Die Staatsmänner verabschieden sich von der Mehrheit

Der Kanzler demonstriert gegen vermeintliche rechte Gewalt. Gleichzeitig kommt es wenige Kilometer entfernt zu tatsächlicher linker Gewalt. Parteinahme und Doppelstandards durch Staatsmänner sind ein Grund, warum das Ansehen von politischen Entscheidern sinkt.

IMAGO

Zwei große Demonstrationen fanden am Sonntag in Berlin statt. Auf der einen warnten zivile, größtenteils vom Staat finanzierte, Gruppen vor befürchteter rechter Gewalt. Auf der anderen Demonstration kam es zu real existierender linker Gewalt. Auf der Kundgebung sollte es ursprünglich um das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gehen. Doch die Bilanz der Polizei lautete: strafbare antisemitische Parolen, Sympathiebekundungen für die Taten der Huthi-Terroristen, Festnahmen, daraufhin brutale Angriffe auf Polizisten, 20 Beamte verletzt, einige mussten laut Berliner Zeitung ins Krankenhaus.

Gewalt verurteilen diese Woche fast alle hochrangigen Staatsvertreter. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nehmen am Sonntag an einer Demonstration gegen Rechts in Potsdam teil. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) warnen vor einer Verrohung des Diskurses – von Rechts. Zu der tatsächlichen Gewalt von Links gibt es wieder mal vermurkstes gesammeltes Schweigen der Staatsmänner und -frauen der Ampel.

Kanzler Scholz zeigt sich dieser Tage besonders empfindlich. Schon verbale Übergriffe diskreditieren gewisse Formen des Protests. Allein das Wort „Vollpfosten“ zu benutzen, wirft er den Bauern vor, überschreite Grenzen und gefährde Diskurs und Demokratie in Deutschland. Derweil nennt Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) die demokratisch in den Bundestag gewählte AfD einen „Haufen Scheiße“.

Strack-Zimmermann ist kein Niemand. Sie ist die Spitzenkandidatin einer der drei Regierungsparteien für die Europawahl. Durch ihre Dauerpräsenz in den Talkshows des Staatsfernsehens ist sie die eigentliche Stimme der deutschen Bundesregierung im Umgang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. „Vollpfosten“ war ein Übergriff, den Scholz nicht hinnehmen wollte, weil der die Demokratie gefährde. Zum „Haufen Scheiße“ äußerte sich der Kanzler bisher nicht.

Scholz, Habeck und Steinmeier stehen hilflos vor dem Protest der Millionen Bauern, Handwerker, Arbeiter und Ärzte im Land. Sie können diesen Protest gar nicht verstehen. Dafür müssten sie Staatsmänner sein, die über den Dingen stehen. Doch als solche scheitern sie. Sie sind Apparatschiks, die ausschließlich in den Grenzen des Apparats denken, fühlen, reden und handeln. So können sie tatsächliche linke Gewalt und Begriffe wie ein „Haufen Scheiße“ aus den eigenen Reihen ignorieren und gleichzeitig potentielle rechte Gewalt und Wörter wie „Vollpfosten“ skandalisieren.

Steinmeier hat diesen Widerspruch jüngst darauf verkürzt, dass die Ampel dem Volk ihre Politik besser erklären müsse. Doch dafür müsste die Regierung – und ausdrücklich auch das Staatsoberhaupt – die Lage erst einmal verstehen. Könnten sie das, würden sie schnell erkennen, dass nicht das Volk das Problem ist, weil es zu blöd wäre, seine Regierung zu verstehen. Sie wollen die AfD verbieten, weil einzelne Mitglieder über Remigration gesprochen haben – in einer Woche, in der die Ampel ein Paket zur Remigration beschlossen hat. Dass das widersprüchlich ist. Dass da niemand den Sinn hinter versteht, weil es schlicht keinen Sinn dahinter gibt, das erkennen Scholz, Habeck, Steinmeier und Co nicht.

Somit ist die Politik der Ampel samt ihres Bundespräsidenten selbst das Problem. Dazu gehören die eklatanten Fehlentscheidungen in wirtschaftlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Fragen. Aber dazu gehört eben auch eine Politik der Parteinahme und Doppelstandards, die den eigenen Leuten ein Verhalten erlauben will, das sie bei politisch Andersdenken auf keinen Fall durchgehen lassen wollen – gegen das sie sogar als Kanzler und Außenministerin auf die Straße gehen. Solange Scholz, Habeck, Steinmeier und Co das linke Auge fest verschließen, solange bleiben sie Parteipolitiker, die eine parteipolitische Sache vertreten – und werden von immer weniger Menschen als ihre Staatsvertreter anerkannt. Nicht die Mehrheit verabschiedet sich vom Staat. Die Staatsvertreter verabschieden sich von der Mehrheit.

