Das Ende der Rentenillusion

Das Bundeskabinett beschließt die Einführung der sogenannten Aktivrente. Sie soll den Druck aus einem System nehmen, das zunehmend Altersarmut produziert. An echte Strukturreformen wagt sich derweil in Berlin niemand heran.

picture alliance/dts

Endlich, möchte man sagen, kommt ein Ansatz von Bewegung in den bislang bleiernen, vom Bundeskanzler großspurig angekündigten „Herbst der Reformen“. Das Bundeskabinett hat sich heute auf die Einführung der sogenannten Aktivrente geeinigt. Sie soll Rentenbeziehern ermöglichen, bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei zur Rente hinzuzuverdienen – und damit vor allem ärmeren Rentnerhaushalten die Gelegenheit geben, ihre finanzielle Lage etwas aufzubessern.

Fiskus muss verzichten

Es ist unklar, auf welcher Grundlage die Bundesregierung ihre Schätzung stützt, doch in Berlin rechnet man damit, dass rund 170.000 Rentner von diesem Angebot Gebrauch machen werden – immer unter der Voraussetzung, dass es überhaupt ausreichend Arbeit gibt. Für den Fiskus könnte dies bedeuten, auf etwa 900 Millionen Euro Einnahmen im Jahr verzichten zu müssen. Doch angesichts des stetig steigenden Steueraufkommens sollte dies für Finanzminister Lars Klingbeil eigentlich kein Problem sein.

Das durchschnittliche Rentenniveau in Deutschland liegt derzeit bei rund 48 Prozent des durchschnittlichen Lohnniveaus. Zwar sind die Renten in den vergangenen Jahren regelmäßig gestiegen, da sie an die Lohnentwicklung gekoppelt sind. Auch in diesem Jahr gibt es eine deutliche Anhebung um 3,74 Prozent – leicht oberhalb der offiziellen Inflationsrate von 2,5 Prozent. Und trotzdem: Im internationalen Vergleich schneidet die Kaufkraft der deutschen Rentner im Mittelwert katastrophal ab.

In Ländern wie Dänemark, Luxemburg oder Italien liegt das Rentenniveau bei bis zu 80 Prozent des letzten Nettoverdienstes. Im Vergleich ergibt sich ein vernichtendes Urteil für die deutsche gesetzliche Rentenversicherung, das sich auch in der Vermögensbildung der Bürger widerspiegelt.

Durchschnittliches Nettovermögen

Verglichen mit ihren Alterskollegen in anderen europäischen Staaten geht es deutschen Rentnern deutlich schlechter. Das Median-Nettovermögen eines Rentnerhaushalts in Deutschland liegt bei gerade einmal 69.300 Euro – ein Wert, der die begrenzten Möglichkeiten zur privaten Altersvorsorge und die Wirkung hoher Steuern und Abgaben deutlich macht. Zum Vergleich: In Dänemark und den Niederlanden beträgt das Medianvermögen im Alter 166.000 bzw. 136.000 Euro – fast doppelt so viel wie in der Bundesrepublik. Selbst Italien, wirtschaftlich deutlich schwächer aufgestellt, erreicht im Median 119.000 Euro pro Rentnerhaushalt.

Diese dramatischen Unterschiede offenbaren die strukturellen Fehlsteuerungen des deutschen Wohlfahrtsstaates: Während andere Länder stärker auf kapitalgedeckte Vorsorge und Vermögensbildung setzen, bleiben deutsche Haushalte im Alter oft mit knappen Ressourcen zurück.

Die Unterschiede spiegeln nicht nur die Eigentumsquoten und Immobilienwerte wider, sondern auch die Aktien- und Finanzanlagen, die in Deutschland nur schwach ausgeprägt sind. Während deutsche Rentner in der Regel auf geringe liquide Rücklagen und ein moderates Eigenheimvermögen bauen, zeigen die Top-Staaten Europas, wie Altersvorsorge und Kapitalanlage systematisch Vermögen generieren und sichern. Das macht die Kluft sichtbar: Deutschland liegt weit hinter den europäischen Spitzenreitern, sowohl bei der Substanz als auch bei der Breite des Wohlstands.

