SPD und Union zweifeln an sich selbst: Wie belastbar ist die Regierung?

Der SPD-Mann Matthias Miersch stellt die Belastbarkeit der Regierung in Frage. Als Fraktionsvorsitzender wäre es seine Aufgabe, die Belastbarkeit herzustellen. Doch noch bevor die ersten 100 Tage vorbei sind, hat sich diese Koalition schon aufgegeben – nur eins hält sie zusammen.

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Die beiden Fraktionsvorsitzenden Matthias Miersch (SPD) und Jens Spahn (Union), Berlin, 26.06.2025

Die berühmten 100 Tage, die man einer neuen Regierung geben soll, gehen am Donnerstag zu Ende. Doch eigentlich macht diese Schonfrist ohnehin nur Sinn, wenn die Handelnden um Zeit bitten, sich Dinge anschauen zu können, bevor sie diese verändern. Wer aber wie CDU, CSU und SPD noch vor Amtsantritt das Land mit weiteren 850 Milliarden Euro überschuldet, kann schlecht sagen: Gebt uns ein wenig Zeit, um zu sagen, ob das eine gute Idee war.

Zwei herbe Niederlagen hat diese Regierung schon in ihren ersten 100 Tagen kassiert. Zum einen die gescheiterte Wahl von Friedrich Merz (CDU) zum Kanzler im ersten Wahlgang. Nun die verpatzte Richterinnenwahl. Das Drama ist zum einen mit dem „freiwilligen“ Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf noch nicht beendet – und es zeigt zum anderen, dass die Koalitionspartner sich in schwierigen Fragen nicht einigen können: „Vielleicht fragen sich einige von euch, wie belastbar diese Koalition überhaupt noch ist.“

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Das Zitat stammt von Matthias Miersch. Er ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag. Sein Job ist es, dafür zu sorgen, dass diese Koalition belastbar ist oder wird. Man stelle sich einen Piloten vor, der an der Startbahn neben dem Flugzeug steht und die ankommenden Passagiere fragt, für wie belastbar sie diese Maschine halten. Hand aufs Herz, wer würde da mitfliegen wollen? Vom anderen Piloten, dem Fraktionsvorsitzenden der Union, Jens Spahn, verlangt Juso-Chef Philipp Türmer sogar den Rücktritt. Crasht diese Maschine also noch in den ersten 100 Tagen?

Das nicht. Die Entscheider waren am Morgen danach eher bemüht, den Motorschaden Brosius-Gersdorf runter zu spielen. Sie wollen an der Koalition festhalten. Aus Mangel an Alternativen. Oder richtiger: wegen der Alternative, der Alternative für Deutschland (AfD). Merz hat vor Amtsantritt nicht zu Unrecht festgestellt, dass diese Regierung funktionieren müsse, wenn die größte deutsche Oppositionspartei nicht noch weiter wachsen solle. Ein so frühes Scheitern würde die AfD stärker machen und dem Bündnis Sahra Wagenknecht eine Chance geben, die knappe Niederlage vom Februar wettzumachen.

Doch schon jetzt reicht es in den Umfragen nicht mehr für eine Mehrheit für das, was sich früher mal zu Recht die „große Koalition“ genannt hat. Würden diese Umfragen zu einem Ergebnis werden, dann gebe es drei Möglichkeiten: Die Union lässt die „Brandmauer“ einstürzen und arbeitet mit der AfD zusammen. Das ist, Stand jetzt, die unwahrscheinlichste Möglichkeit. Oder SPD, Grüne und Linke bilden eine linke Minderheitsregierung, indem sie CDU und CSU zwingen, diese der „Brandmauer“ wegen mitzutragen. Bei dem jetzigen „Kopf an Kopf“-Rennen im linken Lager wäre sogar eine Kanzlerschaft von Heidi Reichinnek in dem Fall ein Thema. Am wahrscheinlichsten wäre aber die dritte Möglichkeit: eine Koalition von Union, SPD und Grünen. Kurzum: Die Koalition würde mit einer Neuwahl ihre Situation verschlimmern, statt sie zu verbessern.

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Also halten CDU, CSU und SPD an der Zusammenarbeit fest. Auch wenn sie sich selbst fragen, wie belastbar die ist. Wenig – um eine Antwort zu liefern. Bis jetzt hat die Koalition den Staat massiv verschuldet und mit dem gepumpten Geld vermeintliche Geschenke bezahlt und verteilt. Doch selbst mit diesem Wohlfühlprogramm im Rücken kam es zu den beiden schweren Niederlagen innerhalb der ersten 100 Tage.

Wie soll das erst werden, wenn die Koalition das Bürgergeld reformiert? Versucht, die Lohnnebenkosten durch Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zu senken – oder wenigstens ihren Anstieg zu bremsen. Bürokratie abschaffen, während die Koalition doch selbst die Tendenz hat, Bürokratie massiv aufzubauen. Die Verwaltung digitalisieren, woran drei Kanzler bereits gescheitert sind. In keinem von diesen Punkten scheinen sich CDU, CSU und SPD einigen zu können. Schon gar nicht, wenn Spahn und Miersch die Männer sind, die diese Einigung herbeiführen sollen.

