Merkel ähnelt den abrückenden Besatzern in Kabul: Nach mir die Sintflut. Rette sich wer kann.

Ob Flutkatastrophe, Energiepolitik, Bildungswesen, Verfall der Infrastruktur, verschluderte Digitalisierung, unsägliches „Pandemie”-Management oder Zusammenbrechen der Alterssicherung: Auf allen Politikfeldern gehen Trägheit, Bürokratismus, Ignoranz und Weltfremdheit eine toxische Mischung ein.

Die allermeisten Medien lassen plötzlich kein gutes Haar mehr an der Regierung, registrieren entgeistert und empört die Berliner Stümperei. Wäre es nicht zynisch, könnte man sagen, die Taliban in Afghanistan haben Augen in Deutschland geöffnet. Und das wenige Wochen vor der Wahl. Die Wirkung ist noch nicht abzuschätzen.

I.

Dennoch gerät in der Debatte um das Versagen am Hindukusch einiges durcheinander. Die zwei Handlungsebenen werden nicht sauber voneinander getrennt. Da ist einmal die gescheiterte Utopie, die Welt lasse sich nach Willen und Vorstellung des Westens formen. Der Islam lässt sich nicht von außen zivilisieren. Demokratie kann nicht oktroyiert werden. Die Untertanen, wo auch immer, müssen sich selbst zu freien Bürgern erheben und aus den Fesseln ihrer Geschichte befreien. Auch der Talibanstaat wird nicht der letzte in Afghanistan sein. So traurig das sein mag für die, die wieder einmal vergeblich auf den Westen gesetzt haben. Am Ende spielt es keine Rolle, ob geostrategische oder humanistische Interessen oder eine Mischung aus beiden Interventionsmotive sind. Das Zeitalter des westlichen Werte-Kolonialismus ist unwiderruflich vorbei. China schlägt mit pragmatischeren Methoden ein neues Kapitel auf.

II.

Etwas ganz anderes aber ist es, wie diese Erkenntnis realisiert wird. Der unvorbereitete, bedingungslose, überhastete Abzug aus Afghanistan ist verheerend. Er konterkariert und diskriminiert die Werte, für die man vergeblich gekämpft hat. Mit der heillosen Flucht aus der Verantwortung verrät sich der Westen selbst. Und am widerlichsten ist der Verrat an denjenigen, die auf den Wandel gesetzt und ihr eigenes Überleben der Schutzmacht anvertraut hatten. Frauen, Demokraten, gebildete, aufgeklärte Afghanen werden ihren Feinden erbarmungslos ausgeliefert. Das ist nicht Realpolitik, es ist eine Schande.

III.

Verheerend ist also nicht der Strategiewechsel, sondern die Art und Weise, wie er vollzogen wird. Ursächlich dafür sind ausschließlich innenpolitische Motive der USA. Der Vertrauensverlust wiegt schwerer als ein verlorener Krieg. Biden mutierte zum Vollstrecker Trumps. Das macht das deutsche Versagen nur noch schlimmer. Ausgerechnet Merkel, die gegen Trump zur Schutzherrin des Abendlandes ausgerufen worden war, erweist sich als unfähig, wenigstens die Geschicke der eigenen Leute und ihrer Helfer in die Hand zu nehmen. Zeit genug wäre gewesen. Trotz des derzeit bis zum Überdruss gemurmelten Mantras „2015 darf sich nicht wiederholen“ ist die nächste Flüchtlingswelle unvermeidbar. Doch hat diese Debatte nichts zu tun mit dem Versagen bei der Evakuierung der eigenen Mitarbeiter und ihrer Familien.

IV.

Es ähnelt dem auf anderen Politikfeldern. Trägheit, Bürokratismus, Ignoranz und Weltfremdheit gehen eine toxische Mischung ein. Ob bei der Flutkatastrophe, in der Energiepolitik, im Bildungswesen, im Verfall der Infrastruktur, in der verschluderten Digitalisierung, im unsäglichen „Pandemie”-Management oder beim Zusammenbrechen der Alterssicherung: Nichts tun, dann zu spät das Falsche, Weitsicht vermeiden, Konsequenzen verdrängen, sich einen schlanken Fuß machen: Es ist das Handlungsmuster von Leuten, die ihr Geschäft nicht verstehen. Ein Netzwerk individueller Versager sitzt an den Schalthebeln. Nachsichtig und tumb nickt das in falscher Sicherheit gehaltene, desinformierte, von Merkel anästhesierte, illusionierte, mit moralischen Gewäsch zugedröhnte Volk. Das aber funktioniert nun nicht mehr so wie noch vor wenigen Tagen. Afghanistan deckt die Schäbigkeit der Handelnden auf.