Armutsquoten ab 65 Jahren

Bei der relativen Armut wird das Bild noch deutlicher: Deutschland liegt bei rund 19,4 Prozent, jeder fünfte Rentner ist armutsgefährdet. Österreich liegt etwas besser im Rennen bei etwa 16,9 Prozent, während die skandinavischen und luxemburgischen Top-Staaten deutlich niedrigere Werte bei der Armutsquote aufweisen können: Dänemark 11,1 Prozent, Luxemburg 9,4 Prozent.

In Ländern wie Dänemark und Luxemburg schützt das Zusammenspiel aus hohem Rentenniveau, Vermögensaufbau und breiter Kapitalbeteiligung effektiv vor Altersarmut. Deutschland hingegen zeigt, dass eine starke staatliche Rentenversicherung allein nicht ausreicht: Ohne ergänzende private Vorsorge und Vermögensbildung bleibt ein erheblicher Teil der älteren Bevölkerung in relativer Armut gefangen.

Diese viel diskutierte Armutslücke zwischen deutschen Rentnern und ihren europäischen Peers hat einen klaren Hintergrund. In den erfolgreicheren Staaten setzt man konsequent auf private Altersvorsorge, fördert den Aufbau kapitalgedeckter Systeme und die individuelle Vorsorge. Anders gesagt: Dort vertraut man auf marktwirtschaftliche, dezentrale Entscheidungsprozesse und überlässt den Bürgern deutlich mehr Netto von ihrem Bruttogehalt.

Jetzt zeigt sich: Das blinde Vertrauen der Menschen in die Umlagefinanzierung – ein System, das nur so lange funktioniert, wie mehr Einzahler nachkommen als später Rentner daraus profitieren – war naiv, ein Fehler und wurde viel zu lange nicht erkannt.

Im Zangengriff aus Demografie und Migration

Die Ungleichgewichte in der deutschen Rentenversicherung, die in diesem Jahr rund 400 Milliarden Euro ausschütten wird, sind unübersehbar. Bald werden nur noch zwei Erwerbstätige einen Rentenbezieher finanzieren – dass das auf Dauer nicht funktionieren kann, ist einleuchtend.

Demografie, steigende Lebenserwartung: All das müsste durch längere Lebensarbeitszeiten ausgeglichen werden, wenn man weiterhin auf die regulierende Kraft des freien Marktes, niedrigere Steuern und den Abbau des Sozialstaats verzichtet. Jedes politische Zugeständnis, jede verpasste Reform hat ihren Preis – und den zahlen letztlich die Rentner. Die Realität ist ein unbarmherziger Trade-off: Entweder wir verlängern die Lebensarbeitszeit, reduzieren den Sozialstaat oder akzeptieren weiter sinkende Renten. Nichts davon geschieht ohne Konsequenzen.

Dass die Politik das Thema Migration in diesem Kontext konsequent ausspart, ist tragisch. Deutsche Rentner werden also teilweise länger arbeiten müssen – bei niedrigeren Bezügen –, um all jene zu finanzieren, die kaum oder gar keine Erwerbsbiografie in diesem Land vorzuweisen haben, aber dennoch Anspruch auf Alters- oder Rentenleistungen haben.

Das Ende der Rentenillusion

Die Einführung der Aktivrente ist nichts weniger als ein stilles Eingeständnis: Die gesetzliche Rentenversicherung ist an ihre Grenzen gestoßen. Und dies schon seit geraumer Zeit.

Immer dann, wenn die Politik nach Jahren massiver Eingriffe, Manipulationen und systematischer Verzerrungen mit dem Rücken zur Wand steht, muss ausgerechnet der freie Markt die Scherben aufkehren. Dann zelebriert die Politik, ganz unabhängig von den Parteien, den gönnerhaften Spielraum, den man Rentnern beim Zuverdienst zu ihrer Armutsrente mit großer Geste eröffnet.

Jener freie Markt, den dieselbe Politik sonst meidet wie der Teufel das Weihwasser. Jener freie Markt, den sie durch Überregulierung, erdrückende Fiskallasten und eine energiepolitische Irrfahrt ins Chaos so schwer beschädigt hat, dass er das von ihr erhoffte Arbeitsplatzangebot zur Entlastung verarmter Rentnerhaushalte kaum noch bereitstellen kann.

Die Rentenversicherung wurde durch versicherungsfremde Leistungen wie die Rente mit 63, die Mütterrente und einen Zustrom von Migranten ohne Erwerbsbiografien systematisch ausgehöhlt. Nun wirken der demografische Wandel und die unumkehrbare Deindustrialisierung wie ein Brennglas, das sämtliche, sich kumulierende politische Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte im Zeitraffer offenlegt.