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Kommentare ( 97 )

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Karlito
10 Monate her

Was die Regierung betreibt, ist nichts anderes, als die Spaltung der Gesellschaft in Leistungsträger und Nutznießer. Und natürlich schlagen sich Politiker auf Seiten Letzterer. Sozialtransfers werden bis zur allgemeinen Verelendung eingefordert und mit diktatorischer Gewalt durchgesetzt werden. Soll man sich keine Illusionen machen.

Helfen.heilen.80
10 Monate her

Bravo top Artikel, danke! Das neo-progressive Milieu verstolpert sich m.E. in seinen eigenen Termini, denn man ist schon zu sehr daran gewohnt, jeden Widerspruch mit dem Vorwurf „rechts“ zu parieren und niederzuringen. In diesem Fall hat es das Milieu allerdings nicht mit überhitzten Jugendlichen zu tun, die einem alterstypischen polaren Denken zum Opfer gefallen sind. Diesmal haben sie es mit Bürgern zu tun, die sich von niemand erklären lassen müssen wer oder was sie sind. Hier weiss man, dass man sein Leben lang mit Arbeit verbracht hat, gesetzestreu ist, zu diesem Staat steht – aber man weiss auch, wann die… Mehr

Kappes
10 Monate her

Frau Strack-Zimmermann bezeichnet die AfD als einen „Haufen Scheiße“? Ich musste schmunzeln. Die AfD-Hasser entwickeln sich zur besten Komikertruppe seit den monty pythons. Solche verbale Entgleisungen scheinen deren letzte Waffe im Kampf um die davonschwimmenden Felle zu sein. Einfach köstlich.

Stefan Z
10 Monate her
Antworten an  Kappes

Sieht man sich die Wahlergebnisse an, halten die Wähler wohl eher die FDP für den besagten Haufen. Das sie damit auch rund ein Viertel der Wähler mit einschließt, ist zudem eine tolle „demokratische“ Visitenkarte.

Waldorf
10 Monate her

Diese kleingeistigen Parteigestalten sind einfach keine Staatsmänner und Frauen, sondern sind und bleiben immer bestenfalls durchschnittliche Parteipolitiker. Zur Staatsführung sind sie schlicht ungeeignet, weil ihnen ihre Parteilichkeit immer im Weg stehen wird, der kleingeistige Tunnelblick, den sie mit 10-15% ihrer Wähler, Fans oder Medienbuddys teilen – die allesamt aber strukturell unfähig und unwillens sind, in Kategorien wie Alle, das Land, unsere Leute etc zu denken, fühlen oder zu handeln. Deren Wir oder unsere Leute meint immer nur sich und die Amigos auf Parteilinie, nie Alle, nie DIE Bürger, nie das Land insgesamt. Diese Kleingeister hätten niemals höchste Staatsämter erreichen dürfen… Mehr

Don Didi
10 Monate her
Antworten an  Waldorf

Wie schon Alfred Tetzlaff Anfang der 70er im ÖRR(sic!) feststellte:

  • „Da besteht doch wohl ein kleiner Unterschied, ob ich mir die Ansprache von einem gelernten Staatsmann ansehe, wie das früher der Fall war, oder ob ich mir von diesem Laienprediger was vorschwindeln lasse, den die sich jetzt da als Bundeskanzler halten.“
Vladimir
10 Monate her
Antworten an  Waldorf

Zitat: durchschnittliche Parteipolitiker….
Das ist wohl etwas untertrieben!

mediainfo
10 Monate her

Immer wenn Fotos von Demonstrationen quasi auf Kopfhöhe bleiben, und keine Totale gebracht wird, dann darf man danach fragen, wie eindrucksvoll die Teilnehmerzahl tatsächlich war.

mediainfo
10 Monate her

Dass Scholz, deutscher Bundeskanzler und hoher staatlicher Repräsentant, dieses „Nazi“-Narrativ offenbar mitträgt, es aus Opportunismus nicht für notwendig hält, Differenzierung und Respekt für eine demokratische Wahl, gewählte Volksvertreter und den Wähler einzufordern, zeigt ein Niveau, das zu erleben ich mir bis vor vielleicht 10 Jahren, nicht im Traum habe vorstellen können.

Last edited 10 Monate her by mediainfo
Olli Gator
10 Monate her

Wann hat sich ein Kanzler jemals in eine Demo begeben, um die Opposition zu diskreditieren? Natürlich gegen Rechts, während ein paar Kilometer weiter seine linken Schlägerbanden vermummt Polizisten verletzen. Das ist sowas von arm und unfassbar.

