Das EU-Parlament will mit einer abstrusen Steuer die Welt zur Lohngerechtigkeit führen

Ausgerechnet im Sinne der Fairness sollen nun Niedriglöhne aus der Dritten Welt die Kassen der Europäischen Union füllen. Der Plan ist abstrus, aber im Europäischen Parlament hat er eine Mehrheit.

IMAGO / Rolf Poss
Europäisches Parlament in Brüssel

In einem Bericht über eine Reform der EU-Finanzierung, den das Parlament am Mittwoch mit großer Mehrheit angenommen hat, wurde ein bizarrer Vorschlag versteckt, den zwei Abgeordnete der Liberalen und der Europäischen Volkspartei schon im Januar ins Spiel gebracht hatten: Alle Importeure, die Produkte aus Entwicklungsländern einführen, deren Arbeitslohn zu gering ist, sollen Geld an die EU (also nicht an die Arbeiter) zahlen. Der Name der Idee heißt „Fair Border Tax“ oder inzwischen auch „Fair Border Mechanism“.

Ein Kleiderproduzent beim Export in die EU müsste beim Zoll die Gehaltskosten seiner Arbeiter und Angestellten angeben und die Differenz zu einem fiktiven Mindestlohn als Steuer an die EU zahlen.

In Bangladesch zum Beispiel liegt die Armutsgrenze bei einem Tageslohn von rund 3,65 US-Dollar. Wenn sich herausstellt, dass die Arbeiter 2,60 US-Dollar pro Tag erhalten, müsste das kleiderproduzierende Unternehmen die Differenz, also 1,05 US-Dollar nicht an die Arbeiter, sondern an die EU zahlen. Die EU möchte also im Namen der Gerechtigkeit an gering verdienenden Arbeitern in der Dritten Welt verdienen, in der Hoffnung, dass diese deshalb besser bezahlt werden.

Bei alldem ist natürlich zu bedenken, dass die Preise in Bangladesch für Alltagsgüter nur ein Zehntel der in Deutschland sind. Ein sättigender Linseneintopf (dhal) ist zum Beispiel für 60 Cent im Imbiss zu erhalten.

Niedriglöhne aus der Dritten Welt sollen EU-Kassen füllen

Der Differenz der geringen Löhne der Entwicklungsländer zu einem von Weltbank definierten „Mindestlohn“ sollen also die Kassen der EU füllen. Das soll angeblich dafür sorgen, dass die Löhne dort steigen und damit nichts mehr in die EU-Kassen fließt. Das Motto: Füll mir die Taschen, auf dass sie leer bleiben.

Kinderarbeit und deutscher Weltrettungseifer
Das Lieferkettengesetz als Pranger für deutsche Unternehmen
Ziel der Übung soll sein, dass dies den Produzenten in Bangladesch zu blöd wird, und diese statt des Zolls gleich höhere Löhne bezahlen. Auf diese irre Idee kamen die Abgeordneten Valérie Hayer aus Frankreich und José Manuel Fernandes aus Portugal, sie eine Liberale, er ein Christdemokrat, also nicht von den Grünen und auch nicht von den Sozialisten. Weltfremde Welterrettungsideen haben sich nahezu über das gesamte politische Spektrum ausgebreitet.

Noch irrer ist allerdings, dass dies im Europäischen Parlament mit Mehrheit angenommen wurde. Die Kenntnis der Dritten Welt scheint sich hier auf TV-Filme und woke Dokus zu beschränken. Wer von den beteiligten Parlamentariern hat denn schon einmal längere Lebenszeit in der Dritten Welt verbracht? Wer hat Kenntnisse vom Leben in Entwicklungsländern? Offensichtlich niemand.

Der Realitäts-Check

Nehmen wir den Unsinn einfach einmal ernst. Nehmen wir also an, an der Herstellung eines Mantels sind zehn Arbeiter und einige Angestellte beteiligt und alle verdienen unterschiedlich. Wofür bekommt die EU dann was von wem? Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner zur Fair Border Tax: „Wenn bei jeder Socke, die in die EU geliefert wird, die übersetzten Gehaltszettel aller an der Produktion der Socke Beteiligten überprüft werden müssen, bricht nach einem Tag der Zoll zusammen“, meint Körner.

Die EU isoliert sich auch ökonomisch in der Welt und will die Welt mit ihrer Moral retten. China, als „systemischer“ Rivale, braucht eigentlich nur zusehen, wie sich die EU selbst ruiniert.

Wer Gutes will und Böses schafft

Darüber hinaus gibt es noch viel grundsätzlichere Einwände aus Sicht der Entwicklungsländer. Sehen wir uns doch in der Dritten Welt um. Eine Stadt in Bangladesch. Zehn Textilfabriken. Eine produziert für C&A und erhöht den Lohn der Arbeiter von 2,65 Dollar auf die geforderten 3,65 Dollar pro Tag, zusätzlich verbessert die Fabrik die Arbeitsbedingungen. Aus Sicht der Arbeiter sind die Bedingungen in dieser einen Fabrik nun traumhaft.

