Sieben Lehren aus der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt

Warum die CDU hoch gewann, welche Parteien um ihren Bestand fürchten müssen – und was das Ergebnis für den September bedeutet.

picture alliance/dpa | Robert Michael
Warum die CDU hoch gewann, welche Parteien um ihren Bestand fürchten müssen – und was das Ergebnis für den September bedeutet.

1. Polarisierung

Der Wahlsieger heißt in der ersten Linie Ministerpräsident Reiner Haseloff, erst in der zweiten CDU. Für TE hatte der Chef des Umfrageinstituts INSA Hermann Binkert die Tendenz der Landtagswahl in dem Ost-Bundesland sehr korrekt vorausgesagt: Die Konkurrenz zwischen CDU und AfD um den Platz der stärksten Partei führt zu einer starken Polarisierung. Und die wiederum bringt viele, die sonst möglicherweise nicht zu den Unionswählern gehören, dazu, ihre Stimme der CDU zu geben, um einen AfD-Sieg zu verhindern. So ähnlich waren auch die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg 2019 gelaufen: von dem gefühlten Zweikampf profitiert jeweils die Partei des Ministerpräsidenten.

2. Person

In dieser Polarisierung besaß die CDU den entscheidenden Vorteil: nur sie konnte mit Reiner Haseloff einen Kandidaten aufbieten, der überhaupt hinreichend Bekanntheit in dem Land genießt. Emblematisch für den Wahlkampf wurde das Foto der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die sich den Namen der grünen Spitzenkandidatin Cornelia Lüddemann auf die Handfläche notierte, um ihn bei einer Veranstaltung parat zu haben. Auch die anderen Parteien einschließlich der AfD traten mit derart blassen Spitzenleuten an, dass sich offenbar die meisten Wähler nicht vorstellen konnten, sie wegen des Personalangebots zu wählen.
Haseloff half es offenbar auch, dass er Distanz zum merkelistischen Kurs hielt. Aus seiner Sympathie für Friedrich Merz machte er keinen Hehl; er spricht sich gegen Identitätspolitik und Gendersprache aus. Gegen den Willen von Parteiführung und Kanzleramt stoppte er Ende 2020 die Rundfunkgebührenerhöhung.

3. Problem Baerbock

Trotz der massiven medialen Unterstützung für Baerbock, die Grünen und ihre Themen wurden die Grünen nur sechsstärkste Partei in Sachsen-Anhalt. Zumindest in dem Ost-Land zeigt sich: die Macht der etablierten Medien ist offenbar begrenzt. In Sachsen-Anhalt zeigt sich auch: die Grünen sind und bleiben die Partei der besserverdienenden urbanen Eliten, eines Milieus, das zwar auch in Ostdeutschland existiert, etwa in der Leipziger Südvorstadt oder an den Dresdner Elbhängen, das aber außerhalb dieser Reservate sonst in den neuen Ländern kaum vorkommt.
Kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg Eigenheime schlecht machen – das konnten sich die Grünen leisten, weil sie mit Winfried Kretschmann einen populären Kandidaten hatten, der nicht zum typischen grünen Personalangebot gehört. Kurz vor der Wahl im Pendlerland Sachsen-Anhalt Benzinpreiserhöhungen von weiteren 16 Cent pro Liter ankündigen – das konnte am Sonntag kein Grünen-Politiker verdecken oder ausgleichen. Annalena Baerbock, die wieder einmal ihre Vita säubern (“präzisieren“) und erfundene Mitgliedschaften beseitigen musste, wirkt immer mehr wie ein Anti-Kretschmann: Eine leichtgewichtige Politikerin, die ihre Partei eher nach unten zieht, in Sachsen-Anhalt genau so wie in den bundesweiten Umfragen. Selbst innerhalb von zwei Wochen schaffte sie es zusammen mit ihrem Team bis vor kurzem augenscheinlich nicht, wenigsten ihren Lebenslauf auf einer A4-Seite so aufzuschreiben, dass er Nachfragen standhält.
Nur: Es ist zu spät, um sie jetzt noch auszutauschen oder innerhalb eines Teams zu verstecken. Damit würden die Grünen die Blicke erst Recht auf ihre Malus-Bewerberin ziehen.

