In der EU ist Grenzschutz die Regel, nicht die Ausnahme

Eine stark ansteigende Anzahl an Aufgriffen an der deutsch-polnischen Grenze setzen Nancy Faeser unter Druck, auch wenn sie eilig ein unfertiges Abschiebegesetz herzeigt. Frankreich und andere EU-Länder bewachen ihre Grenzen seit Jahren – weil Schengen schon so lange nicht funktioniert. Die Belagerung Polens aus zwei Himmelsrichtungen hält indes an.

IMAGO / Pond5 Images

Das illegale Migrationsgeschehen an deutschen Grenzen nimmt gerade rasant Fahrt auf. Im vergangenen Juni gab es rund 7.200 illegale Einreisen über deutsche Grenzen. Im Juli waren es schon 2.333 in nur einer Woche. Das berichtet die Welt unter Berufung auf die Bundespolizei. Fast die Hälfte aller Aufgriffe seien an der polnischen Grenze gelungen. Nun wird offenbar nicht jede illegale Einreise auch von Bundespolizisten festgestellt, denn die Asylanträge liegen regelmäßig um ein Vielfaches höher.

Eins scheint aber eindeutig: Polen ist wieder offen, für welche Migrationsströme auch immer. Laut Hinweisen der Bundespolizei sollen daran auch die Zustände an der polnisch-weißrussischen Grenze schuld sein. Syrer, Afghanen oder auch Ägypter würden „zunehmend über Belarus eingeschleust“, angeblich um die EU zu destabilisieren, so der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU). Doch so leicht destabilisiert man zumindest Deutschland nicht. Das ist solche Migrantenströme ja gewöhnt – und doch nicht, wie der zunehmende Protest auf der kommunalen Ebene zeigt.

Inzwischen fordern beide tonangebenden Polizeigewerkschaften (GdP und DPolG) die Möglichkeit stationärer Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) mit dem Bundespolizisten Heiko Teggatz in der Leitungsspitze fordert ohnehin seit Monaten, dass die Bundespolizei an allen relevanten Grenzen den Status einer Grenzschutzbehörde zurückbekommt. Nun hat sich sein Pendant bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Roßkopf, angeschlossen: „Es ist dringend notwendig, endlich den rechtlichen Status der Bundespolizei an den Grenzen zu Polen und Tschechien zu ändern.“ Roßkopf weist schon seit einiger Zeit auf die Verlagerung der Migrationsströme hin.

Weidel: Ampel will Zuzug nicht einmal begrenzen

Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft in der DPolG, spricht hier gar von „einer abschreckenden Kettenreaktion“, die eine wirkliche Bewachung der deutschen Grenzen auslösen würde, und das solle sie auch: „Dadurch würde beispielsweise Tschechien signalisiert, seine Grenzen Richtung Ungarn und Slowakei besser zu schützen. Denn wer an der deutsch-tschechischen Grenze ankommt, hat womöglich schon vier EU-Staaten durchreist, ohne Asyl zu beantragen.“ Als Praktiker stellt Teggatz fest: „Irgendwas funktioniert hier in Schengen nicht richtig.“

Doch Faeser notifiziert einfach nicht. Das wiederum bedeutet, dass an den Grenzen im Osten keine Zurückweisungen geschehen können. In Bayern gab es im letzten Jahr 14.675 Zurückweisungen. Auch das mag nur ein Tropfen sein bei insgesamt 220.000 Asylanträgen. Zurückweisen kann man so etwa auch illegal weitergezogene Migranten, die schon in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben (Sekundärmigranten). So könnte man zunächst einmal das deutsche Asylsystem von einigen Fällen befreien, für deren Verfahren eigentlich andere Länder zuständig sind.

In der Not, in der sich die Kommunen heute befinden, müssen die letzten Reserven und Möglichkeiten des Grenz- und Landesschutzes zusammengekratzt werden. Und irgendwo muss man mit dem Anziehen der Schraube anfangen. Die Union mahnt noch, die Regierung möge endlich handeln. Für die AfD-Vorsitzende Alice Weidel ist die Regierung ein hoffnungsloser Fall: „Die Ampel-Regierung hat wiederholt gezeigt, dass sie gar nicht gewillt ist, die massenhafte Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme auch nur zu begrenzen.“ Und vieles deutet darauf hin. Etwa der Verzicht von Olaf Scholz, seine Richtlinienkompetenz auf diesem Feld anzuwenden – in einem Jahr, an dessen Ende mit mehr als 300.000, vielleicht auch 400.000 Asylanträgen in Deutschland gerechnet werden muss.

Frankreich ist seit Jahren im Grenzschutz-Modus – wegen Terrorgefahr und ungeschützten Außengrenzen

In Nachbarländern und EU-Partnern existieren dabei sogar mehrere Beispiele für kontinuierlich durchgezogene Grenzkontrollen, und zwar seit Herbst 2015 (hier die vollständige Liste aller Notifizierungen). Und ja, die EU-Regeln sprechen hier von einer Maßnahme, die „nur als letztes Mittel und in Ausnahmesituationen“ eingesetzt werden kann. https://home-affairs.ec.europa.eu/policies/schengen-borders-and-visa/schengen-area/temporary-reintroduction-border-control_en Die zeitliche Limitierung verhindert aber nicht eine regelmäßige Verlängerung.

