Balkanroute und Österreich: Kakanien lebt

Mit seinem Ansinnen an Griechenland, die EU-Außengrenze zu sichern, will Österreichs Außenminister Kurz nichts anderes, als Kanzlerin Merkel auf EU-Ticket von Osman Erdogan möchte - bloß von der anderen Seite des Mittelmeeres. Wenn Wiens Westbalkanverbündete an der griechischen Nordgrenze tun, was Griechen und Türken noch hintertreiben, erhöht das den Druck auf diese beiden Zentren der Fluchtindustrie.

Athens Außenminister Nikos Kotzias hat seine Botschafterin in Wien, Chryssoula Aliferi, heimgerufen. Der Flüchtlingsgipfel der Westbalkanstaaten empört die Regierung Tsipras. „Österreich kann die Anspannung in Griechenland nachvollziehen, nachdem der Druck auf Griechenland steigt, an einer Eindämmung des Flüchtlingsstroms mitzuwirken“ ließ Österreichs junger Außenminister kurz angebunden erklären und elegant kontern: „Wir sehen in diesem Fall eine Chance, dass die Botschafterin die griechischen Verantwortlichen über die Situation und Herausforderungen für die Zielländer der Flüchtlingsroute wie Österreich informiert“.

Die neue Grenze wirkt

Auf gut Deutsch: Griechenland soll dazu beitragen, den Migrantenzug nach Norden zu verkleinern. Griechenland reagiere nur auf Druck – und der Druck ist da: Wenn Griechenland seine Grenze nicht schützen könne, müsse die Grenze nach hinten verlagert werden, sagte Österreichs Innenministerin Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Europaweit bricht sich damit die Wut auf Griechenland Bahn: So wie die Regierung Tsipras in der Euro-Krise erst auf die Rauswurf-Drohung Schäubles reagiert habe, so reagiere es auch in der Flüchtlingskrise erst auf den Druck, letztlich den Schengenraum verlassen zu müssen. Im Berliner  Bundeskabinett freute man sich schon am Dienstag, dass nur noch 107 Flüchtlinge kamen. In der Tagesschau wunderte sich der Sprecher, dass die Helfer an den Grenzen auf „Flüchtlinge warten müssen“ – als ob es schon einen Anspruch auf Flüchtlinge gäbe. Leere Betten in Passau als Endpunkt der Balkanroute? Griechenland wiederum kann die Flüchtlinge nicht einfach durchwinken und drohe zu einem „Libanon Europas“ zu werden, in dem die armen Seelen stranden.

So weit hinein die Schluchten des Balkans wie die Alpenrepublik Österreich, der kleine Erbe des großen Habsburger Reiches hat dieses nie Freunde gehabt. Selbst die Serben sind beim Pakt dabei, einst die innigsten Feinde der k.k. – kaiserlich königlichen Monarchie – und am Ende k.u.k. kaiserlich und königlichen Doppelmonarchie mit  österreichischem und ungarischem Reichsteil – mit einem Reichsrat in Wien und einem Reichstag in Budapest. „Kakanien“ hat Robert Musil in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ das Habsburger Vielvölkergebilde getauft. Jetzt entsteht es neu und wirkungsvoll. Europa, geschwächt durch Merkels Alleingänge, sortiert sich neu.

Dabei: Mit seinem Ansinnen an Griechenland will Österreichs Außenminister Kurz nichts anderes, als Kanzlerin Mutti Merkel auf EU-Ticket von Osman Erdogan möchte – bloß von der anderen Seite des Mittelmeeres. Die neuen Verbündeten aus dem alten Kakanien und darüber hinaus repräsentieren fast genau die, welche sich weiland immer wieder gegen die Türkenherrschaft des Osmanischen Reiches erhoben, während die Albaner sich gern als türkische Elitetruppen verdingten und hochrangige Militärs und andere Würdenträger stellten. Und Griechenland war lange, vielleicht zu lange Teil des osmanischen Reiches, gegen das Habsburg sich stellte und Europa verteidigte. Seltsam, welche uralten Mythen aktuell wieder aufbrechen. Und für Griechenland stellt sich die Frage: In Europa bleiben, oder doch eine westlich gelegene Fortsetzung der Türkei?

