Die denkwürdige Hetzjagd auf die deutsche Autobahn-Maut

Die gegenwärtige Situation der Straßenfinanzierung ist ungerecht. Sie benachteiligt den deutschen Steuerzahler – insbesondere den steuerzahlenden deutschen Autofahrer, der öfter in Europa unterwegs ist.

Man kennt das schon. Ein Mitgliedsstaat steht vor einem Problem und handelt – doch dann interveniert die EU-Kommission, angeblich im Namen höherer Gesichtspunkte. So ist es jetzt bei der Einführung einer Autobahnmaut in Deutschland. Brüssel erklärt in großspurigem Ton, man gewähre der Bundesregierung eine Frist von zwei Monaten, um das Mautprojekt zu verändern. Wären die Änderungen nicht zufriedenstellend, würde man jenes Straßburger Richtergremium einschalten, das den Namen „Europäischer Gerichtshof“ (EuGH) führt. Die Rechts-Auslegungen dieses Gremiums sind bekanntlich recht eigenwillig – man denke nur an die Auslegung der Verträge über die Befugnisse der Europäischen Zentralbank.

Bei der Mautaffäre sind aber auch etliche deutsche Heckenschützen zur Stelle, nicht nur aus den Reihen der Opposition, sondern auch aus den Reihen der großen Koalition. Und auch die Mehrheit der deutschen „Leitmedien“ ist gegen das deutsche Mautprojekt, und das in einer Tonlage, die es gar nicht mehr für nötig hält, in der Sache zu argumentieren. Nikolas Busse schreibt (am 29.April in der FAZ) folgendes:

„Eine deutsche Maut, die de facto nur ausländische Autofahrer belasten würde, verstößt nun einmal gegen das Gleichbehandlungsgebot des EU-Binnenmarktes.“

Ins gleiche Horn pustet Alexander Kohnen in der Berliner Morgenpost (28.4.16):

„Es gibt viele und gute Gründe, die EU zu kritisieren. In Sachen PKW-Maut hat Brüssel aber einfach recht: So, wie sie derzeit konzipiert ist, würden Ausländer unfair behandelt, also: diskriminiert. Denn Dobrindts Konzept sieht vor: Deutsche und Ausländer zahlen die Maut – die Deutschen bekommen den Betrag jedoch über eine niedrigere Kfz-Steuer wieder.“

Soso. Weil die Einführung einer Maut in Deutschland mit einer Verringerung der bisher gezahlten Steuerbeiträge der deutschen Autofahrer verbunden ist, werden die ausländischen Autofahrer also benachteiligt? Und das soll der ganze Sachverhalt sein? Darüber, dass es in zahlreichen anderen EU-Ländern die unterschiedlichsten Formen von Maut längst gibt (und die Finanzierung durch die dortigen Steuerzahler entsprechend geringer ist), wird kein Wort verloren. Und genau da liegt der Argumentations-Trick: Man verschleiert die Ausgangssituation.

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Diskriminierung oder Korrektur einer Diskriminierung? – Die gegenwärtige Situation der Straßenfinanzierung ist ungerecht. Sie benachteiligt den deutschen Steuerzahler – insbesondere den steuerzahlenden deutschen Autofahrer, der öfter in Europa unterwegs ist. Denn der deutsche Steuerzahler muss die deutschen Autobahnen bezahlen, ohne durch Straßengebühren der ausländischen PKW-Fahrer, die diese Autobahnen benutzen, entlastet zu werden. Währenddessen wird der Steuerzahler der Maut-Länder entlastet, unter anderem durch die Mautzahlungen der deutschen Autofahrer, die dort unterwegs sind. So etwas nennt man eine diskriminierende Situation. Wie will man diese Tatsachen wegreden? Sie sind heute europäische Realität, Tag für Tag. In diese Realität sollte die deutsche Maut – eigentlich schon seit dem 1.1.2016 – korrigierend eingreifen. Wieso verstößt eine solche Korrektur gegen das Diskriminierungsverbot? Sie korrigiert eine bestehende Diskriminierung. Ein deutsches Nachziehen bei der Maut ist geradezu ein Gebot, wenn man die bestehende Ungerechtigkeit nicht hinnehmen will. Wenn Deutschland bei der Zahlungspflicht für Autobahnbenutzung gegenüber den Ländern, die diese Zahlungspflicht schon kennen, nachzieht, ist das legitim. Wenn es gleichzeitig bei den Inlandszahlungspflichten eine Reduktion vornimmt, ist das vollkommen logisch. Es gehört zum Lastenausgleich bei grenzüberschreitend verursachten Kosten. In welcher Form die Zahlungslast der Inländer vorgenommen wird, gehört zur Steuerhoheit des deutschen Gesetzgebers. Wenn die EU-Kommission die zeitgleiche Einführung dieser beiden Maßnahmen verbieten will, maßt sie sich ein Urteil darüber an, welcher Mix von Steuern und Gebühren im Verkehrswesen der Richtige ist. Sie müsste von einem Einheitsmodell für ganz Europa ausgehen. Hat sie je ein solches Modell vorgelegt und daran alle Länder gemessen? Natürlich nicht.

