Die Israelis wählen den Sicherheitsgaranten Netanjahu – trotz aller Vorwürfe

Der Sieger der Parlamentswahlen in Israel ist offenbar erneut Benjamin Netanjahu, der Spitzenkandidat der konservativen Likud-Partei. Gegen den wird aber in zwei Wochen ein Korruptionsprozess eröffnet.

Artur Widak/NurPhoto via Getty Images

Likud kann nach neuen Prognosen mit 36 bis 37 Mandaten im israelischen Parlament, der Knesset, rechnen. Der Herausforderer Benny Gantz (Mitte-Bündnis Blau-Weiß) bleibt offensichtlich Anführer der zweitstärksten Kraft, für ihn werden zwischen 32 bis 34 Mandaten prognostiziert.

Auch in Israel haben viele Bürger Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Trotzdem war die Wahlbeteiligung bis zum Abend vergleichsweise hoch. Angaben des Zentralen Wahlkomitees zufolge lag die Wahlbeteiligung bei Schließung der Wahllokale bei etwa 71 Prozent. Das sind immerhin 1,6 Prozentpunkte mehr als bei den Wahlen im September 2019.

Wahlkampf: Netanjahu setzt auf Abgrenzung von den arabisch-israelischen Parteien

„Überlebenskünstler“ (ntv) Netanjahu gilt in Israel den meisten Bürgern als Sicherheits-Garant, der willens und fähig ist, die Grenzen des Staates gegen seine feindlich gesinnten, arabischen Nachbarn nachhaltig zu verteidigen. Er kann auch immer wieder auf die pulsierende und hoch leistungsfähige Wirtschaft – mit vergleichsweise sehr wenig Arbeitslosen – verweisen. Sein neues Nationalitätsgesetz – mit elf Artikeln auf rund 20 Zeilen – hat unter den jüdischen Israelis viel Zuspruch erfahren. Unter den arabischen Bürgern und Parteien Israels hat es freilich gegen das Gesetz großen Widerstand gegeben, weil es ausdrücklich Israel zu einem jüdischen Staat erklärt.

Der jetzige Premier Netanjahu hatte Oppositionsführer Gantz im Wahlkampf häufig vorgeworfen, er sei willens, mit arabisch-israelischen Parteien ein Bündnis zu schließen, um so die notwendigen Mehrheiten für eine „Mitte-Links-Regierung“ zusammen zu bekommen. Von den etwa neun Millionen Einwohnern Israels sind mittlerweile rund 20 Prozent Araber, die sich selbst als Palästinenser bezeichnen.

Netanjahu sieht seine Bündnispartner nicht zuletzt auch in den USA. Er unterstrich im Vorfeld der Wahlen immer wieder sein gutes Verhältnis zu US-Präsident Donald Trump, und er hatte betont, er habe maßgeblich mitgewirkt an dem neuen Nahost-Friedensplan der USA, der unter wesentlicher Mitwirkung von Trumps Berater und Schwiegersohn, Jared Kushner, entstanden ist. Dass die Palästinenser – interessanterweise im Gegensatz zu einigen arabischen Staaten – den US-Friedensplan strikt ablehnen, hat die Popularität Netanjahus in seinem Lande keineswegs erschüttern können.

Insgesamt werden sich nach dieser Wahl – es war die dritte nationale Abstimmung innerhalb weniger Monate, um eine regierungsfähige Mehrheit in der Knesset zu ermöglichen – zwei Parteien-Gruppierungen gegenüberstehen:

  • Netanjahus „rechts-religiöses Lager“ prognostizieren drei TV-Sender 59 bis 60 Sitze in der Knesset. Dieser Gruppierung gehören an: der konservative Likud, der Jamina-Parteienblock von Verteidigungsminister Naftali Bennett und strengreligiöse Parteien. Die rechtsradikale Ozma Jehudit (Jüdische Kraft) ist anscheinend mit 3,25 Prozent der Wählerstimmer an der Sperrklausel gescheitert.
  • Das Mitte-Links-Lager Gantz’ rechnet mit 52 bis 54 Parlamentsmandaten. Zu diesem Lager werden gezählt: Gantz‘ Bündnis Blau-Weiß, die linksliberale Liste von Arbeitspartei, Merez und Gescher sowie auch die Vereinigte Arabische Liste. Die arabischen Parteien, die offiziell nicht als potentielle Koalitionspartner Gantz’ gelten, kamen nach bisherigen Prognosen auf etwa 14 bis 15 Mandate (dass offensichtlich längst nicht alle arabischen Bürger arabische Parteien wählen, ist dabei ein interessantes Phänomen).

