Flucht und Migration in Afrika: Ursachen und Handlungsempfehlungen

Keine Parteitagsrede ohne Hinweis darauf, dass Fluchtursachen "wirksam bekämpft" werden müßten. Doch was sind Fluchtursachen, und wer ist dafür verantwortlich und wer kann sie beseitigen? Eine nüchterne Analyse zu einem emotionalen Thema.

© Spencer Platt/Getty Images

Die europäische Flüchtlingskrise ist ein dramatischer Weckruf, der das weltweite Ausmaß von Flucht und Migration verdeutlicht. Begünstigt durch moderne Kommunikationsmittel und eine wachsende Schleuserkriminalität haben sich Flucht und illegale Migration globalisiert. Afrika kommt angesichts des großen Migrationspotentials eine Schlüsselrolle zu. Es ist daher erforderlich, dass Europa und Afrika in einen neuen Dialog treten. Wenngleich die internationale Gemeinschaft gefordert ist, Afrika bei der Bekämpfung von Fluchtursachen beizustehen, muss auch an die Eigenverantwortung Afrikas appelliert werden.

Unterschiedlichste Fehlentwicklungen ….

In der Auseinandersetzung mit den Ursachen für Flucht und Migration in Afrika muss je nach Land differenziert werden. Während in manchen Staaten primär gewaltsame Konflikte oder politische Verfolgung im Vordergrund stehen, gibt es andere Länder, in denen vornehmlich wirtschaftliche und berufliche Perspektivlosigkeit Anlass für Migration sind. Das erklärt, warum so viele Menschen aus friedlichen und stabilen Demokratien emigrieren. Die meisten derzeit in Europa ankommenden afrikanischen Migranten gehören nicht zu den „Ärmsten der Armen“. Es sind häufig Personen, die oberhalb der Armutsgrenze leben oder mitunter gar der afrikanischen Mittelschicht angehören. Insofern sind auch das starke Wirtschaftswachstum und die wachsende Mittelklasse Afrikas eine direkte Ursache für Mobilität und Migration.

Neben den sogenannten Push-Faktoren spielen auch Pull-Faktoren eine wichtige Rolle bei der Migration nach Europa. Afrika ist mit seinen 54 Staaten flächenmäßig größer als China, Indien, Westeuropa und die Vereinigten Staaten zusammengenommen und bietet in vielen Ländern friedliche Zonen der Stabilität und der relativen Prosperität. Pull-Faktoren sind in aller Regel nicht Anlass für Flucht und Migration, erklären aber, warum sich Flüchtlinge und Migranten für bestimmte Zielländer entscheiden und sich auf den weiten und gefährlichen Weg nach Europa machen, statt sich in ein friedliches Nachbarland zu begeben. Bessere Lebens-, Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie die sozialen Sicherungssysteme in einigen europäischen Staaten wirken wie ein Magnet auf Flüchtlinge und Migranten.

Ein weiterer Aspekt, der in der öffentlichen Debatte selten thematisiert wird, ist die wirtschaftliche Bedeutung der Geldtransfers der im Westen lebenden Afrikaner an ihre Familien in der Heimat. Diese Überweisungen spielen nicht nur für viele afrikanische Familien eine unverzichtbare Rolle, sondern auch für die Volkswirtschaften Afrikas, was die Haltung der regierenden Eliten gegenüber der Emigration der eigenen Bevölkerung beeinflusst. Laut Weltbank und anderen Quellen machen die sogenannten diaspora remittances in manchen Ländern über 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Repressive Regime wie in Eritrea, Simbabwe und dem fragilen Somalia scheinen nur zu überleben, weil sie „Menschen exportieren“, die harte Währung zurück in ihre Heimat transferieren. Hinzu kommt, dass es Regierungen der Herkunftsländer nicht selten hilft, wenn unzufriedene, oft junge Menschen, das Land verlassen – Migration kann so auch als regimestabilisierendes Ventil wirken.

Die Weltbank schätzt, dass in den letzten Dekaden mindestens 30 Millionen Afrikaner ihr Heimatland verlassen haben und in anderen Ländern der Welt leben. Die überwiegende Mehrheit sind Wirtschaftsmigranten auf der Suche nach besseren Lebens- und Arbeitschancen. Aktuelle Weltbank-Statistiken geben für 2015 an, dass ein Viertel der 23 Millionen Migranten aus Subsahara Afrika in OECD-Ländern leben, während zwei Drittel, zumeist Personen mit geringem Einkommen, in Staaten der unmittelbaren Nachbarschaft ausgewandert sind.

