Thüringer AfD lässt Kandidaten der anderen Parteien abblitzen

In Thüringen setzt die AfD erstmals ihre Sperrminorität ein. Es geht um einen Landtagsvizepräsidenten für die Partei, um einen Sitz im Kontrollgremium und die Berufung von Richtern und Staatsanwälten. Der AfD wird die Beteiligung von den anderen Fraktionen verweigert.

IMAGO / Funke Foto Services

Gerade hat es der bekannte „Migrationsforscher“ Gerald Knaus bei Markus Lanz erzählt: Ein Buchautor hat angeblich schon 2017 vorausgesagt, dass Olaf Scholz im Jahr 2021 Bundeskanzler wird. Das lag durchaus im Bereich des Möglichen. 2025 wird Scholz dann – gemäß dem Buchszenario – aus dem Kanzleramt vertrieben. Es kommt zu Neuwahlen, bei denen die AfD nach einem Terroranschlag 28 Prozent der Stimmen erhält. – Weit weg von der Realität ist diese Version der Geschichte wirklich nicht mehr. In Thüringen gibt es schon einen Vorgeschmack darauf, was nach einem solchen Ergebnis im Bundestag los sein könnte. In dem Bundesland bekam die AfD im vergangenen Sommer 32,8 Prozent der Stimmen. Laut aktuellen Umfragen erhielte sie heute 34 Prozent.

Die AfD stellt heute die größte Fraktion im Landtag. Erstmals hat sie nun ihre Sperrminorität genutzt, um die Besetzung jener Ausschüsse zu blockieren, von denen Richter und Staatsanwälte bestimmt werden. Die AfD-Abgeordneten stimmten nicht für die Kandidaten von CDU, SPD, BSW und Linkspartei. Das bedeutet: In Thüringen gibt es vorerst keine neuen Besetzungen von Richter- und Staatsanwaltsstellen. Denn die Wahl in den zuständigen Ausschuss erfordert eine Zweidrittelmehrheit. Da die AfD mehr als ein Drittel der Landtagssitze hält (32 von 88), können die anderen Parteien keine Kandidaten gegen die Oppositionskraft durchsetzen.

Selbstgeschaffene Sackgasse

Zuvor hatten Vertreter von CDU und SPD angekündigt, dass sie den AfD-Kandidaten Jörg Prophet nicht zum Landtagsvizepräsidenten wählen würden. Die Einwände gegen Prophet sind dabei von zweierlei Natur: Zum einen wird ihm vorgeworfen, überhaupt in der Höcke-AfD mitzumachen, denn das sei ja schon ein Bekenntnis zu einem „als gesichert rechtsextrem eingestuften“ Landesverband, obwohl gerade das Thüringer Amt für Verfassungsschutz zuletzt durch seinen Präsidenten Stephan J. Kramer ins Gerede kam (TE berichtete). Und man kann von dem Thüringer Parteiverband halten, was man will: über 30 Prozent Zustimmung im Volk sprechen eine deutliche Sprache und sollten bei anderen Parteivertretern zur Gesprächsbereitschaft führen.

Zum anderen soll Prophet auch selbst „geschichtspolitische Äußerungen und Handlungen“ getan oder begangen haben, die ihn disqualifizieren. Es gibt anscheinend Einwände gegen seine Auffassungen oder Bewertungen zum Verlauf des Weltkrieges, etwa zur Frage, ob der 8. Mai ein Tag der Befreiung oder (auch) der Niederlage war. Zuvor hatte man andere Gründe für die Nichtwahl von AfD-Mitglied Wiebke Muhsal zur Landtagspräsidentin gefunden. Der CDU-Mann Thadäus König erhielt den Spitzenposten, obwohl seine Partei nur zweitstärkste im Landtag ist. Üblich ist anderes.