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Das österreichische Beispiel – Der Rechtsanwalt Bernhard Müller aus Wien berichtet (in einem Artikel in der FAZ am 25.6.2015) folgendes: „Die seit 1988 bestehende `Pendlerpauschale´ wurde 1996, also wirkungsgleich mit der Einführung der Mautvignette, signifikant erhöht. Praktisch gleichzeitig mit der Erhöhung der Pendlerpauschale wurde wurden die österreichischen Schnellstraßen und Autobahnen in die Asfinag eingebracht und diese zur Erhebung einer Maut ermächtigt. 2013 wurde überdies der `Pendlereuro´ eingeführt, wonach Pendler einmal jährlich zwei Euro pro Kilometer der einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte direkt von der Lohnsteuer in Abzug bringen können. Zusätzlich gibt es Förderprograme der österreichischen Bundesländer. Zuletzt stehen jedem Arbeitnehmer in Österreich, unabhängig, ob er eine Pendlerpauschale bekommt, der sogenannte `Verkehrsabsetzbetrag´ zu. Für die `Sondermautstrecken´, das sind jene Strecken (wie z.B. der Arlbergtunnel), auf denen zusätzlich zur Autobahnvignette eine weitere Maut zu entrichten ist, gibt es weitere Begünstigungen für österreichische Pendler: Österreicher erhalten beispielsweise eine gänzliche Befreiung von der 100 Euro teuren Jahreskarte für den Arlbergtunnel, wenn sie eine Autobahnvignette erworben haben.“ Der Autor kommt zu dem Schluss, dass Österreich bei der Einführung seiner Maut eindeutig Kompensationen eingeführt hat, die nur österreichischen Mautzahlern zugutekommen – also genau das, was die EU-Kommission beim deutschen Mautprojekt für illegal erklärt. Es ist nicht bekannt, dass die Kommission seinerzeit gegen Österreich vorgegangen ist und das österreichische Mautmodell vor ein europäisches Gericht gebracht hat. Um hier eindeutig zu sein: Es ist das gute Recht des österreichischen Staates, solche einseitigen Regelungen zu beschließen. Das gehört zum Recht auf souveräne politische Gestaltung der eigenen Infrastrukturen. Und genau dies Recht hat auch Deutschland.

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Unter Zwangsverwaltung I – Die Maut-Kritiker stützen sich auf eine Verordnung, die den Titel „Vertrag“ führt: den „Vertrag über die Arbeitsweise der EU“ (AEUV), der in Art. 18 jede offene, verdeckte oder mittelbare Diskriminierung untersagt. So etwas ist als Regel für die Arbeitsweise einer Verwaltung durchaus richtig. Aber es wird sofort falsch, wenn man mit einer solchen Vorschrift die Tätigkeit der Parlamente der Mitgliedsstaaten (als Gesetzgeber) binden will. Denn eine solche Verwendung der Vorschrift zerstört jede Politik mit gestaltendem Anspruch. Man stelle sich vor, den Mitgliedsstaaten würden nur noch Gesetzesmaßnahmen gestattet, die keinerlei einseitige Veränderung enthalten. Das Diskriminierungsverbot betrachtet ja jede Maßnahme isoliert. Sie wird „für sich“ genommen und bewertet, ohne Rücksicht auf die Ausgangslage, in der sie steht. Damit wäre jede Korrektur von unfairen Verhältnissen unmöglich – weil deren Korrektur ja immer Gesetze mit „einseitigen“ Veränderungen erfordert. Hier liegt ein entscheidender Unterschied des politischen Handelns gegenüber dem Verwaltungshandeln. Politik muss gestalten, Prioritäten setzen, Hierarchien der Wichtigkeit setzen – gerade auch in der Bau- und Verkehrspolitik, und natürlich in der Steuer- und Haushaltspolitik.

