Wenn der Mindestlohn häusliche Pflege unerschwinglich macht

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Mindestlohn für entsendete Pflegekräfte ist der Prototyp eines Markteingriffs, der für alle Beteiligten Nachteile bringt. Nur die Gewerkschaften können sich rühmen, eine theoretische Ungerechtigkeit zu beseitigen.

IMAGO / Westend61
Symbolbild

Das Bundesarbeitsgericht hat ein Urteil gefällt, dass den Lebensabend eines großen Teils der Deutschen und die Arbeitswirklichkeit vieler Bürgerinnen Polens und anderer mittelosteuropäischer Länder maßgeblich verändern könnte. Laut Urteil  (5 AZR 505/20) vom 24. Juni haben nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Und, so der entscheidende Teil des Urteils: Dazu gehöre auch Bereitschaftsdienst.

Ein solcher könne darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine bulgarische Staatsangehörige war seit April 2015 bei einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien als Sozialassistentin beschäftigt. In dem in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag ist eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vereinbart, wobei Samstag und Sonntag arbeitsfrei sein sollten.. 

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Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist hocherfreut und spricht von „Ausbeutung“. Aber haben die betroffenen Pflegerinnen wirklich Grund zur Freude? Die konkrete Klägerin selbst vielleicht schon, denn sie wird womöglich eine große Summe von ihren Auftraggebern nachfordern können. Aber werden sie und all ihre Kolleginnen aus meist osteuropäischen Ländern, die künftig nach Auftraggebern in Deutschland suchen, dann noch welche finden, die in der Lage sind, den gesetzmäßig zustehenden Lohn für eine häusliche Rund-um-die-Uhr-Pflege zu zahlen? Wohl kaum sehr viele. 

Denn das Urteil bedeutet, dass eine solche Betreuung zu Hause auf legalem Wege künftig nicht für ca. 1.500 bis 2.000 Euro pro Monat zu haben ist, sondern nach aktuell gültigem Mindestlohn von 9,60 Euro bei vollständiger Mindestlohnvergütung etwa 8.400, inklusive Arbeitgeberanteil am Sozialbeitrag nach deutschem Sozialversicherungsrecht also rund 10.000 Euro kosten muss. 

Die Pflegebedürftigen und ihre überlasteten Angehörigen, also die Arbeitgeber, werden gezwungen sein, auf inoffizielle Kanäle auszuweichen – wenn sie das nicht ohnehin schon längst tun. Sie werden den Pflegerinnen künftig vielleicht ein paar Euros mehr zahlen als zuvor, dafür aber „schwarz“, also ohne Steuern und Abgaben, und somit keinerlei Rechtssicherheit haben, ebensowenig wie die Pflegerinnen selbst natürlich auch. Am meisten profitieren werden wohl die dann ebenfalls vermehrt illegal agierenden Vermittler solcher Dienstleistungen.

Das Urteil dürfte ein typisches Beispiel dafür sein, wie Eingriffe in den Markt, in diesem Fall der Mindestlohn, allen Beteiligten schaden können:

Die Angehörigen können die Pflege daheim nicht mehr bezahlen und müssen die Alten ins Pflegeheim abschieben. Die Pflegeheime werden noch mehr überlastet als ohnehin schon und die Versorgung dort noch schlechter. Die meist osteuropäischen Privat-Pflegekräfte verlieren ihren (legalen) Job. Nur die Gewerkschaften freuen sich, weil sie die Welt angeblich ein Stück gerechter gemacht haben.

