Deutsche Außenpolitik: Sehnsucht nach Weimar

Kanzler Scholz und seine Restregierung wollen das „Weimarer Dreieck“ wiederbeleben. Dabei war das nicht tot. Aber es steht für das folgenlose Geschwätz, das die Außenpolitik Deutschlands und der EU prägt.

picture alliance/dpa/MAXPPP | Olivier Corsan
Olaf Scholz und Emmanuel Macron, Paris, 22. Januar 2025

Manche Sache ist schon mit der Namensgebung verloren. Wer zum Beispiel als Wanderwitz geboren ist, dem bleibt nichts anderes übrig, als frühzeitig aus der Politik abzutreten und ein zum Scheitern verurteiltes Verbotsverfahren als Denkmal der eigenen Unzulänglichkeit zu hinterlassen. Wobei sowohl Unzulänglichkeit als auch zum Scheitern verurteilte Namensgebung die Stichworte zur Überleitung bieten:

1991 haben die Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Roland Dumas und Krzysztof Skubiszewski das „Weimarer Dreieck“ ins Leben gerufen. Es sollte die Beziehungen zwischen Deutschland, Frankreich und Polen stärken. Um an die geistige Tradition Europas anzuknüpfen, schlossen die damaligen Außenminister diesen Bund an Goethes Geburtstag. Doch schon der Name ist missglückt: Berlin und Warschau liegen auf dem selben Breitengrad, dem 52. Ein daraus sich bildendes Dreieck hätte eine absurde Hypotenuse und abartige Katheten und würde extrem spitze Winkel erfordern.

Blamage beim Bund
Bundeswehr kann Milliarden nicht ausgeben
Auch die Anlehnung an die Weimarer Klassik ist gut gemeint – doch schlecht gewählt. Denn in Deutschland steht der Name Weimar halt ebenfalls und in erster Linie für das Scheitern der Republik. Immerhin agierte im Zentrum des Dreiecks mit Genscher anfangs einer der besten Außenminister, die das Land je hatte. Ihm gelang es, das erste Ziel des Bundes umzusetzen: Polen zum festen Bestand der EU und der Nato zu machen. Doch als dies 2004 beziehungsweise 1999 vollzogen war, schlief das Dreieck ein.

Wobei. So stimmt das halt nicht. Die drei Nationen bemühten es durchaus immer wieder. Doch wie jeder hart Besoffene weiß: Ein Schlaf kann durchaus gnädig sein, im Wachen macht man mitunter Unsinn. Dazu genügt ein Blick auf die Tagesordnung des Gipfeltreffens von Nancy – im Mai 2005: Einhaltung der Haushaltsdisziplin innerhalb der Europäischen Union, die Lösung des Problems des „Britenrabatts“, die Beziehungen der Europäischen Union zur Russischen Föderation und der Ukraine oder die Lage im Nahen Osten.

Diese Tagesordnung zeigt, wie sehr das Weimarer Dreieck zum Symbol des Scheiterns der deutschen Außenpolitik geworden ist. Im Alleingang wie im Verbund mit der EU: Einhaltung der Haushaltsdisziplin? Wenige Jahre nach Nancy flog der griechische Haushalt der EU um die Ohren. Die Haushalte von Frankreich, Portugal oder Spanien sind tickende Zeitbomben. Und in Deutschland macht Kanzler Olaf Scholz (SPD) aktuell Wahlkampf damit, den relativ soliden deutschen Haushalt auf dem Altar sozialer Versprechen opfern zu wollen – und damit den letzten Stabilitätsanker des Euro zu lichten.

Das Problem des „Britenrabatts“? Das hat Angela Merkel (CDU) erledigt. Ihre Einwanderungspolitik hat das Vereinigte Königreich dazu gebracht, die EU fluchtartig zu verlassen, trotz der damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile. Die Lage im Nahen Osten? Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist nach den Morden, Vergewaltigungen und Leichenschändungen der Hamas so oft im Nahen Osten gewesen, dass sich eine Zweitwohnung in Beirut rentiert hätte. Sie hat wahnsinnig viel Zeit und Mühe investiert, um sich als Kümmerin zu inszenieren. Ohne irgendwas zu erreichen. Abgeräumt hat den Konflikt aber Donald Trump, noch bevor er als Präsident der USA im Amt war.

Die deutsche Politik setzt jetzt wieder auf das Weimarer Dreieck des Scheiterns. Scholz ist an diesem Mittwoch nach Paris gereist, um mit Präsident Emmanuel Macron über die Ukraine zu sprechen. Der Winkel von Berlin nach Paris ist genau so gestreckt wie der Spagat, den der Kanzler auf dieser Reise hinzulegen hat. Daheim gibt er den Kritiker der Ukraine-Unterstützer, um ein paar Stimmen von AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht abzufischen. In Paris mimt Scholz dann selbst den Ukraine-Unterstützer. Sein notorisch schlechtes Gedächtnis ist das einzig Gute, auf das sich der Kanzler in solchen Momenten des Doppelgesichts verlassen kann.

Die Präsidentin des Bundesrates, Anke Rehlinger, ist ebenfalls zu einer Reise nach Paris und Warschau aufgebrochen. Seit dem erfolgreich entzogenen Vertrauen baut Scholz auf seine Parteifreundin als Flügelfrau im Wahlkampf. Was zeigt, wie weit die SPD in ihrem letzten Gefecht vorangeschritten ist. Wobei. Man soll ja niemanden unterschätzen. Was hat denn die saarländische Ministerpräsidentin an Weisheiten zum Verhältnis Polen, Frankreich und Deutschland beizusteuern? „Das Saarland liegt im Herzen Europas.“ Die Frau kann also fehlerfrei auf eine Landkarte schauen. Man soll wirklich niemanden unterschätzen.