So gibt es in Frankreich seit dem November 2015 permanent die Möglichkeit für stationäre Kontrollen an allen Landesgrenzen durchgehend – seit den Terrorattacken auf das Pariser Bataclan-Theater, die nicht zufällig mit der ersten großen Migrationswelle zusammenfielen. Alle halbe Jahr wird die Notifizierung wegen der „anhaltenden terroristischen Bedrohung“ verlängert. Das ist auch keine Bitte an Brüssel und kein Antrag, sondern eine schlichte Note, die ein Bürokrat dem anderen schickt.

Seit einiger Zeit beklagt Paris in seinen Begründungen auch offen die Situation an den EU-Außengrenzen und die sekundären Migrationsströme, die das Land betreffen. Das bedeutet praktisch, dass an der Grenze zu Italien seit Jahren kontrolliert wird, wenn auch nicht immer mit derselben Verve. So drohte Innenminister Darmanin mit rigideren Kontrollmaßnahmen, als sich im letzten November diplomatischer Zwist zwischen Paris und Rom über ein NGO-Schiff (die „Ocean Viking“) entspann. Man sieht: Auch die Notifizierung und selbst das konkrete Kontrollieren der Binnengrenzen sind nur Schritte in die richtige Richtung. Nichts geht aber über Außengrenzschutz.

Hollande 2015: Außengrenzschutz, sonst kommen Mauern und Stacheldraht

Schon 2015 rief der damalige Präsident François Hollande die EU dazu auf, die Kontrolle über ihre Außengrenzen wiederzuerlangen. Andernfalls sei „die Rückkehr zu nationalen Grenzen, wenn nicht sogar Mauern und Stacheldraht“ unausweichlich. Doch lange passierte gar nichts. Dennoch waren es prophetische Worte. In Osteuropa werden gerade reihenweise Zäune und Barrieren gebaut, die sicher noch fester und noch besser bewacht werden müssen, um dem stetigen Ansturm krimineller Akteure standzuhalten. Dennoch hat sich die Situation auf dem Balkan verbessert, seit Griechenland seine Grenzen am Land und zur See sichert.#

Ähnliche Gründe wie Frankreich geben Österreich (seit dem 16. September 2015), Schweden (seit dem 12. November 2015), Norwegen (seit dem 26. November 2015) und Dänemark (seit dem 4. Januar 2016) an, die jeweils alle relevanten Grenzen seit mehr als sieben Jahren ununterbrochen notifiziert halten. Anfangs wegen eines „nicht gesehenen Zustroms von Personen“, dann weil der Zustrom nicht aufhören wollte. Hinzu kommen neuerdings Grenzkontrollen zwischen Tschechien und der Slowakei seit Oktober 2022, die allerdings Anfang Februar ausgelaufen sind. In der Corona-Zeit waren ohnehin alle Arten von Grenzkontrollen möglich.

Schweden will seine Grenzkontrollen nun ausweiten, um das Recht auf Religionskritik in seinem Innern zu schützen. In Schweden und Dänemark kam es zuletzt mehrfach zu Koranverbrennungen und anderen Protesten gegen eine stärkere Rolle des Islams im Land. Zu den Veranstaltern zählten sowohl Dänen und Schweden als auch Zuwanderer, die die Zustände ihres Heimatlandes nicht in Europa wiederfinden wollen. Doch schon seit 2015 begründen Schweden und Dänemark die nationalen Grenzkontrollen mit der Terrorgefahr, die durch den fehlenden Grenzschutz an den EU-Außengrenzen bedingt ist.

In Polen Unruhe an zwei Grenzen

Polen, das nun erneut in den Fokus der deutschen Migrationsdiskussion rutschen könnte, hat seinen Grenzzaun gar in Rekordtempo errichtet – ob er überall hält, muss sich auch hier noch erweisen. Die Nervosität von Mateusz Morawiecki angesichts der Stationierung russischer Söldner in Weißrussland ist an dieser Stelle schon leicht alarmierend, auch wenn es laut Innenminister Mariusz Kamiński nur um einige Dutzend geht, die bei Brest nahe der polnischen Grenze untergebracht sind. Der Großteil der Wagnertruppe (1.000 bis 1.200) ist im Osten Weißrusslands stationiert. Dennoch sprach Kamiński Ende Juli von einem gewachsenen „Migrationsdruck“ an den polnischen Grenzen, zugleich aber auch von der Erfolglosigkeit von bisher 17.000 illegalen Einreiseversuche in diesem Jahr. Klar scheint aber, dass allein angesichts der großen Zahl einige Migranten durchschlüpfen.

Zugleich reisen jeden Tag zehntausende Menschen zwischen Polen und der Ukraine hin und her – zu welchem Zweck das erfolgt, das fragen sich inzwischen auch polnische Bürger. Neben Georgiern und Weißrussen sind auch Ukrainer immer wieder unter den von den polnischen Grenzern festgenommenen Schleusern.

Am Tag versuchen demnach durchschnittlich 100 bis 200 Migranten, illegal von Weißrussland her nach Polen einzudringen, darunter solche aus Ägypten, Äthiopien, Algerien, Indien, Iran, Irak, Jemen, Marokko, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien, auch schon einmal Armenien und Tadschikistan. Auch illegale Einreisen aus der Slowakei, also von Süden und letztlich von der Balkanroute her werden berichtet – etwa hier 18 Syrer, die von einer Polin gefahren wurden.

Aktuell veröffentlicht der polnische Grenzschutz auch Bilder von kleineren Attacken auf den Grenzzaun und sogar auf die Grenzer – wie hier mit unbestimmten Feuerwerkskörpern.

— Straż Graniczna (@Straz_Graniczna) August 3, 2023

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