Damnatio Memoriae – Wie die CDU sich am liebsten selbst vergisst

Die CDU und die aktuellen Diadochen könnten den Namen der geschäftsführenden Regentin vergessen wollen, so viel sie wollten, es würde nichts nützen. Sie selbst erinnern durch ihre bloße Existenz an die zu Vergessende. Sind sie doch, was sie sind - ob als ihre Vasallen oder als ihre Opfer - nur dank ihr.

Die Römer kannten einen Brauch, der in der CDU gerade sehr auf Sympathien stoßen würde – gäbe es ihn denn noch. Die damnatio memoriae – Verbannung der Erinnerung – an einen Herrscher. Im alten Rom war das noch ein demonstrativer Akt – eine Art offizielle Cancel Culture. Die CDU dagegen würde sich lieber klammheimlich nicht mehr an SIE erinnern. Wenn das denn ginge.

I.

Die Sache ist aber damals wie heute dialektisch zu sehen. Je intensiver man dem einen und anderen Kaiser die Damnatio Memoriae zuteil werden ließ, desto unmöglicher wurde es, ihn aus dem kollektiven Gedächtnis zu bannen. Gehören doch Nero und Caligula noch immer zu den bekanntesten Imperatoren. Gerade das Vermeiden ihrer Namens machte sie präsent. Am besten erinnert sich der Mensch an das, was er vergessen will. Das gilt auch für die CDU und besonders für die aktuellen Diadochen. Sie könnten den Namen der geschäftsführenden Regentin vergessen wollen, so viel sie wollten, es würde nichts nützen. Sie werden so oder so an ihr gemessen und werden ihren Schatten nicht los. Sie selbst erinnern durch ihre bloße Existenz an die zu Vergessende. Sind sie doch, was sie sind – ob als ihre Vasallen oder als ihre Opfer – nur dank ihr. Das ist bitter. Und dagegen würde nicht einmal die damnatio memoriae helfen.

II.

Da sucht der Patient CDU kurz vor dem Herzstillstand händeringend jemanden, der seine Wiederbelebung verspricht. Doch in den Medien ist jetzt von „Machtkampf“ die Rede. Als sei das Notwendige etwas Verachtenswertes. Die Deutschen lieben die Mächtigen, aber nicht den Machtkampf. Als ginge es dabei nur um Posten, Ämter, Privilegien. Noch viel mehr als einen neuen Vorsitzenden sucht die CDU einen stabilen Kreislauf. Der Machtkampf ist nur das, was das Blut in den Adern der siechen Partei wieder in Bewegung setzt. Machtkampf, ja bitte!

III.

Machtkampf, wie bitte? Als ob der Vorsitzende dieser Oppositionspartei so etwas wie Macht in die Hände bekäme. Er wird sich als der ohnmächtigste aller Mächtigen vorkommen. Denn die eigentliche Macht liegt nach wie vor bei der, die über den Wassern schwebt, als Nebel über den Sümpfen, in denen die CDU versinkt. Kann sich die CDU am eigenen Schopf da heraus ziehen? Dazu gehörte zum einen die Einsicht, als Machtmaschine missbraucht worden zu sein. Mehr noch: Die Einsicht, sich als Machtmaschine bereitwillig missbraucht haben zu lassen. Macht wird nicht bei einer Wahl gewonnen, Macht wird nach der Wahl erst mühsam erworben. Gilt übrigens auch für Herrn Scholz. Die Macht des nächsten CDU-Vorsitzenden wird von Macht und Ohnmacht des Ampelkanzlers konditioniert.

IV.

Es wird so getan, als ob nur der „Macht“ gewinnen könnte, der die „Mitte“ findet. Wenn aber doch die Mitte verloren gegangen ist! Die Kandidaten schleichen um die verlorene Mitte herum, um das Loch im Moor. Manchmal gluckert da noch etwas. Ein paar Blasen steigen auf und platzen an der Oberfläche. Die Mitte ist derzeit in der CDU eine doppelte Stelle: Eine Leerstelle und eine Lehrstelle. Die CDU kann die Mitte derzeit nicht selbst definieren. Solange „Mitte“ nichts anderes ist als ein Maß der Anpassung an die eigene Bedeutungslosigkeit und die eigene Leere, ist sie nichts wert.

