Die Infantilisierung der Apokalypse

Während die Demonstranten in der Vergangenheit forderten, wie Erwachsene behandelt zu werden, verlangen die Klimaprotestler heute, wie Kinder behandelt zu werden. Warum ist das eigentlich so? Warum haben sich die linken Aktivisten in ihrer Taktik zurückentwickelt? Von Michael Shellenberger

IMAGOO/Zuma Wire

Milch auf den Boden kippen. Essen an die Wände schmeißen. Sich weigern zu essen. Ankleben von Körperteilen. Das Werfen von Farbe. Sich weigern zu gehen. Drohungen, in die Hose zu pinkeln und zu kacken. Anschuldigungen schreien. Sind das die Verhaltensweisen eines Kleinkindes, das einen Wutanfall hat? Ja. Aber es sind auch die vorherrschenden Taktiken der heutigen „Klimaaktivisten“.

Nehmen wir den Fall von Gianluca Grimalda. Am 19. Oktober klebte Grimalda ich zusammen mit 15 anderen Mitgliedern einer Klimaaktivistengruppe namens Scientist Rebellion auf dem Boden des Besucherzentrums neben einem Volkswagenwerk in Deutschland. Das Sicherheitspersonal von VW brachte Grimalda und den anderen aktivistischen Wissenschaftlern Pizza, aber Grimalda fühlte sich nicht respektiert und rief als Vergeltung einen Hungerstreik aus.

Grimalda zeigte sich sofort empört über seine Behandlung. „VW hat uns gesagt, dass sie unser Recht auf Protest unterstützen“, beschwerte er sich auf Twitter, „aber sie haben unsere Bitte abgelehnt, uns eine Schüssel zur Verfügung zu stellen, damit wir anständig urinieren und defäkieren können, während wir festgeklebt sind, und sie haben die Heizung abgestellt.“

Viele wiesen schnell auf die kindische Natur des Protests hin. „Ich bin ein seriöser Wissenschaftler, der gegen fossile Brennstoffe protestiert“, schrieb ein Nutzer. „Jetzt macht die Gasheizung an und bringt mir mein Töpfchen.“

Gianluca Grimalda (ganz rechts) und andere Klimaaktivisten protestieren vor dem Besucherzentrum von Volkswagen

Die Aktivisten sagen, dass diese kindische Taktik notwendig war. Grimalda twitterte, dass er und seine Kollegen protestieren, „bis unsere Forderungen zur Dekarbonisierung des deutschen Verkehrssektors erfüllt sind“. Am Sonntag, nachdem Klimaaktivisten in Deutschland Kartoffelbrei auf ein Monet-Gemälde geworfen hatten, schrien sie die umstehenden Museumsbesucher an. „Wir werden unsere Familien im Jahr 2050 nicht mehr ernähren können“, behaupteten sie wegen des Klimawandels.

Doch Volkswagen hat sich bereits im vergangenen Jahr verpflichtet, den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren bis 2035 einzustellen, und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) prognostiziert selbst bei sehr hohen Temperaturen steigende Erträge, solange die Landwirte weiterhin Dünger, Bewässerung und Traktoren einsetzen. Das heißt, die Erträge werden auch unter dem Klimawandel weiter steigen, solange die Landwirte nicht auf die Ratschläge der Klimaaktivisten hören.

Die Aktivisten, die immer wieder wertvolle Kunstwerke und sich selbst entwürdigen, behaupten, sie seien um die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Energie besorgt, doch indem sie sich gegen die Förderung von Öl, Gas und Düngemitteln wehren, verringern sie aktiv beides. In den letzten Monaten habe ich die Forderungen der Klimaaktivisten als fanatisch bezeichnet und auf eine Vielzahl von Beweisen hingewiesen, die darauf hindeuten, dass Nihilismus, Narzissmus und Gefühle der persönlichen Unzulänglichkeit die Hauptmotive sind.

Aber Nihilismus, Narzissmus und persönliche Unzulänglichkeit allein erklären nicht, warum die Klimaaktivisten sich für Wutanfälle entschieden haben. Schließlich haben die größten Protestbewegungen aller Zeiten weitaus erwachsenere und würdevollere Taktiken angewandt. Man denke an den Salzmarsch von Gandhi, den Montgomery-Busboykott von Martin Luther King oder die Anti-Walfang-Proteste von Greenpeace.

