EU-Parlament thematisiert Christenfeindlichkeit

Der Jahresbericht einer Beobachtungsstelle für Diskriminierung von Christen fördert beunruhigende Entwicklungen zutage. Zugleich scheint das Bewusstsein für die Problematik langsam aber sicher zuzunehmen.

ECR Group

Am 17. November veröffentlichte das Observatory on Intolerance and Discrimination against Christians in Europe (OIDAC) seinen Report für das Jahr 2024. Die Beobachtungsstelle dokumentiert christenfeindliche Diskriminierung und Gewalt in Europa.

Erstmals wurde der Jahresbericht im Brüsseler EU-Parlament öffentlichkeitswirksam vorgestellt – auf Einladung der Interfraktionellen Arbeitsgruppe des EU-Parlaments für Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit. Dies fällt mit einer weiteren Premiere zusammen: Am 19. November wird das EU-Parlament erstmalig in rotem Licht erstrahlen, wenn am Red Wednesday weltweit der verfolgten Christen gedacht wird. Ein marginalisiertes Thema fordert Sichtbarkeit ein.

Der OIDAC-Jahresbericht bietet eine umfangreiche, klare Analyse. Er trägt Zahlen zusammen, zeigt Zusammenhänge auf, formuliert aber auch Lösungsansätze gegenüber nationalen Regierungen, gesellschaftlichen Akteuren und der EU.

Statistik: Sinkende Fallzahlen, zunehmende Gewalt?

Zum einen wären da die Zahlen: 2.211 christenfeindliche Vorfälle listet OIDAC Europe auf, nicht eingerechnet Einbrüche und Diebstähle. Am schwersten betroffen sind dem Bericht zufolge Frankreich, Großbritannien und an dritter Stelle Deutschland.

Doch diese Zahlen sind eine „konservative Schätzung“, betont Anja Tang, Geschäftsführerin von OIDAC Europe, im Rahmen der Vorstellung des Berichts. Denn sie werden nicht zentral erfasst. In mühseliger Recherche sammelt die Beobachtungsstelle Meldungen, die von zivilgesellschaftlichen Akteuren ausgehen und führt diese Daten mit amtlichen Polizeistatistiken zusammen.

Die Aussagekraft offizieller Quellen variiert stark, EU-Staaten definieren und werten Straftaten und Motive unterschiedlich. Tang macht unter anderem darauf aufmerksam, dass scheinbar niedrigere Fallzahlen in England und Wales nicht auf weniger Christenfeindlichkeit deuten, sondern Ausdruck einer veränderten Erfassung seien.

Andererseits stieg die Anzahl tätlicher Angriffe von 232 auf 273 – obwohl in diesem Bereich ausgerechnet Daten aus Frankreich und Großbritannien fehlen, also aus jenen Ländern, die in der Gesamtstatistik die meisten Fälle aufweisen.

Die Deutung der Zahlen verlangt also einige Detailkenntnis, unmittelbar vergleichbar sind sie nicht.

Dramatische Untererfassung

Ein weiteres Problem ist die Zuordnung. Gezählt wird nur, was zweifelsfrei als christenfeindlich eingeordnet werden kann.

Hinzu kommt, dass Christenfeindlichkeit in Europa oft nicht wahrgenommen und von den Opfern selbst bagatellisiert wird. Laut einer polnischen Studie waren im Jahr 2024 fast die Hälfte von 1000 befragten Priestern Anfeindungen ausgesetzt, über 80 Prozent meldeten die Vorfälle aber nicht. OIDAC registriert für Polen nur 80 Vorfälle.

Screenshot: via X

Auch bei Schmierereien und Vandalismus ziehen viele Betroffene vor, den Schaden stillschweigend zu beheben, anstatt Anzeige zu erstatten.

Tang macht daher deutlich, dass die Datengrundlage nur einen Eindruck von den Dimensionen des Problems vermittelt. Sie geht von starker Untererfassung aus.

Dies macht den OIDAC-Bericht umso wichtiger. Ohne die Arbeit der Beobachtungsstelle könnten sich Europäer nicht annähernd ein Bild von der Situation machen. Anhand der Zahlen ist nicht zu leugnen, dass Christenfeindlichkeit ein unterschätztes Phänomen ist.

Vandalismus, Brandstiftung, Attacken

Das offenbart auch ein Blick hinter die Zahlen: Mit Fäkalien beschmierte Bibeln, zerstörte Beichtstühle, Urin im Weihwasser – auch die Deutsche Bischofskonferenz beklagte bereits zunehmenden Vandalismus.

Bei Brandstiftungen ist Deutschland trauriger Spitzenreiter: 33 von 94 erfassten Brandanschlägen wurden hier verübt.

Da die Täter oft nicht ermittelt werden können, ist eine Zuordnung der Taten schwierig. Gerade einmal in 93 Fällen betrachtet OIDAC die Motivation als gesichert. Islamistische Motive liegen mit 35 Fällen vorn, gefolgt von Linksextremismus in 19 Fällen. Auch satanistische Symbole fanden sich 15 Mal.