Die Arbeiter der neun anderen Fabriken, die für das eigene Land, für China, Afrika, Südamerika usw. produzieren, erhalten natürlich nach wie vor 2,60 Dollar und sie arbeiten unter viel schlechteren Bedingungen. Aber diese sind immer noch sehr deutlich besser als die Bedingungen auf dem Reisfeld. Genau deshalb sind sie ja vom Land in die Fabrik arbeiten gegangen. Die Fabrikarbeit für 2,60 Dollar pro Tag hat ihre Lebensbedingungen deutlich verbessert.

Würde der Lohn auf 3,60 Dollar erhöht, wäre die C&A-Näherin noch privilegierter, als sie es schon vorher war. Die Nudelsuppenverkäuferin erhält nämlich nur 2 Dollar, der junge Kellner sogar nur 1,50 Dollar pro Tag, aber damit immer noch mehr als der Reisbauer auf dem Land, denn deshalb sind ja alle in die Stadt gezogen.

Übrigens erhält der lokale Käufer eines T-Shirts in Bangladesch oft noch weniger Lohn. Er ist darauf angewiesen, dass so billig produziert wird, sonst könnte er sich kein T-Shirt mehr leisten.

Korruption verschärft sich

Durch Projekte wie den „Fair Order Mechanism“ oder das Lieferkettengesetz werden also neue soziale Ungleichgewichte geschaffen. Es passiert dann, was in solchen Situationen immer passiert: Korruption zieht ein.

SCHLECHTE BERUHIGUNG DES SCHLECHTEN GEWISSENS
Das Lieferkettengesetz wird Korruption und Vetternwirtschaft fördern
Der Personalchef wird die gut bezahlten Stellen verkaufen. Er sagt der Näherin: Du bekommst statt 2,60 nun 3,60 Dollar bezahlt. Sieh dich um, die Verkäuferin auf dem Markt bekommt nur 2 Dollar. Wenn du also 1 Dollar mehr bekommst, gibst du mir 50 Cent, dann hast du immer noch 50 Cent mehr als deine Kollegin in der Nachbarfabrik. Wenn du das nicht akzeptierst, bekommt einfach jemand anders den Job.

Das weiß natürlich der Chef der Personalchefs und der sagt: Gib mir 20 Cent von deinen 50 Cent pro Näherin. Es entsteht eine der in der Dritten Welt beliebten Korruptionspyramiden. Je weiter oben, desto mehr bekommt der Chef. Und die haben viel bezahlt, um ihren Posten zu bekommen. Also muss sich das Ganze lohnen.

Das Ergebnis des „Fair Order Mechanism“ wird Unfairness sein – en gros und en detail. In den Entwicklungsländern will jeder etwas vom Kuchen abhaben, die korrupten Strukturen werden ausgebaut, ein paar Arbeiter haben etwas mehr und die „guten“ EU-Bürger bezahlen wesentlich mehr für die Importe, zum Beispiel für Kleidung, denn die überbordende Bürokratie müssen sie ja auch bezahlen.

Wollte man dem „Fair Order Mechanism“ einen fairen Namen geben, dann müsste man es „Bürokratiebeschaffungsgesetz“ nennen, „naiv-unfaires Abzockungsgesetz“ wäre auch ein treffender Name.


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Kommentare ( 15 )

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GefanzerterAloholiker
11 Monate her

Es dreht sich darum, die sog. Entwicklungsländer unter die Knute zu bringen. Und zwar geht das über das Bankensystem und den IMF in altbewährter Manier.
Man muss das nicht direkt tun. Indirekt wird vieles eben doch teurer oder die Arbeit fällt weg. Das haben sie im Artikel gut beschrieben.
Ich finde den gesamten Plan rund. Die machen weltweit nochmals das Kolonialsystem auf: man wird genug korrupte Mittäter finden.

Innere Unruhe
11 Monate her

Schon wieder diese überhebliche westliche Besserwisserei – wie wissen besser, wie ihr in Bangladesh oder sonstwo zu leben habt!
Diese Arroganz führt nur zu den Konflikten, sie behindert die eigentliche Evolution der Gesellschaften vor Ort.
Es ist nicht die Aufgabe der Europäer, für Fairness in Bangladesh zu sorgen.
Auch Europa hatte Zeiten ohen Arbeitsschutz und ohne Naturschutz erlebt und hinter sich gelassen. Wer hat sie dazu gedrängt? Niemand. Es war die eigene Erkenntnis. Auch in Europa gab und gibt es Korruption.
Länder sollen sich ungehindert entwickeln. Mischen wir uns in Nordkorea ein? – Nein. Warum also in Bangladesh?

