Atomstromfrei durch den Mai – jenseits des Kipp-Punkts zur Stromarmut

Der Mai 2023 geht als erster deutschnational atomstromfreier Kalendermonat seit mehr als 60 Jahren in die deutsche Wirtschaftsgeschichte ein. Das Ergebnis: mehr Importstrom im Mai. – Ist das nur eine jahreszeitliche Erscheinung oder ein zukunftsweisender Trend?

IMAGO / Jochen Tack

„Ohne Gott und Sonnenschein, bringen wir die Ernte ein“, so lautete das Motto der SED-Führung in der DDR, um die Werktätigen der zwangsvergenossenschaftlichten Landwirtschaft zu motivieren. Nun, ohne Sonnenschein und Gott gingen die LPGs zwar nicht bankrott, aber zumindest Licht ist unabdingbar für gute Ernten. Heute freuen sich die grünen Planwirtschaftler über einen atomstromfreien Mai, auch weil der Sonnenschein das Ökostromaufkommen steigen lässt.

Der Mai 2023 geht nun als erster deutschnational atomstromfreier Kalendermonat seit mehr als 60 Jahren in die deutsche Wirtschaftsgeschichte ein. Am 15. April waren die Steuerstäbe der verbliebenen drei Kernkraftwerke (KKW) eingefahren worden und damit die Kettenreaktionen beendet. Nun ist das Ziel erreicht und das deutsche Netz sauber gefegt von verstopfendem deutschem Atomstrom. Seit diesem Zeitpunkt importieren wir deutlich mehr Strom, auch Atomstrom, was aber kein Problem ist. Wir wissen von höchst ministerieller Stelle, dass der Betrieb von Kernkraftwerken im Ausland, selbst in Kriegsgebieten, unproblematisch ist, wenn sie nun mal da sind.

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An diesem Tag wurde gleichermaßen gefeiert wie bedauert. Die grüne Szene rief laut „siehste“, als die Stromversorgung stabil blieb, und meinte, sich bestätigt zu sehen. Natürlich gab es keine Probleme im Netz, denn die Abschaltungen waren eingeplant und in den Fahrplänen der anderen Kraftwerke hinterlegt sowie im Stromhandel berücksichtigt. Die „Erneuerbaren“ spielten dabei keine beziehungsweise wie immer eine zufällige Rolle.

Als „unerheblich“ war die Produktion der letzten drei KKW bezeichnet worden. Aber selbst im windreichen Dezember 2022 erzeugten sie etwa so viel Strom wie die 1.599 deutschen Offshore-Windkraftanlagen. Als bilanzieller Ersatz für diesen entfallenen Atomstrom müssten nun so viele Windkraftanlagen zugebaut werden, bevor durch Ökostrom dann Kohlestrom verdrängt werden kann.

Wie gestaltete sich der Energiemix im Mai 2023? Der Import nahm deutlich zu, was aber nicht generell einem Kapazitätsmangel an eigener Erzeugung zuzuschreiben ist. In der warmen Jahreszeit finden nun mal die Revisionen an konventionellen Kraftwerken statt. Mit der Kernkraft entfiel zudem der in der Merit-Order billigste Strom am deutschen Markt. Der Mix der verbliebenen konventionellen Kraftwerke ist stark vom CO2-Zertifikatepreis belastet, so dass der Import schlicht billiger war. Europaweit gibt es mehr Sonnenstrom und ein gutes Wasserangebot, was für mehr ebensolchen Strom sorgt, und immer mehr französische Kernkraftwerke kehren ans Netz zurück.

Industriestrompreis 
Habecks neue Idee: der „Brückenstrompreis“ 
Frühsommerlich bedingt ging der Verbrauch zurück, auch der Abbau und die Abwanderung in Industrie und Wirtschaft gehen weiter. Aktuell schloss ein Betrieb der DGH Group seinen Standort im sächsischen Dohna. Die Produktion von Druckgussteilen aus Aluminium und Magnesium ist schlicht zu teuer, die Nachfrage aus der Automobilindustrie geringer. 210 Arbeitsplätze sind futsch. Ebenso erging es im Vorjahr der DGH Sand Casting in Friedrichshafen mit ähnlichem Produktionsprofil. 265 Arbeitsplätze.