Brennende Kirchen sind aus religiöser und kultureller Sicht eine Katastrophe – noch schlimmer ist es, wenn Menschen zu Schaden kommen. So wurde im November 2024 bei einem Angriff auf ein Kloster in Spanien ein 76-jähriger Mönch erschlagen – sechs weitere wurden verletzt.

Dieser Fall, oder auch der des aus dem Irak geflohenen Christen Ashur Sarnaya, der 2025 vor laufender Kamera von einem Islamisten ermordet wurde, bleiben meist unter der Wahrnehmungsschwelle der Öffentlichkeit.

Das gilt insgesamt für ein Problemfeld, das sich aus Migrationsbewegungen ergibt: Christliche Flüchtlinge und vor allem auch Muslime, die zum Christentum konvertieren, werden nicht ausreichend geschützt.

Doch es sind nicht nur christenfeindliche Straftaten, die Christen in Europa zu schaffen machen.

Unterschwellige Feindseligkeit

Denn Gewalt ist das eine – mangelndes Bewusstsein für Christenfeindlichkeit das andere. Und dieses geht auf eine kulturelle Atmosphäre zurück, die das Phänomen leugnet, weil es bestimmten ideologischen Maßgaben nicht entspricht.

OIDAC weist auf einen Sachverhalt hin, der dringend der Korrektur bedarf: Das Christentum wird in der Öffentlichkeit und insbesondere von Medien oftmals verfälschend dargestellt und sogar offen diffamiert. Dementsprechend fordert der Bericht von medialen Akteuren größeres Verantwortungsbewusstsein.

Eine wichtige Erkenntnis. Denn in der Annahme, das Christentum stelle in der Geschichte Europas und in der Weltgeschichte durchgängig einen machtvollen Hegemon und Aggressor dar, wird christenfeindliche Agitation insbesondere in linken Kreisen nicht als Problem aufgefasst, sondern als legitime und gerechte emanzipatorische oder postkolonialistische Abwehrreaktion.

Das beruht wesentlich auf historischer Ahnungslosigkeit. Die Realität ist weit komplexer. Von der Bedrängnis der jungen Kirche in Jerusalem im ersten bis zur gewaltsamen Unterdrückung in Mexiko im frühen 20. Jahrhundert, von der Vernichtung des christlichen Nahen Ostens und Nordafrikas durch die Landnahme des Islam bis zur fast vollständigen Auslöschung des japanischen Christentums im 17. Jahrhundert; Verfolgung im Zuge der französischen Revolution, Unterdrückung in kommunistischen Regimen und so weiter: In der allgemeinen Rezeption wird ein signifikanter Teil der Geschichte des Christentums ausgeblendet, mit der Folge, dass der Christ als Opfer aufgrund seines Christseins im allgemeinen Bewusstsein schlicht nicht vorgesehen ist.

Religiösen Analphabetismus bekämpfen

Vor diesem Hintergrund zielt der Vorschlag von OIDAC, die religiöse Sprachfähigkeit in Politik, Öffentlichkeit und Medien zu erhöhen, auf ein Kernproblem.

Dies ist auch von Bedeutung, wenn es um Entscheidungen geht, die das religiöse Leben betreffen. So beschreibt OIDAC Europe einen Fall, in dem ein französischer Lehrer wegen eines Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot verurteilt wurde. Er hatte im Okzitanisch-Unterricht Gedichte über die heilige Bernadette behandelt: Vorbehalte gegen Religion gehen hier so weit, dass nationales Erbe unterschlagen werden soll.

In einem anderen Fall wurde einem Vater untersagt, seinem Kind aus der Bibel vorzulesen. Auch hier die implizite Annahme, säkulare Weltanschauungen seien „neutral“. Dabei haben diese ihre eigenen Prämissen und Wertvorstellungen, die nicht neutral sind, sondern lediglich nicht „klassisch religiös“. Die Bevorzugung säkularer Weltbilder bleibt oft unbemerkt, da unreflektiert.

Angriff auf Freiheitsrechte

Solche Diskriminierung ist weniger aufsehenerregend als Mordfälle. Aber sie ist wirkmächtig. Durch Nachteile in Studium und Beruf werden Christen in die Selbstzensur getrieben, trauen sich nicht, ihren Überzeugungen Ausdruck zu verleihen – für viele junge Christen ist es selbstverständlich, ihren Glauben zu verheimlichen, wie eine Dokumentation von OIDAC (hier in der deutschen Fassung) über christliche Studenten nachzeichnet.

Im medizinischen Bereich drohen Berufsfelder für Christen unzugänglich zu werden, wenn Gewissensfreiheit ausgehebelt wird, wenn Ärzte, Hebammen und Pflegepersonal sich nicht weigern düfen, an Abtreibungen oder assistiertem Suizid mitzuwirken.

Auch auf politischer und juristischer Ebene häufen sich Versuche, Religionsfreiheit einzuschränken: In Großbritannien macht immer wieder die Festnahme von Menschen Schlagzeilen, denen vorgeworfen wird, beim Stehen in der Nähe von Abtreibungskliniken stumm zu beten – Gedankenverbrechen?