Kassandra
10 Monate her
Antworten an  Olli Gator

Einen Kanzler wie diesen hat die Republik vor dem nie gesehen. Und eine Kanzlerin wie Merkel auch nicht.
Da die Masse immer noch glaubt, dass man nicht so vermessen sein kann wie vor unseren Augen gezeigt, kann der Clou noch ein wenig weiter getrieben werden.
Aber das es bereits im Gebälk knirscht haben nicht nur die gemerkt, die heute in Berlin ihren Unmut Kund tun.

Juergen P. Schneider
10 Monate her

Der Angstpegel beim Altparteienkartell steigt immer weiter. Die hilflosen Versuche, den Bürgern erst zu drohen, dann sie zu beschwichtigen und dann wieder zu kriminalisieren oder zu pathologisieren, wenn sie nicht der links-grünen Einheitsmeinung sind, verfangen immer weniger. Es gibt zwar noch einen großen Teil der Bevölkerung, der naiv und obrigkeitshöriges Duckmäusertum pflegt, aber er wird immer kleiner. Das politmediale links-grüne Kartell vermag die Erosion eigener Deutungshoheit nicht mehr aufzuhalten. Die hysterischen Versuche, einen rechtsradikalen Putsch herbei zu fantasieren, werden immer grotesker. Da werden wir noch einiges an gespielter Empörung erleben. Es wird noch etwas dauern, bis die Pseudoeliten erkennen, dass… Mehr

moorwald
10 Monate her

Scholz und Baerbock waren ja wohl als Parteimitglieder da – wobei das vom Amt nicht zu trennen ist.
Wenn Regierungsmitglieder auf der Straße demonstrieren, ist das schon recht bizarr.
„Die haben’s nötig“ kann man da nur sagen. Ein Zeichen absoluter Hilflosigkeit.

mediainfo
10 Monate her
Antworten an  moorwald

„Scholz und Baerbock waren ja wohl als Parteimitglieder da ..“

Diese merkwürdige Aufteilung einer Person in mehrere handelnde Personen, da wo es nützlich ist, wurde soweit ich mich erinnere erstmals bei der Affäre um Guttenbergs „Doktorarbeit“, in den öffentlichen Diskurs eingeführt.

Sie sagen es selber: Das ist natürlich Unsinn. Wenn der Bundeskanzler und die Bundesaußenministerin da mitdemonstrieren, dann können sie ihr Amt nicht per Erklärung abspalten und „als … irgendwas“ vor Ort sein, dann sind sie als Person dabei, was selbstverständlich auch ihr Amt umfasst.

Last edited 10 Monate her by mediainfo
Kassandra
10 Monate her
Antworten an  mediainfo

Sie sind damit Partei – und übergehen die Anweisung, überparteilich zu handeln und für alle Deutschen gleichermaßen beste Lösungen zu finden. Sie sind es, die ausgrenzen! Aber gut. Spätestens mit Brandmauererklärung, roten Linien und eine Partei nirgends einzubeziehen oder wenigstens mit den MdBs aber auch MdLs zu reden haben sie sich ja schon vor Zeiten disqualifiziert. Steinmeier will ja auch nicht der Bundespräsident solcher sein, die wie die Alternative im konservativen Denken verharren. Was für Helden! An sich wäre Amtsenthebung inzwischen der Weg, der lange angestrebt werden müsste. Nur wer ist in diesem Lande für solches zuständig, da die, die… Mehr

Kassandra
10 Monate her

Tja. Dagegen Schlüttsiel…
Hätte sich ein solcher Kanzler ansonsten unter so von ihm titulierte „gefallene Engel aus der Hölle“ getraut?
Beim Handball gab es dann Buh-Rufe – auf der Demo nicht?
Wenn das alles Theater gewesen wäre muss man nicht nachfragen, was uns, den Steuerzahler das kostet, derart viele Komparsen anzuheuern?

Der Gnatz
10 Monate her
Antworten an  Kassandra

Sie brauchen nur mal in den Foren bei der „Zeit“ zu blättern, um zu erahnen, wer die Klatschhasis auf der Scholzdemo waren. Was dort für Räuberpistolen als Wahrheiten herausposaunt werden, lässt die Pharmaindustrie in Vorfreude auf den zu erwartenden Absatz von Psychopillen frohlocken.
Kernthema ist meist die „Klimakatastrophe“, worum dann der ganze weitere Wahnsinn geflochten wird. Jeder Hauch von Realität wird mit der N*zikeule platt gewalzt.
Bin gespannt, wann das kommentieren auch dort nur noch mit Abo möglich wird. 😉