Energieintensive Produktion wird in Deutschland langfristig nicht mehr möglich sein, selbst wenn ein subventionierter Industriestrompreis kommen sollte. Nach Habeck wäre dieser Preis ein „Brückenstrompreis“. Eine Brücke wohin? Ab 2030 soll der Strompreis dann sinken wegen mehr „Erneuerbarer“. Ein Blick zurück hätte gut getan, aber die Gebetsformel „Wind und Sonne schicken keine Rechnung“ entfaltet immer noch Wirkung auf simpel gestrickte Politiker. Aus deren Sicht fällt bei sinkendem Stromangebot auch der Preis. Das ist die grüne Logik.

Die deutlich zunehmenden PV-Kapazitäten verschärfen indessen die Schwankungen bei der Stromeinspeisung. Im Mai drängten bei hoch stehender Sonne große Mengen des Sonnenstroms ins Netz. Mit schöner Regelmäßigkeit geht die Sonne auch wieder unter. Am 17. des Monats gingen zwischen 12:45 Uhr und 21:45 Uhr fast 36 Gigawatt (GW) Wind- und Solarstrom aus dem Netz, in jeder Stunde fast 4 GW, so viel wie die drei zuletzt verblichenen deutschen Kernkraftwerke leisten konnten. Entsprechend schlug der Export zur Mittagszeit von 3,5 GW in einen Import von 14,3 GW um. Der Börsenpreis stieg im gleichen Zeitraum von 28 auf 111 Euro pro Megawattstunde, im Saldo ein deutliches Verlustgeschäft. Der Importstrom gilt jedoch als „klimaneutral“, er belastet unser deutsches CO2-Budget nicht und wir können mit dem Finger auf Polen und Tschechien zeigen und deren Emissionen beklagen, die wir durch den Import in Teilen mit verursachen.

Die 19. Kalenderwoche (8. bis 14. Mai) zeigte sich grafisch so (Import in rot, Export in grün):

Ob in Zukunft unsere Nachbarn immer wunschgemäß liefern können, ist nicht sicher. Insbesondere Süddeutschland ist davon abhängig. Nötig sind neue Gaskraftwerke. Dazu Frau Haller von der Bundesnetzagentur (BNA) kürzlich bei BR24:

Im Moment sehen wir die Investitionen in diese Kraftwerke nicht. Insofern braucht es wohl einen Mechanismus, die Investitionen anzureizen, damit diese Kraftwerke auch tatsächlich kommen.“

Dieser Sachverhalt ist im Grunde seit dem Atomausstiegsbeschluss 2011, spätestens seit den Beratungen der Kohlekommission im Jahr 2019 klar. Passiert ist nichts. Da es kein Marktverhalten bei Investitionen mehr gibt, nur Anpassungen an den Subventionsmarkt, braucht es einen „Mechanismus“. Gespannt darf man den Ausschreibungen entgegensehen, die im Klimaministerium gerade erbrütet werden.

Unterdessen steigen die Kosten des Netzbetriebes stark an. Von 2019 bis 2022 gibt es einen exponentiellen Anstieg der Kosten für die Bewirtschaftung des Engpassmanagements auf über 3,2 Milliarden Euro. Das trifft insbesondere die Bundesländer mit hohem Ökostromaufkommen wie Brandenburg und führt zu Netzentgelten, die das Eineinhalbfache Bayerns betragen. Ministerpräsident Woidke (SPD) geht dagegen an und macht sich für eine bundesweite Wälzung der Kosten stark. Folge wäre allerdings eine straffe Erhöhung des Strompreises auch in den Ballungsgebieten und wirtschaftlichen Zentren.

Die Ursachen sind klar, die Folgen auch. Immer mehr zu integrierendem Zappelstrom stehen immer weniger regelbare Kapazitäten gegenüber. Das ist die Preisgleitklausel, die man sich über den exzessiven Ausbau der „Erneuerbaren“ einfängt.

Am 15. April wurde ein Kipppunkt erreicht, auch wenn er nicht zu sehen ist. Wir werden uns nicht mehr durchgehend selbst mit Strom versorgen können, trotz „energieautarker“ Gemeinden, Dezentralität und enormer Wind- und Solarkapazitäten. Der Teufelskreis aus hohen Energiepreisen und der Abwanderung der Industrie hilft der Ampelregierung zunächst beim energiepolitischen „weiter so“. Weniger Verbrauch nimmt Druck aus dem System und im Übrigen gilt: Tschüss Kernenergie, bon jour l’énergie nucléaire!