4. Volkspartei

Klassische Volksparteien, die viele Milieus verbinden, existieren in Deutschland kaum noch. Selbst die CSU steht in den Umfragen zur Bundestagswahl gerade bei 32 Prozent. In Ostdeutschland qualifizieren sich nur zwei Parteien zu Volksparteien mit Abstrichen: CDU und AfD. Alle anderen müssen sich mit deutlich kleineren Nischen begnügen, auch die Linkspartei.

5. Keine linke Mehrheiten

Auf Bundesebene existiert die medial immer wieder beschworene linke Mehrheit nicht, reicht aber wegen der starken Grünen zeitweise bis in den Bereich um 45 Prozent. In mehreren Bundesländern – Bayern, Sachsen, jetzt Sachsen-Anhalt – stimmen deutlich über 60 Prozent der Wähler für Parteien von Mitte bis rechts. Da eine Koalition von CDU und AfD vorerst chancenlos bleibt, heißt das allerdings praktisch: Ein Bundesland, das mehrheitlich mitte-rechts wählt, bekommt eine Regierung, in der mindestens eine linke Partei sitzt. So wird es auch in Sachsen-Anhalt geschehen. Unter den aktuellen Bedingungen ist die Existenz der AfD für linke Parteien Gold wert.

6. Parteifusion

In Sachsen-Anhalt überzeugt die SPD gerade noch 8 Prozent der Wähler. In den Wahlumfragen für Sachsen steht sie bei 7 Prozent, in Baden-Württemberg holt sie kürzlich um 11 Prozent. In diesen Ländern und in Bayern muss sie fürchten, es bei der nächsten Wahl nicht mehr über die 5-Prozent-Hürde zu schaffen. Ihr Versuch, gleichzeitig die Linkspartei und die Grünen zu kopieren, führt offenbar zu einer Kernschmelze bei den Sozialdemokraten. Auch die Linkspartei holte in Sachsen-Anhalt ihr historisch schlechtestes Ergebnis. In der Umfrage zur Bundestagswahl kippelt die frühere SED um den Wert von 6 Prozent. Offenbar begeistern sich in der Tiefe des Landes doch deutlich weniger Menschen für Mietendeckel, Enteignung und Vermögensabgabe als in den öffentlich-rechtlichen Medien und der Berliner Twitterblase. Beide Parteien ähneln einander mittlerweile so stark, dass ihr Wettbewerb auf dem Wählermarkt kaum noch Sinn ergibt. Eine Fusion würde die Existenz für beide sichern.

7. Was für die Bundestagswahl gilt – und was nicht

Anders als bei Landtagswahlen spielen auf Bundesebene Spitzenkandidaten eine weniger starke Rolle. Für die Grünen bedeutet das eine leichte Beruhigung.
Armin Laschet könnte von Reiner Haseloff lernen, dass sich eine Abweichung von Merkel-Kurs auszahlt – allein schon deshalb, weil die den Kandidaten eigenständiger erscheinen lässt. Aber selbst, wenn er es versucht: eine derartige Polarisierung, die Haseloff in Magdeburg nützte, gibt es auf Bundesebene nicht.
Die AfD wird nach den Bundestagswahl die Frage klären müssen, in welche Richtung sie will. Selbst in Ländern wie Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo sie ihre stärksten Ergebnisse holt, kommt sie mit ihrer Strategie, nur die Unzufriedenheit zu bündeln, gerade mit Abstand auf den zweiten Platz.

Dass die FDP in Sachsen-Anhalt die Grünen überholt, stärkt das Selbstbewusstsein der Freidemokraten.

Im Bundestagswahlkampf sieht sich ihre Führung allerdings schon so sehr als Teil einer Koalition mit Union und Grünen, dass ihr die Courage fehlt, sich stärker als Alternative für bürgerliche Wähler zu empfehlen.

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Kommentare ( 127 )

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CIVIS
2 Jahre her

Liebe TE-Redaktion,
was soll ein Satz wie „Zitat: Selbst in Ländern wie Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo sie (die AfD) ihre stärksten Ergebnisse holt, kommt sie mit ihrer Strategie, nur die Unzufriedenheit zu bündeln, gerade mit Abstand auf den zweiten Platz.“ ?

