Moralweltmeister sind wir schon

Sind es nicht zuletzt die deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die ihre Zwangsgebühren in das Milliardengeschäft Fußball buttern und um nichts auf der Welt darauf verzichten wollen? Jetzt gegen Katar spielen sie sich auf, weil Menschenrechte, Menschenrechte, Menschenrechte ... nein, man will die Pharisäer nicht mehr hören.

Eigentlich wollte ich mal eine Pause machen und nicht wie jeden Samstag das beste Deutschland rühmen, das es jemals gegeben hat. Der Beginn der Fußballweltmeisterschaft in Katar bot sich an. Aber jetzt fällt mir auf, selbst wenn ich über Katar schreibe, geht es doch bloß wieder über die Deutschen. Sie sind jetzt schon Weltmeister. Unschlagbar in ihrer Scheinheiligkeit und ihrem moralischen Hochmut.

I.

Ein vielfach gehörtes, hochnäsiges Argument lautet: Katar habe nun mal keine „Fußballkultur“. Der Gebrauch des Wortes Kultur in diesem Zusammenhang, wäre eine eigene Kolumne wert. Da kämen dann auch die Alkoholexzesse, der Vandalismus und das Gewaltpotenzial der deutschen „Fankultur“ vor. Die Deutschen tun so, als ob Fußball ihnen gehörte, und die Kameltreiber sich eine unrechtmäßige kulturelle Aneignung zuschulden kommen ließen. Aber der Fußball ist so rund wie die Erde, und die Begeisterung für diesen Sport in den arabischen Ländern genauso zu Hause und echt wie überall sonst. Es gibt keinen einzigen Grund dafür, einem kleinen Land in der Wüste die Austragung der WM grundsätzlich zu verweigern. Und wo steht, dass Fußball nicht auch in der Winterhitze gespielt werden könnte? Es ist nicht absurder, als Fußball in Eiseskälte auf Schnee zu spielen.

II.

Die Kritik an Katar lenkt ab von den Missständen des Fußballgeschäfts im eigenen Land. Wurde in Deutschland etwa nicht nachgeholfen, als es darum ging, das „Sommermärchen“ an Land zu ziehen? Finanzieren sich nicht die besten Profiteams Europas von Sponsorengeld der Scheichs? Ist Bayern München doch tatsächlich nicht amnesty international assoziiert? Und sind es nicht die deutschen Fernsehanstalten, nicht zuletzt die öffentlich-rechtlichen, die ihre Zwangsgebühren in das Milliardengeschäft des Fußballs buttern und um nichts auf der Welt darauf verzichten wollen? Aber jetzt, da es gegen Katar geht, spielen sie sich auf, weil Menschenrechte, Menschenrechte, Menschenrechte … nein, man will die Pharisäer nicht mehr hören.

III.

Ja, Katar ist ein islamisches Land mit allem, was dazu gehört. Nicht halb so schlimm wie Afghanistan und der Iran, auch fortschrittlicher als die Saudis, aber nach unserem Geschmack immer noch nicht säkular und liberal genug. Es hat sich mit seinen Milliarden aufgepumpt, erscheint größer und bedeutender, als es ist. Ein winziges Land, das sich mit seinem Reichtum die Feinde, von denen es genügend gibt, vom Hals hält und zwischen ihnen hindurch laviert. Länder aus dem selben Kulturkreis werden von Deutschland nach dem Motto „Handel statt Wandel“ mit größerer Nachsicht behandelt (Iran, Saudi-Arabien, Türkei), weil sie größer und mächtiger sind. Aber vor Beginn der WM hört es sich nun aus allen woken Kehlen an, als sei Katar auf der Achse des Bösen das fetteste Rad.

IV.

Hierzulande erregen sich diejenigen am lautesten, die nie dort waren. Ich war zweimal als Journalist in Katar. Einmal zur Eröffnung des großartigen Museums für islamische Kunst, einem Architekturjuwel wie die Oper in Sydney. Eine Reise wert fand das zum Beispiel auch Robert de Niro, der ein Filmfestival in Doha initiierte. Nicole Kidman, Keith Richards und viele andere Weltstars ließen sich ohne schlechtes Gewissen vom Emir einladen. Auch die atemberaubende Dekadenz des Festes schreckte sie nicht ab. Über kulturellen Größenwahn regte sich niemand auf. Ich sprach mit Prinzessinnen – Frauen spielen in dieser Herrscherfamilie keine geringe Rolle –, aber auch mit „Gastarbeitern“ in ihren lausigen Quartieren. Beim zweiten Mal wurde meinem Team die Kamera bei der Einreise beschlagnahmt, bis wir Tage später wieder ausreisten, weil wir vorhatten, einen syrischen Schriftsteller, der in Katar im Asyl lebte – offenbar fühlte er sich hier sicher – zu interviewen. Wir liehen uns eine andere Ausrüstung und filmten unbehelligt. Ich kenne üblere Polizeistaaten. Aber es wird gerade so getan, als käme Katar gleich nach China. Nur, dass sich die Berichterstatter in China nicht trauen, aufzumucken.