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Kommentare ( 33 )

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33 Comments
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alter weisser Mann
10 Monate her

Dieses „siehste!“ kam tatsächlich und natürlich von den idelogisch fixiertesten und ansonsten unterbelichteten Disputanten, z.B. der Kemfert. Dass wir seither verschärft zukaufen, juckt die nicht und dass wir Atom- und Kohlestrom zukaufen auch nicht. Hauptsache das Geld fließt weiter in die Elfenbeintürme wo diese „thinker“ sitzen.

Schmidtrotluff
10 Monate her

Lieber Frank Hennig,
im heutigen Sachsen-Anhalt gab es den Pfarrer Oskar Brüsewitz. Er fuhr durch die Städte der Region mit einem Banner „Ohne Gott und Sonnenschein bringt ihr keine Ernte ein“. Am 22.August 1976 verbrannte er sich in Zeitz als Zeichen gegen die Diktatur (der Dummheit).
Es gilt damals wie heute: ohne Gott und Sonnenschein bringt ihr keine Ernte ein.
Die Grünen sind reine Agenten des Bösen. Sie sind verloren. Sie werden sich vor ihrem Schöpfer rechtfertigen müssen.

Endlich Frei
10 Monate her

Summa Summarum müssen wir der Atomkraft für 60 Jahre emmissionsfreien Strom und 60 Jahre saubere, unverspargelte Landschaften danken.
Der Ausdruck „perfide“ reicht eigentlich gar nicht um auszudrücken, was mit der Abschaltung nun bewirkt wurde. Reine Symbolpolitik auf dem Rücken von Natur, Landschaften, Verbraucher, Versorgungssicherheit, Kosten und Klima.

Endlich Frei
10 Monate her

Summa Summarum müssen wir der Atomkraft für 60 Jahre emmissionsfreien Strom und saubere, unverspargele Landschaften danken.
Der Ausdruck „perfide“ reicht eigentlich gar nicht um auszudrücken, was mit der Abschaltung nun bewirkt wurde. Reine Symbolpolitik auf dem Rücken von Natur, Landschaften, Verbraucher, Versorgungssicherheit, Kosten und Klima.

Nibelung
10 Monate her

Das System was wir heute haben ist vergleichbar mit allen Revoluzzlern früherer Tage, beginnend 1789 über 1905 bis 1917, wo finstere Kräfte vorhergegange monarchistische Systeme abgelöst haben, aber anschließend keinen Deut besser waren. Lediglich die Art und Weise hat sich verändert und während man heute versucht die eigene Vorstellung den Leuten subtil überzustülpen, waren sie früher brutaler und sind sofort zur ruchlosen Tat übergegangen um ihre Gegner zu vernichten und das macht man nun auf andere Art, die aber im Kern ähnlicher Natur ist, denn die Vernichtung findet derzeit ebenso statt, zumindest auf die aktiven Köpfe ausgerichtet und beschränkt sich… Mehr

Kassandra
10 Monate her

Wenn man insbesondere in den Universitätsstädten mal die ganzen Studenten und in dem Fall besonders *innen bei den Wahlen abzöge, wären wahrscheinlich auch dort die grünen bei unter 5%.
Es ist nicht gut, dass solche, die sich nur auf Zeit irgendwo aufhalten, die Politik von Kommunen auf Dauer in Wege leiten, die ins Nirwana führen – und für die sie meinen, niemals Verantwortung tragen zu müssen.
Aber sie werden zahlen dafür – bis an ihr Lebensende. Das ist in jeder Auseinandersetzung mein schärfstes Schwert. Kein schönes Leben.