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Kommentare ( 83 )

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83 Comments
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Boris G
2 Jahre her

Es ist bemerkenswert, wie sich der „Arbeitsmarkt“ in den letzten 60 Jahren verändert hat. Für das Funktionieren einer Gesellschaft sind Marktmechanismen beim Austarieren von Angebot und Nachfrage von eminenter Bedeutung. In der Altenpflege sind diese Mechanismen außer Kraft gesetzt worden. Es besteht dringender Bedarf an qualifizierter Pflege, aber die Bezahlung ist mäßig bis mies. So mies, dass viele Einheimische, die körperlich und geistig für solche Pflegearbeit geeignet wären, einen großen Bogen um diese Jobs machen. Lieber kassiert man Hartz-IV mit verschwiegenen Nebeneinkünften, als dass man sich die Gummihandschuhe für das verpönte Entstuhlen überzieht. Ran müssen dann Wanderarbeiterinnen aus Osteuropa, die… Mehr

Querdenker_Techn
2 Jahre her

Der gravierendste Punkt im Urteil ist die Einstufung der Bereitschaftszeit als volle Arbeitszeit. Das hat auch Auswirkungen auf viele andere Bereiche, letztlich auch auf die Versorgung der Bevölkerung.
Waren früher Feuerwehrleute in Bereitschaft und bekamen nur den Anteil der durchschnittlichen Arbeitszeit plus Aufschlag bezahlt, so muss heute jede Minute als Arbeitszeit vergütet werden. Gleiches gilt für Ärzte im Krankenhaus. Wäre alles nicht so schlimm, wenn wir genug davon hätten. Das ist jedoch nicht der Fall. Und unser Arbeitsrecht begrenzt die Stunden ganz rigide.

Franz Reinartz
2 Jahre her

Aber das ist doch politisch so gewollt. Wo kämen wir hin, wenn eine halbwegs betuchte Minderheit alter Menschen selbstbestimmt eine Pflegerin einstellt und damit ihr Geld dem Pflegesystem entzieht? Wohlgemerkt: Es geht nicht um Oma Hinz oder Opa Kunz, die ohnehin keine Knete für private Pflege haben und deren Häuschen schon beim Sozialamt gelandet ist.

Schroeder
2 Jahre her

Sie liegen falsch. Bereitschaft hat viele Facetten. Zuhause ist verhandelbar – gering, bei Einsatz Lohn. Bereitschaft z.B. bei Doppelbesatzung 50%. Anwesenheit im Wochenenddienst (Arzt) – EUGH-Urteil schon vor Jahren voller Lohn. Das Urteil ist weder vernünftig noch klug.

Anton Mohr
2 Jahre her

„Das Urteil dürfte ein typisches Beispiel dafür sein, wie Eingriffe in den Markt, in diesem Fall der Mindestlohn, allen Beteiligten schaden können:“

Dazu Artikel 1 des GG: „Die Menschenwürde ist unantastbar“ und nicht Teil des freien Marktes für Sklavenarbeit!

Werner Baumschlager
2 Jahre her
Antworten an  Anton Mohr

Sklavenarabeit wäre es, wenn du dazu gezwungen wirst. Tue also bitte nicht ständig Sklaverei verharmlosen.

F. Hoffmann
2 Jahre her
Antworten an  Anton Mohr

Nur mal so. Durchschnittseinkommen in Polen 990.- € brutto, ca. 635.- Euro netto. In Rumänien etc. dürfte es noch tiefer liegen. Für die 1500-2000 € die hier verdient werden, werden in Polen Steuern und Sozialabgaben entrichtet. Für Betreuer und Betreute war das o.k.. Und was die 24 Stunden Betreuung angeht (Schilderung von Patienten): Wenn die Betreuerin tatsächlich 21 Std. am Tag -wie hier geschildert- eingespannt war, war sie spätestens am 3. Tag weg.

Deutscher
2 Jahre her

Offenbar haben Sie noch nie Bereitschaft gearbeitet. Natürlich nutzt Ihr Arbeitgeber die Gelegenheit, Sie während der Bereitschaft zu beschäftigen.

Deutscher
2 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Offenbar eine Luxusbereitschaft.

F. Hoffmann
2 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Also früher war das im Krankenhaus so: Man hatte Bereitschaftsdienst und war vor Ort, je nachdem was nachts los war konnte man schlafen oder nicht. Oder man hatte, z.B. als Oberarzt oder Facharzt Rufbereitschaft (Hintergrunddienst) und konnte sich innerhalb eines gewissen Radius bewegen bzw. mußte innerhalb eines Zeitfensters im Krankenhaus sein, wenn der Bereitschaftsdienst nicht alleine klar kam. Ich wüßte nicht, daß unser Arbeitgeber dem Bereitschaftsdienst oder Hintergrunddienst zusätzliche Aufgaben übertragen hätte.