V.

Und wieder einmal ist die dringende Frage zu stellen: Warum kommen so oft die Falschen an die Spitze? Warum nicht die Fähigsten? Wo bleiben Kompetenz und Vernunft? Ich schrieb hier vor einer Woche über die Sepsis der deutschen Demokratie. Blutvergiftung führt zum Multiorganversagen. Dem ist heute nichts hinzuzufügen. Außen-, Innen- und Verteidigungsminister haben versagt und verlassen nur deshalb nicht ihre Posten, weil sonst auch Merkel schmählich zurücktreten müsste, die ja nicht nur Richtlinien der Politik formuliert, sondern seit sechzehn Jahren für den Verfall der politischen Kultur Verantwortung trägt. O doch, es wäre auch kurz vor der Wahl durchaus noch sinnvoll, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Für die Rückkehr zu demokratischen Selbstverständlichkeiten ist es nie zu spät. Und wer weiß, wie lange Merkels unfähige Administration noch im Amt bleiben kann angesichts einer schwierigen Koalitionsbildung.

VI.

Egal, wer die Wahlen gewinnt: dieses Land bedarf eines gründlichen Wandels. Es genügt nicht, wenn die Regierung und ihre Hilfstruppen abziehen wie eine lustlose Armee und Chaos hinterlassen. Der Eindruck, den Merkel derzeit macht, ähnelt dem der abrückenden Besatzer in Kabul: Nach mir die Sintflut. Rette sich wer kann.

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Kommentare ( 185 )

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Andy Malinski
2 Jahre her

Der größere Zusammenhang wird von Ernst Wolff in seinem Vortrag vom 21.08.21 dargestellt. Irgendwie fügen sich viele Puzzlesteine zu einem Gesamtbild …

Cluny
2 Jahre her

Lange nicht mehr bei Ihnen gelesen, Herr Herles. Weil Sie lange Zeit innerlich nicht von der CDU wegzukommen schienen… nicht glauben konnten, daß es so ist wie es war… Ich stelle fest, Sie haben sich mittlerweile „radikalisiert“, schreiben, Merkel sei zur Rechenschaft zu ziehen… offenbar reicht es Ihnen mittlerweile (auch). Das freut mich, ich werde wieder öfter bei Ihnen reinschauen. Schöner Artikel!

Schraubenberny
2 Jahre her

Tief im Deutschen ruht der Knecht, er denkt was er soll und tut was man ihm sagt.(Kurt Tucholsky) Was erwarten denn alle von den deutschen Berufsuntertanen? Früher gab es Fürsten ,Könige, Kaiser, Diktatoren, die den Deutschen sagten,was zu tun ist. Heute sind das Sozialstaatliche, in alle Richtungen abgefederte Berufsdilletanten,mit besten Kontoverbindungen zu den Lobbysstellen in der Republik.Diese werden schützend flankiert von den grasfarbenen Klima-Gutmensch- Taliban, Berufslose Parteiapparatschiks, die ALLES über die Ideologieklinge springen lassen,der auch nur nach rechts zu spucken wagt.

CIVIS
2 Jahre her

Zitat: „Auf allen Politikfeldern gehen Trägheit, Bürokratismus, Ignoranz und Weltfremdheit eine toxische Mischung ein.“

Aber dafür sind wir woke, weltoffen, solirdarisch mit …und antirassistisch gegenüber jeder noch so kleinen Minderheit.

Und dafür soll uns der Rest der Welt verdammt noch mal lieb haben !
Das kann man doch wohl verlangen !

Richard28
2 Jahre her

„Warum kommen so oft die Falschen an die Spitze? Warum nicht die Fähigsten? Wo bleiben Kompetenz und Vernunft?“
Wie kommt man dann an die Spitze unseres Staates ?
Durch Parteien !
Wie wählen die Parteien ihre „Besten“ (Kanzlerkandidaten) ?
Treues Dienen und Seilschaften !
Von gesundem Menschenverstand spricht hier niemand.

