Gabriel: Kein Volk, aber Renten

"Diejenigen, die schon lange hier leben" - der NewSpeak der Bundesregierung hat endlich einen neuen Begriff gefunden. "Wir sind das Volk" ist ja auch kontaminiert und löst längst überholte Vorstellungen von Oben und Unten aus. Bei Anne Will verkündet dagegen die Kanzler stur ein Weiter-So.

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Die Lage für die Wahlkämpfer der Großen Koalition muss schon ziemlich verzweifelt sein. Sigmar Gabriel fordert jetzt ein „neues Solidaritätspaket für unsere eigene Gesellschaft“. Große Worte – damit nicht der Eindruck entsteht: „Für die Flüchtlinge macht ihr alles, für uns macht ihr nichts“. Dass der Eindruck entsteht, bestätigt Gabriel gleich in seinem nächsten Satz: „Wir dürfen diejenigen, die schon lange hier leben, nicht aus dem Blick verlieren“.

Wir, die wir schon lange hier leben

Diesen Satz sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen, zeigt er doch das Denksystem der derzeitigen Bundesregierung: Huldvoll lehnt sie sich zum Wahlvolk herab, zu denjenigen, „die schon lange hier leben“. Denen wird jetzt auch ein Brocken versprochen, so spricht Sigmar. Es ist also ein Gnadenakt, wenn die Regierung tätsächlich ihr Volk, oder wie es im NewSpeak heißt, „die schon lange hier leben“, in den Blick nimmt. Irgendwie hat man Lust, ihm entgegenzurufen: „Wir sind das Volk“, aber bekanntlich ist diese krachlederne Kurzfassung der Demokratie derzeit im Verruf; sie ist ja auch zu unbequem. Schließlich wissen die Gabriels in Berlin am Besten, wer das Volk ist. Und deshalb, sind jetzt, ganz kurz vor den kommenden Landtagswahlen, die Einheimischen wieder dran – wenn auch nur ganz kurz?

Folgt man seinem Interview in Bild am Sonntag, geht es um ein Milliarden-Programm, um Kitaplätze, Wohnungen. Und vor allem um das Aufstocken niedriger Renten – denn die Angst vor Armut im Alter wächst. Parteipolitisch gesehen: Es geht um eine parteiinterne Reform. Jetzt sollen die Rentenreformen zurückgedreht werden, die Gerhard Schröder durchgesetzt hat. Irgendwie gewinnt man Gerhard Schröder immer lieber, je mehr Gabriel ist.

Die Kosten der Zuwanderung

Mit jedem Tag werden jetzt die Kosten der Zuwanderer deutlicher. Keine Rede bei Gabriel mehr von dem durch sie ausgelösten angeblichen „Konjunkurprogramm“. Jetzt heißt es: „Man muss den Menschen die Wahrheit sagen und nicht wie bei der Wiedervereinigung so tun, als koste das alles nichts“. Auch das ein bemerkenswerter Satz – die Gleichsetzung von Flüchtlingen aus Nordafrika mit den Deutschen aus den fernen Landstrichen da hinten im Erzgebirge. Wenn man Gabriels Interviews seziert, treten Unglaublichkeiten in Fülle zu Tage.

Klar ist, dass nicht nur wegen des Zuzugs aus der Welt Wohnungen in den großen Städten knapp sind und immer teurer werden – übrigens auch wegen unentwegt neuer Öko-Vorschriften, die nicht ökologisch sind, sondern Lobbys bedienen; die neuen Wohnungsbaubremsen wirken wie Obergrenzen. Aber es geht tatsächlich um eine zukünftige Problemgruppe, die Gabriel entdeckt hat: Wer heute in Rente geht, kann beruhigt sein – noch. Aber wer nicht sehr, sehr viel verdient, kann bald nur noch eine einfache Basisversorgung erwarten, nicht aber den gewohnten Lebensstandard auch im Alter sichern.

Die Rente wird, voll geplant von diversen Rentenreformern, immer weniger: Wer durchschnittlich verdient, konnte 2012 im Alter von 65 noch eine Rente von 1.000 Euro erwarten. Im Jahr 2030 sind es nur noch 865 € – und das erst ab 67. Damit wird die Armut im Alter für Viele bittere Realität und der Bettelgang zum Sozialamt oft unvermeidlich – vor allem für jene, die einige Jahre erwerbslos waren. Denn Planungsgrundlage ist der berühmte fiktionale „Eckrentner“, der immer durchschnittlich verdient hat und 45 Jahre lang Beiträge bezahlen konnte. Ihn gibt es in Zeiten längerer Ausbildung und anhaltender Arbeitslosigkeit immer seltener. Die Realität bleibt hinter den virtuellen Zahlenspielen immer weiter zurück.

