Picknick versus Journalismus: BILD mit Carola Rackete auf der grünen Wiese

Was wollen die Leute aus Zentralafika und von anderswo in Libyen? Wollen sie in dem zerrütteten Land etwa nach Arbeit nachsuchen oder wollen sie nicht einfach illegal nach Europa einwandern?

Screenprint: Bild/iKiosk

Ja, man kann das ja so machen, wie der Chefreporter der BILD-Zeitung, wenn der sich im Hochsommer in seiner Vintage-Andreas-Baader-Lederjacke und der dazu passenden Attitüde mit der Aktivistin Carola Rackete auf so eine sommerliche Wiese hinters Haus schmeißt, als wolle man heimlich einen kiffen oder schon am Vormittag eine Flasche Rotwein entern, um dabei ein bisschen über Zuwanderung nach Europa zu sprechen, wenn’s passt.

Nein, was die BILD und was Paul Ronzheimer da abgeliefert haben und was jetzt reflexartig von einer Reihe von Medien wiedergekäut wird, ist eine blamable Form der Anbiederung an so etwas wie einen politischen Zeitgeist oder wie man das nennen mag, wenn ein Interviewer so vordergründig im Sound „Hamburg-Hafenstraße“ ein Gespräch führt, wo ein paar wenige zusätzliche Denksportaufgaben eigentlich ausreichend gewesen wären, kritisch nachzufragen – anstelle so einer pseudokumpelhaften Fraternisierung aus einer Art Heldinnenverehrung, wenn man das nervöse Verhalten Ronzheimers so deuten mag.

Aber darum geht es nicht einmal, interessanter als dieses Picknick ohne Korb auf der Wiese hinterm Haus mit Sichtschutzhecke zu den Nachbarn, versteckt vor den Augen der Eltern, ist, was Rackete erzählt und welche Widersprüche hier einmal mehr zu Tage treten, ohne dass die zweitverwertenden Medien davon freilich Notiz nehmen würden. Brav folgt man auch hier der Inszenierung dieses Freizeit-Rockers der BILD mit seinen raschelnden Notizen, ausgerissen aus dem linierten Collegeblock.

„Das ist komplett falsch, das ist statistisch mehrfach nachgewiesen worden, es gibt viele wissenschaftliche Untersuchungen dazu, die man im Netz auch einfach finden kann. Es gibt statistisch überhaupt keinen Zusammenhang zwischen den Booten, die ablegen und irgendwelchen Rettungsschiffen die draußen sind.“, antwortet Carola Rackete auf die Frage, ob es einen Zusammenhang gäbe zwischen Seenotrettung und Schlauchbooten, die ins Meer gelassen werden.

Ok, dass ist nun fast ein bisschen zu durchsichtig, zu albern, Untersuchungen in großer Zahl („viele“) zu behaupten, die es nicht gibt bzw. die, wie die häufig singulär bemühte so genannte „Oxford-Studie“ längst sogar schon in der Arbeit der Nichtregierungsorganisationen positiv gegenüberstehenden Medien umstritten ist. Hier soll es ausreichen, auf einen Artikel bei Spiegel Online zu verweisen, an dem tatsächlich vier Journalisten gearbeitet haben in dem Bemühen, eben das Gesagte von Rackete zu belegen, nur um daran kläglich zu scheitern, aber sich dabei dennoch nicht zu scheuen, die Eingangsthese auf dem leeren Blatt Papier in der Überschrift stehen zu lassen, als wäre nicht gewesen: „Mehr Retter, mehr Flüchtlinge – warum das so nicht stimmt“.

Ein Warum ohne Antworten. Aber der Text ist nicht ganz wertlos, denn er liefert immerhin ein zitierbares Eingeständnis zur Oxford-Studie ab, das so geht:

„Die Erhebung, die zu den meistzitierten gehört, scheint einen kurzfristigen Pull-Effekt zu widerlegen. Doch sie untersucht nur Korrelation, keine Kausalität. Auch ob Seenotrettung langfristig zu mehr Migration führt, können die Soziologen nicht beantworten.“

Linke Verharmlosung
Wie Bootsführerin Rackete die Welt erklärt
Zurück zu unserem Rock’N’Rolla von der BILD auf dem Rasen zu Carola im Tank-Top einer spanischen Biermarke (gut gekühlt immer ein Gewinn). Wenn hier Ronzheimer davon spricht, dass es eine Debatte um die Frage Pullfaktor gäbe, dann ist das ein sehr gedehnter Begriff von Debatte. Diejenigen jedenfalls, die diese Meinung vertreten, werden von Kirchenvertretern, Medien und Politikern zu so etwas wie Helfershelfern libyscher Folterer stigmatisiert, wenn beispielsweise EKD-Chef Bedford-Strohm von Kriminalisierung von Seenotrettung spricht und die evangelische Kirche jetzt plant, selbst Boote ins Mittelmeer zu entsenden, wo man sich bisher „nur“ mit der Finanzierung beschäftigt hat.

