Anrainerstaaten und Österreich sind gegen die Aufnahme von Drittstaatlern

Mit der Aktivierung einer Richtlinie aus dem Jahr 2001 zum „Massenzustrom von Vertriebenen“ wollen die EU-Staaten erstmals gemeinsam in Sachen Aufnahme von Kriegsflüchtlingen handeln. Was steckt hinter der neuen Einigkeit? Und wo ist der Platz von Drittstaatlern in dieser Krise?

IMAGO / Pixsell

Es war sicher ein befriedigender Augenblick für die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson und – ein kleiner Hoffnungsmoment für die deutsche Innenministerin. Nancy Faeser sagte, es sei „ein bisschen ein Paradigmenwechsel“ und machte damit deutlich, dass sie noch nicht so ganz an die Verwirklichung ihrer Wunsch-Utopie glaubt: Das ist die gleichmäßige Verteilung von Flüchtlingen und Asylbewerbern auf alle EU-Staaten. In der Tat eine extrem unwahrscheinliche Zukunftsvision.

Doch die EU-Innenminister haben nun erstmals die Richtlinie für „massenhaften Zustrom“ aktiviert, die es den Ukraine-Flüchtlingen ermöglichen wird, ohne einen Asylantrag zu stellen, Schutz für ein, eventuell sogar drei Jahre zu erhalten. Der neue Schutztitel kann nach dem ersten Jahr um zwei weitere verlängert werden. Immerhin: Eine Arbeitserlaubnis werden die durch den Krieg vertriebenen Ukrainer damit vom ersten Tage an haben.

Geschaffen worden war diese Richtlinie einst aus Anlass der Jugoslawien-Flüchtlinge, die in den Neunzigerjahren wegen des dortigen Bürgerkriegs in die EU strömten. Die Debatten über deren Verbleib oder Rückkehr, geführt in deutschen Parlamenten, waren lang und zäh. Sie führten aber letztlich zur Rückreise einer Mehrheit der einst Geflohenen. Im Nachhinein wurde die Legende gestrickt, dass unser Rechtssystem mit der damaligen Fluchtbewegung – vor allem aus Bosnien-Herzegowina, später aus dem Kosovo – überfordert war.

Man kann die Richtlinie ihrem ganzen Charakter nach als Versuch einer Vereinheitlichung von Asylfragen in der EU ansehen. So heißt es in dem Rechtstext, es sei „erforderlich, Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen festzulegen“. Daneben will man „Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung“ der vertriebenen Menschen und der „mit ihrer Aufnahme verbundenen Belastungen“ ergreifen: „Diese Normen und Maßnahmen sind aus Gründen der Effizienz, der Kohärenz und der Solidarität sowie insbesondere zur Vermeidung von Sekundärbewegungen eng miteinander verknüpft.“

Für Nehammer geht es um Nachbarschaftshilfe – die nächste Verzeichnung?

Was die EU-Innenminister am Freitag formell beschließen wollen, ist einer Ausnahmesituation geschuldet, in der von vielen eine große Fluchtbewegung aus der Ukraine erwartet und geradezu herbeigeschrieben wird. Der Hauptteil der Flüchtlinge wird dabei von Polen, Moldau, Ungarn und der Slowakei aufgenommen, die sich allerdings weigern, Staatsangehörige von außereuropäischen Drittstaaten aufzunehmen. Das hat in der Tat eine gewisse Logik, denn die schwarzafrikanischen „Studenten“ könnten ja in ihre Heimatstaaten zurückkehren und dort in Sicherheit vor dem Ukraine-Krieg leben.

Der Linie der direkten Konfliktnachbarn schloss sich auch der österreichische Innenminister Gerhard Karner an. Karner sagte: „Wir brauchen rasche, unbürokratische Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Da hilft es nicht, wenn wir Drittstaatsangehörige mit einbeziehen.“ Bundeskanzler Karl Nehammer hält die Ukrainer derweil nicht für „klassische Flüchtlinge“, sondern für „Europäer, die nachbarschaftlichen Schutz benötigen“. Außenminister Alexander Schallenberg sieht bereits die EU-Muskeln spielen, weil man ein paar Sanktionspakete gegen Russland beschlossen hat, die angeblich wirken.