Landesparteichef Björn Höcke hat zwischenzeitig eine Paketlösung beider Probleme angeboten: Sobald die anderen Fraktionen Prophet zum Landtagsvizepräsidenten wählen und auch einen AfD-Vertreter in die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) zulassen, wäre die AfD bereit, Kandidaten der anderen Parteien in die Wahlausschüsse für Richter und Staatsanwälte zu wählen. Dieser Vorschlag wurde aber nicht angenommen, weshalb es nun zu dem Eklat und aufgeregten Medienberichten kam. Dabei ist die Sackgasse des Thüringer Landtags selbstgeschaffen.

Im Bund wäre es die Ende der Schuldenbremsenreform

Die Lage in Thüringen lässt die Gedanken daneben auch in die Zukunft und in den Bund schweifen. Denn Zweidrittelmehrheiten werden für so einige Vorhaben in deutschen Parlamenten gebraucht, so etwa:

• die Wahl der Verfassungsrichter der Länder und des Bundes,
• die Wahl der Präsidenten der Landesrechnungshöfe,
• Änderungen an der Landesverfassung oder am Grundgesetz,
• die Auflösung der Landtage und
• der (bislang eher seltene) Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Landtag.

Im Bundestag wäre eine etwa von der AfD oder anderen Parteien erlangte Sperrminorität wohl vor allem bei der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse von einiger Bedeutung. Eine Änderung/Reform der Bremse wäre dann nicht mehr ohne die Stimmen der Partei möglich. Auch für eine Änderung des Wahlrechts wären zwei Drittel der Stimmen notwendig. Ebenso könnte es Probleme mit der nationalen Umsetzung von EU-Recht geben, wenn dazu eine Grundgesetzänderung Voraussetzung wäre.

In Thüringen kann es darüber hinaus noch anderweitig unterhaltsam werden. Denn die dunkelschwarzrote Brombeerkoalition mit Ministerpräsident Mario Voigt hat keine eigene Mehrheit. Ihr fehlt dazu eine Stimme. Sie wird also immer wieder auf unsichere und (vielleicht) wechselnde Mehrheiten angewiesen sein. In der Praxis wird aber wohl die Linkspartei als ständiges Stimmenreservoir genutzt werden. Sie ist die einzige Oppositionspartei neben der AfD und gilt im Gegensatz zu dieser als stadtfein, obwohl sich ihr Stammbaum lückenlos auf die kommunistische, zuvor stalinistische SED zurückführen lässt.

Rotgrün stimmt in Apolda mit AfD

Dabei haben in Apolda gerade Grüne und Linke mit der AfD gestimmt. In einem Beschluss des Kreistages Weimarer Land ging es um die Frage, ob der Kreis Mittel zur Ukraine-Flüchtlingshilfe ans Land zurückgeben muss. Zu den 15 Stimmen der Fraktion von AfD und der lokalen Bürgerinitiative kamen die fünf Stimmen aus der Fraktion Linke/Grüne hinzu. Auch der ehemalige Thüringer Grünen-Chef, Max Reschke, stimmte mit seiner Fraktion ab. So weit ist es also mit der Brandmauer in Thüringen, wo die AfD vermeintlich – nichts Genaues weiß man darüber – in einer besonders virulenten Form vorliegen soll.

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Kommentare ( 18 )

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18 Comments
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Der-Michel
15 Tage her

Sobald ein Abgeordneter der AfD in das parlamentarische Kontrollgremium gewählt wird und dort Einblicke in die Machenschaften der Etablierten bekommen, ja, dann wird es erst richtig lustig.

ilmstromer
15 Tage her

Abstimmungen, bei denen Anträge der AfD durchgewunken wurden gab es 2024 im Kreistag Weimarer Land schon zweimal. Außerdem gab es zahlreiche Abstimmungen mit wechselnden Mehrheiten. So eine Sensation ist das nicht mehr.