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Unter Zwangsverwaltung II – Aber ist es eventuell sinnvoll, ein gesamteuropäisches Einheitsmodell bei den Zahlungspflichten im Straßenverkehr einzuführen? Dazu hat bisher noch niemand etwas auf den Tisch gelegt. Das ist kein Wunder, denn man müsste sehr ungleiche Situationen gleich behandeln. Die Zahlungspflichten sind ganz wesentlich von den Nationalgeschichten des Verkehrswesens und des gesamten Steuersystems geprägt, vom Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern, zwischen Steuern und Gebühren, zwischen privatem und öffentlichem Autobahnbetrieb und nicht zuletzt von den Unterschieden der Geographie und ihrer Prägewirkung auf das Verkehrssystem. Wer hier an einer Stelle mit einer Einheitsnorm eingreift, setzt eine ganze Kettenreaktion neuer Ungleichheiten und Korrekturen in Bewegung.

Vielleicht liegt hier ja das eigentliche Motiv der Brüsseler Kommission, die sich nach den Worten von Herrn Juncker als „politische“ Kommission versteht: Der Angriff auf das deutsche Mautprojekt dient eigenen Machtinteressen. Seit längerem versuchen die EU-Institutionen, ihren Einfluss auf den Bereich der Steuer- und Haushalts-Hoheit der Mitgliedsländer auszudehnen. Da ihnen eine große, ausdrückliche Kompetenzübertragung zu Recht verwehrt wird, versuchen sie es auf dem Schleichweg der Einzelauflagen und Richtersprüche. Wenn die EU-Kommission und der EuGH das deutsche Maut-Projekt zu Fall bringen, wären sie dabei ein beträchtliches Stück vorangekommen.

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Unter Zwangsverwaltung III – Setzt sich Brüssel gegen die deutsche Maut durch, wächst schlagartig die Macht des EU-Verkehrskommissars. Dieser Kommissar ist gegenwärtig Frau Violeta Bulc, gebürtig aus Slowenien – pikanterweise ein Land, das Mautgebühren erhebt. Frau Bulc ist nicht auf Grund besonderer Vorkenntnisse und Führungserfahrungen im Bereich Verkehr und Infrastruktur zur EU-Kommissarin geworden. Generell werden die EU-Kommissare nach dem Prinzip „pro Mitgliedsland ein Kommissar“ ausgewählt; es sind sozusagen Quotenkommissare. Unter solchen Umständen ist es ein Zufallstreffer, wenn ein Fachpolitiker von europäischem Format auf die richtige Position gerät.

Es wäre übertrieben, Frau Bulc als einen solchen Glücksfall zu bezeichnen. Sie kam als Ersatzkandidatin in die Kommission, nachdem die ursprüngliche Kandidatin, die slowenische Ex-Regierungschefin Alenka Bratusek, in der Anhörung vor dem Europa-Parlament durchgefallen war. Dem Vernehmen nach machte Frau Bulc einen recht taffen Eindruck, wobei ihr eventuell zugutekam, dass sie ein Unternehmen gegründet hatte – ein Unternehmen zur Unternehmensberatung, ein Meta-Unternehmen also, das sich „Vibacom – House for Business Solutions“ nannte und dessen Website den Leser ein bisschen ratlos lässt, worin die „solutions“ denn bestehen könnten. Wie dem auch sei, sie wurde akzeptiert – nicht zuletzt, weil die unter dem neuen Vorsitzenden Juncker gebildete Kommission endlich ins Amt kommen sollte (wie Spiegel Online am 16.10.2014 berichtete). Eine Hintergrundinformation lässt allerdings doch aufhorchen. Frau Bulc gilt als Anhängerin von Esoterik und New Age. „Kritiker stürzten sich nach ihrer Nominierung rasch auf Onlinevideos, in denen die Slowenin erläuterte, Strukturen hätten `ihre eigenen Leidenschaften´“, heißt es in dem Spiegel-Bericht. Und weiter: „Blogger sezierten Bulcs eigenen Blog, auf dem sie einen Lauf über glühende Kohlen beschrieben und von der kosmischen Erfahrung schwärmte. Andere tauften sie `Schamanin´, weil Frau Bulc eine entsprechende Ausbildung vorweisen kann“. Das liegt denn doch ziemlich weitab vom europäischen Erbe der Aufklärung. Jedenfalls kann man sich nicht vorstellen, dass eine solche Person in einer deutschen Landesregierung Verkehrsministerin werden könnte.

