9 Irrtümer der Flüchtlingspolitik

Der chaotische Prozess der völligen Grenzöffnung und des trotz vereinzelter Abschiebungen dauerhaften, unbegrenzten Bleiberechts muss neu geordnet und das Dickicht des Asylrechts geklärt werden.

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Einmal irren ist kein Grund, damit nicht mehr aufzuhören. Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ist das Gebot der Stunde.

1. „Es gibt keine Alternative“

Es stimmt, seit Jahren erhöht sich die Zahl der Flüchtlinge nach Europa, auch wegen des Syrienkriegs. Aber es gab und gibt sehr wohl Alternativen zur derzeitigen Situation. Der ständige Zustrom aus Griechenland erfolgte, weil das Land sich weigerte, seine Küsten zu schützen und die Ankommenden nach dem Dublin-Verfahren zu behandeln. Sie wurden Richtung Deutschland weitergeschickt. Nach den vorliegenden Zahlen des Sommers kam auch nur ein Bruchteil der „Flüchtlinge“ aus Syrien; die allermeisten aus Albanien, Mazedonien und anderen Balkanstaaten.

Die Lage ist durch „Nicht-Handeln“ entstanden – und wurde durch die Selfies der Kanzlerin, die Erklärung, dass Syrienflüchtlinge pauschal anerkannt werden und ständige Demonstrationen staatlicher Willkommensgesten beschleunigt. Das hat auch zur derzeitigen Verärgerung und Blockadehaltung anderer Europäischer Staaten geführt. Erst mit dem Asylpaket I versucht die Bundesregierung die schlimmsten ihrer selbst verschuldeten Fehler zu korrigieren, das ebenso notwendige Asylpaket II hängt wegen der Weigerung der SPD es mitzutragen, im Gesetzgebungsverfahren. Die Anzahl der Flüchtlinge nach Deutschland ist die Folge einer Politik, die ihre Kurzsichtigkeit hinter der Floskel „Alternativlosigkeit“ verbirgt und intellektuell das Phänomen nicht durchdringt. Es gibt Alternativen. Sie setzen aber eine Klärung voraus: Was will Deutschland?

2. „Man darf nicht nach Fluchtursachen unterscheiden“

Niemand verlässt freiwillig einen Ort, an dem man sicher und gut leben darf. Es ist das gute Recht eines jeden Menschen, zu versuchen, seine Lage zu verbessern. Aber trotzdem hat die Weigerung, sich mit Fluchtursachen auseinanderzusetzen und die Gesetzgebung darauf auszurichten, bestimmte Folgen; so herum oder auch anders: Die Schwierigkeit ist, dass Flucht aus wirtschaftlichen Gründen und politischer oder kriegerischer Verfolgung unterschiedliche Konsequenzen für das aufnehmende Land hat.

Das herrschende Asylrecht ist für politisch Verfolgte bestimmt, die, wenn ihre Verfolgung anerkannt wird, gewissermaßen „bedingungslos“ aufgenommen werden müssen; und es gibt gute Gründe, dass wir das Grundrecht auf Asyl beibehalten. Asylbewerber und mehr noch anerkannte Asylfälle  sind  gewissermaßen „privilegierte“ Flüchtlinge. Wir dürfen sie uns nicht aussuchen, und wir sollen sie nicht aussuchen.

Bei Wirtschaftsmigranten ist es genau umgekehrt: Da entscheidet das Gastland, wen es haben will, und zwar allein nach den eigenen Interessen. Die  Nicht-Unterscheidung zwischen Asylbewerbern und „Wirtschaftsflüchtlingen“ führt dazu, dass das Asylsystem überlastet wird, weil es notwendigerweise kompliziert und langwierig ist. Denn mit der Anerkennung sind weitreichende Rechte verbunden – Aufenthalt und Unterstützung. Wirtschaftsmigranten werden also in das versorgende Asylsystem gezwungen – obwohl sie liebend gerne für sich selbst sorgen würden.

Die Debatte um Obergrenzen für Asylbewerber entsteht  erst dadurch, dass man das Asylrecht durch Wirtschaftsmigration überdehnt. Bei einer klaren Trennung und sofortigen Entscheidung über Asylanerkennung oder eben nicht bräuchte man gar nicht erst über Obergrenzen diskutieren, da sich die Zahl der Asylbewerber ohnehin dramatisch reduzieren würde. So aber kommen derzeit zwischen doppelt und vier mal so viele Migranten pro Tag, als das Bundesamt für Migration auch nach Reform und Personalaufstockung abarbeiten kann. Schätzungsweise eine halbe Million Menschen lebt in Turnhallen oder Zelten mit einem ungeklärten Status und unklarer Zukunft. Das ist ein untragbarer Zustand und rechtfertigt, von einem völligen Politik-Versagen zu sprechen.

3. „Deutschland ist ein Einwanderungsland“

Von den Zahlen her stimmt das – aber nicht vom Umgang. Denn Einwanderungsländer wie die USA, Kanada oder Australien machen genau dies, was in Deutschland so vehement abgelehnt wird: Sie legen Zahlen, Obergrenzen und Kompetenzprofile fest. Das ist das Merkmal von Einwanderungsländern – es ist der notwendige, durchaus egoistische Versuch, Einwanderung im Interesse des Landes zu gestalten.

