Meinungsfreiheit? Nicht einmal die Hälfte der Deutschen glaubt daran

Die Skepsis gegenüber der freien Rede wächst seit Jahren. Nur 46 Prozent der Deutschen glauben, dass man seine politische Meinung heute frei äußern kann. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach.

dts

Die neueste Studie zum brisanten Thema Meinungsfreiheit zeigt: 44 Prozent der Deutschen meinen bereits, man müsse mit politischen Aussagen vorsichtig sein. Allensbach-Forscher Thomas Petersen betont, dass diese Einschätzung nicht bedeutet, die gesetzlich garantierte Meinungsfreiheit sei abgeschafft. Vielmehr gehe es um das subjektive Empfinden, dass gesellschaftlicher Druck und moralische Erwartungen die offene Diskussion zunehmend erschweren.

Viele Bürger hätten das Gefühl, sich genau überlegen zu müssen, was sie sagen, um nicht in sozialen Netzwerken oder im beruflichen Umfeld in Misskredit zu geraten. „Viele erleben, dass man theoretisch alles sagen darf, praktisch aber nicht alles sagen kann, ohne negative Konsequenzen zu riskieren“, sagt Petersen.

Zugleich zeigt die Erhebung im Auftrag der Frankfurter Alllgemeinen Zeitung, dass ein großer Teil der Bevölkerung selbst Einschränkungen für andere befürwortet. In der Befragung wurden provokante Aussagen wie „Soldaten sind Mörder“, „Homosexualität ist eine Krankheit“ und „Frauen gehören an den Herd“ abgefragt. Die Mehrheit wollte, dass solche Aussagen verboten werden: 52 Prozent bei der ersten, 49 Prozent bei der zweiten und 43 Prozent bei der dritten Formulierung. Petersen schließt daraus, dass viele Menschen die Meinungsfreiheit nicht als allgemeines Prinzip, sondern eher als Recht für Gleichgesinnte verstehen.

Vor zehn Jahren sagten 38 Prozent, dass ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt sei

Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht, dass die Skepsis gegenüber der freien Rede seit Jahren wächst. Schon im Freiheitsindex Deutschland von 2015 – einer gemeinsamen Untersuchung von Allensbach und der Friedrich-Naumann-Stiftung – gaben 38 Prozent der Befragten an, sie fühlten sich in der öffentlichen Meinungsäußerung eingeschränkt. Seitdem ist der Anteil kontinuierlich gestiegen.

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Eine internationale Vergleichsstudie des Pew Research Center aus dem Jahr 2019 zeigt, dass dieses Gefühl in Deutschland stärker ausgeprägt ist als in vielen anderen westlichen Demokratien. Damals sagten 51 Prozent der Deutschen, sie könnten „nicht offen sagen, was sie denken“, weil sie negative Reaktionen befürchteten. In Ländern wie Großbritannien (34 Prozent) oder Frankreich (29 Prozent) lag der Wert deutlich niedriger. Pew stellte fest, dass in Deutschland besonders politische und gesellschaftliche Themen – etwa Migration, Religion oder Geschlechterrollen – als heikel empfunden werden. Der gesellschaftliche Diskurs sei hier stärker moralisch aufgeladen als in anderen Ländern, was zu einer „Selbstzensur im Alltag“ führe.

Im Unterschied dazu zeigt die aktuelle Allensbach-Erhebung, in der zwischen dem 26. September und dem 10. Oktober 1.044 Personen in direkten Gesprächen befragt wurden, dass sich die Wahrnehmung verfestigt und weiter verbreitet hat – unabhängig von Alter, Bildung oder politischer Orientierung. Während 2019 vor allem konservative und ältere Befragte Einschränkungen empfanden, betrifft das Gefühl heute alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen.

Das Institut für Demoskopie Allensbach, 1947 gegründet, gilt als eines der traditionsreichsten Meinungsforschungsinstitute Deutschlands. Es führt regelmäßig repräsentative Befragungen zu Politik, Gesellschaft und Kultur durch. Die Allensbach-Studien gelten als wichtiger Spiegel gesellschaftlicher Stimmung und liefern seit Jahrzehnten Daten, die weit über den tagespolitischen Moment hinausweisen.