Während die Demonstranten in der Vergangenheit forderten, wie Erwachsene behandelt zu werden, verlangen die Klimaprotestler heute, wie Kinder behandelt zu werden. Die Bürgerrechtler in den 1950er Jahren saßen an den Imbissbuden und forderten, wie Erwachsene behandelt zu werden. Bemerkenswerterweise waren es rassistische Gegendemonstranten, die sie mit Milchshakes überschüttet haben. Heute sind es die Demonstranten, die Milch verschütten und mit Essen werfen.

Warum ist das eigentlich so? Warum haben sich die linken Aktivisten in ihrer Taktik zurückentwickelt? Die Teilnehmer der Proteste sind offensichtlich selbst würdevolle Menschen. Grimalda ist Wirtschaftswissenschaftler und arbeitet am Kieler Institut für Weltwirtschaft. Er hat in den Proceedings of the National Academies of Science, Nature Communications und anderen renommierten Publikationen veröffentlicht. Warum verhalten er und seine Kollegen sich dann wie Kleinkinder?

Rollentausch

Rassistische Gegendemonstranten schütten im Mai 1963 in Jackson, Mississippi, Milchshakes über einen weißen Sozialwissenschaftsprofessor und seine schwarzen Studenten, die am „Whites Only“-Schalter im Woolworth-Laden sitzen (links). Klimaaktivisten kippen Suppe über Van Goghs „Sonnenblumen“ im Oktober 2022 (rechts).

……


Dieser Beitrag von Michael Shellenberger ist zuerst hier erschienen – und kann im Abonnement dann vollständig weitergelesen werden (Paid-Content).


Unterstützung
oder

Kommentare ( 89 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

89 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Helfen.heilen.80
1 Jahr her

Wie Wolfgang Herles es letztes Mal bei Tichys Einblick Talk mit erfrischender Offenheit endlich einmal aussprach: wir haben den Verfall von Bildung zu beklagen, eine allgemeine Verblödung. Die gesellschaftliche Veränderung, der „Schonwaschgang“, der Wohlstand hat dazu geführt, dass Menschen nicht mehr gezwungen sind, das Maß an geistiger und charakterlicher Reife entwickeln zu müssen, um im Leben bestehen zu können. Es reicht wenn sie älter werden, sie müssen nicht erwachsen werden. Die antiautoritäre Erziehung, die Aussetzung der Wehrpflicht, die Nivellierung von Hierarchien, die Markierung von „toxischer Männlichkeit“ und traditionellen Charakterauffassungen, die Femininisierung junger Männer haben bei der Formung der jüngeren Generationen… Mehr

Michael W.
1 Jahr her

„Wir werden unsere Familien im Jahr 2050 nicht mehr ernähren können“
Stimmt, wenn diese Idioten nicht endlich mal was arbeiten, dann wird es soweit kommen.
Aber die wollen ja gar nicht arbeiten, sondern von den Arbeitenden durchgefüttert werden und dabei auch noch den Speiseplan bestimmen.
Und bis 2050 werden die Muslime in D die Mehrheit stellen. Dann werden sie arbeiten. Als Sklaven der Muslime. Und die Frauen in deren Harems oder Puffs.

Stephan M.
1 Jahr her

Wieder muß ich mit Gilbert Keith Chesterton um die Ecke kommen:
„Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts – sie glauben an irgendetwas.“
Und das tun sie dann häufig mit einer erschreckenden Bedingungslosigkeit.

horrex
1 Jahr her
Antworten an  Stephan M.

Was Chesterton meint nenne ich „die Beliebigkeit aller Dinge“.
Das Schlimmste daran ist, sie bemerken nicht einmal dass sie rein garnichts mehr schätzen sondern nur noch wie besoffen von einer Beliebigeit die man ihnen vorsetzt zur nächsten taumeln.
Zu allem Überdruß: Sie sind nich enorm stolz darauf.
Halten sich für das Maß aller Dinge.
Was meine Großmutter schon charakterisierte mit dem Satz:
„Dummheit und Stolz wachsen am selben Holz.“ –