Das Ausmaß der Fluchtbewegung

Besonders prekär ist die Lage der vielen Flüchtlinge. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen beziffert die Gesamtzahl der Vertriebenen in Afrika im Jahr 2015 auf rund 15,4 Millionen. Davon sind neun Millionen sogenannte Binnenflüchtlinge, also Personen, die innerhalb ihres Heimatlandes fliehen mussten. Die Frage, ob Afrikas Staaten den rechtlichen und humanitären Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen gerecht werden, wird kontrovers diskutiert. Während Hilfsorganisationen argumentieren, dass arme afrikanische Staaten mit der großen Anzahl von Flüchtlingen schlicht überfordert sind, betonen Kritiker, dass es der herrschenden Elite häufig an Verantwortungsbewusstsein fehlt und die Flüchtlingshilfe gern der internationalen Staatengemeinschaft und der lokalen Bevölkerung überlassen wird. Der Umgang afrikanischer Regierungen mit Flüchtlingen ist häufig durch eine laissez faire-Haltung gekennzeichnet. Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge bleiben meist sich selbst überlassen; an staatlicher Unterstützung und zukunftsfähigen Bleibeperspektiven mangelt es. Bis auf wenige Ausnahmen stehen auch friedliche und wirtschaftlich aufstrebende Staaten ihren afrikanischen Brüdern und Schwestern in der Flüchtlingsfrage nicht solidarisch zur Seite. Traurige Realität ist, dass nationales und internationales Flüchtlingsrecht häufig nicht umgesetzt und die Verantwortung anderen überlassen wird. Rund 13 der insgesamt 15,4 Millionen Vertriebenen in Afrika hängen am Tropf internationaler Hilfsorganisationen.

Angesichts der vielen Millionen Afrikaner, die Umfragen zufolge gern ihren Kontinent verlassen würden, sind die aktuellen Migrationsströme nach Europa noch verhältnismäßig bescheiden. Ungelöste Konflikte, schlechte Regierungsführung, berufliche Perspektivlosigkeit der Mittelschicht und ein rasantes Bevölkerungswachstum werden den Migrationsdruck in Zukunft wohl deutlich verschärfen. Afrikas Bevölkerung wird sich bis 2050 auf 2,4 Milliarden verdoppeln. Im Zuge dessen wird auch Afrikas Mittelklasse wachsen und immer mehr Afrikaner werden finanziell zur Auswanderung in der Lage sein. Spätestens seit 2015 wissen wir, dass Schleusernetzwerke, unterstützt durch korrupte Eliten, die Logistik für eine illegale Massenmigration nach Europa bereitstellen.

 

…unterschiedlichste Verantwortlichkeiten

Die Flucht- und Migrationsthematik zeigt, dass Europa und Afrika in einen neuen Dialog treten müssen. Es muss offen über Herausforderungen, Verantwortlichkeiten und zukunftsfähige Formen der Zusammenarbeit gesprochen werden. Der Dialog mit Afrika sollte unter anderem die folgenden Themen umfassen:

1) Während Afrika nicht für Klimawandel und Naturkatastrophen verantwortlich gemacht werden kann, muss bei der Bekämpfung anderer Fluchtursachen stärker an die Eigenverantwortung afrikanischer Eliten appelliert werden. Konflikte, schlechte Regierungsführung und die Verletzung internationaler Menschrechtsstandards sind hausgemachte Probleme.

2) Angesichts der vielen Menschenrechtsverletzungen ist eine rigorose Bekämpfung der Schlepper und Schleuser schon aus humanitären Gründen dringend geboten. Hierfür bedarf es einer verbesserten sicherheitspolitischen Kooperation zwischen Europa und Afrika. Es gibt aber auch einfache Maßnahmen, die zeitnah Wirkung entfalten können. Besonders zielführend wäre eine Kommunikationsinitiative in den sozialen Medien, die den falschen Versprechen der Schleuserkriminalität entschieden entgegentritt, Einwanderungserfordernisse und -möglichkeiten klar darlegt und die Konsequenzen illegaler Migration sowie drohender Abschiebungen unmissverständlich kommuniziert.

3) Fluchtursachen bekämpfen heißt auch, die internationalen Bemühungen zur Konfliktbeilegung und Friedenssicherung zu verbessern. Im Jahr 2015 gab es in Afrika neun Friedensmissionen der Vereinten Nationen mit über 100.000 Blauhelmsoldaten. Die Kritik an den Friedenseinsätzen reißt jedoch nicht ab. Die Vorwürfe lauten unter anderem: Unzureichender Schutz von Zivilisten, fehlende Absprache mit nationalen und regionalen Organisationen sowie nur geringer Erfolg bei der Herbeiführung von langfristiger Stabilität. Vor diesem Hintergrund müssen die UN-Mitgliedstaaten die Vereinten Nationen auffordern, seit Jahren geforderte Reformempfehlungen umzusetzen und sich im Dialog mit der Afrikanischen Union auch mit der schwierigen Frage beschäftigen, welche Rolle Friedenseinsätze in Situationen spielen, in denen es kein Friedensabkommen gibt beziehungsweise afrikanische Regierungen gegen die UN-Präsenz arbeiten. Dringend notwendig erscheint es, relevante Forschung zur Sicherheitslage und friedensbildenden Maßnahmen in afrikanischen Ländern gezielt und systematisch zu unterstützen und sich anschließend aktiv auf die Umsetzung wichtiger Forschungsergebnisse durch Entscheidungsträger zu konzentrieren.