Wilhelm Roepke
2 Jahre her

Die Medien und die gesellschaftlichen Kräfte wie die sogenannten Intellektuellen haben selbst schuld. Wenn die AFD von Zeitungen als undemokratisch tituliert wird, Dieter Nuhr und Lisa Eckhard für rechtsradikal gehalten werden, die Regierung nicht mehr kritisiert wird und an Universitäten Redeverbote gelten, dann verblöden die Leute. Wenn in der Schule fürs Klima geschwänzt wird, aber keiner mehr Heizungsbauer werden will. Wenn George Orwell aus dem Deutschunterricht verbannt wird und Leute wie Sarrazin aus der SPD geworfen werden statt im Sozialkundeunterricht diskutiert zu werden. Wenn Familien und Freundschaften zerbrechen, weil man unterschiedliche Standpunkte nicht mehr aushält.

P. Pauquet
2 Jahre her

Viele Poster ereifern sich über das Wahlverhalten der Deutschen. Völlig zurecht! Aber wenn sie den Leuten auf “den Zahn“ fühlen, wird man sofort feststellen, dass es keine politische Bildung mehr gibt. Zum Ersten aus Dessinteresse, zum Zweiten, ich muss es sagen und meine es ernst und auf keinen Fall polemisch, aus echter Verdummung und Verblödung. Dieses ist nicht nur im Politischen/Gesellschaftlichen auffällig, sondern auch in allen anderen Bereichen des Lebens. Und Drittens in der ewigen Dauerberieselung und den gefilterten und vielen Falschinformationen fast ALLER Medien. Der Durchschnittsbürger ist nicht mehr fähig zu hinterfragen und nach Alternativen zu suchen, und das… Mehr

Last edited 2 Jahre her by P. Pauquet
Andy Malinski
2 Jahre her
Antworten an  P. Pauquet

Doch – es gibt noch Politische Bildung, aber leider nur noch in Form von einseitiger Miss-Bildung. Der Marsch durch die Institutionen war erfolgreich – und zwar einmal quer durch!

graf
2 Jahre her

Herr Herles, vielen Dank für Ihre Analyse. Sie haben die Lage – wie immer – journalistisch trefflich seziert. Dieser Tage las ich in meiner Zeitung einen Leserbrief: …“wir hätten im September die Wahl des Grauens“. Die Dame hat recht. Ich befürchte als Antwort darauf eine Wahlbeteiligung von unter 50%. Fazit: Den Bürgern geht es noch recht gut, sonst würden sie auf die Straße gehen (siehe Frankreich) und sich nicht ausklinken und sehenden Auges den Unfähigen das Ruder überlassen. Leider fehlen der AfD ein paar starke Persönlichkeiten (w/m), die die Partei im politischen Koordinatensystem fein justieren, auf ein haltbares, verlässliches, konservatives… Mehr

Cluny
2 Jahre her
Antworten an  graf

Bzgl. AfD haben Sie so recht. Das sage ich seit Jahren. Könnte man nicht mal auf das anständige, bürgerliche, gebildetet, gehobene Publikum zielen? Warum muß man sich mit den Spinnern, Rechten, Radikalen, Stammtischgrölern etc. gemein machen?
Das Potential wäre eigentlich riesig! Sie sind nur zu blöd es zu heben, bei der AfD. Ein Jammer. Und für Deutschland läuft die Uhr…

ossiosser
2 Jahre her

Außen-, Innen- und Verteidigungsminister haben versagt und verlassen nur deshalb nicht ihre Posten, weil sonst auch Merkel schmählich zurücktreten müsste, die ja nicht nur Richtlinien der Politik formuliert, sondern seit sechzehn Jahren für den Verfall der politischen Kultur Verantwortung trägt. O doch, es wäre auch kurz vor der Wahl durchaus noch sinnvoll, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Für die Rückkehr zu demokratischen Selbstverständlichkeiten ist es nie zu spät.“
Vollkommen richtig! Aber das Richtige hat sich in der deutschen Politik und Öffentlichkeit nur selten durchgesetzt.

R.Baehr
2 Jahre her

Vielleicht muss einfach schlagartig eine globale Katastrophe eintreten, damit der derzeit weltweit grassierende Wahn ein Ende nimmt, anders scheint die Menschheit und vor allen Dingen die Verantwortlichen an den Schaltstellen der Macht auf der Welt nicht mehr zur Besinnung zu kommen.

Last edited 2 Jahre her by R.Baehr