6. Wird es so bleiben?
Viele Journalisten gehen abends ins Bett und beten: „Lieber Gott laß es Montag werden und zwar einen Montag, an dem das Internet weg ist“.
Viele hoffen darauf, dass das Internet verschwindet, weil es ihre wirtschaftliche Grundlage zerstört; wie schön war es doch, als wenige Zeitungen, Sender und fette Zeitschriften die Pfründe der Werbewirtschaft noch untereinander aufteilen konnten. Aber das Internet ist nicht nur ein Freß-Konkurrent. Es ändert die Spielregeln:
Menschen können zurückschreiben. Das tun sie im Internet. Sie kritisieren Journalisten, und zwar nicht nur am Stammtisch, sondern in relativ großer Verbreitung. Die Kritiker werden zu Kritisierten, das ist eine dumme Sache für uns Journalisten. Der Zugang zu Medien ist nicht mehr monopolisiert, sondern steht mehr Menschen als bisher offen. Das setzt Journalisten unter Begründungszwänge. Eigentlich nichts ungewöhnliches; das kennt jeder Arzt, weil die Patienten mit der selbst gegoogelten Diagnose in die Sprechstunde kommen. Das macht das Geschäft schwieriger. Auch für Journalisten. Deswegen hassen so viele das Internet.
Es zeigt außerdem: Andere googeln schneller und besser. Das erhöht den Begründungszwang bis hin zum Notstand. Auch das Wissensmonopol ist weg. Viele Leser gehen an Orginalquellen, die ja auch nur einen Klick weit entfernt liegen, die aber mühsam zu lesen und zu verstehen sind. Wie gemein! Journalisten haben nach der Deutungshoheit auch den Wissensvorsprung verloren, den bisher ein gut sortiertes Archiv mit vielen Mitarbeitern und Belegen garantierte.
Das neue Mediensystem ähnelt dem uralten: Weniger professionelle Journalisten – mehr Fachleute und Laien, die schreiben. Ich finde das nicht schlimm. Ich finde auch Leserkommentare toll. Viele ärgern mich, ok., aber sehr oft werde ich auf Fehler aufmerksam gemacht; also kann ich mich korrigieren. Viele Schreiber ergänzen, erweitern, erneuern meine Sichtweise. Großartig! Das wiegt den einen oder anderen Troll auf. Danke, ich finde Kommentare hilfreich und eine großartige Entwicklung.
7. Umrisse eines neuen Mediensystems
Es entsteht ein neues Mediensystem, in dem bisherige Merkmale völlig fehlen: Die Zugangsbarrieren, die hohes Kapital erforderten; die autoritäre Katheder-Position der Journalisten mit ihrer Deutungshoheit des Geschehens. Der Wissensvorsprung der Medien verschwindet durch die Real-Time-Realität der virtuellen Medien. Vieles wird nachprüfbar – und zwar in der Sekunde. Es entstehen auch Gefahren; die bisherige kühle Professionalität guter Journalisten bei Auswahl und Bewertung von News wird durch eine virtuelle Crowd ersetzt, auf die auch der Begriff Meute passen kann. Die Gesellschaft wird tribialisiert; zerfällt also in „Meinungsgruppen“, die gar keine andere Sichtweise an sich heranlassen. Nachrichten werden zur Selbstbestätigung. Manipulation ist leichter als je zuvor, weil sie schnell, leicht, authentisch und unkontrollierbar daher kommt. Professionelle Gatekeeper fehlen.
Das kann nicht wegdiskutiert werden. Der Fortschritt ist eben wie immer janusköpfig. Aber er kommt. Wir leben jetzt im Übergang vom autoritären System zum demokratischen Kommunikationssystem. Da wird es noch einige Opfer geben. Aber am Tag der Pressefreiheit sollten wir über die Gestaltung diskutieren – und nicht jammern, dass die Konkurrenz größer geworden ist – und die Konsumenten ihrerseits zu Produzenten werden. Das gilt auch für Medien.
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