Heile Finanzwelt? Nein, Ballern mit Spielgeld!

Wenn Staatsanleihen mit Minusrenditen zu den Favoriten der Großanleger gehören, kann etwas nicht stimmen. Aber was? Eine Reise zu den Höhen und Tiefen des Geschäfts mit Spielgeld.

War das eine Aufregung, als im vergangenen Februar die Rendite einer Anleihe des Schweizer Nahrungsmittelkonzerns Nestlé ins Minus rutschte. Und heute? Anleger haben sich daran gewöhnt, ja an noch viel mehr: Analysten des Finanzdienstes Bloomberg sind zum Ergebnis gekommen, dass mittlerweile allein europäische Staatsanleihen im Wert von 2 Billionen Euro negative Renditen haben.

Die neue Minus-Mentalität

Sind denn Anleger, die das mitmachen, vollkommen verrückt geworden? Ist die neue Minus-Mentalität das neue Normale? Eigentlich ja, aber uneigentlich nein. Jedenfalls ein Teil der Anleger. Denn sie haben sich etwas dabei gedacht, als sie in die Minusmacher eingestiegen sind. Zum Beispiel, dass es zur Deflation kommen könnte und dadurch zu Kursgewinnen mit Anleihen. Oder dass man mit den überwiegend liquiden Staatsanleihen ein Polster hat, das sich bei Bedarf schnell in Anlage-Alternativen umwandeln lässt.

Dient dieses Denken der Sicherheit? Keineswegs. Im Gegenteil, es handelt sich um Spekulation. Frei nach dem Motto: Die Renditen sind mehr als drei Jahrzehnte lang von zunächst zweistelligen Prozentsätzen immer weiter gefallen, bis sie Werte unter Null erreicht haben. Da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn sie nicht noch weiter ins Minus rutschen könnten. Eine gefährliche Spekulation. Zwar hat die EZB ihren Strafzins für Bankeinlagen gerade von minus 0,2 auf minus 0,3 Prozent gesenkt und so die Spekulation auf negative Renditen zusätzlich angeheizt. Aber sie hält nach wie an ihrem Inflationsziel von nahezu 2 Prozent fest. Würde sie es erreichen, müsste die Minus-Spekulation wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.

Vorliebe für Ramsch

Die einen spekulieren darauf, dass die Renditen der Staatsanleihen ihr Minus ausbauen, andere verfolgen eine davon abweichende Strategie, indem sie auf Ramschanleihen mit relativ hohen, aber äußerst unsicheren positiven Renditen setzen. Der Oberbegriff für solche Anleihen heißt Non Performing Loans (NPL); er umfasst alle Arten von notleidenden Krediten. Großanleger, vor allem private Banken, stürzen sich derzeit geradezu auf sie. Das geht aus einer aktuellen Studie des auf NPL spezialisierten Dienstleisters BKS in Zusammenarbeit mit der Frankfurt School of Finance & Management hervor. Woher kommt die Vorliebe für Ramsch?

Die übergroße Macht von Mario Drahgi
EURO: Entmachtet den Mann im Nadelstreifen
Ganz einfach: Investitionen in NPL versprechen hohe Erträge, falls sich aus fehlgeschlagenen Finanzierungen von Gewerbeimmobilien und aus notleidenden Ratenkrediten Substanz liquidieren oder mithilfe von Inkassospezialisten noch der eine oder andere Euro aus Bankkunden herausquetschen lässt.

Sowohl der Spekulation auf weiterhin negative Renditen als auch der NPL-Spekulation liegt der Glaube an eine weiterhin heile Finanzwelt zugrunde. Im ersten Fall werden EZB-Chef Mario Draghi geradezu magische Kräfte zugetraut: Er soll den Spagat zwischen negativen Renditen und dem positiven Inflationsziel von nahezu 2 Prozent schaffen. Im zweiten Fall geht man davon aus, dass die Konjunktur weiter anzieht und die EZB trotzdem bei ihrer extrem lockeren Geldpolitik bleibt. Der von Draghi verhängte Strafzins soll die Geschäftsbanken sogar anregen, der Konjunktur zusätzlich auf die Sprünge zu helfen.

