SPD schleppt sich geschwächt in Koalitionsverhandlung

Ohne Nahles hätte Schulz wohl eine Abstimmungsniederlage erlitten. So aber hat er eine Nachfolgerin, die ihm den Rest seiner Amtszeit schwer machen wird.

© Lukas Schulze/Getty Images

Das war knapp. Der SPD-Parteitag musste zweimal abstimmen, bis feststand: Die Mehrheit ist für Koalitionsverhandlungen. Im Ergebnis von 362 Ja-Stimmen (56 Prozent) zu 279 Nein-Stimmen spiegelt sich die Zerrissenheit der Partei wider: die einen wollen das Land mitgestalten, die anderen ihre geheiligte „Beschlusslage“ bis zum letzten Spiegelstrich durchsetzen – oder gar nichts.

Die SPD hat sich also entschieden, nach den Vor-Sondierungen und den Sondierungen mit der CDU/CSU jetzt „richtige“ Koalitionsgespräche zu beginnen. Ob es anschließend wirklich zur Großen Koalition kommt, steht damit noch lange nicht fest. Über den Koalitionsvertrag müssen dann noch die rund 450.000 Mitglieder abstimmen, die sogenannte Basis. Das muss man der SPD zugestehen: Sie macht es sich nicht leicht.

Dieser langwierige Entscheidungsprozess wird von nicht wenigen Beobachtern als Sternstunde innerparteilicher Demokratie gefeiert. Man kann das aber auch anders sehen. Der Abstimmungsmarathon, der schon mit einem Parteitag im Dezember begann, soll zwei bittere Tatsachen kaschieren. Erstens, dass die SPD eine tief gespaltene Partei ist. Zwischen pragmatischen Machern und ideologischen Theoretisierern, zwischen Linken und Rechten verlaufen tiefe Gräben. Zweitens hatte die SPD-Führung in der Koalitionsfrage die Standfestigkeit eines Wackelpuddings: dagegen, dagegen, halb dafür, doch dafür, ganz dafür. Zum Thema Groko gab es nichts, was Martin Schulz seit dem 25. September nicht gesagt hat – und jeweils auch das Gegenteil davon.

In dieser Lage haben Schulz und Genossen die Entscheidung in einem mehrstufigen Prozess in die Hände von hauptamtlichen Funktionären und einfachen Mitgliedern gelegt. Das war zugleich ein Prozess der organisierten Verantwortungslosigkeit. Am Ende kann jeder sagen: „Ich war’s“ beziehungsweise „ich war’s nicht“. Wenn solche Verfahren als „Sternstunde der Demokratie“ Schule machen, dann muss man sich um die Parteiendemokratie ernsthaft Sorgen machen.

Ein Augenschein
SPD-Parteitag: Gesichtskontrolle
Genau genommen ist nach dem Parteitag weiter alles offen. Der Parteitag hätte wohl die Tür zu weiteren Verhandlungen mit der Union zugschlagen, wenn die Führung nicht in Aussicht gestellt hätte, man werde in den Koalitionsverhandlungen noch mehr erreichen als bei den Sondierungen. Zu den Forderungen des Parteitags für eine Große Koalition gehören eine „weitergehende Härtefallregelung“ für den Familiennachzug von Flüchtlingen, die „Einleitung“ des „Endes der Zwei-Klassen-Medizin“. Geeignete Schritte dafür wären nach Ansicht der SPD eine gerechtere Honorarordnung für Krankenversicherte und die Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte. Schließlich soll der CDU/CSU abgehandelt werden, dass befristete Arbeitsverhältnisse künftig die Ausnahme sein müssten – zum Beispiel durch die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung.

Dieses Paket werden die SPD-Verhandler also mit in die Koalitionsrunden nehmen. Der Parteitag hat zwar darauf verzichtet, diese Forderungen als unumstößliche Bedingungen für einen Regierungseintritt zu nennen. Nun ist nicht auszuschließen, dass die CDU/CSU der SPD auf sozialdemokratischem Terrain noch weiter entgegen kommt oder ihre eigene Sozialdemokratisierung konsequent fortsetzt. Anderenfalls dürfte das an der SPD-Basis zu neuen Enttäuschungen führen. Dann könnte auch der Mitgliederentscheid auf der Kippe stehen.