Die Regierung setzt auf ihre Kommissionen. Die sollen all die Grausamkeiten vorschlagen, sodass die Regierung nicht dafür verantwortlich ist. Ernsthaft. Das ist die Kommunikations-Strategie von CDU, CSU und SPD: Wählt mich als euren starken Mann! Ich bringe euch zwar nichts als Leid, kann aber nichts dafür, weil die Kommissionen das halt so wollen – und außerdem bin ich besser als die AfD, weil… die AfD ist böse. Über diese Brücke wollen Merz, sein Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) und sein Schattenkanzler Markus Söder (CSU) tatsächlich gehen. Spoiler: Diese Brücke trägt nicht.


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Kommentare ( 36 )

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Juergen Schmidt
3 Monate her

Schwachsinn. Die SPD ist selbst die größte »Belastung für die Koalition«, wenn sie versucht, linksradikale verfassungsfeindliche Politaktivisten als Richter im Bundesverfassungsgericht zu platzieren. Und nicht nur für die Koalition, auch für unser Land und uns Bürger.

Herbert K.
3 Monate her

Liebe deutsche Landsleute, wir haben in Österreich ein ähnliches Dilemma mit unserer „Regierung“. Bei uns regiert allerdings eine sogenannte „Verlierer-Ampel“, welche sich mit Hilfe unseres grünen Bundespräsidenten an die Macht geputscht hat. Ihr Deutschen könnt einem leid tun, ihr hättet Besseres als einen Merz verdient nach Scholz, Habeck und Lindner. Allerdings dort wie da, leider ist die Wählerschaft mittlerweile derart degeneriert, zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Was es dort wie da dringend bräuchte, wären absolute Mehrheiten für AFD und FPÖ. Alleinige absolute Mehrheiten. Sonst kann man die Länder nicht mehr reparieren, sie sind mit den jetzigen linken Regierungen dem… Mehr

spindoctor
3 Monate her

Linke“ ist der nom de guerre für die neue Sozialistische Einheitspartei – und Herr Merz hat die Einladung zum Beitritt angenommen.
Enjoy the party.

Reimund Gretz
3 Monate her

100 Tage, und die Regierung Merz ist auf Ampelniveau angekommen.

Kann man das so sagen?

Karl Renschu
3 Monate her
Antworten an  Reimund Gretz

Berlusconi hatte plötzlich wieder volles schwarzes Haar.
Wenn Merz wieder volles braunes Haar hat, ist das Ampelniveau baerbockesk erreicht.

Biskaborn
3 Monate her

Die halten zusammen wie Pech und Schwefel, daran besteht kein Zweifel! Die ruinieren das Land bis zum „ geht nicht mehr“, Hauptsache regieren. Definitiv. Die SPD würde allerdings dann ausscheren, wenn die Aussicht auf Rot-Rot-Grün bestehen würde. Dann aber Gnade dem Land Gott!
Wobei, ich möchte besser nicht wissen wieviele West- aber , wenn auch weniger , Ostdeutsche das richtig gut finden würden!

Heide F.
3 Monate her

Die Wähler haben mehrheitlich schwarzblau gewählt und rotgrün bekommen. Das kann nicht gutgehen,

Deutscher
3 Monate her

Bilanz? Braucht es da überhaupt noch eine Bilanz? Vielleicht zu dem Zweck, den die Bordkappelle der Titanic am Ende noch erfüllte, aber mehr auch nicht.

Freigeistiger
3 Monate her

Die Strategie, für heikle politische Entscheidungen Kommissionen einzuspannen, kennt man ja schon von Merkels Coronapolitik. Von der Regierung instruierte oder ihr zumindest nahestehende „Experten“ verkünden dann mit wissenschaftlicher Autorität, was angeblich Sache und zu machen ist. Unabhängige kritische Experten bleiben außen vor und werden diskreditiert. Bei Corona wurde das von den meisten Bürger geschluckt, auch dank massiver medialer Unterstützung bzw. Angstmache. Das Problem bei solchen Kommissionen ist, daß sich die Regierungspartner einig sein sollten, wie das Ergebnis aussieht, sonst nützt die willfährigste Kommission nicht viel. Da Merz sich wegen Brandmauer an die SPD gekettet hat, dürfte letztere auch weiterhin den… Mehr

giesemann
3 Monate her

Die gewohnte Rolle als Kanzlerwahlverein war eben doch einfacher. Jetzt soll die Union auch noch Politik machen! Unverschämtheit. Wo doch die C-Parteien immer dafür gut waren, die Bevölkerung von Politik unbehelligt zu lassen. Porca miseria.

WGreuer
3 Monate her

Ich bin gespannt, wie lange die (noch) wirklichkonservative Basis der Union sich dieses Affentheater antun will. Glauben die (und ihre Wähler) wirklich, dass eine Koalition der bis zur Unkenntlichkeit in Linksgrüne verdrehten Union mit einer inzwischen schon linksradikalen SPD oder gar mit den völlig durchgeknallten Maoisten der Grünen irgendetwas im Lande verbessern kann? Hat die (damals) große Koalition in den letzten 20 Jahren etwas verbessert oder ist alles eher (viel) schlechter geworden? Oder hat gar die Ampel etwas verbessert? Was ist denn in den letzten 20 Jahren passiert? Wenn man ehrlich ist: eine Katastrophe jagte die nächste. Die Probleme wuchsten… Mehr

Spyderco
3 Monate her

Interessant,wie die schwarz-rot-grüne Einheitspartei versucht,die Unterschiede zwischen den einzelnen Blockparteien zu betonen.
In den Hauptthemen,Massenmigration,Klimawahnsinn und Steuermilliarden für alle Welt (ausser für deutsche Bürger),sind sie sich einig!