„Flüchtlinge“ als Wahlkampfthema?

Im Wahlkampf muss gekämpft werden – und zwar um die besten Lösungen der drängenden Fragen. Da gehört die unkontrollierte Zuwanderung ebenso dazu wie die ungewisse Zukunft des Rentensystems nach 2030.

Martin Schulz ist fleißig; ständig produziert er neue Ideen. Doch an einer vertieften Diskussion darüber hat er kein Interesse. Noch weiß niemand, wie teuer sein vor einer Woche vorgeschlagenes „Chancenkonto“ mit 5.000 bis 20.000 Euro für Jedermann kommen würden (800 Milliarden Euro oder „nur“ 200 ?). Gleichwohl zündet er bereits die nächste Wahlkampfrakete: Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel/Gabriel von Herbst 2015, verbundenen mit der Forderung, die ins Land strömenden „Flüchtlinge“ auf ganz Europa zu verteilen – mit Ausnahme der bisher schon sehr aufnahmewilligen Bundesrepublik.

+++

Kleiner Einschub: Es ist natürlich Etikettenschwindel, die nach Europa strömenden Menschen pauschal als Flüchtlinge zu bezeichnen. Der Begriff trifft auf Asylsuchende zu, die nicht über ein sicheres Drittland kommen, und auf Schutzsuchende nach der Genfer Konvention. Die meisten sind aber keine Flüchtlinge, sondern illegale Immigranten.

+++

Zum Schulz‘schen „Flüchtlings“-Wahlkampf ist dreierlei zu sagen: So berechtigt die Kritik an Merkels Politik der offenen Grenzen war und ist, so unehrlich ist es, so tun, als hätten die SPD-Bundesminister – allen voran Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel – die unkontrollierte Zuwanderung nicht mitgetragen. Zweitens wäre zu fragen, wie wohl der „Willkommensrausch“ vom Herbst 2015 ausgefallen wäre, wenn damals SPD und Grüne oder gar Rot-Rot-Grün regiert hätten? Der „Rausch“ würde wohl heute noch anhalten: Ohne EU-Türkei-Abkommen und ohne sichere Herkunftsstaaten auf dem Westbalkan und in Nordafrika. Und drittens ist der Vorschlag von Schulz, EU-Länder sollten für die Aufnahme von Flüchtlingen mit Geld belohnt oder bei Verweigerung durch Entzug von EU-Mitteln bestraft werden, weder neu noch realistisch. Als Parlamentspräsident hat Schulz das schon vor langer Zeit gefordert – und nichts bewirkt.

+++

Dennoch: Schulz hat Recht, das Thema „Flüchtlinge“ zu thematisieren. Erstens kommen nach wie vor viele Asylsuchende zu uns: Im 1. Halbjahr 2017 wurden 90.389 registriert. In der zweiten Hälfte könnten es deutlich mehr werden, falls Italien – wie schon angedroht – die vielen „Bootsflüchtlinge“ einfach nach Norden durchwinkt, wie das 2015 und 2016 der Fall war. Deshalb soll, ja muss darüber diskutiert und gestritten werden, was diese unkontrollierte Zuwanderung für uns bedeutet: organisatorisch, finanziell und kulturell. Vor allem aber: Wie kann, soll, muss dieses Land damit umgehen, dass mit den Zuzug zahlreicher nicht integrationswilliger Menschen aus fremden Kulturkreisen die ohnehin vorhandenen Parallelgesellschaften anwachsen? Und dass die Zahl der „Mitbürger“, die unsere Lebensweise, unsere Kultur, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat fundamental ablehnen, weiter zunimmt? Wann, wenn nicht im Wahlkampf, ist die Zeit für solche Debatten?

+++

Kaum hatte Schulz das Thema „Flüchtlinge“ angesprochen, wurde davor gewarnt, Wahlkampf „auf dem Rücken von Flüchtlingen“ zu führen. Mit demselben moralischen Unterton wird auch jede Form von Rentenwahlkampf abgelehnt. Nun ja, auch unsere Haltung zu Putin oder Erdogan darf nach diesen Maßstäben eigentlich nicht thematisiert werden, weil es einerseits Bürger verunsichern und zweitens die hier lebenden Russen und Türken belasten könnte. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre: dass manche Schönredner in verschiedenen politischen Lagern den Wahlkampf entpolitisieren und zu einem gutmenschlichen Stuhlkreis umfunktionieren möchten. Nein: Wir haben Wahlkampf, und da muss gekämpft werden – und zwar um die besten Lösungen der drängenden Fragen. Da gehört die unkontrollierte Zuwanderung ebenso dazu wie die ungewisse Zukunft des Rentensystems nach 2030.

+++

Wahlkampfweisheit zum Tage: Jedes Ding hat bekanntlich zwei Seiten. Aber man kann nicht für beide sein.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 16 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

16 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Henryke
6 Jahre her

Einen lieben Gruß zurück.
Bleiben wir standhaft gegen betreutes Denken;-)

Michel Rieke
6 Jahre her

Freut mich, wenn ich Ihnen ein Lächeln entlocken konnte. Mit Überspitzungen kann man den Irrsinn etwas besser ertragen, nur sind die von mir genannten Zahlen leider die bittere Realität. Es wird niemals dazu kommen, dass unsere Partner in der EU freiwillig „unsere“ Flüchtlinge aufnehmen. Merkwürdig nur, dass wir das den Spaniern, Niederländern und Franzosen großzügig nachsehen und stattdessen auf die Visegrad-Staaten eindreschen.