Martin Schulz, vor zehn Monaten von der eigenen Partei noch als „Gottkanzler“ verehrt, geht schwer beschädigt aus diesem Parteitag hervor. Seine Rede wurde nur mit Pflichtapplaus bedacht, seine Wichtigtuerei („Ich habe mit Macron telefoniert“) mit Gelächter, sein hohles Pathos („Die Republik schaut auf uns“) mit peinlichem Schweigen. Dass die Parteispitze sich schließlich knapp durchsetzte, verdankte sie in erster Linie dem couragierten Auftritt von Andrea Nahles. Die Fraktionsvorsitzende machte den Delegierten lautstark klar, was der Unterscheid zwischen praktischer Sozialpolitik  und blutlosem Theoretisieren ist. Ohne sie hätte Schulz wohl eine Abstimmungsniederlage erlitten. So aber hat er eine Nachfolgerin, die ihm den Rest seiner Amtszeit schwer machen wird.

Seit der 20,5 Prozent-Katastrophe vom 24. September fürchtet die SPD um ihre eigene Existenz als eine Partei von relevanter Größe. So geschwächt ging sie in die Sondierungen. Jetzt schleppt sie sich noch schwächer in die Koalitionsverhandlungen: „Mit uns zieht die schwere Zeit…“

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Kommentare ( 97 )

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Flibustier
6 Jahre her

Familiennachzug jedes Jahr in Kleinstadtgröße ? Wenn jeden Tag nur über die österreichisch-bayerische Grenze 500 bis 800 Reisende nach Deutschland strömen, sprechen wir hier von täglich guten zwei zusätzlichen Dörfern. Hochgerechnet sind das schon ca. 200 000 jährlich. Mit Familiennachzug kommt da locker eine Millionenmetropole zusammen. Man wird sich noch wundern, wer bei denen plötzlich alles zur Familie gehört ! Und da ca. 80 % ohne Pässe kommen, sind die gemachten Angaben dieses Klientel ja total glaubwürdig. Ich fände es zum Ausgleich ja mal super, wenn das deutsche Finanzamt meinen jährlichen Fantasieangaben ohne jeglichen Nachweis Glauben schenkt und sich meine… Mehr

Frank Stefan
6 Jahre her

Man wird den Eindruck nicht los, wenn man diese Partei-Granden hört, das irgendjemand denen sagt, was sie machen sollen. Und dann legen sie jedesmal ihr ganzes rhetorisches Können hin, mal dalang, dann wieder mit Schmackes dortlang. Aber der Wähler wählt, auch das, wieder und wieder. Was soll man da von einem „harten Kern“ an Wählern halten? Sollte ein Kern nicht hart sein, weil er es in der Sache sein muss? Müsste dann nicht gerade diese Partei vom Wähler-Kern her erodieren? Oder ist hier hart nur eine Metapher für politisch unzurechnungsfähig? Wer zynisch denkt würde jetzt bemerken, dass es sich hier… Mehr

sozis habe fertig
6 Jahre her

SPD ist am A. mit A.Nahles

Teilhaber
6 Jahre her

Die SPD sollte sich mal um ihre stellvert. Vorsitzenden des Ortsvereins Morrege Peter Gottschalk kümmern, der ganz offen seine verfassungfeindliche Gesinnung zur Schau stellt und Menschen wegen ihrer politischen Meinung diskriminieren will.
https://www.abendblatt.de/sport/fussball/hsv/article213200625/AfD-Anhaenger-sollen-nicht-Mitglied-beim-HSV-werden.html

walter w e r n e r
6 Jahre her

…ja die Partei, die Partei, hat immer Recht !

N. Berning
6 Jahre her

Angesichts der aktuellen Lage der SPD fällt mir ein Spruch von Amazon-Gründer Jeff Bezos ein, für den bekanntlich jeder Tag ein „Day One“ (Tag Eins), also stetige Innovation ist:

„Tag Zwei ist Stillstand…“

Ja, die SPD hat sich seit den Hartz-Reformen nicht mehr weiter-, zum Teil sogar zurückentwickelt.

„… gefolgt von Irrelevanz…“

Besorgte Bürger fragen: Braucht sie noch jemand oder kann sie weg?

„… dann quälender, schmerzhafter Niedergang…“

Dieses Trauerspiel durchlebt die Partei gerade: „GroKo“ = extended version.

„… gefolgt vom Tod.“

Ist nur noch eine Frage der Zeit – zumindest ihr Ende als „Volkspartei“.

