Fake-Nuss der Woche: „Polizeischutz für Leipziger Schweinefleisch-Kitas!“

Jedenfalls funktioniert die mediale Arbeitsteilung nach wie vor: Im Kommentarteil über Fake-News und Hysterisierung der Gesellschaft klagen – und natürlich über Wutbürger: Im Nachrichtenteil Fake-News verbreiten und selbst an der Hysterisierung der Gesellschaft arbeiten.

Fotolia

Der Konfuzius- und der Rolando-Toro-Kindergarten in Leipzig hatten die Eltern vor einigen Tagen darüber informiert, künftig aus Rücksicht wegen zwei muslimischer Kinder beziehungsweise „aus Respekt gegenüber einer sich verändernden Welt“ nur noch schweinefleischfreies Essen auszugeben. Nach Diskussionen unter den Eltern und Protesten nahmen die Einrichtungen die Entscheidung zurück. Wie halten qualitativ hochwertige Medien das Thema weiter in den sommerlichen Schlagzeilen? Durch Steigerung.

Irgendjemand aus der AfD äußerte sich, es gibt „Wut“ – und nun: Polizeischutz für die Kindergärten! Denn, wie die Redakteure in ihren behelfsklimatisierten Büros nach kurzem Faktencheck feststellen: Leipzig! Liegt! In! Sachsen! Dem „dunkelsten Bundesland“ (Stern), in dem jetzt sogar Kindergärten vor Wutbürgern geschützt werden müssen.

„Wut wegen Schweinefleischverbot  –  Kitas wegen Speiseplan unter Polizeischutz“ titelte n-tv.

Die Berliner Morgenpost meldet:
„Es ist das vorläufige Ende eines ausufernden Streites – der sogar dazu führte, dass die beiden betroffenen Einrichtungen Polizeischutz bekamen.“

Der Merkur wusste:
„Sie hatten bereits die Polizeiwagen vor der Türe stehen: Die Entscheidung zweier Leipziger Kitas, ‘aus Respekt gegenüber einer sich verändernden Welt’ – wie es in der offiziellen Ankündigung hieß – künftig kein Schweinefleisch mehr zu servieren, stieß auf große Kritik. So sollten mögliche Gefahren durch die Polizeipräsenz abgewehrt werden.“

Spiegel Online: „Nachdem am Dienstag eine heftige Diskussion über den Verzehr von Schweinefleisch in zwei Leipziger Kitas entbrannt ist, schickte die örtliche Polizei einen Einsatzwagen zu den beiden benachbarten Einrichtungen. Ein Sprecher sagte, die Beamten sollten “mögliche Gefahren” abwehren.“

Die Süddeutsche jagte eine Twittermeldung in die Welt, in der sie sogar den Eindruck erweckte, der „Polizeischutz“ hätte irgendwie dazu geführt, dass die Kindergartenleitung ihre Entscheidung revidierte:

„Zwei Kitas in Leipzig wollen Schweinefleisch von der Speisekarte streichen – und sorgen bundesweit für Schlagzeilen. Nach heftiger Kritik und Polizeischutz vor der Tür machen sie einen Rückzieher.“

N-tv und andere illustrierten ihre Meldungen mit dem Foto eines von hinten aufgenommenen Polizisten, der vor einem der Kindergärten steht. Das scheint die Geschichte zu belegen. Nur: Nichts davon stimmt.

„Es ist nicht richtig, dass es dort Polizeischutz gibt oder gab“, teilt Leipzigs Polizei mit. Das heißt: Kein Redakteur, der die Geschichte vom „Polizeischutz“ textete, hatte sich die Mühe gemacht, bei der Leipziger Polizei oder den Kindergärten deswegen nachzufragen. SpOn fragte offensichtlich nach, machte dann aber aus der Mitteilung der Polizei, Polizisten seien zu dem Kindergarten gefahren, um dort kurz mit den Leitern zu sprechen, und dann wieder abgefahren, einen „Einsatzwagen“, der jetzt „vor den benachbarten Einrichtungen“ stehe. Für etwa 30 Minuten stimmte das ja auch. Tatütata!

Publico fragte bei der Polizei nach, wie das vermeintliche Belegbild mit dem Polizisten zustande kam.

„Kollegen von uns haben gestern ein präventives Gespräch mit den Verantwortlichen des Kindergartens geführt“, sagt Katharina Geyer, Sprecherin der Polizei Leipzig. Mit anderen Worten – sie fragten, ob alles in Ordnung sei. Und das war es wohl auch. Nie sei ein Polizeischutz gewünscht oder gar für nötig gehalten worden. „Da waren Kollegen vor Ort, sind ausgestiegen, reingegangen, und dann wieder weggefahren. Bei der Gelegenheit muss irgendjemand fotografiert haben“, so Geyer: „Zack, ist es in der Welt.“

Jedenfalls funktioniert die mediale Arbeitsteilung nach wie vor: Im Kommentarteil über Fake-News und Hysterisierung der Gesellschaft klagen – und natürlich über Wutbürger – und im Nachrichtenteil: s. oben.

Immerhin: Die Süddeutsche korrigierte ihre ursprüngliche Online-Meldung über den Polizeischutz.


Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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Kommentare ( 70 )

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manfred_h
4 Jahre her

Einfach kurz – aber RICHTIG, gesagt:

Lügen- & LückenMedien!

Hans Deutsch
4 Jahre her

Mich würde es interessieren, wie tolerant eine Kindertagesstätte in Syrien wohl wäre, wenn dort zwei christlich erzogene Kinder betreut werden würden? Gäbe es dann plötzlich auch christliche Feiertage im Jahreskalender und würde man den Ramadan und das Zuckerfest aus Rücksicht auf die beiden neu hinzugekommenen Kinder streichen und stattdessen Ostern, Pfingsten und Weihnachten mit Weihnachtsbaum feiern. Am besten noch mit gegrillten Schweinesteaks und Bratwürsten?
Ein jeder möge sich die Antwort selbst geben und sich dann vor Augen führen, welches Bild Deutschland mit solchen Verhaltensweisen in der Hardliner-muslimischen Welt abgibt.

manfred_h
4 Jahre her
Antworten an  Hans Deutsch

Sie haben absolut Recht, Gleiches habe auch ich gedacht.

WELCH irres u. beklopptes Land ist diese Deutschland im Jahre 4 nach 2015 nur geworden!?

Wegen eine absolute Minderheit von muslim 2 Persönchen muß/soll eine gesamte Kita ihre Lebebsweise zmatellen und verändern. WELCH linksgrünes Demokratiedenken.

UND wenn ich lese „aus Respekt gegenüber einer sich verändernden Welt“, dann schrillen bei mir auch alle Alarmglocken da für manche Kreise scheinbar schon festzustehen scheint WER bzw WELCHE KULTUR & „RELIGION der Liebe“ in diesem Land zukünftig die Mehrheit sein wird u. WER das Sagen hat

Bummi
4 Jahre her

Qualitätspresse. Genauso gab es die Hetzjagden in Chemnitz.

ossiosser
4 Jahre her

Sehr verdienstvoll ihre Medienanalyse. Würde ich gerne auch bei TE öfter lesen!

Eberhard
4 Jahre her

…Es gibt Wut… Nicht gerade Wut, aber Entrüstung darüber, das es in Deutschland bereits Ängste gibt, denen die freiwillig zu uns kamen, Böses anzutun, wenn wir uns nicht ihren Bräuchen und ihrer Kultur anpassen. Auf Schweinefleisch verzichten erscheint mir dabei noch als das Geringste. Gerade der islamische Kulturkreis hat da noch ganz andere Forderungen, bezüglich Einschränkung westlicher Lebensart und Freizügigkeit in petto. Ist selbst aber gerade nicht offen für westliche Einflüsse. Ich jedenfalls will nicht, dass unser über Generationen erkämpfter und bewährter fortschrittlicher Lebensstil, von Angsthasen und politischen Feiglingen, unter die Räder gebracht wird. Wer unter uns leben will, der… Mehr

Kristina
4 Jahre her

Warum legen eigentlich nicht die Frauen in den arabischen Ländern aus „Respekt vor einer sich verändernden Welt“ das Kopftuch ab? Dort gibt es doch auch Minderheiten, deren Frauen eigentlich kein Kopftuch tragen. Und warum werden dann nicht alle Türken zu Schweinefleischessern, wo dort doch deutsche Touristen sind?

Sonnenschein
4 Jahre her

A propos „Sachsen, dunkelste Bundesland“ –> *In römischer Zeit war der Name »Saxones« eine Bezeichnung für Piraten und Seeräuber. Erst ab dem 7. Jahrhundert n. Chr. werden im Reich der Franken auch die damaligen Bewohner von Niedersachsen und Westfalen »Saxones«, also »Sachsen« genannt. Ein Schimpfwort? Die »Sachsen« wollten die Herrschaft des Frankenkönigs nicht anerkennen. Erst Karl der Große konnte sie unterwerfen. Aber nur wenige Generationen später stieg mit Heinrich I. ein sächsischer Adliger auf den fränkischen Thron. Ihm folgte sein Sohn Kaiser Otto I., jetzt der mächtigste Mann Europas. Im Kloster Corvey schrieb der Mönch Widukind die Geschichte dieser stolzen… Mehr

mmn
4 Jahre her

Alles Vorboten einer islamischen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland. Man darf gespannt sein, ob im Rahmen dieser Entwicklung Einheimische konsequenterweise auch vermehrt zum Islam konvertieren bzw. ob dies irgendwann generell gefordert wird.

Andreas aus E.
4 Jahre her

Der „DLF“ treibt übrigens munter weiter seine Propaganda: Derzeit geben die dem Typen vom „Bildblog“ Raum für seine linken Ansichten. Aber wen wundert das? DLF ist besonders im Nachmittagsprogramm stramm linke Dauerpropaganda.

Sabine Ehrke
4 Jahre her

Ich empfehle in diesem Zusammenhang das Event ‚Schwimmen mit Schweinchen Babe‘ in öffentlichen Bädern.

Andreas aus E.
4 Jahre her
Antworten an  Sabine Ehrke

Gute Idee. Oder gemeinsames Schauen lustiger Filme wie „Die drei kleinen Schweinchen“, „Schweine im Weltall“ oder auch Muppets mit Frosch Kermit mit Miss Piggy.