4) Besondere Aufmerksamkeit verdient die humanitäre Nothilfe zur Versorgung der Flüchtlinge. Dabei gilt es die Entwicklung einer selbstperpetuierenden sogenannten „Flüchtlingsindustrie“, an der im Zweifelsfall lokale Eliten profitieren, unbedingt zu vermeiden. Die internationale Gemeinschaft ist gefordert, angemessene Finanzmittel für die Flüchtlingshilfe bereitzustellen. Aber auch in Anbetracht der stets knappen Mittel müssen die Strukturen und Prozesse der internationalen Hilfe regelmäßig auf ihre Effektivität und Nachhaltigkeit überprüft werden. Nachhaltigkeit heißt, eine über Jahrzehnte anhaltende Unterbringung in Flüchtlingslagern zu vermeiden. Flüchtlinge müssen möglichst nahe ihrer Herkunft untergebracht werden, so dass die Rückkehr in ihre Heimat nach Beilegung des Konflikts schnell und unbürokratisch möglich ist. Sollte eine baldige Rückkehr nicht möglich sein, müssen Anrainerstaaten und die afrikanische Staatengemeinschaft mit in die Pflicht genommen werden, Flüchtlinge aufzunehmen und in ihren Ländern zu integrieren.

5) Der Plan der EU, sogenannte „Migrationspartnerschaften“ mit den Hauptherkunfts- und Transitländern abzuschließen, ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn er – gerade wenn es um die Zusammenarbeit mit problematischen Staaten geht – schwierige Fragen aufwirft. Solche Partnerschaften müssen unter anderem das Ziel verfolgen, politisch oder anderweitig Verfolgten langfristige Bleibeperspektiven in sicheren Anrainerstaaten zu schaffen. In diesem Zusammenhang muss Europa darauf drängen, dass afrikanische Partnerstaaten Flüchtlings- und Asylgesetze verabschieden und umsetzen, die internationalen Standards entsprechen.

6) Migrationsrelevante Entwicklungszusammenarbeit muss zudem darauf abzielen, die Zukunftsperspektiven der afrikanischen Mittelklasse zu verbessern. Dies bedeutet, Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Arbeitsmöglichkeiten für diese Gruppe zu schaffen. Besonders wichtig sind die Förderung der regionalen Integration, die Liberalisierung strenger Visa-Regime und der Abbau von Handelsbeschränkungen zur Steigerung des innerafrikanischen Handels, der derzeit nur etwa elf Prozent der afrikanischen Im- und Exporte ausmacht.

7) Im Hinblick auf die Verbesserung legaler Migrationsmöglichkeiten nach Europa sprechen drei Argumente für die Einrichtung von Asyl- und Migrationszentren vor Ort in Afrika. Zum einen müssten sich Schutzsuchende nicht auf den langen und gefährlichen Weg nach Europa machen, sondern würden vor Ort über ihre Chancen auf Asyl in Europa informiert. Zum anderen braucht es lokale Expertise, um die Schutzbedürftigkeit und Herkunft eines Asylbewerbers realistischer überprüfen zu können. Mit entsprechender Sprach- und Kulturkenntnis kann besser festgestellt werden, ob es sich bei einem Antragsteller wirklich um einen Flüchtling oder um einen Wirtschaftsmigranten mit vorgetäuschter Identität handelt. Europäische und deutsche Asylbehörden sind damit oft überfordert. Letztlich zählt auch das Kostenargument: Eine Überprüfung des Asylanspruchs vor Ort würde Milliarden einsparen und helfen, die teure und schwierige Abschiebung von nicht Asylberechtigten zu vermeiden. Zugleich könnte mit Hilfe eines Punktesystems die legale Migration qualifizierter Bewerber gesteuert werden.

Dr. Wolf Krug ist Büroleiter der Hanns-Seidel-Stiftung im südlichen Afrika, Frau Marlene Barnard ist Mitarbeiterin der Hanns-Seidel-Stiftung in Südafrika.

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Kommentare ( 2 )

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Norri Fjärran
7 Jahre her

Immer wenn der Kolonialismus zur Sprache kommt, fällt mir direkt Monty Pythons „Was haben die Römer je für uns getan“ ein.

Norri Fjärran
7 Jahre her

Und selbst WENN wir 1 mio. Afrikaner pro Jahr aufnehmen würden…allein der schwarze Kontinent wächst jährlich um 30 mio. Menschen an. Solange nicht in der Familienplanung radikal umgedacht wird, reißen die kinderreichen Afrikaner jedes Bemühen mit sich in die Tiefe.