Apfelmann
15 Tage her

Frau Weidel jagt der Thüringer AFD gerade den Dolch von hinten in den Rücken. Die Altparteien sind fast alle Atlantiker und laufen den USA hinterher. Die AFD hat sich in der Vergangenheit bewusst pro Russland positioniert. Nun will Frau Weidel den Spagat und Pro USA (Trump, Musk) UND Pro Russland sein. Das kann nicht gutgehen. Die Idee ist zwar nett gedacht, von beiden Lagern Wähler zu fischen aber es wird mehr vergraulen. Im Westen fremdeln die Leute mit Russland, im Osten wird die USA-Freundlichkeit mit Unbehagen gesehen. Die AFD wird sich entscheiden müssen, entweder schlägt sie in den Kurs von… Mehr

Klaus D
15 Tage her
Antworten an  Apfelmann

Die AfD ist unglaubwürdig! Je näher sie an die macht kommt desto mehr faule kompromisse ist sie bereit einzugehen siehe auch bauernproteste.

Spyderco
15 Tage her
Antworten an  Apfelmann

,,Die AFD hat sich in der Vergangenheit bewusst pro Russland positioniert. Nun will Frau Weidel den Spagat und Pro USA (Trump, Musk) UND Pro Russland sein.“

Interessant.
Wer die Interessen Deutschlands vertritt und dabei mit den,für das jeweilige Thema(Energieversorgung bzw. Verteidigung und Meinungsfreiheit),relevanten Partnern zusammen arbeiten möchte,positioniert sich,,pro Russland“oder ,,pro USA“?!

Wenn Sie bei JYSK kaufen und bei ÖMV tanken,versuchen Sie dann ,,den Spagat“zwischen pro Dänemark und pro Österreich bzw. VAE?😉

Last edited 15 Tage her by Spyderco
joly
15 Tage her
Antworten an  Apfelmann

Im 20. Jahrhundert haben uns die USA 2x zerschlagen und in diesem Jahrhundert erneut durch die Sprengung der NS.
Es gibt also gute Gründe auf 2 Hochzeiten zu tanzen. Oder halt Neutralität als neues Staatsziel anstreben.

Der Person
15 Tage her
Antworten an  Apfelmann

Das ist ja kein Widerspruch. Trump und Putin sind beide an wirtschaftlichem Wettbewerb bzw. wirtschaftlicher Zusammenarbeit interessiert, während die alten Transatlantiker (also Neocons und Democrats) die faktische US-Weltherrschaft allein durch Kriege, Nation destroying und Intrigen aufrechterhalten wollen und überall Unruhe stiften. Die einen wollen den Wettkampf gewinnen, indem sie durch eigene Leistung überzeugen (Trump, Putin, AfD), die anderen, indem sie allen anderen Läufern beide Beine brechen (Biden, Deep State, SPD, Grüne, CDU, etc.).

Riffelblech
14 Tage her
Antworten an  Apfelmann

Einen ganz erheblichen Widerspruch zu ihren Einlassungen . A) Weidel mit der AfD sprechen sich für Frieden in der Ukraine aus — Pluspunkt B) die AfD will die unkontrollierte Migration beenden — Pluspunkt C) die AfD will die irre „ Energiewende „ beenden und die Energie für das Volk wieder bezahlbar machen — Pluspunkt D) die AfD will die unkontrollierte Gesetzgeberische Einflussnahme auf nationale Bezüge abschaffen — Pluspunkt E) die AfD will endlich dem Bürger mehr unmittelbares Mitsprecherecht im Sinne von Volksentscheiden geben —Pluspunkt F) die AfD die Zusammenarbeit mit den USA zum Vorteil Deutschlands verstärken — Pluspunkt Und so… Mehr

Mausi
15 Tage her

„Und man kann von dem Thüringer Parteiverband halten, was man will:“ Solange die AfD nicht verboten ist – und das kann nur das BVerfGE aussprechen – solange gehört sie zu den Landtagen oder auch zum BT. Mauern in einer Demokratie die nicht wegen Entscheidungen zur Sache errichtet werden, sondern aus linken Ideologiegründen, die sind die einer Demokratie würdig?

jwe
15 Tage her

Da hilft nur eines, Sperrminoritäten müssen aufgehoben werden, sprich keine 2/3 Mehrheiten mehr. Dann klappts. Da hätten in Thüringen auch die „demokratischen “ Parteien schon vor der Wahl dran denken können. Das wird für den Bund und andere Länder eine Lehre sein.
Aber ganz schön frech von der AFD, einfach die Kandidaten der „demokratischen“ Parteien durchfallen zu lassen bzw. zu fordern, dass die den AFDler als Landtagsvizepräs. wählen sollen. Ist so etwas demokratisch?