In Finnland führt die Staatsanwaltschaft seit bald sieben Jahren einen zermürbenden Prozess gegen die ehemalige Innenministerin Päivi Räsänen, um ein Exempel zu statuieren. Sie hatte einen Bibelvers getweetet und sich zur christlichen Lehre über die Ehe bekannt.

Eingrenzung der Meinungsfreiheit, Verengung des Meinungskorridors: Diese Probleme betreffen alle Europäer, auch Nichtchristen. Mit dem Einsatz für Freiheitsrechte und der Warnung vor unspezifischen Hassrede-Paragrafen, die instrumentalisiert werden können, um unliebsame Meinungen zu verbannen, leistet OIDAC Europe also einen Dienst für die gesamte Bevölkerung.

Angesichts der komplexen Situation fordert OIDAC jedoch auch nachdrücklich die Einsetzung eines EU-Koordinators gegen Christenfeindlichkeit. Gegen Antisemitismus und antimuslimischen Hass existiert eine solche Einrichtung bereits – nun soll die EU zum Schutz der Christen nachziehen.

Auch die parteiübergreifende Arbeitsgruppe für Religions-, Weltanschauungs- und Gewissensfreiheit und die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (Comece) schließen sich dieser Forderung an. Dass sie nach Jahren wachsender Aggression gegenüber Christen und christlichen Einrichtungen in Europa nun im EU-Parlament selbst erhoben wird, könnte einen überfälligen Bewusstseinswandel andeuten.

 

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Kommentare ( 10 )

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HRR
28 Tage her

Wer seine Grenzen nicht schützen will, muss damit rechnen, Besuch auch von „Gästen“ zu bekommen, die üblicherweise an einer kontrollierten Grenze abgewiesen werden. Naivität und/oder Sendungsbewusstsein der Art one world, one people sind in dieser Welt leider nicht für ein konfliktfreies Zusammenleben geeignet. Wer religiöse Intoleranz importiert, sollte sich also nicht über Zustände wundern, die ihm Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Paradoxon der Toleranz: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann… Mehr

moselbaer
28 Tage her

Auch dieser Artikel macht einen politisch korrekten großen Bogen um den riesengroßen Elefanten im Raum. Welche Ideologie/Religion steckt denn hinter diesen beklagten Gewalttaten? Nein, diesmal sind es nicht die pööösen Rechten… und es sind auch nicht lauter psychisch erkrankte Einzeltäter…

Jens Frisch
28 Tage her

5:61 „Allah hat [die Juden und Christen] als Affen und Schweine erschaffen“
9:5 „Tötet sie, wo immer ihr sie findet“
Das sind noch die zarten Anfänge.

Schwabenwilli
28 Tage her
Antworten an  Jens Frisch

Christen in islamischen Ländern können ein Lied davon singen.
Derweil die Kirchen hierzulande sogar jenen Asyl gewähren die sie hassen.
Was Jesus dazu wohl sagen würde?

yeager
28 Tage her

Die Christen werden von ihrer eigenen Kirche auf dem Altar der politischen Korrektheit geopfert.

imapact
28 Tage her

„Einem Vater wird verboten zu seinem Kind aus der Bibel vorzulesen“? Wie bitte? Wann, wo, in welchem Rahmen? Das Christentum ist von allen Seiten unter Beschuss. Nicht zuletzt aus den eigenen Reihen, zumindest in Deutschland, wo die beiden Amtskirchen in unterschiedlichen Graden zu linksgrünen Vorfeldorganisationen verkommen sind.

joly
28 Tage her

Sehr interessant die Argumentation der organisierten Christen. Vor allem wenn sich beklagt wird wo überall in der Welt in den letzten 2 Jahrtausenden Christen verfolgt und christliche Länder von anderen Religionen übernommen wurden. Warum unterschlägt man, dass das Christentum zuvor alle Völker rund ums Mittelmeer bis an den Pol, gesamt Amerika und weite Teile Afrikas und Asien gewaltsam christianisiert haben? Vor der Kreuzigung gab es keine christlichen Gemeinden, keine christlichen Staaten, kein Papsttum und keine Staatskirchen. Was wir seit Mohammad erleben, ist durchaus vergleichbar mit dem Wüten der Christlichen Zwangsausbreitung, die ja heute noch nicht zu Ende ist, sondern von… Mehr

Jens Frisch
28 Tage her
Antworten an  joly

Ich empfehle ihnen „Die Eroberung Amerikas“ von Tzetan Todorov und „Schulden – Die ersten 5000 Jahre“ von David Graeber

https://www.suhrkamp.de/buch/tzvetan-todorov-die-eroberung-amerikas-t-9783518112137
https://www.klett-cotta.de/produkt/david-graeber-schulden-9783608985108-t-78

U.S.
28 Tage her

Thilo Sarrazin:

“ Deutschland schafft sich ab ! “

Deutschland ist mitten in Absurdisthan !

AmitO
28 Tage her

Die einzige tolerable Diskussion vom EUP wäre, wer als Letzter das Licht ausmacht.