Die Konsequenzen sind glasklar: Die Rentenbeiträge werden in den kommenden Jahren massiv steigen. Das Rentenniveau wird weiter sinken. Der Bundeszuschuss, finanziert vom Steuerzahler, wird immer weiter angehoben. Die Rentenversicherung bleibt ein reiner Reparaturbetrieb und eine politische Spielwiese – eine Fehlkonstruktion und außer Stande, künftigen Generationen der unteren Mittelschicht und der Geringverdiener einen sicheren Ruhestand zu garantieren.

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Kommentare ( 83 )

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Judith Panther
22 Tage her

Von wegen „bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei zur Rente hinzuzuverdienen„! Transkript aus Phoenix „Unter den Linden“ mit Hendrik Hoppenstedt (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 02.06.25 auf https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=KXZbP2vlB74 etwa ab Min. 36:00 „… Und der Benefit soll sein, dass wir 2000 € dann des Verdienstes erst einmal steuerfrei stellen, damit man am Ende mehr Netto von Brutto hat als vorher und dann zahlt man natürlich auch keine Arbeitslosenversicherung, keine Rentenversicherung und dann lohnt sich das Ganze und diejenigen, die das wollen …“ „Aber wo entlastet das denn die Rentenkasse?“ „Na ja, weil weil erstmal die Rentenzahlung nicht äh äh einsetzt.… Mehr

Abraxas1609
22 Tage her

Ich verstehe nicht, wie es zu dieser steuerlichen Ungleichbehandlung kommen kann! Warum darf ein Rentner 2000 € im Monat steuerfrei hinzuverdienen, ich aber nicht! Wie wird das argumentiert?

Mike76
23 Tage her

Das ist ja wohl Zynismus pur. Ein verdienter Renter hat bereits sein gesamtes Arbeitsleben lang den (Sozial-)Staat allimentiert und damit auch der Finanzbehörde viel Geld eingebracht. Was der- oder diejenige dann im Rentenalter hinzuverdient, sollte überhaupt NICHT mehr angefaßt, also besteuert werden. Es kann einer Finanzbehörde auch nichts verloren gehen, was ihr ab einem bestimmten Alterszeitpunkt (offizielles Renteneintrittsalter) gar nicht mehr zusteht!

Montesquieu
23 Tage her

Es gibt durchaus genug Arbeit. Aber für den einen Teil will keiner mehr arbeiten, weil er ohne Arbeit genauso viel Geld bekommt. Und für den anderen Teil fehlt es an qualifizierten Bewerbern. Und die verabscheuten Boomer werden einen Teufel tun und ihre letzten Jahre ohne Not dem zunehmend dysfunktionalen System opfern. Sollen sich die Transferempfänger sehr bald mal selbst ernähren müssen. Good luck. Taxi Jobs sind ethnokulturell outgesorced und Lebensberaterin oder Heilpraktikerin sind nicht mehr gefragt, geht es endlich ans Eingemachte.

Last edited 23 Tage her by Montesquieu
Uferlos
23 Tage her

2000 € steuerfrei sind zuviel. Das begünstigt nur ohnehin Begüterte, die auf Grund von hohen Stundensätzen es leicht haben, Geld dazu verdienen zu können. Der Durchschnittsrentner im Normaljob wird kaum mehr als 1200 € dazuverdienen, da er sonst zu lange ackern müsste. Eintritt in die Altersrente ab Jahrgang 1964 ist mit 67Jahren. Ab da kann man 2000 € steuerfrei neben der Rente verdienen. Als Handwerker müsste man dann schon etliche Stunden leisten um in die Nähe von 2000 € zu kommen.
Und die Firmen werden die Steuerbefreiung bei der Vergütung mit einpreisen.

Weltenwandler
23 Tage her

Bestehen heute in Deutschland eigentlich noch die Voraussetzungen für eie Normalverdiener-Familie mit 2-3 Kindern, eine Altersvorsorge anzusparen ? Ich habe in den 1980er Jahren schon mit meinen drei Kindern 10 Jahre Rentenpunkte verloren. Mein Mann verdiente im mittleren Bereich, kein Akademiker, allein unseren Lebensunterhalt. Da gab es nicht viel zu sparen oder anzulegen. Heute scheint es noch knapper zuzugehen. Was ich toll fand, waren die Bausparkassen in den 1950er und 1960er Jahren. Da konnte sich auch eine Familie mit etwas Dazuarbeit der Frau und viel Eigenleistung am Bau ein kleines Eigenheim schaffen, was eine Altersversorgung darstellte. Diese sinnvolle Einrichtung kam… Mehr

Innere Unruhe
23 Tage her

Wir haben Millionnen illegaler Migranten aufgenommen, die doch die Renten hätten zahlen sollen.
Ich verstehe die Diskussion überhaupt nicht. Wir haben genug junge Männer, die die Rente zahlen sollen. Wo ist das Problem?

