Kevin Kühnert hat gelogen

Von seinem Posten als Generalsekretär der SPD hat sich Kevin Kühnert mit dem Hinweis auf seine angeschlagene Gesundheit zurückgezogen. Das war gelogen, wie er nun indirekt zugibt. Der wahre Grund sei die Angst vor rechtsextremen Übergriffen gewesen – doch auch an der Geschichte gibt es berechtigte Zweifel.

IMAGO / Bernd Elmenthaler

Der Moderator Carsten Spengemann stand vor gut 20 Jahren vor Gericht. Eine Frau warf ihm vor, nach einer Liebesnacht einen Ring gestohlen zu haben. Er sagte, sie habe ihm diesen geschenkt. Aussage gegen Aussage. Eigentlich. Doch der Richter sprach Spengemann schuldig. Der hatte bei den Angaben zu seinem Verdienst nachweislich gelogen. Wer einmal lüge, sei auch weiterhin unglaubwürdig, begründete der Richter den Schuldspruch.

Kevin Kühnert hat auch gelogen. Seinen Rücktritt als Generalsekretär und sein vorläufiges Ausscheiden aus der Politik begründete er mit seiner angeschlagenen Gesundheit. Das ist medial ein scharfes Schwert. Niemand traut sich so ohne weiteres, eine Aussage zur eigenen Gesundheit in Frage zu stellen. Gleichzeitig verschafft sie dem vermeintlichen Kranken eine Art Welpenschutz. Wer will schon einen Verriss über die Karriere eines Dahinsiechenden verfassen?

Dieser Welpenschutz hat konkrete politische Folgen: Die beiden letzten rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, Kurt Beck und Malu Dreyer (SPD), sind beide vorzeitig mit dem Hinweis auf ihre Gesundheit zurückgetreten. Beck hatte mit dem Nürburgring und dem Flughafen Hahn eine unglaubliche Serie von Pannen zu verantworten. Dreyer hatte sich während der Pandemie als Grinch erwiesen, der Ungeimpften das Weihnachtsfest verbieten wollte und dadurch an Beliebtheit eingebüßt. Sowie ihre Macht. Obwohl sie Alexander Schweitzer mit aller Macht und allen Tricks als Nachfolger verhindern wollte, setzte der sich in der SPD durch. TE gehörte zu den wenigen Medien, die den Abgang Dreyers daher als den einer Verliererin beschrieben. Die heimische Presse verteidigte sie erwartungsgemäß. Sie sei krank. Da beweise sie Größe, rechtzeitig zurückzutreten. Ihr da eine Verliererrolle zuschreiben zu wollen, sei infam. Die SPD sitzt immer noch in der Staatskanzlei und genießt das Wohwollen der rheinland-pfälzischen Hofpresse.

Kühnert trat noch vor der Bundestagswahl zurück. Er war als Generalsekretär der SPD einer der maßgeblichen Architekten der Ampel und damit an deren Baufälligkeit mitschuldig. Außerdem hatte er Olaf Scholz mehrfach öffentlich brüskiert. Den Kanzler und zu der Zeit auch noch der Kanzlerkandidat der SPD. TE attestierte Kühnert seinerzeit, deshalb müsse er zurücktreten. Ob er wirklich gesundheitliche Probleme habe, sei zweifelhaft. Dafür gab es Kritik. Auch aus dem liberal-konservativen Lager. Kühnert werde ja kaum eine Krankheit behaupten, nur um bessere Presse zum Abgang zu erhalten.

Nun ja. Jetzt hat Kühnert der Zeit ein Interview gegeben. In dem entscheidet er sich für eine andere Wahrheit als bisher: Er habe Angst vor körperlichen Übergriffen gehabt. „Meine rote Linie ist da, wo Gewalt in der Luft liegt. Ich bin nur 1,70 Meter groß.“ Es habe mehrere Vorfälle gegeben. So hätten ihm drei Männer in einer Straßenbahn in Halle mit Prügeln gedroht. Niemand sei ihm zu Hilfe gekommen. Er habe sich derart gefürchtet, dass er seinen Urlaub nur noch an einsamen Orten verbracht habe. Daher habe er sich – wie Nietzsches Denker – ins Gebirge zurückgezogen.