Deutscher
2 Jahre her

@Forist „Teide“: Zitat: „Die Pflegerinnen wohnen bei den Leuten. Freie Kost und Logis. Ein Auto brauchen die auch nicht. Können das vorhandene mitbenutzen. Die haben keine sonstigen Kosten.“ Wow, interessantes Modell! Dann können wir ja auch Ihren Lohn kürzen, sagen wir mal auf 6,50 € / h, brutto natürlich! Dafür bietet Ihnen Ihr Chef ein firmeneigenes WG-Zimmer und drei Mahlzeiten am Tag. Auto brauchen Sie nicht, wenn der Arbeitsplatz von Ihrem WG-Zimmer aus zu Fuß erreichbar ist. Ansonsten bekommen Sie eine ÖPNV-Karte von der Firma. Finde ich eine klasse Idee! Ihr Chef kann die ganzen Kosten vom Umsatz abziehen, spart… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Deutscher
Werner Baumschlager
2 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Man versteht nicht genau, worüber du dich aufregst. Kann es sein, dass du zum ersten Mal dem Konzept „Sachbezug“ begegnet bist?

Deutscher
2 Jahre her
Antworten an  Werner Baumschlager

„Man versteht nicht genau…“

Falsch: SIE verstehen nicht.

Jo_01
2 Jahre her
Antworten an  Werner Baumschlager

Der User „Deutscher“ (schöner Nickname übrigens) will und kann Sie genauso wenig verstehen, wie die Umstände, die sich aus dem Urteil selbst ergeben: nix mit win/win, sondern alle Seiten verlieren.
Wenn man aber an den Sozialismus glaubt – egal ob internationaler oder nationaler Sozialismus – dann wird man eben dieses Urteil begrüßen und sich nicht weiter darum kümmern, welche praktischen Konsequenzen damit verbunden sind. Ideologie siegt – das ist der heutige Zeitgeist.
Und diesmal klappt es auch endlich mit dem Sozialismus – diesmal ganz bestimmt….
Finis Germania

Philokteta
2 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Nun, Forist „Deutscher“. Das Modell, das ich kenne, ist genauso, wir von Forist „Teide“ beschrieben. Es fallen für die Pflegerinnen tatsächlich kaum weitere Kosten an. Ach ja, alle zwei Monate findet ein Wechsel der Pflegerinnen statt. Die meisten kommen nach einiger Zeit zuhause immer wieder.

cleverfrank
2 Jahre her

Ich mache mir da keine Sorgen. Der stete Strom an ausländischen Fachkräften wird das Problem schon irgendwie lösen. Dazu kommt noch die kulturelle Bereicherung und zwar gratis.

Jo_01
2 Jahre her
Antworten an  cleverfrank

Ihr Beitrag ist nicht als Satire gekennzeichnet 🙂
Und er ist ja auch keine wirkliche Satire, denn im Grunde haben Sie völlig recht.
Ich sehe es schon direkt vor mir, wie in wenigen Jahren Abdullah der deutschen Omi den Hintern putzt und sich freut, endlich als integriertes Mitglied der bunten Gesellschaft zu deren Gelingen beitragen zu dürfen.
Diesmal klappt es endlich mit dem Sozialismus – dieses Mal ganz bestimmt…

nomsm
2 Jahre her

Liegt halt daran, dass man das Krankenhauskonstrukt übernommen hat. Damals wurde ja dagegen geklagt. Würde mich mal interessieren wie das dann auf Schiffen oder besser Militärschiffen praktiziert wird.

Edu
2 Jahre her

Es gibt doch tausend Umgehungsmöglichkeiten. Wie wäre es z.B. Wekvertrag mit bulgarischer Firma. Damit bezahlt man für eine Sachleistung – Personalverpflichtung in Bulgaria – was die Großindustrie perfektioniert sollte man nutzen. Dann kann man Unterkunft und Logie großzügig in Rechnung stellen etc. Kreativität ist gefragt.