In Österreich waren am Donnerstag schon 11.000 jener nachbarschaftlich Schutzsuchenden angekommen, von denen aber angeblich 70 Prozent weiterreisten. In Deutschland konzentriert sich das Geschehen auf die Hauptstadt, wo immer neue Züge mit Menschen aus der Ukraine ankommen. Auch nach Deutschland dürften schon um die zehntausend eingereist sein. Das Land Berlin ist damit sicher an seine Grenzen gekommen. Doch nicht alle, die kommen, sind auch in der Ukraine geboren und besitzen dessen Staatsangehörigkeit. Auch ausländische Zuwanderer sehen offenbar ihre Chance gekommen, in ein reicheres, komfortableres Land zu wechseln, als es die für europäische Verhältnisse bitterarme Ukraine ist.

Kitschige und verwirrende Geschichten im deutschen Medienwald

Die deutschen Qualitätsmedien nehmen derweil dankbar jede noch so kitschige Geschichte auf: Da ist etwa jene weiße Ukrainerin, die angibt, während der Hochzeitsvorbereitungen mit ihrem schwarzafrikanischen Bräutigam zur Flucht gezwungen worden zu sein. Angeblich wollten die beiden „gerade“ das Aufgebot bestellen, als die Bomben auf Kiew fielen. Nun müssen sie das im deutschen Exil nachholen.

Oder der kamerunische Lagerist Ngami, der uns gestern schon in einem Bericht der Zeit auffiel, dessen ukrainische Familienverhältnisse aber auch eher nach Schein klingen: Seine ukrainische Frau will er ausgerechnet im Osten des Landes hinterlassen haben, obwohl er im westlichen Teil in Odessa lebte. Merkwürdig auch, dass er den direkten Weg nach Berlin wählte und nicht noch einmal in Dnipro vorbeischaute, um seine Angetraute und den gemeinsamen Sohn mit ins sichere Deutschland zu nehmen.

Die Ukrainer halten es derweil genau andersherum: Die wehrfähigen Männer bleiben im Land, während einige der Frauen und Kinder ins Ausland fliehen. Doch auch einige Frauen wählen für sich den Kampf und bleiben in Kiew und anderswo an der Front. Nein, lassen wir uns keinen Sand in die Augen streuen, Ngamis Geschichte und sein Auftreten (ganz nach dem Motto „ich liebe Deutschland“) gleichen genau all den anderen illegalen Einreisegeschichten, die wir aus deutschen Aufnahmezentren zur Genüge kennen. Die Wirklichkeit sieht leider oft sehr anders aus, wie aktuelle Bilder aus der Ukraine zeigen: Ein marokkanischer „Student“ entscheidet, mit einem Messer bewaffnet, wer in den Zug einsteigen darf und wer nicht. Der anscheinend maghrebinische Kommentator spricht dazu von „ethnischer Selektivität“.

Auch scheinbar konservative Medien verlieren den Kompass

Man weiß auch nicht, was neuerdings wieder in die Welt gefahren ist: Dort werden EU-Verteilungsquoten gefordert, die als „Zeitenwende“ gefeiert werden. Doch sie können nun einmal kein Konsens sein, weil sie in der Praxis nicht funktionieren, schon gar nicht als „verpflichtende Quote“: Soll man die Migranten denn in Polen oder Griechenland festbinden? Um von dem Demokratie-Defizit solcher EU-Entscheidungen zu schweigen.

In einem anderen Kommentar der Tageszeitung wird den deutschen Kommunen empfohlen, „künftig Reserven in viel größerem Umfang“ für Flüchtlinge bereitzuhalten. „Die Welt ist in Bewegung – und viele kommen zu uns.“ Aber das ist schon ein paar Jahre lang so gewesen. Es wäre wohl eher Zeit, die Aufnahmekapazitäten wieder zurückzufahren und sich auf Brot-und-Butter-Themen zu konzentrieren.