pcn
10 Monate her

Vielen Dank für diesen Überblick und die Folgen der Energiewende ohne Nuklearenergie, die genau solch ein perfider Schwindel ist, wie dieser CO2-Schwindel. Wir alle hier wissen, der Klimawandel ist nicht anthropogen verursacht und vor allem wissen wir, dass wir zu (über)teuren Preisen Atomstrom importieren müssen, bevor hier in Deutschland die Lichter ausgehen. Das muss noch in die Köpfe der Mehrheit der Bevölkerung, dass diese Politik keinesfalls die Klimarettung im Fokus hat, sondern einzig und allein den Umbau der Gesellschaft in eine gehorsame, total kontrollierte bis ins Private Gesellschaft. Mit der Folge der Verarmung, zugunsten derjenigen, die am Schwindel jetzt schon… Mehr

anita b.
10 Monate her

Ich finde die ganze stromproblematik sehr interessant und lese auch immer die entsprechende kolumne bei achgut. Was ich nicht verstehe ist , warum ist der import-strom immer teuer als der Export- strom d.h. für uns immer negativ . Dabei wird hier geschrieben, dass importstrom noch billiger ist, als der konventionell erzeugte bei uns. Und wieso können die anderen Länder unseren ( billigen) Strom immer abnehmen. Und wer bezahlt den die netztentgelte der länder. Ich habe doch frei Wahl der stromanbieder?
Ich bleibe dran vielleicht verstehe ich noch nal alles
.

Kassandra
10 Monate her
Antworten an  anita b.

Kann ich Ihnen sagen: „unser“ Exportstrom ist Überproduktion, das heißt, er wird zum Zeitpunkt des Transfers von niemandem wirklich gebraucht – würde aber das Netz und noch weiteres schädigen, wenn ihn niemand abnehmen würde. Während, wenn „wir“ welchen brauchen, „wir“ gezwungen!! sind zu importieren – da „wir“ sonst in Mangel und schlimmstenfalls in einen Blackout, beides mit unabsehbarem Schaden, drifteten. Österreich kann vielfach abnehmen, weil es dort Pumpspeicherkraftwerke gibt, die mit dem dann billigen Strom in Bereitschaft versetzt werden können. Immer geht so was aber auch nicht – und dann müssen die Besitzer von Windkraftanlagen z.B. ihre Maschinen abstellen –… Mehr

Dr.KoVo
10 Monate her
Antworten an  Kassandra

Eine kleine Ergänzung noch. Wenn die WKA abgeschaltet werden müssen, bekommen die Betreiber den Verlust ersetzt.

Donostia
10 Monate her
Antworten an  anita b.

Sie haben die freie Wahl für einen deutschen Stromanbieter. Dürften Sie z.B. einen polnischen oder französischen Stromanbieter wählen, dann gäbe es gar keine deutschen Stromanbieter mehr, weil diese nicht wettbewerbsfähig anbieten können. Die müssen ja die Subventionierung für Wind und Sonnenstrom an die Verbraucher mit auf ihre Rechnung schreiben, damit die Windmüller und Sonnenstromerzeuger ihr Geld bekommen. Und so steigt der Strompreis künstlich in die Höhe und macht diese Stromerzeugung erst lukrativ, was wiederum neue Investitionen in PV- Anlagen und Windmühlen nach sich zieht. Das System schaukelt sich also auf und lässt den Strom immer teurer werden. Für das Ausland… Mehr

Bernd Simonis
10 Monate her

Alles sehr komplex, um da richtig planen zu können braucht es Verstand und Wissen. Unsere Führung macht das mit Ideologie und Gefühl. Wir werden bald sehen…

Tarakles
10 Monate her

Das wird erst im dunklen Herbst interessant werden, wenn das Ausland mangels Wind und Sonne den Strom selbst braucht und Deutschland nur noch tröpfenweise importieren kann.

Last edited 10 Monate her by Tarakles
Jerry
10 Monate her
Antworten an  Tarakles

Nicht nur vom Ausland hängt das ab. Ich hatte neulich mal gelesen (ich glaube auf Achse), dass auch die Leitungskapazitäten für den Import nicht ausreichen, selbst Wenn alle liefern wollen und können. Die zu erwartende Stromlücke kann, aufgrund der zu geringen Kapazität der Leitungen, gar nicht geschlossen werden. Der Winter wird spannend 😉

Dr.KoVo
10 Monate her
Antworten an  Jerry

Es gibt zwischen den Ländern Übergabepunkte, die nur eine bestimmte Durchlaßfähigkeit aufweisen. Danach richtet sich der Stromtransfer.