Ingolf Pärcher
6 Jahre her
Antworten an  N. Berning

Ja, schade. What is left of love? Selbst wenn man sich der SPD mal nahe gefühlt hat (bin geständig), daß es so abgef***t zu Ende gehen soll, auf eigenen suizidalen Wunsch, nur noch *facepalm*. Oder um es mit Brösels Werner zu sagen: Maddin, mach des nich, aber der hört mal wieder nich. Seltsame Rolle der Banahles, die ja eigentlich im Pippi- Langstrumpf- Jargon („in die Fresse rein“) so oppositionsfreudig war, eine merkelwürdige Kehrtwende eingeschlagen hat und sich geradezu in einer Brandrede für nochne GroKo ins Zeug gehängt hat. Posten und Pöstchen für Freunde scheinen dann doch mehr zu wiegen als… Mehr

dieter b.
6 Jahre her

Kommender Mitgliederentscheid: Ich rechne damit , dass der SPD-Vorstand verhindern will, dass die Neueintritte mitwählen dürfen. Aber ich bin trotzdem gestern eingetreten, Falls der Vorstand zu solchen undemokratischen Mitteln greift, wird es der SPD schaden, falls nicht – kann ich gegen Merkel stimmen. Win-Win- Situation:-)
Ich würde dann auch mit meinen Verbündeten den Mitgliederentschied anfechten:-)

Gero Hatz
6 Jahre her

Glücklicherweise haben diejenigen, die das Land weiter gestalten wollen, sich durchgesetzt. Nun muss Chulz in den GroKo Verhandlungen nur noch ein paar wirklich heisse Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen und 80% Spitzensteuersatz für alle mit mehr als 5000 Kröten im Monat auf den Tisch legen und Merkel wird alles abnicken. Das ist nämlich ihre letzte Chance am Amt kleben zu bleiben. In den nächsten vier Jahren wird sich dann zeigen, was es wirklich heisst, aggressive junge Männer aus archaischen Kulturen zu importieren. Und dann steht der Weg für eine Neuorganisierung der Parteienlandschaft offen.

Gerd Körner
6 Jahre her
Antworten an  Gero Hatz

Bei Ihnen fängt der Reichtum aber schon sehr früh an. Das lässt tief blicken.

Gerd Körner
6 Jahre her
Antworten an  Gero Hatz

80% Spitzensteuersatz auf 5000 Euro/Monat! Hmmm? Meinereiner soll also 4000 Euro Steuern monatlich bezahlen, damit Ihresgleichen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen morgens früh länger im Bett liegenbleiben dürfen. Danke, hierfür keine weiteren Fragen! Ich merke nur wie viel Neid und Schwachsinn in den spinnerten Köpfen mancher Zeitgenossen irrlichtert.

Silas
6 Jahre her

Die SPD hat nicht begriffen, dass Merkel untragbar ist. Dieses Versagen ist historisch.

The Saint
6 Jahre her
Antworten an  Silas

Und sie hätte richtig punkten können bei ca. 60% aller Wähler, wenn Schulz den Drachen erlegt hätte. Wie kann man sich so eine Chance entgehen lassen?

Imre
6 Jahre her
Antworten an  The Saint

Kurz und prägnant, prima. Leider ist Schulzilein kein Drachentöter… (Mut, Charakter, Durchblick, Entschlossenheit, zu viele Defizite!)

Gerhard Wruck
6 Jahre her
Antworten an  Silas

Die SPD hat auch nicht begriffen, dass Herr Chulz und drei Viertel des amtierenden Bundeskabinetts untragbar sind. Von der verheerenden CDU/CSU/SPD-Politik der letzten vier Jahre ganz zu schweigen. Was begreift die SPD überhaupt noch?

Keinweltretter
6 Jahre her

…und unsere Bundeskanzlerin bekommt genau das, was sie noch am Wahlabend zum rumpolternden H.Schulz sagte: darüber reden wir noch, also: Die Koalition mit der SPD. Wie macht sie das nur? Z.B. Migrationspolitik: AM: …würde alles wieder so machen…; CSU: Wir haben verstanden: Scheinobergrenze (die Merkel eigentlich nicht will, aber im Sondierungspapier abnickt). SPD: Nachbesserung! Jetzt streitet die SPD für die Aufweitung eben dieser Obergrenze+Familiennachzug(!) und indirekt für AM! Und die wird sich heimlich ins Fäustchen lachen – und wird ihre Politik genau so weitermachen, wie bisher. Läufts schief (s.Cotbus), ist die SPD schuld. Eine fast diabolisch zu nennende Schläue…