Die befreundeten Medien stehen weiter zu Kühnert. NTV titelt: „Kevin Kühnert äußert sich erstmals über Rücktrittsgründe.“ Nun, NTV, das ist – bestenfalls – falsch. Kevin Kühnert äußert sich zum zweiten Mal zu den Gründen seines Rücktritts. Beim ersten Mal hat er halt nur etwas komplett anderes behauptet. NTV und die SPD kämpfen Seit an Seit, wenn es um vermeintliche rechte Fehlinformationen geht. Wenn es um nachgewiesene sozialdemokratische Fehlinformationen geht, nuscheln sich NTV und SPD genauso Seit an Seit aus der Sache.

Der WDR täuscht seine Anhänger genauso über Kühnerts Lüge hinweg und behauptet, der habe sich nun „erstmals“ zu seinen Gründen geäußert. Kein Wort davon, dass er zuerst andere Gründe genannt hat. Ebenso wenig ein Zweifel, dass Kühnert auch dieses Mal wieder Unsinn erzählen könnte. Stattdessen übernimmt der WDR die Erzählung des ehemaligen SPD-Generals und zählt weitere Angriffe von Bürgern gegen Politiker auf. Immer von rechten Bürgern und immer gegen linke Politiker.

„Belastbare Zahlen zu solchen Vorwürfen sind schwer zu erheben.“ Behauptet der WDR. Nun ja. Eine Googelsuche „Wie viele Angriffe auf Politiker hat es gegeben“ führt direkt zu der Seite Statista.de. Dieses zeigt in einer anschaulichen Grafik an, dass es 2024 rund 4000 Angriffe auf Politiker gegeben habe. Die meisten auf Grüne mit 1187 Angriffen, die zweitmeisten auf die AfD mit 1031 Angriffen. Wobei zu den Angriffen auf Grünen auch gezählt wird, wenn die wie Robert Habeck oder Annelena Baerbock wieder einmal wegen vermeintlicher Beleidigungen Bürger verklagt haben.

Das haben die beiden in der abgelaufenen Wahlperiode hundertfach gemacht.
Belastbare Zahlen seien schwer zu erheben. So schreiben die Hüter der Wahrheit vom WDR. Nur stimmt das halt nicht. Keine 20 Sekunden dauert es, um an das Material zu kommen. Die Zahlen niederzuschreiben, benötigt deutlich mehr Zeit. Nur braucht es dazu die journalistische Bereitschaft, auch Wahrheiten anzunehmen, die außerhalb des eigenen Weltbilds liegen. Das bedeutet in dem Fall, dass es Gewalt gegen Politiker gibt. Ja. Aber dass diese genauso oft von der extremen Linken kommt und auf alle die zielt, die aus deren Sicht rechts sind. Nur das zuzugeben, fällt den Aktivisten des WDR tatsächlich schwer.

Also verbreiten sie lieber die Geschichte von ihrem Genossen, der zwar keinen Kratzer abbekommen hat, aber von den bloßen Androhungen so schwer getroffen war, dass er sich aus der Politik zurückziehen musste. Für Linke ist das ein Narrativ in ihrem „Kampf gegen Rechts“. Für alle anderen ist es eine zweifelhafte Aussage von jemandem, der in der gleichen Sache schon mal gelogen hat, als er behauptet hat, er sei nicht gesund. Wer schon mal gelogen hat, dem glaubt kein Mensch mehr. Zumindest kein gesunder. Nur Linke. Die glauben noch an ihre eigenen Lebenslügen, wenn sie diese selbst schon aufgegeben haben.

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Kommentare ( 87 )

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Raul Gutmann
16 Tage her

Ach das böse Wort mit L… – Wer wird denn so kleinlich sein, ist dies doch angesichts der Zustände im Jahr 2025 hierzulande nur eine Petitesse. Die zudem viele Vorgänger hat.
Auszugsweise nur zwei Fälle exemplarisch: Matthias Platzeck, der aufgrd. „Burn-out“ vom SPD-Vorsitz zurücktrat und trotzdem noch jahrelang Ministerpräsident war. Auch Sarah Wagenknecht nannte „Burn-out“ als Grund für ihren Rückzug aus der Bundespolit/BT-Fraktion(?). Trotzdem war sie weiter in den Talkshows präsent und gründete später ihre eigene Partei.
In ’schland als Meister der Wirklichkeitsverdrehung wie -verleugung hat sich Wahrheit als politisch-moralisches Kriterium disqualifiziert.

