Energie-Experte: Entweder Energie-Preise fallen – oder Firmen stellen Produktion ein

Die Entwicklung am Strom- und Gasmarkt bringt offenbar viele Unternehmen an einen Kipp-Punkt. Gleichzeitig warnt Bundesbank-Präsident Nagel vor einer Rezession.

IMAGO / Gottfried Czepluch
Stadtbeleuchtung vor einer Hochspannungsleitung

Eine Twitter-Botschaft des Energie-Experten und Professor an der Hertie School Lion Hirth hat es in sich. Der Fachmann für den deutschen und europäischen Energiemarkt zieht das Fazit nach seinen Gesprächen mit Energiehändlern: „Sie sagen alle, ein großer Teil der deutschen Industrie habe aufgehört, Strom- und Gaskontingente für die Zukunft zu kaufen. Das heißt, sie hören auf, sich zu bevorraten. Entweder fallen die Preise, sagen die Firmen. Oder sie stellen die Produktion ein.“

— Lion Hirth (@LionHirth) August 21, 2022

Der düstere Befund passt zu der Warnung, mit der der Chef des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft Markus Jerger im Gespräch mit TE die Lage vieler Firmen beschreibt: „Bei vielen Unternehmen herrscht blanke Existenzangst. Nach zwei entbehrungsreichen Pandemiejahren und nie da gewesenen wirtschaftlichen Herausforderungen mit Lockdowns und bis heute nicht behobenen Lieferkettenstörungen sind Energiepreisexplosionen, nicht nur bei Gas, echte Rentabilitätskiller.“ Für viele Unternehmen, so Jerger, „ist es der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Nicht wenige stellen Berechnungen an, ob eine Stilllegung der Produktion einer Aufrechterhaltung vorzuziehen ist.“

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Bei vielen Unternehmen scheint angesichts von Börsenstrompreisen von mehr als 420 Euro pro Megawattstunde für die kommenden 12 Monate und starken Steigerungen auf dem Gasmarkt der Kipppunkt erreicht, an dem die Energiekosten ihre Produktion unrentabel machen. 

Vor einer energiepreisgetriebenen Rezession warnt auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel in einem Interview mit der „Rheinischen Post“. 

„Wenn sich die Energiekrise zuspitzt“, so der Bundesbank-Chef, „erscheint eine Rezession im kommenden Winter wahrscheinlich.“ Nagel rechnet außerdem damit, dass die deutsche Inflationsrate im Herbst 10 Prozent erreichen könnte. Das wäre der höchste Stand seit 70 Jahren. 

Bei einigen der verantwortlichen Politiker wächst die Nervosität angesichts der Strompreisentwicklung und einer möglichen Versorgungslücke, sollten die drei verbliebenen Atomkraftwerke tatsächlich bis zum Jahresende trotz der Energiekrise abgeschaltet werden. Wolfgang Tiefensee (SPD), Wirtschaftsminister in der rot-rot-grünen Thüringer Landesregierung, sprach sich deshalb für einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus. Die Antwort folgte postwendend: „Nein, nein und nochmals nein“, schrieb seine grüne Amtskollegin, die Landes-Umweltministerin Anja Siegesmund, auf Twitter.


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