Von der Leyens Transparenztraum: Kurznachrichten werden in der Kommission gelöscht

Ursula von der Leyens SMS-Verkehr mit dem Pfizer-Chef ist weg. Sie musste die Nachrichten nicht einmal versehentlich löschen wie noch als Verteidigungsministerin. Die Europäische Kommission hat sich selbst das Recht gegeben, elektronische Kurznachrichten von den eigenen Transparenzregeln auszunehmen.

IMAGO / photothek

Ursula von der Leyen war mit dem Versprechen der Transparenz als EU-Kommissionspräsidentin angetreten, in ihren Reden kommt der Begriff stets prominent vor, zum Beispiel in der zur „Lage der Union“ am 15. September: „Information ist ein öffentliches Gut. Wir müssen diejenigen schützen, die Transparenz schaffen, die Journalistinnen und Journalisten.“ Wenn aber Journalisten von ihr selbst dieses öffentliche Gut einfordern, ist es dann doch nicht mehr so öffentlich, zum Beispiel ihr SMS-Verkehr mit Albert Bourla, dem CEO des Impfstoffherstellers Pfizer.

Aber Bürger-Chats automatisiert ausspionieren
Von der Leyens EU-Kommission löscht massenweise E-Mails und Chats - auch zur Milliarden-Impfstoffbestellung
Tatsächlich hat von der Leyen wohl eher aus ihren Erfahrungen als Verteidigungsministerin den Schluss gezogen, das Gegenteil von Transparenz zu praktizieren: Damals hat sie – angeblich aus Versehen – Textnachrichten gelöscht, die Hinweise auf die fragwürdige Beschäftigung und Bezahlung von Beratungsunternehmen für die Bundeswehr hätten geben können. Nun soll es wohl in der Kommission erst gar nicht mehr zu solchen „Versehen“ kommen müssen – etwa wenn es um die Beschaffungsverträge zwischen der EU und Impfstoffherstellern geht.

Die Kommission antwortete der EU-Abgeordneten Sophie in ’t Veld von der niederländischen Partei D66 auf eine Anfrage, dass solche Kurznachrichten nicht unter die Transparenz-Regeln der Kommission fallen und daher systematisch vernichtet werden können. Mehrere Tausend E-Mails und SMS werden also automatisch monatlich gelöscht, WhatsApp-Nachrichten werden überhaupt nicht erst archiviert. Archiviert wird nach Kommissionsentscheidung C(2020)44822 nur, was „wichtige Information enthält, die nicht kurzlebig ist“. Dieses eine Sätzlein in dem langen technischen Dokument erweist sich nun als entscheidendes Detail, weil es ein Hintertürchen öffnet, unerwünschte Dokumente als unwichtig verschwinden zu lassen. Diese Entscheidung stammt übrigens vom 6. Juli 2020, also nach von der Leyens Amtsübernahme.

Der Anlass dieser Anfrage war ein Bericht des Spiegel, dessen Autor auf Nachfrage von der Kommission Bescheid erhielt, dass sie keine Kurznachrichten zwischen von der Leyen und Albert Bourla, dem CEO des Impfstoffherstellers Pfizer, besitze. Immerhin hatte die New York Times berichtet, dass von der Leyen und Bourla einen Monat lang telefonisch und per SMS über die Bedingungen eines im Mai 2021 bekannt gewordenen Liefervertrages über 1,8 Milliarden Impf-Dosen verhandelt hatten. Von der Leyen und die Kommission standen damals wegen der Verzögerungen der Impfstoffbeschaffung in der Kritik.

Handy-Daten gelöscht
Das Kerbholz der Ursula von der Leyen
Angesichts der Brisanz und Bedeutung der Verhandlungen – es ging um die Rettung von Menschenleben und enorme finanzielle Beträge – erscheint die Antwort der  Generalsekretärin der Kommission Ilze Juhansone fast zynisch: Kurznachrichten seien ihrer „Natur“ nach „ein kurzlebiges Dokument, das nicht prinzipiell wichtige Information über Angelegenheiten enthalte, die die Politik, Aktivitäten und Entscheidungen betreffen“, schrieb sie. Die Vorgaben der Kommission für die Archivierung würden „im Prinzip Kurznachrichten ausschließen“.

Nun hat die Abgeordnete auf Nachfrage nochmals von höherer Stelle, nämlich von Věra Jourová, EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, die Bestätigung erhalten: „Aufgrund ihrer Kurzlebigkeit und Flüchtigkeit sind Text- und Instant-Messages nicht dazu gedacht, wichtige Informationen zu Politik, Aktivitäten und Entscheidungen der Kommission zu enthalten: sie gelten daher auch nicht als Dokumente, die der Aufzeichnungspolitik der Kommission unterliegen. Sie fallen auch nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung 1049/2001 über den Zugang zu Dokumenten.“

Kurz gesagt: Wer in der EU-Kommission etwas Brisantes mitteilen will, von dem die Öffentlichkeit und Nachwelt keinesfalls erfahren darf, sollte dies keinesfalls auf Papier oder in einer E-Mail festhalten, sondern als SMS schreiben.

Screenprint via Twitter / Sophie in ‚t Veld

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Kommentare ( 27 )

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Aljoschu
2 Jahre her

Als Familienministerin Millionen, … als Verteidigungsministerin Milliarden, … als EU-Kommissionspräsidentin Billionen … versenkt! Liebe Frau von Merkels Gnaden, treten Sie zurück.