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Kommentare ( 34 )

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Dellson
20 Tage her

Entweder haben wir Meinungsfreiheit oder nicht! Denn ansonsten braucht man darüber nicht zu diskutieren.Die Wahrheit zudem als Monopol zu benutzen ist bereits ein Herrschaftsinstrument. In einer pluralistischen Gesellschaft muss Wahrheit verhandelbar sein. Sie lebt vom Streit, vom Ringen, vom Zweifel. Sobald sich ein Medium – oder gar der Staat – anmaßt, die Wahrheit zu definieren, ist der Boden der Demokratie verlassen. Und was sind Statistiken, Umfragen, Erhebungen, Einschätzungen wert? Oder einfach gesagt, egal wer wofür, wogegen ist. Wer streitet, diskutiert, laut jammert und nörgelt, beklagt, beschwichtigt usw. Alles das ist nichts wert, wenn der politische Wille der Handelnden es nicht… Mehr

Alf
20 Tage her

Das Institut für Demoskopie Allensbach „führt regelmäßig repräsentative Befragungen zu Politik, Gesellschaft und Kultur durch“. 
Sind wir jetzt schon so weit, zu behaupten, daß Allensbachumfragen repräsentativ sind?
Glaubt der Autor, daß es eine repräsentative Umfrage gibt, wenn nur wenige befragt werden? Für die Umfrage wurden zwischen dem 26. September und dem 10. Oktober 1044 Menschen in direkten Gesprächen befragt.
Die aktuellen Proteste in den USA bilden die Meinung des Volkes besser als jede Umfrage mit wenigen Befragten.
Wer den Umfragen in Deutschland glaubt, trägt auch Joggings.
Karl Lagerfeld läßt grüßen.

flo
20 Tage her
Antworten an  Alf

Ja, mit der Repräsentativität ist das so eine Sache. Ob ein Umfrageergebnis wirklich die Meinung aller Bundesbürger eins zu eins abbildet, könnten Sie methodisch einzig und allein bei der berühmten Sonntagsfrage prüfen. Indem sie die letzte Wahl-Voraussage Tage vor der Wahl mit dem tatsächlichen Wahlergebnis am Wahltag vergleichen, und selbst dann könnte man noch argumentieren, dass die Prozente von verschiedenen Tagen sind, es dadurch Verschiebungen in den Parteipräferenzen geben kann. Ansonsten muss man sich einfach darauf verlassen, dass die von seriösen Unternehmen jeweils Befragten, oft gut 1.000 Personen bundesweit, den gesamten gemeinten Bevölkerungskreis gut abbilden. Dabei bleibt, selbst wenn die soziodemografischen… Mehr

Alf
20 Tage her
Antworten an  flo

Gegenfrage:
Warum wählen wir eigentlich nicht mit 1044 Wählern, wenn diese doch repräsentativ sein sollen?

H. Priess
20 Tage her
Antworten an  Alf

Im Unterschied dazu zeigt die aktuelle Allensbach-Erhebung, in der zwischen dem 26. September und dem 10. Oktober 1.044 Personen in direkten Gesprächen befragt wurden,
In direkten Gesprächen, wo, wann und mit wem? Wer suchte die Befragten aus? Wie muß ich mir das vorstellen, da werden Leute auf der Straße angequatscht? Über das Festnetz 🙂 angerufen und die Nummern wahllos aus den Telefonbuch? Gibts das überhaupt noch? Ich traue solchen Umfragen und Erhebungen so weit wie ich ein dickes Schwein werfen kann.