Der Reporter auf dem Rasen fragt Rackete, ob Seenotretter eine Mitschuld daran hätten, dass Salvini in Italien so viele „Prozente“ bekommen würde. Aber was für eine Schuldfrage soll das sein? Eine merkwürdige Positionierung eines deutschen Journalisten. Eine jedenfalls, die auf dem selben Kanal mit der selben Frequenz von Rackete seine Botschaften entsendet.

„Die Menschen müssen aus Libyen heraus. Und die EU baut ja auch einen schönen Grenzzaun im Süden von Libyen, dass heißt, nach dorthin führt auch kein Weg zurück.“, so Carola Rackete. Nun darf spekuliert werden, in welche Richtung besagter Grenzzaun funktioniert. Soll er Migranten davon abhalten, nach Libyen zu wandern, um dort was zu tun? Zu arbeiten oder den Weg nach Europa zu suchen? Oder soll der Zaun Migranten davon abhalten, zurückzukehren in ihre Heimatländer, wenn diese von ihrem Vorhaben Abstand genommen haben?

Rackete möchte alle Migranten aus Libyen nach Europa holen und das wären dann auch viel, viel weniger als 2015/16. Wenn sich allerdings schon jetzt hunderttausende nach Libyen Gewanderte dort stauen, wie können das dann viel, viel weniger sein? Und wie soll verhindert werden, dass immer mehr kommen, wenn wieder hunderttausende Erfolgreiche ihre Handybilder vom „Schlaraffenland“ in ihre afrikanische Heimat senden?

Aber nein, Carola Rackete geht es nicht um diese Leute, eigentlich hat doch jeder das Recht nach Europa zu kommen, in ein Land, das durch Kolonialismus und Klimaverbrechen dieses Afrika von heute erst zu einem unwirklichen lebensfeindlichen Ort gemacht haben soll. Jeder soll kommen dürfen. Überhaupt würden in Europa ja eine halbe Milliarde Menschen leben. Das es allerdings im Hauptsehnsuchtsland Deutschland bisher “nur“ 82 Millionen sind, darf offensichtlich vernachlässigt werden.

Aber wie widersprüchlich die Aussagen der Frau Kapitän der Sea-Watch 3 tatsächlich sind, wird klar, als Ronzheimer sie mit der Tatsache konfrontiert, dass die Zahl der Ertrunkenen mit Rückzug der Nichtregierungsorganisationen aus dem Mittelmeer nun einmal gesunken ist, wie es am Sonntag im Übrigen schon der Reporter des Tagesspiegel im ARD Presseclub ausgeführt hatte.

Rackete antwortet:

„Ja, die absoluten Zahlen sind gesunken. Jetzt muss man sich fragen, warum. Zum einen, weil die libysche Küstenwache, finanziert von der europäischen Union ja zurück in das Bürgerkriegsland bringt. Und zum anderen, weil die EU auch einen Grenzzaun an der Südgrenze von Libyen eben gebaut hat. Und ich vermute, dass dadurch weniger Menschen überhaupt in das Land hereinkommen.“

Sagt Carola Rackete, die doch eingangs doch so vehement bestritten hatte, dass es überhaupt eine Pullfaktor gäbe und das durch „viele Untersuchungen“ belegt gesehen haben wollte. Aber noch mal: Was wollen die Leute in Libyen? Wollen sie in dem zerrütteten Land etwa nach Arbeit nachsuchen oder wollen sie nach Europa?

Wer diese Frage nicht beantworten mag, kann oder will, der disqualifiziert sich nicht nur für eine ernsthafte Debatte. Der muss sogar aus ideologischen Erwägungen die Debatte verweigern und nur weiter auf Diffamierung, Diskreditierung und Denunzierung des Gegenübers setzen. Und genau das passiert. Und dann geht Journalismus auch anders, als es BILD-Reporter Ronzheimer hier gerade auf der grünen Wiese vorgeführt hat.

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