Israel: Beduinen-Proteste gegen Bäume-Pflanzen lösen Staatskrise aus

Der ökologisch fundierte Regierungsplan, die Wüste Negev zu bewalden, löste die größte Krise der 200 Tage jungen Acht-Parteien-Koalitionsregierung in Jerusalem aus. Ansässige arabische Beduinen zeigten wenig Sinn für moderne Ökologie.

IMAGO / Xinhua
Israelische Polizisten nehmen Demonstranten gegen eine Aufforstungsprogramm in der Negev-Wüste fest, 12. Januar 2022.

Weil Israel und der Nahe Osten sonst keine Probleme haben: Der ökologisch fundierte Regierungsplan, die Wüste Negev mittels eines Baum-Pflanzungsprogramms zu begrünen, löste die größte Krise der 200 Tage jungen Acht-Parteien-Koalitionsregierung in Jerusalem aus. Einen teilweise gewaltsamen Protest gegen die Bepflanzungsaktion haben Hunderte von Beduinen ausgerufen: Ihre Jahrhunderte alte Tradition kennt keine moderne Ökologie des 21. Jahrhunderts.

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Wer noch vor 30 Jahren von Tel Aviv aus in Richtung Süden aufgebrochen ist, befand sich nach spätestens 30 Autominuten bereits in der Wüste. Heute sind Hunderte Quadratkilometer, begrünt und urbar gemacht, Teil der Kornkammer des schnell wachsenden Israels. Dahinter steckt die Jewish-National-Fund (JNF) – KKL-Organisation, die 1901 – lange vor der Staatsgründung Israels – mit der Bepflanzung des Landes begonnen hat. Davon wollen zahlreiche Beduinen-Stämme nichts wissen. Sie sperren die Wüsten-Straßen in Richtung Süden und werfen Steine auf die Bepflanzungstrupps, die in diesen Tagen ausgerückt sind, um junge Bäume in den Boden zu stecken und zu bewässern. Denn in Israel steht das jüdische Tu-Bishvat-Fest vor der Tür. Kein Bibelfest, aber ein traditioneller Tag der Freude an der Natur, der das „Neue Jahr der Bäume“ einläutet. Heuer müssen aber Hundertschaften der Polizei anrücken. Bei den Auseinandersetzungen gab es auch zahlreiche Verletzte und Festnahmen.

Im Süden Israels leben 210.000 Beduinen, ein Drittel der regionalen Bevölkerung, von denen über die Hälfte bereits sesshaft geworden sind. Mindestens 30.000 leben noch immer als Nomaden nach dem ungeschriebenen Grundsatz ihrer Vorfahren: Das Land, auf dem meine Schafe weiden, gehört mir. Das widerspricht nicht nur geltenden Gesetzen, sondern auch dem Recht des Osmanischen Reiches, das 400 Jahre lang bis zum Ersten Weltkrieg und auch während der britischen Mandatszeit bis 1948 galt. Aus dieser Zeit stammt auch der Tabo-Begriff, der aus der Zeit der türkischen Herrschaft das Grundbuch beschreibt und heute noch im Sprachgebrauch verwendet wird.

Seit 73 Jahren ist Israel eine Demokratie, also ein Rechts- und Sozialstaat. Das hat sich in dem kleinen Land am Ostrand des Mittelmeeres noch nicht bei allen 9,4 Millionen Bürgern herumgesprochen. Seit Jahrzehnten versuchen Regierungen aller Couleur das Beduinen-Problem zu lösen. 2007 hat die Regierung ein Milliarden-Programm aufgelegt, mit dem Ziel, die Beduinen als Bürger gleichzustellen. Teilweise ist es gelungen, aber noch leben zu viele in der alten Tradition ihrer archaischen Gesetze. Gesetze, die auch in keinem anderen arabischen Land gelten, weiß Naomi Kahn, die die internationale Abteilung der Nicht-Regierungs-Organisation Regavim leitet.

Die vorwiegend als Schafzüchter Tätigen merken dabei nicht, dass sie politisch missbraucht werden. Die arabische Ra´am-Partei, Zünglein an der Waage in der Bennett-Regierung, nutzt die Gelegenheit, mit geballter Faust aus der Lage politisches Kapital zu schlagen. Menschen seien wichtiger als Bäume, tönen sie, und ihre Clan-Tradition ist ihnen allemal wichtiger, als das Welt-Klima zu retten. Man braucht nicht viel Phantasie zu erkennen, dass dieser neue Versuch, Beduinen und die Südregion Israels zu befrieden, sozialen Sprengstoff enthält. Das findet auch Ausdruck in den 2900 Klagen, die von 12.000 Beduinen-Familien eingereicht auf eine Gerichtsentscheidung warten.