V.

Da fällt mir noch eine zweite Geschichte ein. Sie handelt von der eiskalten Prinzessin Turandot. Der männermordenden Despotin aus Puccinis Oper fallen alle zum Opfer, die sich in sie verlieren. Sie stellt aus reiner Mordlust den Bewerbern um ihre Hand gemeine Fragen, die sie nicht beantworten können. Dafür werden sie bestraft, und sie verlieren dann buchstäblich ihren Kopf. Bis Prinz Calaf kommt, die Rätsel löst und Turandot auch noch verspricht: Wenn sie seinen Namen heraus findet, darf sie ihn töten. Am Ende verrät er ihr seinen Namen sogar selbst. Und Peng! Damit hat er sie. Die Moral von der Geschichte: Alles dreht sich um die Angst vor Turandots Grausamkeit. Sobald ein Furchtloser kommt, ist sie besiegt. Der „Machtkampf“ in der CDU ist aber keine Oper. Es ist kein Furchtloser in Sicht. Solange kein Bewerber seine Angst vor der eiskalten Prinzessin los wird, kann er nur den Kopf verlieren.

VI.

Ping, Pong und Pang, die drei zynischen Hofbeamten in Puccinis Oper spotten längst über die grausame Machthaberin. Ping: „Wenn du sie nackt ausziehst …“ Pong: „… ist sie Fleisch!“ Pang: „Rohes Fleisch!“ Ping: „Und ungenießbares Zeug!“

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Kommentare ( 28 )

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Annegret Kuempel
2 Jahre her

„Die Deutschen lieben die Mächtigen, aber nicht den Machtkampf.“
Das sagt mir alles!
Den Mächtigen wird immer noch vertraut, egal welchen Bockmist sie verzapfen, egal welche Lügen sie daher reden.
Es wäre an der Zeit den Machtkampf mit den Mächtigen zu beginnen und zu führen.
Freiheit mußte zu allen Zeiten erkämpft werden.

Manfred Gimmler
2 Jahre her

Zu III
Die Macht des nächsten CDU-Vorsitzenden ist nicht nur eine abhängige Veränderliche der politischen Arbeit der Ampel-Koalition, sondern vielmehr eine abhängige Veränderliche der Fähigkeit der UNION, erstens eine realistische Wahrnehmung von der Wirklichkeit zu erlangen und zweitens aus den gewonnenen Erkenntnissen die notwendigen Schlüsse zu ziehen.
Die leider werbeaffinen Deutschen (kein Verkaufsargument ist ihnen zu billig) werden dennoch zu einem Großteil eine auf Wahrheit beruhende gesellschaftspolitische Analyse einer oberflächlichen Marketingkampagne „politische Mitte“ vorziehen und diese auch in ihre Wahlüberlegungen einfließen lassen.

Wilhelm Roepke
2 Jahre her

Widerspruch, Herr Herles! Die CDU ist in letzter Konsequenz nicht von der gf. Kanzlerin abhängig und kann daher auch nicht mit einem furchtlosen Bekämpfer Merkels schnell wieder aufsteigen. Denn den wichtigsten Feind des Konservativismus, der 2005 auch die damals noch konservative Merkel gedreht hat, haben Sie leider weggelassen: die links dominierten Medien, basierend auf einer nach links orientierten Mehrheitsgesellschaft, die sich in die Wissenschaft, die Kultur, die Gewerkschaften, die Kirchen und die Verbände erstreckt. Jeder konservative Unionspolitiker als Unionschef in der Liga von Max Otte über Hans-Georg Maaßen bis Peter Gauweiler würde in der Luft zerrissen werden: „AFD-Versteher“, „Rechtsaußen“, „umstritten“,… Mehr