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Darf die Maut in Deutschland kein Thema sein? – Angesichts dieser Sachlage muss man sich auch fragen, wieso Deutschland auf diese Affäre nicht heftiger reagiert. Die meisten Kommentatoren halten sich bei Sachfrage gar nicht länger auf, sondern scheinen nur die Sorge zu haben, dass die deutsche Maut ein „euroskeptisches“ Werk sein könnte. Noch einmal Nikolas Busse: „Man startet ein Projekt, das erkennbar nicht im Einklang mit dem EU-Recht steht, und beschwert sich dann über die EU, wenn sie es verbietet.“ Und dann wird der Kommentator zum Geschichten-Erzähler: „Das Mautprojekt der CSU, entstanden in grauer Vorzeit aus Ärger über das österreichische `Pickerl´, war von Anfang an so konzipiert, dass es in Brüssel scheitern musste.“ Und auf einmal sind wir nur noch bei der CSU und den „Spielchen“, die man ihr in der FAZ gerne unterstellt: „Immerhin, für die CSU kommt der Einspruch der Kommission gerade zur rechten Zeit. Das Flüchtlingsthema ist so unvermittelt in den (medialen) Hintergrund getreten, dass der kleinste Koalitionspartner wieder politisches Graubrot kauen muss. Dobrindt hat ja schon angekündigt, dass er das Spielchen bis zum bitteren Ende treiben wird.“

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Sind die deutschen Autobahnen schon „europäisiert“? – Die Story des Herrn Busse zeigt, wie weit manche Leute geistig schon außerhalb des Landes leben. Sie sehen gar nicht den schwerwiegenden Eingriff, den die unentgeltliche Nutzung von Infrastrukturen darstellt, weil sie die Autobahnen schon gar nicht mehr der Bundesrepublik zurechnen. Im Geiste haben sie die Autobahnen als frei zugängliches europäisches Gemeineigentum verbucht – und ausgeblendet, wer ihren Bau und Unterhalt getragen hat, täglich trägt und auch weiterhin tragen soll. So bekommt das Wort vom „europäischen Deutschland“ auf einmal einen ganz neuen Beiklang, eine Konkretisierung sozusagen. Wenn es nach der EU-Kommission geht, gehören die Autobahnen zu einem besonderen Territorium, das sich „europäisches Deutschland“ nennt. Für dieses Territorium ist es dem deutschen Gesetzgeber strikt untersagt, bei der Einführung einer allgemeinen Autobahnmaut inländische Autohalter kompensierend zu entlasten. Das bedeutet, dass jede Neujustierung der Zahlungspflichten zwischen Inländern und Ausländern ausgeschlossen wird – weil die Autobahnen im Grunde schon europäisch herausgerechnet sind. Ein Lastenausgleich zwischen den europäischen Ländern, der in diesen Ländern auch spürbar ist, ist so von vornherein ausgeschlossen.

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Die Alternative – Eine faire Lösung ist nur möglich, wenn zwischen Inländern und Ausländern eindeutig unterschieden wird, wenn zwischen ihnen ein Lastenausgleich stattfindet. Die grenzüberschreitende Mobilität in Europa darf nur in dem Maße wachsen, wie es eine Beteiligung der Fremdverkehre an den Infrastrukturkosten der einzelnen Staaten gibt. Keine internationale Mobilität ohne internationalen Kostenausgleich – das wäre ein Partnerschaftsmodell und anpassungsfähig für einen Sektor in ständiger Veränderung.

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Wird Europa zur Schwarzfahrer-Gemeinschaft? – Die gegenwärtige EU-Entwicklung läuft hingegen auf ein System organisierter Unverantwortlichkeit hinaus. Es besteht aus zwei Grundkomponenten: der grenzüberschreitenden Bewegungsfreiheit und der Gleichbehandlung aller EU-Bürger in jedem einzelnen EU-Land. Wo diese beiden „Prinzipien“ absolut gesetzt werden, entsteht eine wahrhaft höllische Kombination. Sie ermöglicht nicht nur den beliebigen Eintritt und Austritt in die Sozialsysteme der einzelnen Länder, sondern auch die Mitbenutzung der Infrastrukturen der einzelnen Länder. Würde sich das immer weiter durchsetzen, würde in der EU das gesamte System staatlicher Verantwortung ausgehebelt. Die EU würde ein System der Schwarzfahrer. Die Briten, denen man gerade weismachen will, man wäre ihnen in Sachen Souveränität entgegengekommen, sollten sich genau ansehen, was Brüssel in der deutschen Mautfrage treibt.

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