Genügend Gesprächsbedarf
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In dieser Gemengelage dürfen die Palästinenser aus Ramallah/Westbank mit ihren Standard-Vorwürfen nicht fehlen: Hinter dem jüdischen Baumpflanz-Programm stecke ein Enteignungsprogramm krimineller Besatzer, ruft die Palästinensische Befreiungs-Organisation (PLO). Aussagen, die zwar laut vorgetragen werden, aber jeder rechtlichen und historischen Grundlage entbehren.

Mit geltendem Recht und einem Hinweis auf die Rechtsgeschichte kommt man in dieser Region Israels ohnehin nicht weit. Die Regierung hat das Baumpflanz-Programm erstmal gestoppt. Andernfalls hätten die arabischen Koalitionspartner die dünne Regierungsmehrheit aufgekündigt. Die Drohung ihres Anführers Mansour Abbas liegt seit Tagen auf dem Tisch.

Tumultartige Diskussion in der Knesset, im Israelischen Parlament, hat vor einer Woche bereits das Elektrizitäts-Gesetz ausgelöst. Mehrere Beduinen-Dörfer sollten nach einer Wasser-Anbindung auch an das Stromnetz angeschlossen werden. Der Regierungsplan sah vor, auch jenen Beduinen, die illegal gebaut hatten, die Möglichkeit zu geben, ihre Hütten zu beleuchten und im wüstenkalten Winter elektrisch zu heizen. Das rief die Juristen auf der rechtsnationalen Seite auf den Plan, die einen klaren Verstoß gegen die staatliche Rechtsordnung lautstark beklagten. Die Diskussion geriet vollständig aus den Fugen und selbst Ministerpräsident Bennett verlor dabei erstmals die Contenance, musste von Parteifreunden beruhigt werden.

Recht haben und Recht bekommen sind zwei Seiten der gleichen Medaille, die sich bisher noch keine Regierung umhängen konnte. Die Bennett-Regierung hat aber zumindest ein Datum festgelegt: Bis 2035 soll eine Lösung gefunden werden.

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Kommentare ( 28 )

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Tilo
2 Jahre her

>>Die vorwiegend als Schafzüchter Tätigen<<
Oh je.
Sind damit Schäfer bzw. Schafhirten gemeint? Wenn ja, könnte man das nicht auch so ausdrücken, also in normalem Deutsch?

P. Pauquet
2 Jahre her

Nachtrag: Kurze ökologische Erklärung für Bedu-Weide“wirtschaft“. Also von Wirtschaft kann schon mal gar keine Rede sein. Ich weiß nicht, ob der Begriffsinhalt in ihrer Sprache überhaupt existiert? Es gibt, wie wohl Allen bekannt, 3 Tierarten die im Orient und Afrika “bewirtschaftet“ werden. Kühe, Schafe und Ziegen. Wenn sie hier mal Gelegenheit haben, beobachten sie mal, wie diese Tierarten unterschiedlich weiden. Dann wissen sie Bescheid. Von den beiden Letzteren sind Ziegen das Schädlichste, Katastrophalste was es für ein Ökosystem gibt. – Wenn ein Schwarm Heuschrecken über’s Land zieht, ist bekanntermaßen jegliches Grün weg. Aber Holz und Wurzeln bleiben übrig. Nach Niederschlag… Mehr

Last edited 2 Jahre her by P. Pauquet
Deutscher
2 Jahre her

Für Bäume und gegen Kamelherden spricht allein schon die CO2-Bilanz.

Deutscher
2 Jahre her

Das Nomadentum als Lebensform ist ein altsteinzeitliches Relikt und war im Grunde schon vor 5000 Jahren veraltet. Mohammeds Kriegs- und Beutezüge waren ein später Versuch, unter religiösem Vorwand den zivilisatorischen Fortschritt aufzuhalten und die Menschheit wieder in den Nomadenmodus zurückzuführen: Ein aussichtsloses Unterfangen!

Außerdem brauchen wir Bäume für das Klima, während die Kamelherden der Nomadenvölker Unmengen an CO2 produzieren.

Last edited 2 Jahre her by Deutscher
Konservativer2
2 Jahre her

Und wieder ein willkommener Anlass, sich mit Arabern zu solidarisieren, Hurra!