Aber geht es nach der Bundesinnenministerin werden wohl auch Ngami und seine Brüder im Geiste von der neuen Massenzustrom-Regelung profitieren können. Die neue Richtlinie mag für die Regierenden und für die ausführende Verwaltung praktisch sein, sie sollte aber nicht die eigentliche Definition der Flucht und des zeitweilig gewährten Schutzes aufweichen. Allerdings ist zu befürchten, dass sie eben das bewirken wird. Denn auf einen Schutztitel folgt hierzulande gewöhnlich der nächste, schon gar unter Rot-Grün-Gelb.

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Kommentare ( 69 )

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ketzerlehrling
2 Jahre her

Kein Problem. Die Meisten wollen ohnehin nicht in Polen bleiben, nehme ich an. Also alle durchwinken nach Buntschland.

Jan des Bisschop
2 Jahre her

Flüchtlinge ohne Ukrainische Staatszugehörigkeit sollten umgehend in ihre Heimatländern abgeschoben werden.

mediainfo
2 Jahre her

Na dann bin ich mal gespannt, welche unumkehrbaren Weichenstellungen, unter dem Vorwand der Notlage, die eine schnelle Entscheidung erfordere, dieses Mal vorgenommen werden, für die es in einem demokratischen Prozess der Debatte und Willensbildung, niemals eine Mehrheit in der Bevölkerung gäbe. So wird das ja gemacht, um Dinge umsetzen zu können, deren Konsequenzen klare Gewinner und Verlierer haben, was nicht diskutiert werden soll. Ich wage eine Vermutung: Es sind die Menschen am unteren Ende der sozialen Skala, die die A-Karte haben.

Endlich Frei
2 Jahre her

Im Falle der Ukraine kommen Frauen und Kinder – im Falle Syriens nur junge, kräftige Männer.
Wer will es Österreich und Anreinerstaaten also verdenken?

Manfred_Hbg
2 Jahre her

Zitat: „weil sie in der Praxis nicht funktionieren, schon gar nicht als „verpflichtende Quote“: Soll man die Migranten denn in Polen oder Griechenland festbinden?“ > Man muß wirklich fragen, ob solch „Qualitätsjournalisten“ wie bei WELT einfach nur noch verblödet sind oder ob die wirklich daran glauben was sie hier bzgl der EU-Verteilungsquote von Flüchtlingen am schreiben sind? > Schon 2016/17 herum gab es unter anderem solch Meldungrn wie: – Knapp 10 „Flüchtlinge“ die in Prag von einer !privaten! Organisation aufgenommen und gut versorgt wurden, sind über Nacht einfach weg und sollen sich nach Blödland (früher auch Deutschland genannt) begeben haben.… Mehr

H. Priess
2 Jahre her

Keine Frage, ich bin dafür ukrainische Frauen und Kinder aufzunehmen, meinetwegen auch Männer wenn sie krank und nicht Wehrfähig sind. Der Rest hat zu verschwinden. Ich wäre auch dafür das Sozialsystem für Flüchtlinge zu überarbeiten. Da die Ressourcen auf immer mehr Menschen verteilt werden müssen sollte wir anfangen die gegenseitige Solidarität unter den Flüchtlingen einzufordern. Nicht nur wir als Bevölkerung müssen Solidarität und Hilfsbereitschaft zeigen sondern alle Flüchtlinge. Fangen wir mit der Umstellung auf Sachleistungen an, Geld nur als Taschengeld wie jeder Rentner im Altenheim auch bekommt, da könnte sich die Caritas, die Kirchen und all die anderen voll engagieren.… Mehr