Nibelung
20 Tage her

Die Meinungsfreiheit ist spätesten dann tot, wenn man sich nicht mehr äußern kann, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen und diese Art der Maßregelung über Dritte, z.Bsp. durch den Arbeitgeber, was ganz subtil ablaufen kann, aber mit schwersten Folgen begleitet ist. Es ist müßig die einzelnen Möglichkeiten der indirekten Repression der Regierenden aufzuzählen und deshalb sind wir erst wieder frei, wenn die Meinung gesagt werden darf und alles andere stellt eine Lüge dar und ist der Vorbote weiterer Sanktionen, die bis zum Freiheits -oder Finanzentzug führen können und wer da noch von Demokratie spricht, ist der größte Lügner, was sich… Mehr

November Man
21 Tage her

Meinungsfreiheit gibt es in Deutschland nur wenn man die Meinung der Linksextremisten vertritt und verbreitet. Alles andere ist Rechtsradikal und wird mit der vollen Härte des Rechtsstaats verfolgt.

flo
21 Tage her

„44 Prozent der Deutschen meinen bereits, man müsse mit politischen Aussagen vorsichtig sein.“ Das halte ich für einen unerwartet niedrigen Wert. Was meinen die 44 Prozent denn, könnte einem als Konsequenz drohen, wenn man NICHT vorsichtig ist? Thomas Petersens Erläuterung, „dass diese Einschätzung nicht bedeutet, die gesetzlich garantierte Meinungsfreiheit sei abgeschafft. Vielmehr gehe es um das subjektive Empfinden, dass gesellschaftlicher Druck und moralische Erwartungen die offene Diskussion zunehmend erschweren“, ist allerdings reichlich beschönigend. Immer mehr Meldestellen, Hass-und-Hetze-Initiativen, juristische Klagen wegen Beleidigung, die aktuelle linksgrüne Aufregung über Merz‘ Stadtbild-Satz, usw. sind objektive Belege dafür, dass es sich nicht nur um „Gefühle“… Mehr

WandererX
21 Tage her

Nie hat ein intelligenter Mensch gesagt, dass man in der Demokratie folgenlos alles sagen kann! Der einzige Vorteil: die Folgen sind nicht das Fallbeil über dem Kopf oder ein Gitter vor dem Gesicht, sondern es hat meistens viel geringere Folgen. Die Fragen wurden hier FALSCH gestellt!

mediainfo
21 Tage her

Vielmehr gehe es um das subjektive Empfinden, dass gesellschaftlicher Druck und moralische Erwartungen die offene Diskussion zunehmend erschweren.

Da bleibt aber jemand zurückhaltend, will vermutlich selber nicht anecken. Besagter Druck geht über subjektives Empfinden hinaus, in den Medien wird ja immer wieder von Maßnahmen gegen bestimmte Personen berichtet, die sich unangepasst verhalten.

MaxVanMoritz
21 Tage her

Die Hälfte weis also, das wir keine Demokratie haben?
Nun gut, auf der Verpackung von damals stand auch DDR!

HarryDax
21 Tage her
Antworten an  MaxVanMoritz

DDR 2.3 nur anders verpackt! hehe

Rob Roy
21 Tage her

Wir haben die Freiheit, entweder ARD oder ZDF einzuschalten, damit wir wissen, welche Meinung wir haben sollen.

HarryDax
21 Tage her
Antworten an  Rob Roy

Ja, aber es gibt ja noch Welt u.a., zum Glück.
Linker Mainstream, nein Danke!

HarryDax
21 Tage her

Meinungsfreiheit gibt es nicht mehr und selbst der US Aussenminister sagt das DE sich zu einer Tyranei entwickelt, siehe Erdocan mit der Türkei als Beispiel!
Hauptsache ihr macht Urlaub in der Türkei, pfui!

MaxVanMoritz
21 Tage her
Antworten an  HarryDax

Lassen wir einach die Einmischung in die Angelegenheiten von anderen Ländern sein. Im Gegenteil, man sollte in Diktaturen reisen, auch solche die sich als Demokratie verschleiern.

verblichene Rose
21 Tage her
Antworten an  MaxVanMoritz

Gibt es denn besondere Umstände, ausgerechnet Diktaturen zu besuchen?
3… 2… 1…