Rede in Davos
Ursula von der Leyen pfeift im Wald
Rehlinger lässt ihr Publikum wissen, dass sie mit dem TGV nach Paris fährt. Wie sie nach Warschau kommt, berichtet sie nicht. Würde sie ebenfalls den Zug nehmen, müsste sie durch Deutschland fahren. Und die Deutsche Bahn ist in einem Zustand, über den Sozialdemokraten nach 22 von 26 Jahren SPD in der Bundesregierung nun wirklich nicht gerne reden.

In Paris und Warschau trifft Rehlinger Teilnehmer der „Generation Europa“, schaut sich die Arbeit des Nationalen Forschungsinstituts für Informatik und Automatisierung an oder besucht die Kathedrale Notre Dame. Hört sich nach Terminen für den Fotografen an. Nach Geschwätz, das folgenlos bleibt. Über die Ergebnisse will der Bundesrat auf seiner Internetseite berichten. Das ist am Montag. Am frühen Mittwochnachmittag steht dort immer noch die alte Pressemitteilung: „Das Saarland liegt im Herzen Europas.“ Wussten wir schon, erfreut aber immer wieder das Gemüt.

Folgenloses Geschwätz ist das, wofür das Weimarer Dreieck gut ist. Der polnische Präsident Lech Kaczyński erkannte das und wollte 2006 die Gipfeltreffen einstellen. Doch immer, wenn ein polnischer Staatspräsident die Politik der EU zu gut erkennt und benennt, gewinnt dort Donald Tusk eine Wahl, die nicht annulliert werden muss. Tusk hat das Dreieck wieder mit Leben gefüllt: also mit folgenlosem Geschwätz.

Deutschland und die EU müssten zu einer eigenständigen Außen- und Verteidigungspolitik. Das sagen heute unter anderem Scholz, Baerbock, Robert Habeck (Grüne) und Friedrich Merz (CDU). Das hat auch schon Merkel gesagt, ebenso wie ihre Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas (beide SPD). Doch die Politik der EU wurde trotz all der Forderungen nicht eigenständiger, stattdessen wurde die Führungsrolle der USA immer deutlicher. Zwischenzeitlich hat die EU mit Großbritannien den einzigen Player verloren, der mit seiner Armee und seinen Geheimdiensten halbwegs auf Augenhöhe mit den Staaten spielen kann.

Trump führt die EU im Nahen Osten vor. Er wird dies auch in der Ukraine tun. Wobei sein Vorgänger Joe Biden bereits genauso gehandelt hat. Nur dezenter als der ehemalige Showmaster. Kein Geschwätz in der EU ist so folgenlos wie das von der eigenständigen Außen- und Verteidigungspolitik. Genau dafür steht das Weimarer Dreieck. „Mit meiner ersten Reise als Bundesratspräsidentin will ich einen Impuls für das Weimarer Dreieck setzen“, sagt Rehlinger. Und auf ihre ganz eigene Weise hat sie das auch getan, die Ministerpräsidentin des Saarlands. Das liegt übrigens im Herzen Europas. Nur für den Fall, dass es jemand noch nicht gewusst hat.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 4 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

4 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
BK
14 Tage her

Wozu ein Weimarer Dreieck, wenn schon die EU nichts darstellt und die Einzelstaaten international keine bedeutende Wahrnehmung haben. Frankreich ist aus Mali geflüchtet und auf deutschen Straßen toben sich die Palästinenser aus. Und die EU ist ohne Militär auch kein Machtfaktor. Man kann sagen, dass das alles nur Papiertiger sind, bei denen mit gequirlte Punkt-Punkt-Punkt das Bürokratiemonster gefüttert und ein paar Hundertschaften von Mitarbeitern etwas beschäftigt werden, um sich noch selbst ins gute Licht zu rücken. Sieht ja auch gut aus, wenn da 2 Mann im Anzug am Rednerpult stehen und etwas verkünden, von dem sonst niemand Notiz nimmt. Wenn… Mehr

Evero
14 Tage her

Als Nachkriegskind war ich immer von der Notwendigkeit und Richtigkeit der deutsch-französischen Freundschaft überzeugt und auch nach der Wiedervereinigung mit der Aussöhnung und engen Partnerschaft mit dem Nachbarland Polen. Aber man wird älter und weiser. Heute bin ich der Überzeugung, dass Deutschland seinen Weg allein gehen muss, nämlich als neutrales und souveränes Land in der Mitte Europas. Meine Beobachtung ist, dass Deutschland immer nur als guter Partner galt, wenn es die Wünsche Frankreichs erfüllt hat und bezahlt hat. Frankreich will nach wie vor immer die erste Geige in Europa spielen. Polen agiert, egal wer dort regiert, ausgesprochen nationalistisch und auch… Mehr

Last edited 14 Tage her by Evero
Waehler 21
14 Tage her

Außenpolitik? Europapolitik? Mit Leuten die sich nicht daran erinnern können ob sie dabei geholfen haben den Bürger um Millionen /Milliarden betrogen haben?

elly
14 Tage her

„Dreieck“ Paris, Berlin, Warschau“
noch immer haben die Franzosen die Deutschen über den Tisch gezogen und sie werden es immer wieder tun. Ursula von der Leyen ist das Ergebnis von Macrons Wünschen.
Die Polen sind sicherlich auch nicht schlecht dabei, den größtmöglichen Vorteil für ihr Land herauszuholen.