Zeigen Sie mir bei all dem AfD-Bashing, bei all der Diffamierung, bei all der Ausgrenzung, bei all der Weigerung auch nur irgendwie mit der AfD zusammenzuarbeiten, …bitte zeigen Sie mir die Alternativen zur Bündelung der Unzufriedenheit !

Heiner Hannappel
2 Jahre her

Es sind die Fehlleistungen der vergangenen 16 Jahre unter Kanzlerin Merkel, die für den Aufstieg der AfD ursächlich sind, zumal Merkel diese UNION sträflich „vergrünt“ hat. Der Konservatismus hat seine Heimat verloren und sucht sich eine neue, da die „Werteunion“ von der UNION dümmlich ausgegrenzt wird. Seit Jahren schreibe ich in Büchern und Artikeln, nun auch wieder auf meiner neuen Webseite http://www.fortunanetz-aktuell.de mir die Finger wund, um auf diese desaströse Politik dieser Kanzlerin aufmerksam zu machen. Die Bürger spüren, dass deren Politik nicht mehr ihren Interessen dient und wählen alternativ. Auf Tichys Einblick wird das wie auch hier in vielen… Mehr

Dozoern
2 Jahre her

Supergute Analyse! Kompliment an die Redaktion! Ihr habt’s drauf!

Lotus
2 Jahre her

Richtige Analyse bzgl. Baerbock. Ich bin sicher, dass sich viele Grünen-Funktionäre und -Anhänger schon richtig ärgern, dass man nicht Habeck zum Kandidaten erkoren hat. Baerbock ist zur Belastung geworden. Mal sehen, ob ihre medialen Fanclubs das bis zum September noch ausbügeln bzw. wenden können. Hoffentlich nicht, Baerbock als Kanzlerin wäre m. M. n. ein Desaster!

Der Letzte macht das Licht aus
2 Jahre her

Aber sie machen das Licht mit „Haltung“ aus… das ist Völkersterben von seiner schönsten Seite…sagte dereinst ein deutscher Türke mit Hafthintergrund.

Wahnfried1971
2 Jahre her

Sachliche und wohl auch zutreffende Analyse. Ein Einspruch zu Punkt 7: Personal spielt auf Bundesebene KEINE so große Rolle? Ähhhh……es wurde in den letzten – gefühlt – 28 Jahren MERKEL gewählt. Immer wieder Merkel – nicht mehr die CDU.

Maja Schneider
2 Jahre her
Antworten an  Wahnfried1971

Stichwort „Sie kennen mich“ auf den Wahlplakaten.

Endlich Frei
2 Jahre her

Fehler Nr. 8:
Ein Urlaubsverbot für die Deutschen bedeutet nicht, dass er künftig nicht durch Chinesen ersetzt wird – z. B. wenn die Hotels in Mallorca leer stehen. Ob die dann deutlich längere Anreise CO2-freundlicher ist, bezweifle ich. Jedenfalls dürfte das den Hoteliers und der Tourismusbranche auf Mallorca & Co. ziemlich egal sind.

Peter Silie
2 Jahre her

Die AFD wird erst dann in D zum Durchbruch kommen, wenn Länder wie Frankreich, GB, USA (die ehemaligen Siegermächte eben) vollständig in Richtung rechts-konservativ von der Bevölkerung korrigiert wurden. D ist immer hintendran und braucht Hilfe von außen. Hier wird halt traditionell bis zum Endsieg gekämpft, der aber regelmäßig in der bedingungslosen Kapitulation endet.

Marco Mahlmann
2 Jahre her

Wenn Haseloff schlau ist, verschleppt er die Koalitionsverhandlungen bis nach der Bundestagswahl und läßt dabei die linken Strolche blöd dastehen. Nach der Wahl, wenn auch die BT-Stimmen aus Sachsen-Anhalt vorliegen, sollte er dann das Tabu brechen und mit der AfD sprechen — vorgeblich natürlich zähneknirschend und larmoyant und erst mal nur als Tolerierung, aber wenn dann der Widerstand aus der Bundes-CDU erträglich bleibt und die Polizei die Linksextremen in Schach hält, auch als Koalition.

Felicitas21
2 Jahre her

In Dänemark regieren neben den Sozialdemokraten aber auch rechtskonservative Parteien mit.
Wo wären die in Deutschland zu finden?