Aljoschu
2 Jahre her

„Das Netz vergisst nichts!“ – Genau, wenn du ein ganz normaler Bürger bist, arbeiten gehst, um deine Brötchen zu verdienen, Steuer zahlst, abends ARD guckst und alle vier Jahre brav dein Kreuzchen malst, dann gilt das für dich: das Netz vergisst nichts über dich, es verzeiht dir nie! Bist du aber ein Mitglied der postmodernen Neo-Aristokratie, dieser Nichtsnutze und Schwätzer in den Landesparlamenten, Bundestag oder den phantastischen Gremien der EU, dann gelten die Gesetze der Schwerkraft nicht mehr für dich. Du bist ein für alle mal sämtlicher Regeln des Anstandes, der Verantwortung, der Legitimation enthoben. Dein Gewissen kannst du an… Mehr

Stuttgarterin
2 Jahre her

Wichtiger als SMS (Gespräche, Telefonate sind da nicht anders) sind doch die harten Fakten wie Vergabeunterlagen, Verträge und Ergänzungsvereinbarungen, Förderzusagen, interne Bewertungen etc. Es gäbe nicht so viel Missbrauch mit öffentlichen Geldern, wenn dieser einfach nachzuweisen wäre…

Mausi
2 Jahre her

Was ist eine SMS? Statt mündlich über das Telefonnetz zu kommunizieren, wird bei der SMS schriftlich kommuniziert. Mündliche Telefongespräche werden nicht mitgeschnitten, sind für niemanden fassbar. Wieso sollte das bei einer SMS anders sein? Ich möchte bei dieser Art Kommunikation geschützt sein. Also sollte es auch VdL sein.
Klüngel ist immer möglich.

Last edited 2 Jahre her by Mausi
nachgefragt
2 Jahre her

Ich kenne niemanden persönlich, absolut niemanden, egal wo politisch positioniert, der von der Leyens Amtsführungen und Klüngelmaschen für toleranzfähig hält. Absolut niemand würde von der Leyen die eigene Stimme bei einer Wahl geben. Und wenn doch, wenn man sich ein Szenario überlegt, wo man muss, dann nur, weil die Kontrahenten mindestens genauso beschränkt und korrupt sind. Also eine Konstellation Baerbock gegen vdL bei der Europawahl als Beispiel. UND DAS IST DER EIGENTLICHE SKANDAL IN DEUTSCHLAND 2022. Dass einem überhaupt solche Leute zur Wahl aufgezwungen werden, die niemand will, mit Zustimmungswerten unter 15 Prozent, aber mit dem Anspruch geradezu der „Weltherrschaft“.

Harald R.
2 Jahre her

So ist sie nunmal die EU-Kommission, das muß man wissen.

In Brüssel (EU) und Frankfurt (EZB) machen sie ihre eigenen Regeln. So können sie nicht überprüft und zur Rechenschaft gezogen werden.

Was vernahm ich letzthin: ein Vize-Parlamentpräsident genehmigte sich ein Büro für schlappe 600.000 €uro.

Das ist mehr als EU-Uschi im Jahr für ihren Frisör ausgibt !

eifelerjong
2 Jahre her

Ich finde er interessant, aber auch vielsagend, dass ich gefühlt in jeder 2. Biographie von Politikern Elternteile bzw. nahe Verwandte entdecke, die ebenfalls dem „Neoadel“ angehörten.

Paul Brusselmans
2 Jahre her

Dies ist der Punkt, an dem die Europäische Ombudsfrau angerufen werden sollte. Leider kann dies nur die Person, an die die Antwort gerichtet worden ist. Bleibt für die anderen nur die Alternative, erst genau diese Frage der Kommission erneut zu stellen. Die Kommission hat damit nicht mehr die Möglichkeit einer lapidaren Antwort. Das Formular findet sich online – European Ombudswoman. Eine ganz andere Möglichkeit, von der Laien unter Zugzwang zu setzen, ist die illegale Entlassung der Hersteller aus der Haftung. Der EU-Gesetzgebung zufolge ist « Under an EU Conditional Marketing Authorisation (CMA), liability is with the holder of the marketing authorisation.… Mehr

Paul Brusselmans
2 Jahre her

Dies ist der Punkt, an dem die Europäische Ombudsfrau angerufen werden sollte. Leider kann dies nur die Person, an die die Antwort gerichtet worden ist. Bleibt für die anderen nur die Alternative, erst genau diese Frage der Kommission erneut zu stellen. Die Kommission hat damit nicht mehr die Möglichkeit einer lapidaren Antwort. Das Formular findet sich online – European Ombudswoman. Eine ganz andere Möglichkeit, von der Laien unter Zugzwang zu setzen, ist die illegale Entlassung der Hersteller aus der Haftung. Der EU-Gesetzgebung zufolge ist « Under an EU Conditional Marketing Authorisation (CMA), liability is with the holder of the marketing authorisation.… Mehr

Wolfbert
2 Jahre her

Sich fürstlich von einer Gemeinschaft alimentieren zu lassen (die einen nicht einmal gewählt hat), ist selbstverständlich in Ordnung. Aus dieser Position heraus Verordnungen zu erlassen und Geschäfte zu Lasten Dritter abzuschließen, ebenfalls.

Aber der Gemeinschaft, deren Gelder man mit vollen Händen ausgibt, Rechenschaft abzulegen, dazu sieht die Betonfrisur keine Veranlassung.