Last edited 15 Tage her by jwe
Paul987
15 Tage her
Antworten an  jwe

Wie sagen es die CDU, SPD, Grüne & Co immer? In einer Demokratie müssen Mehrheiten in einem Parlament beschafft werden. Tja, nun hat die Brombeer-Koalition in Th. nicht die geforderte Mehrheit. So ein Pech aber auch, dass ist nach ihren eigenen Gusto, aber Demokratie. Warum sollte die AfD die Brombärchen unterstützten, wenn sich sich die Bärchen selber keinen cm bewegen?!?

Last edited 15 Tage her by Paul987
jwe
15 Tage her
Antworten an  Paul987

„Warum sollte die AfD die Brombärchen unterstützten, wenn sich sich die Bärchen selber keinen cm bewegen?!?“
Es ist schon unerträglich, wenn die Undemokraten die Demokraten ausbremsen. Wieder ein Steinchen mehr zum Verbot der AFD. Das die AFD das nicht erkennt!

Last edited 15 Tage her by jwe
tiptoppinguin
15 Tage her

Wie „Unsere Demokraten“ in den Wald hineinrufen, so schallt es jetzt wieder heraus!

Es muß bitter sein, die eigene Medizin verabreicht zu bekommen, doch meine Trauer hält sich in Grenzen, weil mein Gerechtigkeitsgefühl gerade mit der Sperrminorität mitfühlende Beschlüsse blockiert.

Oblongfitzoblong
15 Tage her
Antworten an  tiptoppinguin

Ich will nicht nerven, aber der Volksmund (sit venia verbo!) sagt, was Du nicht willst, das man dir tu‘ , das füg‘ auch keinem andern zu! Die Aborigines nennen es Bumerang.

Egozentrik
13 Tage her
Antworten an  Oblongfitzoblong

Und was ist ein Bumerang, der nicht funktioniert, da er nicht zurückfliegt? Stock …

hoho
15 Tage her

Ach da kommt es wieder 666 Teufel an der Nadelspitze oder doch nicht. Der Krieg der die Nazis verloren haben, endet mit der Befreiung – das kann ja sein. Der Niederlage war es aber trotzdem, die Nazis sind doch doch niedergegangen. Es ist übrigens auch normal für den Menschen „alles für Deutschland“ zu sagen, wenn er oder sie so fühlen. Für das Land in dessen heutigen Zustand würde ich freiwillig sehr wenig tun, gemeint ist aber das Ideale usw.. Dass die Nazis in irgendwelcher Form das auch so formuliert haben, ist dabei für die normale, nicht hirngewaschene Menschen akzeptable. Man… Mehr

Hannibal ante portas
15 Tage her

Habe ich schon nach der Wahl in Thüringen gesagt: aus der Sicht der AFD ist die Sperrminorität das idealste Ergebnis der Wahl. Selbst eine absolute Mehrheit ( die nie realistisch damals zur Debatte stand) und dadurch die alleinige Regierungsbildung wäre in so einem kleinen Bundesland der AFD zum Nachteil geworden: die Presse hätte jeden falschparkenden AFD-Kofferträger zur Staatsaffäre ausgeweidet. Anscheinend muss der Leidensdruck noch steigen, bevor eine grundlegende Änderung eintreten kann. LEIDER!

RandolfderZweite
15 Tage her

Die Sperrminorität im neuen BT ab 23.02.2025 liegt überaus im Möglichen! Der Schuss – viele haben es vorausgesagt – geht somit voll nach Hinten los!
Der Wahlabend wird es in Sich haben, von Einsicht aber wird man nichts hören…ich halte es deshalb jetzt mal mit KGE: Ich freue mich darauf!!