Wielers verspätetes Eingeständnis: Schulschließungen waren unnötig

Kaum hat Lothar Wieler sein Ende als Präsident des Robert-Koch-Instituts eingeleitet, trifft er eine Aussage, für die man seinerzeit diskreditiert wurde: Die monatelange Schließung der Schulen war nicht notwendig. Millionen Schüler waren also umsonst Opfer der Politik.

IMAGO / Rainer Unkel
Lothar Wiler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, 08.04.2022

Lothar Wieler war einer der wichtigsten Ratgeber der deutschen Corona-Politik. Nun hat der Präsident des staatlichen Robert-Koch-Instituts (RKI) seinen vorzeitigen Rücktritt zum 1. April bekannt gegeben – und gleich darauf der Zeit ein Interview, das es in sich hat: Die monatelangen Schulschließungen, ein zentrales Element des „Lockdowns“, seien vermeidbar gewesen, sagt Wieler.

Während der Monate des Lockdowns, die vor allem für Schülerinnen und Schüler schwerste Lern-Versäumnisse und außerdem für sie und ihre Familien fundamentale Einschränkungen ihrer Lebensumstände bedeutete, wurde jeder, der behauptete, die Maßnahmen seien unnötig, als verantwortungsloser Spinner oder gar als Gefährder des Allgemeinwohls stigmatisiert. Die Begriffe „Querdenker“ und „Corona-Leugner“ wurden als Stigmata auch gegen besonnene Kritiker der Corona-Politik genutzt, um sich nicht mehr in einem sachlichen Diskurs mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Und nun kommt ausgerechnet Lothar Wieler, dessen Gesicht wohl jeder Nachrichtenkonsument aus den unzähligen Pressekonferenzen zuerst mit Jens Spahn und schließlich mit Karl Lauterbach kennt, mit der Erkenntnis um die Ecke, dass jene Kritiker des harten Lockdowns wohl gar nicht so unrecht hatten.

Ausgerechnet in der Zeit, in der Pandemie eine verlässliche mediale Stütze der harten Lockdown-Politik, sagt Wieler: „Es gab nie nur die Alternative: Entweder wenige Tote oder Schulen offen halten.“ Und weiter: „Der vorhandene Spielraum ist während der ganzen Pandemie nicht ausreichend mit der nötigen Sorgfalt, Ruhe und Sachlichkeit betrachtet worden.“ Das RKI habe „immer Empfehlungen abgegeben, mit denen man den Betrieb in Schulen und Kitas hätte laufen lassen können, wenn auch unter Anstrengung“.

Nur kann man sich eben nicht an Kritik aus dem RKI an den Schulschließungen erinnern. Wieler hat, so kann man vermuten, wohl so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Das sollte man ihm persönlich auf jeden Fall zugutehalten. Im Gegensatz zu seinem Chef, Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

Wieler hat als de facto politischer Beamter aber wohl auch genug Politikereigenschaft angenommen, um zu wissen, wie man durchkommt, ohne ganz offen Fehler einräumen zu müssen: Man muss nur einräumen, „nicht optimal kommuniziert“ zu haben. So wird man nicht zum Schuldigen, sondern zum tragischen Missverstandenen. In Wielers Worten: „Ich hätte mehr Gespräche führen sollen, um diese komplexen Geschehnisse besser einzuordnen. Das habe ich zu wenig getan.“

Warum aber, so fragt man sich, hat Wieler nicht sehr viel früher schon laut vernehmbar seine Skepsis an Schulschließungen geäußert? So bleibt der Eindruck eines Mannes, der im Amt tat, was von ihm erwartet wurde und erst als Privatier den gewissenhaften, ergebnisoffen nach der Wahrheit und der besten Lösung suchenden Wissenschaftler wieder in sich entdeckt: „Als Wissenschaftler will ich wissen: Welche Maßnahmen waren adäquat, welche Kosten-Nutzen-Effekte gab es?“ Dies müsse fundiert geschehen, „als saubere Analyse“.

Zu dieser Aufarbeitung gehörte allerdings auch, dass die politischen Entscheidungsträger zur Verantwortung gezogen, also ihre Fehler wenn nicht vor Gericht, so doch zumindest in der Öffentlichkeit als solche benannt würden. Die damals verantwortlichen Politiker, aber auch ihre Ratgeber und diejenigen, die in den Medien und im „politischen Berlin“ diese Politik propagierten, sind es den Millionen Kindern und ihren Angehörigen schuldig.

Die politische Erfahrung zeigt aber, dass man sich nicht bei allen auf ein schlechtes Gewissen verlassen kann. Die Aufarbeitung muss von einer kritischen Öffentlichkeit und vom Wissenschaftsbetrieb erzwungen werden. Von einem Gesundheitsminister Lauterbach, der mittlerweile von Studien spricht, die es gar nicht gibt, um seinen obsessiven Alarmismus weiter zu betreiben, ist hier keine Unterstützung zu erwarten. Wieler dagegen könnte auch noch nach seinem Ausscheiden sicher das eine oder andere zu der von ihm selbst geforderten sauberen Analyse beitragen.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 44 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

44 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Kaktus 61
1 Jahr her

Versuch der nachträglichen Selbstreinwaschung, leider unglaubwürdig.

