine Nerven strapazieren und Kommentare verfassen, die nichts ändern und nicht veröffentlicht werden. Zukünftig gilt für mich: Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

PUH
1 Jahr her

Das wirkliche Verhängnis für das Land ist die grüne Königsdisziplin: der Postenschacher. In dem Moment, in dem ein Grüner eine Position erringt, egal wo, schleust er Gefolgschaft ein, und die Eingeschleusten wiederum ebenso. Wie ein Krebs, der metastasiert. Eignung spielt keine Rolle, Gesinnung ist gefragt. Die deutschen Verwaltungen (gar nicht einmal zwingend in der Spitze, ein stabiler Mittelbau reicht schon aus, um eine Einrichtung zu lähmen bzw. kontrollieren) sind in 30 Jahren vergiftet worden mit Gesinnungsgefolgsleuten. Kita, Schule, Uni, Verwaltungen, NGOs, Stiftungen, Redaktionen, Funkhäuser, Bühnen, Ministerien, Kabinette. Ideologie und Inkompetenz allenthalben.

Andreas aus E.
1 Jahr her

Die Deutschen wollen grüne Inhalte“ – ganz so sehe ich das nicht, präziser würde ich formulieren: Eine große Mehrheit der Deutschen akzeptiert „grüne“ Inhalte. Das sind klar die Wähler die Verbotspartei, dann die Wähler aller Parteien, welche mit „Grünen“ koalieren und schließlich die Nichtwähler.

Was die „Grünen“ wollen, sollte dank derer Überpräsenz in den meisten Medien und der praktischen Politik jedem Wahlberechtigten klar sein, aktiv dagegen sind nur Wähler von AfD und der „Sonstigen“.