Die dritte GroKo – Mehrheit und Erwartungen diesmal klein

Haben wir etwas vermisst in den Monaten ohne richtige Regierung? Die Erwartungen an die vierte Regierung Merkel sind so niedrig, dass sie diese eigentlich nur übertreffen kann.

© Michele Tantussi/Getty Images

Als die Deutschen am Donnerstagmorgen aufwachten, hatten sie nach 172 Tagen wieder eine „richtige“ Regierung. Aber die Staus im Berufsverkehr waren nicht kleiner als sonst, die Verspätungen der Bahn auch nicht. Auch wenn nach landläufiger Meinung das Land unter einer „nur“ geschäftsführenden Regierung nicht so recht funktioniert haben soll: Wir wurden in dieser Zeit sicherlich nicht schlechter regiert als mancher südliche oder nördliche Nachbar von seiner „richtigen“ Regierung.

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Angela Merkel bleibt also Kanzlerin, zum Erstaunen aller, die ihr bei der ersten Wahl 2005 maximal acht Jahre gegeben hatten. All die Merkel-Experten, die an der Jahreswende 2016/2017 genau gewusst hatten, Merkel werde nicht noch einmal antreten, flüchten sich in neue Prognosen über das nahende Ende der „ewigen Kanzlerin“. Die GroKo werde nicht bis 2021 halten, raunen die Auguren – und Merkel schon gar nicht.

Als Beleg für diese These gilt das schlechte Abschneiden Merkels bei der Kanzlerwahl – nur 364 von potentiell 399 schwarz-roten Stimmen. Nun ja, Merkel bekam nur gut 91 Prozent der möglichen Stimmen. Das war knapp ein Prozentpunkt weniger, als Merkel 2013 von den roten und schwarzen Abgeordneten erhalten hatte. Wie war das nochmals bei Merkels erster GroKo im Jahr 2005? Da wurde sie „nur“ von 89 Prozent der Koalitionäre gewählt. Also: Drastische Einbrüche bei der Zustimmung sehen anders aus.

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Überglücklich kommentierte FDP-Chef Christian Lindner das Wahlergebnis: Es habe „enorme Fliehkräfte entlarvt“. Seine Prognose: Nach diesem schlechten Start werde die GroKo „mit schlechter Laune“ regieren. Da schauen wir doch ins Jahr 2009 zurück, als Schwarz-Gelb eine Mehrheit hatte. Damals stimmten 97 Prozent der Abgeordneten von Union und FDP für die Kanzlerin. Aber das sagte rein gar nichts über die Fliehkräfte innerhalb des Bündnisses. Im Gegenteil: Schnell folgte die Zeit der ständigen Koalitionskräche, der gegenseitigen „Gurkentruppe“- und „Wildsäue“-Vorwürfe der bürgerlichen Wunschpartner untereinander. Gemessen an „guten“ und „schlechten“ Kanzlerwahl-Ergebnissen scheint die GroKo also rosigen Zeiten entgegenzugehen.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dem GroKo-Kabinett nach Überreichung der Ernennungsurkunden mit pastoralem Unterton ins Gewissen geredet. Das neue Bündnis dürfe kein „Aufguss des Alten“ sein, warnte er. Und forderte die Regierenden auf, „Vertrauen zurückzugewinnen.“ Da fragt man sich, wer eigentlich zwischen 2013 und 2017 mitverantwortlich war für das ach so schreckliche „Alte“ und für den Vertrauensverlust? Oder ist bei der alten GroKo erst alles schief gelaufen, nachdem Steinmeier im März letzten Jahres vom Auswärtigen Amt ins Schloss Bellevue gewechselt war? Er mag das ja glauben, dürfte diese Einschätzung aber ziemlich exklusiv haben. Ja, ein Präsident soll mahnen und motivieren. Aber glaubwürdig sollte er auch sein.

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Jetzt also: Merkel-GroKo, zum dritten! Die Kommentatoren vermissen den „großen Wurf“, rufen nach „Erneuerung“ und „Aufbruch“ – und befürchten nach dem vermeintlichen „Holperstart“ das Schlimmste. Nun hilft es ja nichts, der vertanen Chance einer schwarz-gelb-grünen Reform-Koalition nachzutrauern. CDU/CSU und SPD haben sich zusammengerauft, weil andere nicht regieren wollten. Und weil sie sich bewusst sind, dass es besser ist, mit Kompromissen zu regieren als gar nicht zu regieren.

Die Erwartungen an die vierte Regierung Merkel sind so niedrig, dass sie diese eigentlich nur übertreffen kann. Die Menschen neigen dazu, Regierungshandeln danach zu beurteilen, ob und inwieweit es ihr Leben positiv beeinflusst. Wenn es Schwarz-Rot gelänge, die Wirtschaft am Laufen zu halten, bei der Zuwanderung dem Gesetz wieder zu seinem Recht zu verhelfen, die Infrastruktur spürbar zu modernisieren und den Wohnungsbau in den Ballungsgebieten nachhaltig anzukurbeln, ließe sich das nicht hochtrabend als „Projekt“ verkaufen. Aber die Bürger dürften das – anders als die meisten Leitartikler – als Schritte in die richtige Richtung betrachten.

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Max Webers Definition der Politik als das „Bohren dicker Bretter“ mit „Leidenschaft und Augenmaß“ ist in Zeiten eines neuen, vielfältigeren Parteiensystems aktueller denn je. Auch mancher Publizist könnte das zum Maßstab seiner Urteile nehmen.