Interessant immer wieder, wenn man darüber hinaus mitbekommt, welche Nachrichten in den entsprechenden Redaktionskonferenzen als uninteressant genug beurteilt werden, um uns nicht damit zu behelligen. Na ja, wäre jedenfalls interessanter als die x-tausendste Corona-Panikmache oder ein minutenlanger Berichjt über das Ableben eines EU-Granden, den keiner hier zur Kenntnis genommen hat.

Michaelo
2 Jahre her

Sicher waren es noch vor 40 Jahren 50000 Beduinen, deshalb ist das Land jetzt schon knapp. Übertroffen nur von den Palistinänsern, die lange Zeit die höchste Geburtenrate der Welt hatten. DER Sprengstoff des gesamten Arabischen Raumes.

LM_978
2 Jahre her

Ich habe zugegebenermassen grundsätzlich grössere Sympathien für Israel, als für seine Gegner. Vor 2 Jahren noch, hätte ich deswegen ohne Zweifel hier kein Verständnis für diese Beduinen gehabt. Seit meinen Erfahrungen in Deutschland wegen Corona und der Politik dabei habe ich aber gelernt, wie eklig es sein kann, wenn Mehrheiten das Leben von Minderheiten bestimmen wollen, keinen Respekt vor ihren Meinungen, Ansichten und Ängsten haben, oder auch schlicht ihren Wünschen hinsichtlich ihrer Lebensentscheidungen. Ich bin da sehr vorsichtig geworden. Klar ist natürlich, dass das von grundsätzlich antiisraelischen Gruppen verurteilenswerter Weise ausgenutzt wird. Eine Lösung scheint mir hier sehr schwer. Ich… Mehr

Petra Horn
2 Jahre her

Wahrscheinlich ist die Lebensweise der Beduinen der Grund dafür, daß die ganze Gegend verwüstet ist. Nomaden brauchen mehr Platz als Ackerbauer. Die Auseinandersetzung darüber war übrigens auch der Grund für den ersten Mord der Menschheitsgeschichte, der überdies genau in dieser Gegend stattfand.

Sonny
2 Jahre her

Es wäre jetzt leicht zu sagen, dass die Nomaden der Wüste doch alle aufgrund ihrer mangelnden Bildung völlig durchgeknallt sind. Ich tendiere auch dazu. Aber: Die wissen es nicht besser. Und sie wollen ihr Leben so behalten, wie es ist. Für Indianer hat man damals Reservate erschaffen. Warum nicht auch für die Wüstenbeduinen? Gut Ding will Weile haben. Eine solch eingreifende Veränderung einer ganzen Volksgruppe geht nur langsam, mit der Brechstange schon gar nicht, es sei denn, man hält eine flächendeckende Ausrottung eines Volksstammes für opportun. Schließlich hinken die mindestens 400 Jahre hinter der modernen Zeit zurück. Die Wüstenbeduinen werden… Mehr

Petra Horn
2 Jahre her
Antworten an  Sonny

Da zeigt sich schon auch die Diktatur der Mehrheit. Die sagt, ihr dürft nicht mehr so leben, wie ihr es seit Jahrtausenden getan habt.

Sonny
2 Jahre her
Antworten an  Petra Horn

Hm. Diktatur der Mehrheit, ich weiß nicht, dass ist mir too much.
Wohin allerdings eine übermäßige Toleranz für Randgruppen und -interessen führen kann, die dann auch noch die Macht übernehmen, hat Deutschland in der jüngeren Vergangenheit ja eindrücklich demonstriert. Mit dem Ergebnis, dass Deutschland gerade den Bach runtergeht.
Aber nach Auswegen wird gar nicht mehr gesucht – es gibt nur noch schwarz oder weiß.

Last edited 2 Jahre her by Sonny
Manfred_Hbg
2 Jahre her
Antworten an  Sonny

Mhh, ich denke den Fall mit den Beduinen kann man aber nicht mit Deutschland vergleichen. Denn so wie ich den Artikel cwrstanden habe, drängen/zwängen sich die Beduinen ja NICHT den Israelus auf, sondern wollen nur ihn ihrem tradionel gewohnten Gebiet bleiben und weiterhin ihren eigenen gewohnten Lebensstil leben. Weshalb ich diesen Fall der Beduinen in meinen Kommentar weiter unten dann auch mit den australischen Aborigines verglichen habe.

Ansonsten sehe ich diesen Fall sehr ähnlich wie in Ihrem obigen/ersten Kommentar.

Slawek
2 Jahre her

Das mit den Bäumen in der Wüste könnte sogar funktionieren. Der Wald kühlt die Luft ab und zieht somit Regen an. Wahrscheinlich geht es um genau diese Frage.