Die EU klebt am „Green Deal“

Die in Deutschland angekündigte Zeitenwende kommt bereits nach einer Woche ins Stocken. In Brüssel läuft es nicht anders: den „Green Deal“ will man partout nicht aufgeben, sondern beschleunigen.

IMAGO / Le Pictorium

Mehr Vernunft und Rückbesinnung nach der gescheiterten Energiestrategie der Europäischen Union im Angesicht der Gasabhängigkeit von Russland? Das ist eine Illusion. Dass die „Erneuerbaren Energien“ Hauptverursacher der stark gestiegenen Gaslieferungen aus Putins Reich waren, will man in Brüssel offenbar nicht wahrhaben. Noch im Winter hatte es so ausgesehen, als könnte sich mit der Einstufung der Kernenergie als „nachhaltige“ Energiequelle manches ändern. Selbst Klimaschutz-Kommissar Frans Timmermanns hatte letzte Woche gesagt, angesichts der veränderten außenpolitischen Lage gebe es keine „Tabus“ mehr in der Energiefrage – und sprach explizit von der Kohlenutzung. Offenbar bröckelte es beim Projekt „Green Deal“.

Der „Green Deal“ bleibt: Jeder redet von „Erneuerbaren“, keiner von Kernkraft

Schaut man dagegen auf die Äußerungen der Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen, dann hat sich an der grünen Wolkenkuckucksheimpolitik kein Iota geändert. Im Gegenteil: ausgerechnet die Strategie, die Europa erst in die Bredouille gebracht hat, soll den europäischen Reiter an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Etwa so glaubwürdig wie Münchhausens Erzählung ist diese Form der Energie- und Sicherheitspolitik.

— Ursula von der Leyen (@vonderleyen) March 7, 2022

So macht von der Leyen bereits am Montag im Gespräch mit Italiens Premierminister Mario Draghi klar, dass man die „Erneuerbaren Energien“ massiv fördern und ausbauen wolle. „Angesichts der Tatsache, dass die Energiemärkte auf absehbare Zeit angespannt sein werden, ist die Schaffung eigener Energieressourcen strategisch die klügste und dringendste Wahl“, sagte Timmermanns. Es spricht bereits Bände, dass in dieser vermeintlichen Umordnung der EU-Energiestrategie immer wieder der Klimaschutz-Kommissar Ansprechpartner ist, und nicht etwa die Energie-Kommissarin Kadri Simsons.

Kleiner Lichtblick: wenigstens will man in Zukunft besser streuen, wenn es um die Zulieferer von Erdgas geht. Man befinde sich in Gesprächen mit Ägypten, Quatar, Australien und den USA. Letzteres deutet an, dass der Import von Flüssiggas im großen Stil erfolgen soll. In der Vergangenheit hatten sich die deutschen Grünen gegen den Ausbau von LNG-Häfen gesperrt. Am Samstag hatte sich die Bundesregierung dazu entschieden, in Brunsbüttel ein LNG-Terminal zu bewilligen.

Rückkehr zur Kohle?
Kohle ist für die EU kein Tabu mehr
Damit bleibt die EU bei ihren Leisten. Die Europäer kaufen Fracking-Rohstoffe aus dem Ausland, um sich nicht selbst die Hände schmutzig zu machen. Das gilt für das eigene Fracking-Vorhaben wie auch für die eigene Gasförderung, etwa im östlichen Mittelmeer. Für die erste Methode mangelt es an Willen, für die zweite an außenpolitischer Durchsetzungskraft. Im Konflikt um Erdgasfelder zwischen Griechenland und der Türkei zeigte sich die EU schwach, insbesondere Deutschland hielt lieber Erdogan die Hand, als griechische – und damit europäische – Interessen zu verteidigen, die die geopolitische Lage für die alte Welt verbessert hätten. Auch hier zeigt sich: ein beträchtlicher Teil der europäischen Unwilligkeit, das Luftschloss „Green Deal“ aufzugeben, ist auf Berlin zurückzuführen.

Lindners „Wir werden alle ärmer“ wird offenbar zur europäischen Devise

Die Rede ist davon, die Gasabhängigkeit von Russland innerhalb weniger Jahre eliminieren zu wollen. Bereits Ende des Jahres – so Timmermanns – wolle man zwei Drittel weniger Gas aus Russland importieren als letztes Jahr. Dabei sollen insbesondere Einsparungen bei der Energie helfen. Die Details dazu sollen Donnerstag und Freitag folgen. Das Ausmaß solcher Beschneidungen lässt erahnen, wohin die Reise geht. Lindners „Wir werden alle ärmer“ – das ist die neue Version von Angela Merkels „Wir schaffen das“ – wird offenbar zum EU-Modell. Mit der Diversifizierung der Lieferanten kommt man übrigens einer Forderung von Donald Trump nach – allerdings vier Jahre zu spät.

Neben Einsparungen verspricht die Kommission außerdem die Möglichkeit staatlicher Hilfen und Preisregulationen. Außerdem sollen auch Wasserstoff und Bio-Kraftstoffe mehr Unterstützung erfahren. Was in der ganzen Diskussion auffällt, ob vonseiten der Kommissionspräsidentin oder des Klima-Kommissars, ist das, was nicht gesagt wird. Von der Kernenergie, auf die insbesondere Frankreich in der Energie-Krise setzen will, ist in diesen Tagen wenig die Rede. Nachdem grüne Politik die deutsche Energiepolitik zerstört hat, könnte sie jetzt auch die europäische lahmlegen. Der Bock ist nicht nur Gärtner, er sitzt mit Anzug und Krawatte an den Entscheidungstischen.

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