Netanjahu erklärte sich nun via Twitter selbstbewusst zum Gewinner der Wahlen, er schrieb bei Twitter „von einem ‚enormen Sieg für Israel’ und bedankte sich bei seinen Wählern“. Auch Parlamentspräsident Juli-Joel Edelstein, der ebenfalls zur Likud-Partei gehört, sah sich frohen Mutes motiviert zu twittern – er meint, die Likud-Partei werde rasch eine „starke und gute Regierung bilden“.

Netanjahus Rivale Gantz gibt sich angesichts der Wahlergebnisse eher bescheiden. Er dankte den „mehr als einer Million Wählern“ seiner Partei und kündigt schon mal an: „Ich werde für euch weiter um den Weg kämpfen.“ Der arabische Abgeordnete Ahmed Tibi (Vorsitzender der „Arabischen Bewegung für Erneuerung“) sprach einem TV-Bericht zufolge von einer bedauerlichen „Niederlage“ von Blau-Weiß.

Koalitionsverhandlungen: Präsident Rivlin gehört nicht zu den Freunden Netanjahus

Das amtliche Endergebnis wird voraussichtlich in etwa einer Woche vorliegen. Anschließend hat Präsident Reuven Rivlin eine Woche Zeit zu entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Üblicherweise erhält den Auftrag der Vorsitzende der Fraktion mit den meisten Sitzen im Parlament. Er hat zur Regierungsbildung bis zu sechs Wochen Zeit.

So oder so: Die Sache wird für Netanjahu nicht einfacher dadurch, dass Rivlin zu den Gegnern Netanjahus zählt. Der Präsident befürwortet für Juden und Palästinenser die „Ein-Staat-Lösung“, die vom amtierenden Regierungschef und seinen Bündnispartnern kategorisch abgelehnt wird.

Die kommenden Koalitionsverhandlungen werden jedenfalls wiederum schwierig sein. Für eine Regierungsmehrheit im israelischen Parlament sind mindestens 61 der insgesamt 120 Parlamentssitze notwendig. Eine womöglich ausschlaggebende Rolle wird deswegen wiederum der Ex-Verteidigungsministers Avigdor Lieberman spielen können. Seine Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) erhielt den Prognosen zufolge sechs bis acht Mandate. Liebermanns Partei wird von Linken gern als nationalistisch bezeichnet, sie hat vor allem Anhänger unter den russischen und osteuropäischen Einwanderern.

Liebermann hatte die von Netanjahu ausgehandelte Waffenruhe mit der Hamas als „Kapitulation vor dem Terror“ bezeichnet. Auch hatte der damalige Verteidigungsminister – im krassen Gegensatz zu Bündnispartnern Netanjahus – erklärt, er sei entschieden gegen die Wehrdienst-Befreiung von streng-orthodoxen Juden.

Bevorstehender Gerichtsprozess gegen Netanjahu vor allem politisch begründet?

Eine weitere Schwierigkeit könnte sich daraus ergeben, dass wohl in zwei Wochen ein sogenannter Korruptionsprozess gegen Netanjahu beginnen wird. „Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Netanjahu Betrug und Untreue sowie Bestechlichkeit vor“ (Tagesschau). Es geht dabei um den Verdacht der Beeinflussung von Medien, angeblich krumme Deals mit Unternehmen und um angebliche Luxusgeschenke befreundeter Geschäftsleute. Die entsprechenden polizeilichen Ermittlungen – auch gegen die Ehefrau Netanjahus – laufen seit Jahren.

