Spiegel im Urlaub, Dreyer von nichts gewusst

Malu Dreyer (SPD) hat vor dem rheinland-pfälzischen Untersuchungsausschuss zur Ahr-Flut gesprochen. Dass da eine Katastrophe auf ihr Land angerückt sei, will die Ministerpräsidentin nicht gewusst haben - und ihre Ministerin ist danach in Urlaub verreist. Für vier Wochen.

IMAGO / Political-Moments

Das Urteil des TV-Meteorologen Jörg Kachelmann fällt eindeutig aus: „In zivilisierten Gegenden der Welt wären die MinisterpräsidentIn sowie die Innen- und UmweltministerInnen zurückgetreten“, schreibt er auf Twitter. Die Untersuchungsausschüsse zur Flutkatastrophe hätten dazu geführt, dass er „sämtlichen Respekt vor allen beteiligten und führenden PolitikerInnen verloren habe“.

— Jörg #StandingWithUkraine (@Kachelmann) April 9, 2022

Kachelmann gehörte zu den unabhängigen Experten, die im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe ausgesagt haben. Welche Katastrophe da dem Ahrtal bevorsteht, hätte den zuständigen Behörden spätestens am Vormittag des 14. Juli klar sein müssen, sagt Kachelmann. Doch danach gab das von Anne Spiegel (Grüne) geführe Umweltministerium noch eine Pressemitteilung heraus, dass alles nicht so schlimm werde. Ihr Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) erfuhr kurz darauf vom zuständigen Umweltamt, dass diese Mitteilung eine gefährliche Falschmeldung gewesen sei. Doch er entschied sich, eine Korrektur auf den nächsten Tag zu verschieben. Spiegel ging Essen und beantwortete keine Mails und Anrüfe mehr.

Politik- und Staatsversagen
Es war Zeit zur Evakuierung vor der Katastrophe an der Ahr
Während die Veganerin Spiegel ihr Essen genoß, starben im Ahrtal die Menschen. Wenig überraschend, wie Kachelmann vor dem Ausschuss sagt: „Eine Flut kommt nie plötzlich.“ Sie sei die Folge von stundenlangem Regen. Alle Wettermodelle hätten schon mehrere Tage im Voraus gesagt, was sich da im nordwestlichen Rheinland-Pfalz anbahne: Niemand hätte sterben müssen, wenn richtig gehandelt worden wäre, sagt Kachelmann. Doch Spiegel pflegte ihre Work-Life-Balance, während im Ahrtal 134 Menschen starben.

Wetterdienste und Meteorologen hatten rechtzeitig gewarnt

Kachelmann steht mit seiner Aussage nicht alleine da. Der Hydrologe Jörg Dietrich sagt ebenfalls, dass das Ausmaß der anstehenden Katastrophe schon 24 Stunden vor Spiegels Pressemitteilung feststand. Die hatte sich aber nur darum gekümmert, dass im Text ordentlich gegendert wird: „Campingplatzbesitzer:innen“. Gewarnt wurden laut Dietrich nur Menschen, die bis zu 50 Meter neben dem Fluss wohnten – eine Sperrzone von 500 Metern wäre aber notwendig gewesen. Alle Daten seien da gewesen, sagt auch der Diplom-Meteorologe Bernhard Mühr: „Der Deutsche Wetterdienst hat frühzeitig und sachlich richtig gewarnt.“ Der Meteorologe Sven Plöger sagt ebenfalls, dass er rechtzeitig gewarnt habe.

keine Entschuldigung bei Opfern
Familienministerin Spiegel versucht, die Flut-Affäre auszusitzen
Warnungen vom Wetterdienst, von anderen Meteorologen, vom eigenen Umweltamt… Malu Dreyer (SPD) hat trotzdem von alledem nichts gewusst. Sagt die Ministerpräsidentin zumindest: „Das Ausmaß der Flutkatastrophe an der Ahr war am Mittwoch, dem 14. Juli, noch nicht abzusehen“, lässt sie den Untersuchungsausschuss wissen. Ihr Innenminister Roger Lewentz (SPD) sagt das Gleiche. Am Tag nach der Flut hat sich, das entsprechende Protokoll liegt vor, Spiegel Sorgen gemacht: Um ihr Ansehen, um das richtige „Wording“. Da Dreyer und Lewentz im Gleichschritt aussagen, lässt das vermuten, dass sie ein passendes Wording entwickelt haben. An einen Rücktritt wie den von Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) in Nordrhein-Westfalen denken Dreyer und Lewentz nicht.

Stattdessen schubsen sie die Einsatzkräfte vor Ort vor den Bus: „Mir lagen überhaupt keine Informationen darüber vor, dass die Behörden vor Ort ihre Aufgaben nicht sachgerecht erledigen würden“, sagt Dreyer. Der zuständige Staatssekretär Randalf Stich (SPD) drückt es so aus: Man „konnte davon ausgehen, dass der zuständige Katastrophenschutz vor Ort aktiv ist“.

Das politische Gewissen von Spiegel und Co. scheint nicht belastet zu sein

Zurückgetreten ist wegen der Flutnacht der damalige Landrat in Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU). Ihm wird vorgeworfen, seine Aufgaben vernachlässigt und sich stattdessen um seinen eigenen Besitz gekümmert zu haben. Gegen Pföhler und einen Mitarbeiter ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz. Ihre Ministerpräsidentin und deren Kabinett lässt die Staatsanwaltschaft aber außen vor.

Zeitungsbericht:
Mainzer Landesregierung handelte trotz Warnungen vor Flutkatastrophe nicht
Das politische Gewissen von Spiegel, Manz, Lewentz und Dreyer scheint nicht belastet zu sein. Doch ihre laut Experten katastrophale Krisenkommunikation hat sich verheerend ausgewirkt: So wurden Menschen in einem Behindertenheim nicht informiert. Als die Flut kam, waren sie wehrlos. Die Evakuiierung setzte zu spät ein. Die Wehrlosen starben, während Manz meinte, es reiche auch, erst einen Tag später über die Presse zu informieren. Doch die Hausaufgaben hat die rheinland-pfälzische Politik bereits im Vorfeld nicht gemacht – der Krisenstab konnte in der Flutnacht gar nicht kommunizieren. Er konnte auf kein taugliches Handynetz zurückgreifen. Immerhin. Der Krisenstab habe einen Beamer gehabt, sagte Lewentz.

134 Menschen sind an der Ahr gestorben. Anne Spiegels Jahresurlaub indes nicht. Den trat sie nur zehn Tage nach der Todesnacht an. Einmal unterbrach sie ihn. Für einen PR-Termin. Sie brauche jetzt gute Bilder, wusste ihr Team schließlich schon an dem Morgen, als die Menschen an der Ahr vor den Trümmern ihrer Existenz stande. Doch bevor Spiegel in Urlaub flog, gab sie noch ein Pressestatement. Sie mag nicht in der Lage sein, Krisen zu managen oder politische Verantwortung zu übernehmen. Aber Wording kann Spiegel: „Mir ist das Herz schwer.“

Anzeige

Unterstützung
oder