Last edited 16 Tage her by Raul Gutmann
November Man
15 Tage her

Wobei man zu Recht und Vorsicht darauf hinweisen muss das Statista seit 2015 zur Ströer Media gehört. Mit t-online.de, giga.de, kino.de und Watson.de ist Ströer auch im Bereich Informations- und Unterhaltungs-Medien aktiv. Also ein absolut unglaubwürdiger Verein.

Rachel
15 Tage her

Als er letztes Jahr zurück trat, hatte er vorher ein Interview im Spiegel gegeben, über homophobe Muslime auf der Straße, die seine Freoheit einschränken.
Jetzt sind es plötzlich Neonazis und „Coronaleugner“, na sowas …..
Passt wohl für das politische Comeack besser……

Last edited 15 Tage her by Rachel
Brauer
15 Tage her

Wenn ich als Jüdin durch Berlin laufe, habe ich am wenigsten Angst vor sogenannten Rechtsextremen. Da sehe ich Gestallten die mir wirklich Angst machen und das tagsüber. Wo verstecken sich eigentlich diese Rechtsextremen?

Sidetrack
15 Tage her

Kann es sein, dass das Vorziehen der BT Wahl die eigentlichen Pläne des kKK durchkreuzt hat?

verblichene Rose
15 Tage her

Ich frage mich gerade wen es eigentlich interessiert, warum Herr Kühnert nicht mehr „arbeiten“ kann? Aus gesundheitlichen Gründen ist allerdings auch von mir völlig akzeptiert. Und ohne es despektierlich zu meinen, glaubte ich schon, daß er sich vielleicht einen „Virus“ eingefangen hat. Auch das übrigens von mir nicht nur akzeptiert, sondern sogar völlig toleriert! Aber jetzt „das“! Also wenn sich „das“, als der echte Grund bewahrheitet, dann hege ich echte Zweifel daran, ob er jemals vor hatte, sich aus sozialpolitisch-ethischen Gründen ausgerechnet für die SPD so ins Zeug zu schmeissen. Denn die SPD hat sich m.M.n. selber als zur Partei… Mehr

Nibelung
15 Tage her

Was für eine bemitleidenswerte Figur und noch armseliger, die auf solche Typen zurückgreifen müssen, weil sie anscheinend nichts besseres zu bieten haben und das ist mittlerweile in allen Parteien der Fall, wo man nichts mehr erwarten kann und nur noch das alte Motto gelten kann, steig vom Kreuz und hilf dir selbst, denn alles andere ist zwecklos und Wahlen bringen nichts, weil man den Lug und Trug dahinter nicht belegen kann. Selbst wenn es nicht alle sein mögen, aber der Versuch von einigen ist schon zersetzend und da müßte gründlich aufgeräumt werden und nicht auf die Ankündigungen von Loosern vertrauen… Mehr

Schwabenwilli
15 Tage her

„Kevin Kühnert hat gelogen“

Ich denke nicht. Vor dem Hintergrund seines Lebenslaufes muss man erkennen, außer Spesen – für den Steuerzahler- nichts gewesen.
Im Grunde ein bedauernswerter Mensch.

HansKarl70
15 Tage her

Was Politik angeht hat bestimmt nicht nur Kevin Kühnert alles in seinem Sinn positiv dargestellt. Manche behaupten ja sogar das er gelogen hat. Nun bei den Vorbildern die da so existieren, wen wunderst?

Micci
15 Tage her

Kevin Kühnert. Ich weiß: keine Namenswitze – so das verständliche Diktum des ‚Focus‘-Gründers. Und es ist ja auch tatsächlich kein Witz: vor 20 Jahren wusste jeder Lehrer, was ihn erwartet, wenn er auf der neuen Klassenliste einen Kevin entdeckte. Da galt der Erfahrungs(!)satz: Kevin ist kein Vorname, Kevin ist eine Diagnose! Und hier haben wir, angesichts Beispielen von AfD-Mitgliedern, die mit einem Kantholz krankenhausreif geprügelt wurden (worüber sich dann der NDR auch noch köstlich amüsierte) ein anlassarm jammerndes Weichei, das für die Diagnosefähigkeit dieses Namens nun einen klaren Beweis nachreicht. Es könnten einem die Tränen kommen, angesichts der kantig-klaren Persönlichkeiten,… Mehr

Leroy
15 Tage her

Das war keine Lüge, sondern eine Sonder-Wahrheit.