MeHere
1 Jahr her

Gestern hat im DLF Nadine Lindner massiv gegen Herrn Maaßen gehetzt und ihm das „Leugnen von Corona“ (die neue Straftaterfindung der Linksbunten) vorgeworfen, sowie andere Dinge – alles ohne Zitate oder Beweise natürlich, was ja der korrekte und aufrichtige Journalismus im ÖFFI heutzutage nicht mehr braucht, Ankläger, Richter, Henker zugleich … das ist der LINKE Journalist im Jahre 2023.

Wenn Herr Wiehler nun auch Corona leugnet, d.h. die überzogenen Maßnahmen und das wirre agieren der Regierungen inkl. Plünderung der Steuerkassen, dann frage ich mich echt, was das alles soll …

jansobieski
1 Jahr her

Sein Hass und Hetze sind gut und mehrfach dokumentiert, insbesondere die Unterdrückung anderer Meinungen. In einer in der Zukunft wieder gerechteren Welt muss er dafür zur Verantwortung gezogen werden. Ich hoffe, er erlebt es und Justitia darf dann frei walten. Vergeben/ Vergessen? Niemals!

Heiko Winkler
1 Jahr her

Nicht so ganz. Diese Vorgaben kamen von der WHO. Weltweit haben Regierungen diese umgesetzt. Wir hatten hier einen totalen Lockdown über vier Monate. Bis die Leute anmerkten, sie müssten ihren Lebensunterhalt bestreiten. Dann gabs etwas Geld vom Staat. Ausreichend war das nicht. Und so lockerte man diese Maßnahmen schließlich bis zu deren Abschaffung still und leise. Drüben in Haiti gabs glaube ich gar nichts dergleichen. Jedenfalls war es auch nicht umsetzbar. Gestorben sind die nur bei Schiessereien.

Klausklein
1 Jahr her
Antworten an  Heiko Winkler

In Afrika gabs das auch nicht. Kaum Impfungen und kein Massensterben. Komisch was? 🙂

Juergen Schmidt
1 Jahr her

Nun, er hat ja seinen Auftrag als RKI-Präsident während »Corona« bestens erledigt, und muss jetzt nicht mehr die Bürger belügen und täuschen.

Katzenfreund
1 Jahr her

Vor dem Hintergrund, dass in Sachen Aufarbeitung in anderen Ländern immer mehr Bewegung kommt, sodass das in Deutschland letztlich auch nicht mehr aufzuhalten sein wird, kann das Eingeständnis Wiehlers nur als peinlicher Versuch angesehen werden, schnell noch einen schlanken Fuß zu machen. Aber dafür steckt er zu tief drin!

Falke53
1 Jahr her

Wieler ist kein Unschuldslamm, und das mit dem Gewissen würde ich stark in Zweifel ziehen. Man schaue sich nur die Doku von Kla TV „Die Akte Wieler“ an oder ziehe sich noch mal den Teil aus dem Corona-Ausschuss Sitzung 41 rein, in dem die ehemalige WHO-Mitarbeiterin Dr. Silvia Behrendt über die Rolle der WHO, Völkerrecht, Wieler sowie PCR sprach. Da traten erstaunliche Verflechtungen Wielers zutage, die belegen, dass er bereits in Vorbereitungen eingebunden war, die die Eingriffe und Maßnahmen der WHO im Falle von Pandemien möglich machten. Der wusste zu jeder Zeit genau, was er sagte. Unvergessen seine Aussage im… Mehr

fischer
1 Jahr her

Wahrscheinlich wollen sie für ihr „vielleicht nicht immer alles richtig..“ auch noch gelobt werden. Nix da.

GrafZahl04
1 Jahr her

Der Positive Effekt an den Schulschließungen ist doch, dass endlich in den Schulen das Neuland Internet / Digitalisierung forciert wurde. Die Deutschen wären doch noch heute tief und fest am Schlafen gewesen. Nur in anderen Bereichen wird der Turbo gezündet…..

Regina Lange
1 Jahr her

Ganz schlimm fand ich auch, als die Schulen wieder geöffnet waren, wurden einzelne Kinder, die keine Maske tragen dürften oder sollten, wie Aussätzige von den anderen separiert! Sie mussten über sich ergehen lassen, den Schultag auf dem Flur, in irgendwelchen Nebenräumen oder gar auf dem Schulhof alleine zu verbringen! Das war sicher nicht förderlich für die kindliche Psyche. Das ist emotionaler Missbrauch und sonst nichts! Oder Kinder, die das „Verbrechen“ begangen haben ihre Maske nicht aufzusetzen, wurden mit „Denkzetteln“ beglückt, die von den Eltern unterschrieben werden mussten. Da sind Dinge passiert, die jeder Beschreibung spotten!