Griechenland hat eine sehr große Marine, an der deutsche Rüstungsfirmen seit jeher viel verdienen. Wenn Athen wollte, könnte es seine Wassergrenzen dicht machen. Die Türken könnten das auch. Die beiden können sich nicht einigen, verlautet aus der Umgebung der Kanzlerin. Das sei schlicht lächerlich, beide sind Nato-Mitglieder und können einen wenige Kilometer breiten Küstenstreifen nicht sichern – obwohl gerade Griechenland eine riesige Marine unterhält? Was wäre, wenn griechische und türkische Oligarchen, die Anteilseigner der riesigen Fluchtindustrie, dafür sorgen, dass ihre Quelle nicht versiegt?

Zwei feindselige Nato-Partner

Die nostalgischen Aspekte eines neuen, informellen Kakaniens werden schnell Ernst, wenn auch aus der Kanzlerin Nähe zu hören ist, überall wo sie und ihre Getreuen verhandelten, säßen der erste und zweite Weltkrieg mit am Tisch. Denn seit Ende des 1. Weltkriegs und dem Krieg zwischen der entstehenden Türkei und Griechenland sind sich beide in Abneigung verbunden und blockieren jede Lösung; selbst Zypern wurde geteilt und ist bis heute eine gespaltene Insel. Auch wenn Berlin dazu schweigt: In Wahrheit könnte Angela Merkel bei Sebastian Kurz und seinen Kakaniern heimlich mit am Tisch gesessen haben. Aus Mazedonien verlautet in Wien, dass die Quartiermacher für viele Uniformierte aus den neu alliierten Ländern schon dort unterwegs sind. Wenn sie an der griechischen Nordgrenze tun, was Griechen und Türken an ihrer noch hintertreiben, erhöht das den Druck zugunsten Merkels Versuchen. Lassen wir uns also von der öffentlichen Empörung nicht täuschen, die manche Medien aus Loyalität mit befördern – aber auch aus schlichtem Nichtwissen.

Und wenn wir schon davon sprechen: Sebastian Kurz hat nun zum wiederholten Mal vorgeführt, wie ein Politiker TV-Moderatoren kommunikativ zähmen kann. Da wächst ein neuer Kanzlerkandidat für Wien. In einer Situation der EU, in der die Karten erstmals ganz neu gemischt werden, schlägt die Stunde der kleinen Mitgliedsländer. Kakanien lebt. Berlin profitiert. Und hofft unter diesem Druck, dass es doch noch zu einer Verteilung der Flüchtlinge auf Europa kommt.

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Kommentare ( 3 )

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steyning
4 Jahre her

an dieser Stelle möchte ich nochmal Jan III Sobieski und unseren altehrwürdigen Nachbarn, den Polen, danken.

Udo Kemmerling
4 Jahre her

„Da wächst ein neuer Kanzlerkandidat für Wien.“ sowie „Und hofft unter diesem Druck, dass es doch noch zu einer Verteilung der Flüchtlinge auf Europa kommt.“ Zwei Sätze, die den Unterschied machen zwischen Ihnen und Frau Merkel. Sie, Herr Goergen, sind weitsichtig, gemessen am Datum des Artikels fast prophetisch (quasi der liberale Gegenentwurf zur Klima-Antichristin aus Schweden), und Frau Merkel immer noch verbohrt, angesichts der Tatsache, dass auch 3 Jahre und 3 Monate später immer noch über Flüchtlingsverteilungsfantasien gefaselt wird. Respekt!!!

Michaela Gmeiner
6 Jahre her

Mich auch bitte! Wir sind die mit den weiß-blauen Rauen in der Fahne! ;-))