Stephan M.
1 Jahr her

Ich stimme Ihnen im Bezug auf das Erbe Merkels zu. Bei der Sache mit dem christlichen Glauben gebe ich Ihnen teilweise recht. Das, was uns aktuell als angeblich christlicher Glaube vorgeführt wird, ist dem grünen Glauben nicht nur nahe, sondern nahezu deckunggleich. Der christliche Glaube, besonders der römisch-katholische Glaube und seine Tradition und Theologie sind leider (praktisch) verschwunden. Dieser hat gesinnungsethische Gefühlsduseleien und schwarz-weiß Malereien bekämpft, weil es um die Verantwortung jedes einzelnen Menschen vor Gott geht. Daraus erklärt sich auch das Zitat aus Mt 18: Es geht um die Bewahrung der Unschuld im Herzen: Gerade heraus ehrlich wie ein… Mehr

horrex
1 Jahr her

Fortetzung: Die Behauptung von Verantwortung die die „Klima-Ankleber“ für sich in Anspruch nehmen ist „absurd“, ist nur auf die Spitze getriebene Scheinheiligkeit. Denn WER von den „Klebern“ wäre in der Lage zumindest für sich s e l b s t Verantwortung zu übernehmen? D I E zugehörige Verantwortung für ihr Tun tragen diejenigen staatlich gepamperten Organisationen die hinter dem Ringelpiez stehen. Die sie motiviert, den Kram organisiert und sie auf die Straße geschickt haben … und sie notfalls wieder „raushauen“. Staatlich sowohl finanziell, organisatorisch und medial staatlich gepamperte Organisationen die von zahlreichen Politikern aller Farben „Deckung“ bekommen. Womit sich der… Mehr

horrex
1 Jahr her

Es braucht keine „Klima-Ankleber“ um zu bemerken, wie weit die Infantilisierung – nicht nur der sogenanten Aktivisten -fortgeschritten ist. Ein Blick in die Programme der Öff.Rechtlichen (nicht nur der) genügt vollkommen. – (Eine Tatsache übrigens die ich schon vor reichlich 17 Jahren diagnostizierte. Siehe damals „Chefsache“ von Tichy in der WiWo – Warum, bzw. wie kam es zu dieser Verkindlichung eines der – hauptsächlich jüngeren – sehr nennenswerten Teils der Gesellschaft? „Entanwortlichung durch „Entbildung“ all Derer die meinen all der Wohlstand und die (noch) Freiheit die sie ausschließlich kennen wäre vom Himmel gefallen. So lautet meine Antwort. Diese „Entantwortlichung durch… Mehr

RauerMan
1 Jahr her

Das Wort „Klimaaktivisten“ verharmlost und unterscheidet nicht die Klimaaktivisten von Klimaterroristen-bzw.Radikalen.

Stephan M.
1 Jahr her

Wir haben es nicht mit einer Rückentwicklung der Methoden zu tun. Es handelt sich um eine Radikalisierung, die immer mit Simplifizierung des Handelns und Denkens einhergeht. Die Wirkung auf das gesuchte Publikum wird dabei ebensowenig bedacht wie die Folgen aus den Aktionen. Die Ziele geraten aus den Augen. Aufmerksamkeit wird gesucht, Machtgefühle such ihre Befriedigung bis zum Exzess bzw. Zusammenbruch. Ist alles nicht neu, wenn man in die Geschichte schaut. Ob Täuferreich in Münster, franz. Revolution und diverser gesellschaftl.Utopien und ihre Umsetzungsversuche rund um die Welt: Bei aller Unvergleichbarkeit der Ereignisse sind die Stufen der Radikalisierung ähnlich bis gleich. Nur… Mehr

ebor
1 Jahr her

Ohne den Beitrag ganz zu Ende lesen zu können, kann ich diesem Kommentar nur zustimmen. Der Eindruck ist in der Tat genau der, daß es sich eben nicht um würdevolle Menschen handelt. Zur Würde gehört auch zu wissen, wie man sich richtig – mit Würde – verhält. Es ist eben nicht die Annahme, sich wie ein Kleinkind verhalten zu dürfen, erst recht nicht, wenn die – ebenso infantile – Forderung damit einhergeht, nicht auch noch wie ein Kleinkind behandelt zu werden. Diese Typen gehören in den Kindergarten, nicht in eine staatlich finanzierte Bildungs- und Forschungseinrichtung.

Ede Kowalski
1 Jahr her

In diesem ganzen Linken- und Klimaumfeld gibt es jede Menge Organisationen ohne Rechtsform, bei denen man nicht weiß, wer dahintersteckt, wem das Geld gehört, von wem es kommt, an wen es geht. Zumindest in Teilen scheinen da auch keine Steuern und Sozialabgaben gezahlt zu werden, und die ganzen Geldflüsse scheinen in einigen Teilen komplett am Staat vorbeigelotst zu werden, als ob da ein komplettes Schattenfinanzsystem aufgebaut wird. Geht es da gar nicht um das Klima, ist das alles nur Tarnung und Fassade?
(Netzfund)