Wasserpistole statt Bazooka

Die Finanzwelt ist jedoch nicht heil. Manchmal erweist es sich als nützlich, sie besonders dann genau zu beobachten, wenn sie ihr wahres Gesicht zeigt. Wie am vergangenen Donnerstag, als Draghi in einem kurzen Augenblick alle Anleger enttäuschte, die darauf spekuliert hatten, der EZB-Chef werde noch einmal kräftiger aus der Geld-Bazooka feuern. Er tat es weniger kräftig als erwartet. Allein schon dadurch stieg daraufhin die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen wie eine Rakete von 0,47 auf 0,68 Prozent. Legt man diese Zahlen auf absolute Beträge um, bedeutet das: Der Bund müsste auf seine zehnjährigen Anleihen mit einem Schlag um fast 45 Prozent höhere Zinsen berappen. Zugegeben, die kurzfristige Rendite-Explosion vom Donnerstag ist inzwischen einer gemächlicheren Entwicklung gewichen. Der Finanzdienstleister Oddo Securities kommentiert sogar: „Eine Bazooka? Nein, eine Wasserpistole.“
Dass die Explosion sich wiederholen kann, ist indes wegen der weltweit grassierenden Spekulation mit allem und jedem nicht von der Hand zu weisen.

Aktuell im Mittelpunkt: der Dollar. Dazu die weit verbreitete Ansicht, er werde gegenüber dem Euro stark bleiben. Begründung: Die US-Notenbank Fed müsse den Leitzins endlich erhöhen, Entscheidung bereits in eineinhalb Wochen, und das würde den Dollar weiter nach oben treiben. Dabei gerät allzu leicht in Vergessenheit, dass eine nahezu allmächtige Finanzinstitution, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die Fed ausdrücklich davor gewarnt hat, den Leitzins zu erhöhen. Auch hierzu eine Beobachtung zum wahren Gesicht der Finanzwelt: Unmittelbar nach der Draghi-Show vom Donnerstag fiel der Dollar gegen den Euro wie ein Stein. Danach zog der Goldpreis an; am Freitag schoss er sogar nach oben. Gold ist so etwas wie der natürliche Feind des Dollars. Die Spekulation verspricht schon bald in die nächste Runde zu gehen: Dollar runter, Euro und Gold rauf.

Richtiges Timing – das A und O des Anlageerfolgs

Und Aktien, für hartgesottene Spekulanten die wahren Vehikel zum Reichwerden? Ihre Erfolgsgeschichte während der vergangen Jahre kann sich sehen lassen, in Europa wie auch anderswo. An allen großen Börsen überwiegend vom vielen Spielgeld getrieben, das sich vonseiten der Notenbanken über sie ergoss – und weiter ergießt –, waren mal europäische, mal japanische, mal chinesische, mal amerikanische Aktien besonders gefragt. Letztere lagen während der vergangenen Monate in Front. Derweil legten deutsche Aktien eine Pause ein. Eine wesentliche Ursache: Amerikanische Fonds trennten sich von einem Großteil ihrer Bestände.

Wenn sich aus allen hier angestellten Überlegungen ein Fazit aufdrängt, dann dieses: Timing, also der Einstieg und Ausstieg zur richtigen Zeit, ist das A und O einer erfolgversprechenden Anlagestrategie für das kommende Jahr und darüber hinaus. Richtiges Timing setzt voraus, dass man sich gründlicher als üblich mit dem Auf und Ab an den Börsen beschäftigt. Überlassen Sie die Spekulation mit negativen Renditen und Ramschanleihen denen, die glauben, damit zurechtzukommen. Rechnen Sie damit, dass Draghi mit der Spielgeld-Bazooka so lange in bisheriger Stärke um sich ballern wird, bis er seine Ziele erreicht hat oder bis ein außergewöhnliches Ereignis, etwa die Pleite einer Bank oder einer Versicherung, ihn zu noch drastischeren Maßnahmen zwingen würde. Deutsche Aktien dürften nach zwischenzeitlichen Rücksetzern bis auf Weiteres von Draghis extrem lockerer Geldpolitik profitieren. Ähnliches gilt im Großen und Ganzen auch für japanische und chinesische Aktien. Und weil Gold besonders in Zeiten einer insgesamt kaum heilen Finanzwelt eine Art Versicherung gegen deren Unbilden ist, gehört es in jedes strategisch ausgerichtete Portfolio.

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