Die Pleite mit Riester und Rürup

Gegen diese lange geplante Absenkung sollten Riester- und Rürup-Renten helfen, die sich Viele buchstäblich vom Mund absparen. Denn einfach ist es nicht, bei einem Brutto von 2.000 € einen Sparplan monatlich zu füttern. Aber selbst wer das brav geschafft hat:

Von den 1.500 verschiedenen Sparplänen, die man den Menschen so eingeredet hat, funktionieren an die 1.000 nicht, rechnet Renten-Professor Bernd Raffelhüschen vor. Sie bringen keinen Ertrag und und damit keinen Ausgleich für die sinkende gesetzliche Rentenversicherung. Es sind genau jene, die als besonders sicher gelten und daher meist von denen abgeschlossen wurden, die wenig verdienen: Es sind die Sparpläne, die das Geld in Staatsanleihen investieren. Aber Wolfgang Schäuble zahlt längst keine Zinsen mehr. Im Gegenteil. Durch die Negativ-Zins-Politik der Europäischen Zentralbank wird unser Geld täglich weniger – auch das der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung übrigens: Beide Kassen überweisen große Teile unserer Beiträge an die Europäische Zentralbank für deren perverse Geldpolitik. Es ist ja einer der Treppenwitze, die uns diese Regierung in Serie erzählt, dass Renten- und Krankenversicherte so für die Finanzierung der griechischen Defizite herangezogen werden. Keine großen Beträge im Politmaßstab, aber immerhin dreistellige Millionenbeträge allein aus dem „Gesundheitsfonds“ der Krankenkasse und den liquiden Rücklagen der Rentenversicherung werden so an die EZB-Umverteilungsmaschine zwangsabgeführt.

Die beste Rentenreform wäre also eine Rückkehr zur soliden Geldpolitik – aber darauf werden wir wohl ewig warten müssen. Und Zinsen wird es auch so schnell nicht geben. Damit ist die sogenannte 2. Säule der Altersversorgung obsolet, und weil es so schön gruselig ist: Auch die anderen Formen der breiten Vorsorge fürs Alter fallen gleich mit in die Tonne der aktuellen Währungspolitik: Lebensversicherungen laufen leer und die betriebliche Altersversorgung stockt; denn alles, alles hängt am Zins und der hängt durch wie ein nasser Putzlappen.

Der geplante Absturz des Renteniveaus schlägt damit ungeschmälert durch. Altersarmut auf breiter Front ist nur noch die Frage von ein paar Jahren. Für die Rente gilt damit: Sie ist sicher zu viel für´s Sterben, aber sicherlich zu wenig für´s Leben. Kein Wunder, dass sich die Menschen Sorgen machen, wenn die Versprechungen auf ein halbwegs finanziell gesichertes Alter gerade zerstört werden.

Rettet Euch vor der Politik

Da hat Gabriel bei aller Vermessenheit seines sonstigen Denkens uneingeschränkt Recht, wenn er sich darüber Gedanken macht. Bloss soll jetzt noch eine Deutschland-Rente kommen, in der der Staat unser Geld für die Renten der Zukunft verwaltet? Pläne dafür gibt es bereits, und sie lassen Böses erwarten.

Bloß das nicht, sagt Renten-Professor Raffelhüschen. Denn gerade in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Bundes- und Landesregierungen auf die Vorsorgekassen sofort zugreifen und die Renten auf Nimmerwiedersehen in Konjunkturpaketen verschwinden. Geld für Politiker ist so, wie wenn man einem Hund zwei Knochen gibt und sagt: Der eine ist für morgen …Tatsächlich: In Rheinland-Pfalz wurde der Vorsorge-Fonds des Landes für Beamte durch die Landesregierung geplündert, und durch Landesanteile ersetzt, die seit dem Debakel um die vergeigten Landesentwicklungsprojekte wie dem Nürburgring an Wert verloren haben – es sind wieder nur Staatspapiere ohne Wert.

Auf Bundesebene geschah das mit dem Vorsorgefonds für Postbeamte – er diente der Finanzierung der Abwrackprämie. Mal schauen, wie die künftigen Elektro-Auto-Subventionen finanziert werden – wie wär´s mit den Krankenkassen?  Man traut es sich gar nicht mehr hinschreiben: Die Regierung in Berlin-Absurdistan schreibt zu schnell die Begründung, warum die dann vermeintlich sinkende Umweltbelastung die Krankenkassen entlastet, weswegen sie doch zu Recht die Teslas und BMWs finanzieren dürfe … Wetten, es kommt so? Wer setzt dagegen?

Woher also soll das Geld jetzt für neue Solidaritäts-Projekte und höhere Renten kommen für diejenigen, „die schon lange hier sind“ ? Steuern und Beiträge rauf? Oder doch nur eine niedrige Grundversorgung für Alle? Wenn wir jetzt dran sind, wie wird das finanziert? Und geht Gabriel auch den nächsten Schritt und legt die wahren Kosten der Flüchtlingspolitik offen? Oder redet er nur? Finanzminister Wolfgang Schäuble, der wenigstens halbwegs auf die Schwarze Null achtet, nennt Gabriels Forderungen für Einheimische, damit nicht nur für Zuwanderer Geld da ist, „erbarmungswürdig“. Gabriel scheint Ernst zu machen, bei der Lösung von Problemen wie den Folgen der Nullzins-Politik, die er mitverantwortet. Da droht also Schlimmes.

Jetzt darf man also ein neues Schauspiel erwarten: Die SPD will unser Geld zwei mal ausgeben, die CDU nur für Flüchtlinge, erklärte Angela Merkel bei Anne Will trotzig. Schöne Alternativen.

Es ist ja Wahlzeit. Bei Solidaritätspaketen wird beim Einpacken vor der Wahl nicht richtig gerechnet – und da man sie erst nach der Wahl auspacken kann, sieht man erst dann: es sind Mogelpackungen.

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