In Deutschland geht es nun begrifflich durcheinander: Einwanderung aus Interessen des Arbeitsmarktes hat selbstverständlich Obergrenzen – die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes. Das Asylrecht kennt zunächst keine Obergrenzen. Aber was nun, wenn die Einwanderung per Asylrecht erfolgt, aber wirtschaftlich motiviert ist? Dann gerät das System aus den Fugen. Asylberechtigte haben das Recht auf Versorgung und ihre berufliche Qualifikation ist gleichgültig. Deshalb erhalten sie Harz IV und ihre Befähigung für den Arbeitsmarkt spielt keine Rolle.

Neue Arbeitskräfte über das Asylrecht zu fordern und zu begrüßen, wie es beispielsweise die großen Wirtschaftsverbände getan haben, ist schlicht unverschämt – es kommen zu viele Ungeeignete. Und kein Einwanderungsland käme auf die Idee, seinen Einwanderern eine soziale Vollversorgung, Ausbildung und Rente anzubieten: Wer einwandert hat für sich selbst und die Familie zu sorgen. Die Vermischung von Wirtschaftsmigration und Asylmigratrion aber führt dazu, dass der deutsche Sozialstaat schlicht überfordert wird, weil Wirtschaftsflüchtlinge wie Asylbewerber behandelt werden.

Doppelbödig ist auch die Haltung der Wirtschaftsverbände, die sich aus durchsichtigen Arbeitsmarktgründen migrationsfreundlich zeigen. Bisher zeigt sich, dass sie nur unverantwortliche Rosinenpickerei betreiben – nämlich sich einige wenige, handverlesene Flüchtlinge herauspicken und die große Zahl dem Staat zur Versorgung überlassen; mit sämtlichen Folgeproblemen. Das ganze wird dann noch oft mit Lohndrückerei garniert. Verantwortliches Denken und Handeln ist das nicht, sondern der Versuch, Profit aus der Not zu schlagen.

4. „Niemand flieht aus freien Stücken“

Das ist natürlich richtig. Aber für das Fluchtziel ist entscheidend, was man dort erwarten kann. Fluchtziele werden bewußt ausgewählt. Migrationsforscher unterscheiden zwischen „Pull-Faktoren“, also solchen, die Flüchtlinge anziehen, und „Push-Faktoren“, die Menschen wegtreiben. Werner Sombart formulierte das um 1900 drastischer: „Das Land treibt seine Kinder fort“, nannte er Push-Faktoren wie Krieg, Vertreibung, Verelendung.

Aber das Land zieht auch Menschen an – und das sind in in Deutschland Aufenthalts- und Bleiberecht, Familiennachzug, medizinische Versorgung und die garantierte soziale Unterstützung bis ins Pflegeheim. Daher hat es Deutschland auch in der Hand, durch die Gestaltung der Unterstützung Flüchtlinge anzuziehen oder abzulehnen.

Nehmen wir den amerikanischen Weg als Beispiel: Einwanderer erhalten keinerlei Sozialleistungen. Damit lösen sich ein Teil der Probleme buchstäblich auf: keine Turnhallen, keine Hilfen, keine Integrationskurse – es ist die Aufgabe der Migranten, für sich selbst und ihr Fortkommen zu sorgen. Das ändert die Motivationslage: Während ehrgeizige und erfolgsorientierte Migranten die USA oder Großbritannien wegen des Traums der Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär bevorzugen, ist die Qualifikation der Migranten nach Deutschland eher begrenzt. Hier steht im Vordergrund der Wunsch nach Rundum-Versorgung. Man könnte es so formulieren: Die Tüchtigen und Ehrgeizigen für die USA, Kanada und Australien, die Bequemen und Furchtsamen für Deutschland. Beides ist menschlich völlig legitim – aber veränderte Motivationslagen hängen auch von veränderten Anreizen ab.

5. „Wir brauchen eine europäische Lösung“

Dass in Österreich kaum Flüchtlinge bleiben wollen, hat viel mit der besseren Unterstützung in Deutschland zu tun – und dass Deutschland deshalb der Magnet für Einwanderung ist, erklärt, warum andere europäische Länder so verärgert über diese Politik sind und keine Flüchtlinge aufnehmen wollen: Der französische Premierminister Mario Valls hat es auf den Punkt gebracht: Nicht Frankreich habe die Flüchtlinge gerufen.

Deutschlands Pro-Flüchtlingspolitik ist ohne Zweifel mitverantwortlich und hat das Problem zumindest verschärft. Andere europäische Länder werden uns das von der eigenen Regierung provozierte Problem nicht abnehmen. Übrigens wird es auch mit den Flüchtlingen so nicht klappen, wie es die Politik oft suggeriert: Flüchtlinge sind kein DHL-Paket, das sich beim Nachbarn zur Aufbewahrung abgeben lässt. Auch wenn es eine europaweite Verteilung gibt, werden die Betroffenen auf ihrer nachvollziehbaren Suche nach einem besseren Leben sich aus Polen, Ungarn, Litauen oder Kroatien wieder auf den Weg machen, so lange Deutschland bereit ist, die bessere Leistung und die besseren Zukunftschancen freizügig anzubieten.

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