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Kommentare ( 32 )

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Alf
6 Jahre her

Ob Groko 1, 2,3, od. 4…tut nichts zur Sache. Ich würde nicht unterstellen, daß das Volk irgendwelche Erwartungen an eine Groko hat, die sich selbst gewählt hat.
CDU und CSU, diesen Anspruch erhebt Angela Merkel immer wieder, haben bei der Bundestagswahl trotz schwerer Verluste den Auftrag erhalten, eine Regierung zu bilden. (Wenn Gestrauchelte regieren wollen http://www.sueddeutsche.de/politik/regierung-die-gestrauchelten-1.3783950)….

Silverager
6 Jahre her

„Die Erwartungen an die vierte Regierung Merkel sind so niedrig, dass sie diese eigentlich nur übertreffen kann …“
Werter Herr Müller-Vogg, darf ich auch mal was prophezeien?
Die niedrigen Erwartungen werden von der vierten Regierung Merkel noch bei weitem unterboten werden.

Bogorsky
6 Jahre her

Welches Grauen erwartet uns in den nächsten Monaten ? Geht’s nun mit Volldampf in die europäische Schuldenunion, wird der deutsche Steuerzahler für noch gigantischere Summen als bisher bürgen müssen ? Wie lange wird die illegale Masseneinwanderung noch weitergehen ? Wann werden ca. 600.000 bis 800.000 Ausreisepflichtige unser Land wieder verlassen ? Was soll gegen die ausufernde Kriminalität unternommen werden, wo sollen die dringend benötigten Polizisten herkommen ? Wie soll die heruntergewirtschaftete Bundeswehr wieder zu einer einsatz- und verteidigungsfähigen Truppe gemacht werden ? Wie soll es mit dem Islam in Deutschland weitergehen, sollen ausländische Religionsbehörden weiterhin die Moscheen in unserem Land… Mehr

Hans Amstein
6 Jahre her

Ich kann leider nicht erkennen, dass bzw. wie die gerade wiedergewählte BKin hinzugelernt hätte. Ich fürchte, zu ihrer ohnedies atypischen Persönlichkeitsstruktur treten nun noch zunehmende Zeichen von Autismus hinzu.
Ihre Defizite sind längst unübersehbar; ihr nochmaliger Machterhalt rührt vor allem aus dem Mangel an überzeugenden Alternativen. Selbst der anfängliche Schulz-Hype hatte seinen Grund nicht in der Person des Herausforderers, sondern vorrangig in der Hoffnung auf eine Alternative zur alternativlosen Politik dieser Frau, die ihre Vergangenheit hütet wie ein Staatsgeheimnis.

Old-Man
6 Jahre her

Sie sind ein unverbesserlicher Optimist verehrter Hugo Müller-Vogg,und das schätze Ich an ihnen.
Selbst ohne Licht am Ende des Tunnels können Sie dem noch etwas gutes abgewinnen,sehen irgendwo einen schwachen Lichtschein,so etwas kann aufbauen.

Ich gönne es ihnen von Herzen so optimistisch zu sein,nur Ich fühle das irgendwie nicht,Ich fühle nur,das unser Land von dieser „Bande des Schreckens“ noch vollends gegen die Wand gefahren wird,mit uns als Passagieren ohne Notbremshebel.

Wie gesagt,Ich gönne ihnen ihren Optimismus und lese auch immer ihre Artikel gerne,auch wenn wir meist anderer Meinung sind.

Willi4
6 Jahre her

Die CDU ist tiefer verfault, als ich bisher gedacht habe; sie ist tatsächlich faul bis ins Kernholz. Die letzte Hoffnung, es könnten sich tatsächlich genug Aufrechte finden, um Merkel in den dritten Wahlgang zu treiben, hat sich als Fata Morgana herausgestellt. Merkel macht umgehend dort weiter, wo sie vor der Wal aufgehört hat; ihre prioritäre Bevölkerungsgruppe sind die Muslime. Finis Germaniae (macht als Genitiv und Dativ Sinn).

Roland Müller
6 Jahre her

Zu den Zeiten von Max Weber saßen vermutlich keine Drünnbrettbohrer vor den dicken Brettern und auch keine Dünnbrettbohrerrinnen.

Imre
6 Jahre her

Sie sind ein unverbesserlicher Optimist Herr Müller-Vogg, angesichts der deaströsen Historie und der noch schlimmer zu erwartenden Zukunft der heiligen Angela. Sie wären in einem wichtigen Amt nach meiner Einschätzung auch deshalb überfordert, weil nicht fähig, die wirklichen Systemfehler zu erkennen und zu benennen. Und wenn die Erkenntnis fehlt, ist eine Abhilfe ohnehin illusorisch…. Spätestens dann, wenn Sie der letzte Klatscher sind, sollten Sie langsam mal nachdenken. Nichts für ungut, geht nur um dieses Land…

Alois Fuchs
6 Jahre her

„Die Erwartungen an die vierte Regierung Merkel sind so niedrig, dass sie diese eigentlich nur übertreffen kann.“ – Wenn Sie sich da nur nicht irren, Herr Dr. Müller-Vogg. Merkel & Co. waren schon für manche Überraschung gut und nach unten ist immer noch viel Luft

Alfred Vail
6 Jahre her

Interessant wäre es zu wissen wie viele Stimmen Merkel z.B. von den Grünen bekommen hat. Dann erst wüsste man wie hoch die Ablehnung im eigenen Lager ist.