Dr. Rehmstack
2 Jahre her

Eine wirklich schöne Parallele, vielen Dank dafür, aber nach meiner Ansicht nicht ganz zutreffend, da Merkel wie Raimund Gottlieb so treffend ganz kurz bei Maischberger sagen durfte, eigentlich nie eine eigene Politik verfolgt hat sondern immer nur den Zeitgeist bedient und damit den Medien gedient hat. Vor Merkel alleine muss sich keiner fürchten, wohl aber vor Merkel und den Medien. Und hier kommt es zu der entscheidenden Frage, welche Triebkraft der verbleibenden Mächtigen in der CDU ist stärker: der Wille wieder back to the roots zu versuchen oder feige aber gut versorgt nochmals sich unterzuordnen, auch um den Preis des… Mehr

F. Hoffmann
2 Jahre her

Sehr schön geschrieben, Herr Herles, vor allem Punkt VI.!

Dreiklang
2 Jahre her

Entweder Merz (Linnemann) oder Traditionsverein. Merz hat als einziger den Intellekt, mit der CDU aufzuräumen. Die Frage ist, ob er den Willen hat. Leider hat er als Merkel-Widersacher bisher nicht getaugt, aber man kann ihm noch eine Chance geben. Es ist zugleich die letzte Chance für die CDU, wieder zu einer politischen Partei zu werden. Wenn die Delegierten Merz nicht wählen, Linnemann käme auch noch in Frage, am bestem im Tandem mit Merz, ist es für die CDU vorbei. Dann bleibt nur noch der Traditionsverein mit Bundestagsvertretung, inklusive rheinischer Gemütlichkeit, für die Laschet kräftig weiter wirbt. Wie schon an anderer… Mehr

niezeit
2 Jahre her

Tolle Beschreibung der derzeitigen Geisteszustände – und gleich am Ende noch willkommene Nachhilfe für die Allgemeinbildung. Vielen Dank!

Jo Walter
2 Jahre her

Turandot passt. Vor spätestens 2 Jahren hätte ein Mutiger die Regentin mit einem schnellen Streich stürzen müssen. Damit hätte er sich Respekt erworben und Führungswillen demonstriert.
Jetzt wird doch nur noch Besitzstands- und vermeintliche Gesichtswahrung betrieben. Dank des Größenwachstums des Parlaments ist die Anzahl der Pöstchen (MdB) noch nicht ausreichend abgestürzt, um die nötige Energie für echte Veränderungen zu mobilisieren.

Bernd Geiss
2 Jahre her

Z.Zt. sehe ich nur Merz als etwaigen Aufräumer. Er beteuert zwar, dass er nie mit der Schwefelpartei, aber in 4 Jahren kann das schon anders sein. Nämlich dann wenn die rotgrüngelben das Land endgültig ruiniert haben. Außerdem hat der Merz soviel Kränkungen durch Merkel erfahren, dass ich ihm zutraue die Fehlleistungen dieser Dame knallhart zu benennen und einen anderen Kurs einzuschlagen. Wenn die CDU einen anderen Vorsitzenden wählt, wobei Linnemann auch noch gehen würde können Sie gleich ganz aufhören. Denn noch eine linke Partei braucht Keiner. Die so genannten Delegierten und der gesamte Vorstand gehören auch ausgetauscht. Das sind fast… Mehr

Leopold Karl
2 Jahre her
Antworten an  Bernd Geiss

Merz? Was sollte ihn qualifizieren? Perfekte Darstellung der beleidigten Leberwurst? Nichts erwarte ich von ihm.

Adorfer
2 Jahre her

Ein Herles zum Genießen. Und leider wahr bis zum letzten Komma. Wie sagte einst ein bedeutender Kanzler: „mein Gott, was soll aus Deutschland werden?“
Zu spät, die Dame hat schon irreparaple Arbeit geleistet. Da wurden Regierung plus Opposition in hehrer Eintracht zum fortwährenden Schaden Deutschlands gezwungen. Und sie wehrten sich nicht und werden es auch fürderhin nicht tun.
Mein Gott, was ist aus Deutschland geworden?

RMPetersen
2 Jahre her
Antworten an  Adorfer

Mein Gott, was ist aus Deutschland geworden?“

In meinem Plattdeutschland, hoch oben, sagt man: Wer sick för´n Pannkoken utgifft, ward dorför upeten.