Fui Fujicato
2 Jahre her

Wer glaubt denn, daß einmal in Deutschland angekommene Ukrainer bei der hier üblichen Rundumversorgung für alle Ausländer jemals wieder in ihr Heimatland zurückkehren werden ???
Alle, die sich z.Zt. noch in Erstaufnahmestaaten der EU befinden, werden uns – so schnell wie möglich – mit ihrer Zuwanderung beglücken !
Und unser Sozialversicherungssystem wird – ebenso wie unsere Energieversorgung & unser Währungsystem – kurz- bis mittelfristig zusammenbrechen !

bfwied
2 Jahre her

Kommt alle, hier gibt’s Wohnung, Kleidung, Geld für nichts! Das ist das Motto der Grünlinken, seit Merkel schon faktisch an der Macht. Man kann annehmen, dass die Ukrainer, ohnehin unserem Kulturkreis sehr nahe, wieder in ihr Land zurückkehren, wenn es befriedet ist und man darin leben kann. Aber was haben die Afrikaner, Pakistaner, Afghanen, Syrer hier noch verloren? Syrien ist ohne Krieg, nur muss man dort sein Geld erwirtschaften, man muss aufbauen, aber das tun sie nicht, genauso wenig wie die allermeisten Afrikaner. NIchts gegen die, die sich integrieren, man kennt sie, sieht sie, ist in Ordnung. Aber die Rauschgiftverticker,… Mehr

mediainfo
2 Jahre her
Antworten an  bfwied

„Man kann annehmen, dass die Ukrainer, ohnehin unserem Kulturkreis sehr nahe, wieder in ihr Land zurückkehren, wenn es befriedet ist und man darin leben kann.“ Also ich würde nicht offiziell zurückkehren, wenn ich einmal einen Fuss in der Tür eines Landes wie Deutschland hätte, das offenbar zu viel Geld hat und darauf erpicht ist, dieses bereitwillig an Menschen aus aller Herren Länder zu verteilen. Spricht ja nichts gegen monatelange „Urlaube“ in der alten Heimat. Vorwerfen kann man das den Menschen nicht, dass sie diese abstruse Migrations-Ideologie zu ihrem Vorteil nutzen. Vorwerfen kann man das nur den Menschen, die dies möglich… Mehr

Endlich Frei
2 Jahre her

Nun also auch sämtliche Drittstaatler, was also 1:1 der Wiederholung des 2015 gemachten Fehlers entspricht. KGEs „Unser Land wird sich ändern und ich freu mich drauf“ sieht z. B. in der Kölner Innenstadt so aus, das es hier (wie anderswo) nicht „bunter“ geworden ist, sondern grauer und tristesser, Kölns wichtigste Hochstraße“ etwa ist von großen Zigeuner-Clans bevölkert, die samt Koffern und Gepäck in den Einkaufspassagen nächtigen. Vielerorts verschönern deshalb „Dixie“-Toiletten das Stadtbild. Die Straßen wirken heruntergekommen, und der einst bunte Brauchtum (z. B. Karneval) ist am Ende. Silvester wurde prakisch schon abgeschafft. Ich würde da nie einen ausländischen zum Flanieren… Mehr

Endlich Frei
2 Jahre her

Nun also auch sämtliche Drittstaatler, was also 1:1 der Wiederholung des 2015 gemachten Fehlers entspricht. KGEs „Unser Land wird sich ändern und ich freu mich drauf“ sieht z. B. in der Kölner Innenstadt so ausnicht „bunter“ geworden ist, sondern grauer und tristesser, Kölns wichtigste Hochstraße“ etwa ist von großen Zigeuner-Clans bevölkert, die samt Koffern und Gepäck in den Einkaufspassagen nächtigen. Vielerorts verschönern deshalb „Dixie“-Toiletten das Stadtbild. Die Straßen wirken heruntergekommen, und der einst bunte Brauchtum (z. B. Karneval) ist am Ende. Silvester wurde prakisch schon abgeschafft. Ich würde da nie einen ausländischen zum Flanieren einladen – es macht depressiv und… Mehr