Christian H.
22 Tage her
Antworten an  Innere Unruhe

Gehen Sie mal an einen Bahnhof einer gröseren Stadt Ihrer Wahl. Dort sehen Sie das Problem. Davon abgesehen – Ihr Sarkasmus kam schon an…

Mindreloaded
23 Tage her

Ich verstehe das nicht. Wir bekommen doch seit 2015 Fachkräfte ins Land… kann mich wer aufklären?

OJ
23 Tage her

Der durchschnittliche, abhängig sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer wird auch in Zukunft eine sehr geringe Rente erhalten. Finanziert aber jetzt die weitere unkontrollierte Migrationsflutung und deren Familien nachzug.
Insgesamt gesehen sieht das alles schon sehr, sehr übel, übel, übel aus ❗

Last edited 23 Tage her by OJ
Berlindiesel
23 Tage her

Der unausrottbare, aber in jeder Generation wieder neu gezüchtete Irrtum ist, dass Rente von der Notwendigkeit der Altersvorsorge befreit. Und die einzige Vorsorge, die eine Gesellschaft dafür betreiben kann, sind Kinder. Man muss das eigentlich gar nicht erklären, warum das so ist, aber irgendwann schon vor dem großen Einbruch der Geburtenzahlen ist dieses Bewusstsein den Deutschen abhandengekommen. Der Sündenfall waren vermutlich die Bismarck’schen Sozialgesetze, mit denen die Illusion entstand, private Lebensrisiken ließen sich verlustfrei sozialisieren. Aber alles, was sozialisiert wird, wird entwertet und scheinbar risikofrei gestellt – die Verluste trägt dann der Staat, also immer andere. Und genau da liegt… Mehr

Innere Unruhe
23 Tage her
Antworten an  Berlindiesel

Absolut richtig. Es ist interessant, dass vom Rentenstandpunkt es für eine Frau besser ist, auf Kinder zu verzichten, um mehr Rentenpunkte zu verdienen.
Insbesondere für Hochqualifizierte Frauen lohnt sich der Verzicht, denn der fehlend Karriereknck und die Teilzeitfalle lassen sich so vermeiden und mehr Rentenpuntke erziellen
Es ist wirklich verkehrte Welt.

Weltenwandler
23 Tage her
Antworten an  Berlindiesel

Bei 5 Kindern und 23 Jahre lang Kinder unter 10 Jahren hätte ich eine Riesen-Rentenlücke, wenn wir in Deutschland geblieben wären. Somit müßte ich also einkommensmäßig von meinen Kindern unterstützt werden, entweder direkt oder indirekt über Aufstockung. Dazu der Fakt, daß Familien mit mehreren Kindern schlecht Wohnungen in guten Gegenden bekamen/bekommen und auch hier kinderlose bei der Vergabe vorgezogen werden, selbst wenn der Einkommensnachweis OK ist. Noch Fragen ?

Mike76
23 Tage her
Antworten an  Berlindiesel

Und aus genau dem Grund (erweiterter Vorsorge-Gedanke) wurde ja um etwa 2004/05 die vielgescholtene Riester-Rente ins Leben gerufen. So konnten die eher Sparunwilligen über spezielle Förderprogramme und andere Geldanreize (gerade bei Familien mit Kindern interessant, da diese besonders gut gefördert wurden) wenigstens etwas vom übrig gebliebenen Geld „für später“ investieren. Und ja, es stimmt; die Bankenkrise in 2008 ff hat dann ungünstigerweise viel wertvolles Kapital vernichtet, sich aber mehr als 10 Jahre danach schon wieder weitestgehend vom damaligen Schock erholt. Fakt ist, dass Wohneigentum weitestgehend vor Altersarmut schützt, viele Kinder aber nur dann ein echtes Erfolgsmodell sind, wenn diese entsprechend… Mehr