Lupo A
11 Monate her

Also im Klartext: Ich als Kunde muss im Laden mehr mehr zahlen, weil die EU sich das Lamentieren über die Ungerechtigkeit der Welt bezahlen lässt. Es handelt sich also wieder mal um eine der üblichen Ideologiesteuern, mit denen lediglich im eigenen Land die Inflation weiter angeheizt wird, ohne dass es an der bejammerten Ungerechtigkeit der Welt irgend etwas ändert. Der Wohlstand der Näherin in Bangladesh wird nicht gehoben, sondern lediglich der Wohlstand der Käufer in Europa ein kleines Stück abgesenkt. Die Geschichte sollte eigentlich lehren, dass sich eine Bevölkerung ihren gerechten Anteil und ihre Lebensqualität selbst erkämpfen muss. Und da… Mehr

horrex
11 Monate her

Nicht nur ein Monster an wirkungsloser Bürokratie.
Sondern zugleich Ausweis von hemmungsloser Gier und Anmaßung.
Damit Dummheit. 
Oma schon formulierte ganz treffend in solchen Fällen:  
„Dummheit und Stolz wachsen am selben Holz.“ 
Ich hoffe sehr, sie hatte ebenfalls recht mit dem Satz:
„Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht.“
 … hoffentlich bald!!! 
Und: Solange noch etwas übrig ist von diesem schönen Land.

Alfons Kuchlbacher
11 Monate her

Na ja, allen reden immer von der Deindustrialisierung des Westens, dass unsere Arbeitsplätze in Billiglohnländer abwandern, etc. Wie wärs statt Kritik an einem Vorschlag (der sicher etliche Mängel hat), mit einem vernünftigen Gegenvorschlag? Ich wäre übrigens noch radikaler und würde nicht den Bangladeschi-Mindestlohn als Richtmaß nehmen, sondern den Mindestlohn in Deutschland (inkl, sämtlicher Sozialleistungen), und das dann bitte auch für landwirtschaftliche Erzeugnisse.
Nein, ich weiß, das wird nichts, denn die „Globalisten“ wollen eher dass weltweit gilt: „You will own nothing and be happy.“

Stiefelhagen
11 Monate her
Antworten an  Alfons Kuchlbacher

Alles andere ist sich „aus“ der Tasche zu lügen.
Radikalität ist geboten.

Ingolf
11 Monate her

Der Duden sollte „EU“ als Synonym für „dreiste und verlogene Dummheit“ aufnehmen.

Maja Schneider
11 Monate her

Ja, geht`s denn noch!? Wir haben die Nase schon lange voll von den Extravaganzen der EU unter der „Führung“ der Marionette U.v.d.L, die nur darauf aus ist, die eigene Macht und die des Sonnenhofes in Brüssel , möglichst als „Regierungssitz der Vereinigten Staaten von Europa“, zu erweitern und zu vertiefen. Dazu ist jedes Mittel recht, alles unter dem Deckmäntelchen des Green Deal und überhaupt der Selbstaufopferung und des „Guten“, dass diese Funktionärsclique für alle Länder und Bürger der EU, eigentlich für die ganze Welt, will. Dazu trifft man sich dann in Hinterzimmern und brütet ständig neue Einschränkungen der Freiheitsrechte der… Mehr

Stiefelhagen
11 Monate her

Wie bei der voreingenommenen Berichterstattung zur AfD war hier wohl die Voreingenommenheit gegenüber der EU die Meinungsgrundlage. Der EU kann man mit guten Gründen skeptisch gegenüberstehen. Ihr mangelnde demokratische Legitimierung ist Grund genug, die Budgethoheit bei den Nationalstaaten zu belassen. Schutzzölle gegen die Umgehung der Errungenschaften der Arbeiterbewegung sind aber die logische Alternative zur Aushöhlung der eigenen Wirtschaft. Diese sollten den Nationalstaaten zufließen. Hier hätte die Kritik ansetzen sollen meiner Meinung nach. Stattdessen wird die Missachtung, Korruption und Bürokratie als Standard der „dritten Welt“ gesehen… Dann ist es eben Aufgabe der EU den Import aus diesen Staaten zu maßregeln und… Mehr

Schwabenwilli
11 Monate her

Die Not muss groß sein wenn die EU schon solche Gimiks anwendet um ihre Kassen zu füllen. Denn wer wollte das überhaupt kontrollieren?

niezeit
11 Monate her

Die EU entpuppt sich mehr und mehr als Verbrecherorganisation – freiheitsraubend und begierig, Geld von den arbeitenden Bürgern in die Taschen von Beamten und Funktionären zu scheffeln. Ich lehne sie als schädlich für die Völker ab.