Der Regierungschef weist dies Vorwürfe entschieden zurück, die aus seiner Sicht im Kern politisch-rechtliche Intrigen sind und die seiner Meinung auch von den oppositionellen Parteien für den Wahlkampf zu Unrecht fortwährend instrumentalisiert worden sind. Die Anhänger Netanjahus sprechen von primär politisch geprägten Ermittlungen, die von einer eher links ausgerichteten Staatsanwaltschaft voran getrieben worden seien. Konservative sagen sogar, die Ermittlungen seien im Kern ebenso haltlos und ähnlich politisch fundiert wie die Untersuchungen von US-amerikanischen Justiz- und Parlamentsinstitutionen, die Präsident Trump hatten zu Fall bringen wollen.

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Kommentare ( 7 )

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pcn
4 Jahre her

20% der arabischen Israelis bezeichnen sich inzwischen als „Palästinenser“. Man stelle sich vor: Im Iran würden sich 20% der Iraner als „Israelis“ bezeichnen….
Erstens, man erkennt, wie groß die Gefahrenlage für Israel ist, und zweitens, welch großartige Demokratie und gleichzeitig die einzige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten ist. Netanjahu wirkt durch seine Entschlossenheit und gibt Israel das Sicherheitsgefühl, was Israelis brauchen, um der permanenten Bedrohung durch Hass und Gewalt muslimischer Extremisten zu begegnen.

Cosa nostra
4 Jahre her

Was ? Mit 36 Sitzen hat man die Mehrheit in einem Parlament? Das kann ja gar nicht sein, Demokratie braucht doch mindestens 800 Abgeordnete!

Kein Wunder, dass die Knesset ihre Dinge schnell auf die Reihe kriegt, mit einem Bruchteil der Laberköppe.

Weiss
4 Jahre her

Der in meinen Augen sehr wichtige israelische Historiker Benny Morris sagt aktuell, dass er mit einer Zweistaaten-Lösung nicht rechnen würde. Die Palästinenser würden das nach seiner Einschätzung nicht unterstützen. Ich teile seine Ansicht. Persönlich halte ich die grosse Mehrheit der Araber und auch die Führung der Palästinenser nicht für friedens- und kompromissfähig. Das hat der Ablehnung des Friedensplans von Trump gezeigt. Herr Morris ist in den letzten Jahren auch immer pessimistischer geworden. Hier ist ein aktuelles Interview mit Benny Morris: In Bay Area, candid Israeli historian Benny Morris sounds off on genocide and politics https://www.jweekly.com/2020/02/24/in-bay-area-candid-israeli-historian-benny-morris-sounds-off-on-genocide-and-politics/ Es kann sein, dass Israel… Mehr

Thomas Holzer
4 Jahre her

Die Israelis wählen den, welchen sie für richtig erachten und nicht den, welchen die EU bevorzugt ????

prague
4 Jahre her

Gratulation Herr Netanjahu.

RMPetersen
4 Jahre her

Es hat schon vernünftige Gründe, „rechts“ zu wählen, wenn drumherum mehrere feindliche Nachbarn das Land zerstören und die Menschen ins Meer jagen wollen.

(In dem Zusammenhang: Man sollte sich einmal in Israel anschauen, wie sie ihre Grenzen sichern.)

Cosa nostra
4 Jahre her
Antworten an  RMPetersen

Grenzen sind gar nicht zu sichern! Das zeigt uns Merkels Heimat 1949-89 und gerade aktuell Griechenland. Wo wir es nicht sehen, ist z.B. die türkisch-bulgarische Grenze. Da halten nämlich keine „Sozialtouristen“ ihre Kinder in die Kameras…komisch… Die wollen gar nicht nach Europa oder gar Deutschland, die wollen wirklich nur nach Griechenland…!? Augsteins „Spiegel“ schrieb heute zu den griechischen Inseln, daß dort der „Hass gesiegt hätte“. Das merke ich mir, falls die Strassenbahn mal so voll ist, daß selbst ein Tokioer Bahnstopfer niemanden mehr rein kriegt. Sollte übrigens auf diesen Insel Corona ausbrechen, werden sie auf „uns“ zeigen und Boote in… Mehr