Henryke
6 Jahre her
Antworten an  Michel Rieke

Die Visegrad- Staaten sind in der (vermeintlich) schwächeren Position und haben gefälligst dankbar zu sein!
Deshalb auch das widerlich erpresserische Argument:
„Aber das Geld der EU nehmen sie gerne…“

Michel Rieke
6 Jahre her

Die NGO-Flotte würde einen großen Teil ihrer Kapazität verlieren. Ich denke deshalb bleibt man beim jetzigen Verfahren. Die Hin- und Rückfahrt nach Hamburg dauert mindestens 24 Tage, die Fahrt von Valletta zur SAR-Zone und zurück ist in 2 Tagen zu schaffen. Die kleineren Schiffe können auf einer Tour mehrere Rettungseinsätze fahren und übergeben die Flüchtlinge dann meist an größere Schiffe, die sie nach Italien bringen. Würden die kleinen Schiffe direkt nach Hamburg fahren, würden sie vielleicht noch einen Einsatz pro Monat schaffen und könnten wesentlich weniger Flüchtline pro Einsatz retten, da für eine längere Reise unmöglich so viele Menschen an… Mehr

Poco100
6 Jahre her

Es ist, wie wenn 6 Leute sich treffen und 5 davon (CDU, SPD, FDP, Grüne, Linke) sich gegenseitig ihre gleiche ! Meinung bestätigen, nur der 6. Person (AfD) hat eine andere, darf diese aber nicht äußern, Redeverbot). Sie nennen dies dann Diskussion, andere Wahlkampf……

Jens Frisch
6 Jahre her

Martin Schulz, 11.06.2016:

„Was die Flüchtlinge mit zu uns bringen, ist wertvoller als Gold.“

Mehr „dubioses“ brauch ich von Schulz gar nicht zu hören und zu glauben, so jemand hätte jemals so etwas „Hausaufgaben“ gemacht… ich weiß ja nicht.

Jens Frisch
6 Jahre her

Zitat: „Der Begriff trifft auf Asylsuchende zu, die nicht über ein sicheres Drittland kommen, und auf Schutzsuchende nach der Genfer Konvention. Die meisten sind aber keine Flüchtlinge, sondern illegale Immigranten.“ Welcher „Flüchtling“ kam denn über ein „unsicheres“ Drittland? Nicht einer, sofern meine Geographiekenntnisse richtig sind und die BRD nicht am Mittelmeer liegt. Nach der GFK ist die Flucht beendet, sobald das Kriegsgebiet und damit unmittelbare Lebensgefahr beendet ist – also bereits in der Türkei, Jordanien oder dem Libanon. Fazit: Nicht die „meisten“ sondern ALLE die hier ankamen und ankommen, sind illegale Immigranten, sofern sie nicht im Flugzeug eingreist sind. Was… Mehr

Sabine W.
6 Jahre her

Probleme anzusprechen, sie zu benennen und zu konkretisieren, um sie adäquat lösen zu können, ist mittlerweile ‚voll Nazi‘. Siehe zuletzt der Gegenwind (oder doch eher Shitstorm?), der Herrn Palmer entgegenwehte, als er sich öffentlich zum Thema Schorndorf äußerte. Ist doch herrlich, wenn man sich stattdessen bequem zurücklehnen kann und quasi von Außen (‚Was geht’s mich an?‘) mal am Rande mitbekommt, wie die Gewaltkriminalität überproportional wächst (alles nur Einzelfälle – allerdings, wie erklärt man sich nach der überaus betroffenen Präsentation der Kriminalstatistik 2016 durch den Herrn Innenminister das darauf folgende laute Schweigen?), die Sozialkassen, die ursprünglich als Solidarprinzip für die vorwiegend… Mehr

Pe Wi
6 Jahre her

Ich denke, unsere Lebensweise ist auch kaum langfristig zu vermitteln. Es besteht kein Anreiz, sich damit zu beschäftigen. Die Leutchen bleiben ja immer unter sich. Wir wurden in Marokko von einer Bauernfamilie mal gefragt, ob wir einen Esel hätten und wieviele Hühner wir halten würden. Es war nicht vermittelbar, dass wir 50 km zur Arbeit fahren und in einer großen Stadt als Mieter wohnten. Wir haben aneinander vorbeigesprochen. Eine Verständigung war beim besten Willen nicht möglich und dabei haben die noch französisch gesprochen. Viele andere nur arabisch.

Schwabenwilli
6 Jahre her

„Steinmeier: Integration dauert womöglich Jahrzehnte“ http://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/fluechtlinge-migration-steinmeier-schulz-seehofer-100.html Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen „JAHRZEHNTE“. Das ist einfach Irre. Ich persönlich bezeichne Steinmeier einfach nur noch (selbstzesiert). Die Situation, wir hätten JAHRZEHNTE lang ein Millionen Heer von zu alimentierenden Moslems, die sich jetzt schon am Lagerfeuer – in der Wohnung – die Geschichten erzählen das auf Grund ihres göttlichen Rechtglaubens ( also Herrenmenschen) alle nicht Moslems dazu verpflichtet sind diese zu versorgen. Viele in Deutschland (Bahnhofs Klatscher) hätten diese „Überrasse“ bereits anerkannt…….. Hier muss ich abbrechen oder erbrechen. Ja, es hilft alles nichts, Aussicht auf Besserung kann es… Mehr

Ralf Schweizer
6 Jahre her

Lieber Herr Müller-Vogg, Ihr Versuch, das Totalversagen der Kanzlerin und ihrer Entourage im Herbst 2015 mit der Frage zu relativieren, wie schlimm es wohl unter Rot-Grün gewesen wäre, ist ungefähr so, wie Stalin zum guten Menschen zu erklären, weil er nur halb so viele Menschen auf dem Gewisssen hatte wie Mao. Und meinen Sie nicht, das es es anstatt „…. was diese unkontrollierte Zuwanderung für uns bedeutet“ heissen müsste: „…. wie diese unkontrollierte Zuwanderung verhindert werden kann“?