V.

Die deutschen Moralisten malen sich ihr Weltbild zurecht. Je nach Bedarf. Mal schnorrt Klimabändiger Habeck in Katar vergeblich um Gas, mal findet er die WM „bekloppt“. Mal ermahnt die deutsche Einwanderungsministerin Faeser, die gegen islamische Parallelgesellschaften in Deutschland nicht das Geringste einzuwenden hat, die Scheichs, schwule Touristen doch bitte in Ruhe zu lassen, als seien die auch nur in geringster Gefahr. Sie sind es natürlich nicht. So treten deutsche Politiker offen islamophob auf – für das Publikum zu Hause. Den Kleinstaat darf man straflos verachten. Das aktuelle Katar-Bashing ist nichts anderes als doppelmoralischer Neokolonialismus derjenigen, die dem Kolonialismus angeblich den Kampf angesagt haben. Sie halten Europa für das Maß aller Dinge.

VI.

Mit Fußball hat das wenig zu tun. Ich werde mir die WM mit unverhohlenem Vergnügen ansehen. Auch wenn es gerade nicht woke ist.

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Kommentare ( 70 )

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Teiresias
1 Jahr her

Mich irritiert der Zeitpunkt, an dem die Empörungswilligen die WM für sich entdeckt haben.

Die meisten Derer, die ihren Gratismut und ihren eingebildeten Heiligenschein jetzt zur Schau stellen, haben geschwiegen, als Kathar

  • für die Ausrichtung ins Gespräch kam
  • als darüber abgestimmt wurde
  • als Kathar als Ausrichter präsentiert wurde.

Bei den olympischen Spielen in Peking haben die Meisten ebenfalls geschwiegen, der Empörungslevel reichte nicht annähernd an das jetzige heran.

Wir sind nicht Moralweltmeister, sondern Weltmeister in Pharisäertum und Heuchelei.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Teiresias

Es sind „Spielverderber“.
Blatter sagte einmal spät in deutschen Nachrichten, dass die Deutschen Richtung Katar drängten – weil da Geld zu machen war. U.a. Deutsche Baufirmen waren verantwortlich für das Errichten der Stadien und ein weltweit erfolgreiches Architekturteam in Frankfurt für die Gesamtplanung.

giesemann
1 Jahr her

Wenn Europa nicht „das Maß aller Dinge“ ist, was bieten Sie uns dafür an, Herr Herles? Also als relatives Maß, versteht sich… . Wäre ein extra Artikel wert, oder? https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/herles-faellt-auf/katar-fussball-moralweltmeister/ 
Das ist wie mit einem Werkzeugkasten: Sie brauchen stets mehrere Schraubenschlüssel, Gabel oder Ring – nicht bloß den 17er-Schlüssel, um das Bier auf zu machen … .

November Man
1 Jahr her

Der Sänger der WM-Hymne, der Weltstar Malume will sich nicht in die inneren Angelegenheiten Katars einmischen und sich fair enthalten. Was man in der L-Presse sofort als einen Eklat bezeichnet. Wer nicht mitmacht ist böse und wird geschasst. In den L-Medien kommt heute folgende Nachricht:Sänger der WM-Hymne sorgt für Eklat bei MenschenrechtsfrageDer Weltstar Maluma, der mit Nicki Minaj und Myriam Fares die WM-Hymne „Tukoh Taka“ singt, hat für einen Eklat während eines Interviews mit Moav Vardi gesorgt. Der Kolumbianer wurde von dem Moderator gezielt auf die Menschenrechtslage in Katar angesprochen. Auf die Frage: „Können Sie es nachvollziehen, dass manche Menschen sagen… Mehr

Talleyrand
1 Jahr her

Mir scheint je kapitalkräftiger einer ist, desto gutmenschlicher muss er sich gebärden. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, es sei dies ein Mittel das eigene Gewissen zu besänftigen, wo es immer klarer wird, dass die Anhäufung von maßlosen Reichtümern auf ehrliche Art und Weise derzeit kaum mehr möglich ist und man daraus leicht entsprechende Schlüsse ziehen kann. Und schwerreich sind sie alle, die sich da hervortun. Fazit: Die am meisten zu verbergen haben, schreien am lautesten nach „Moral und Werten“.

imapact
1 Jahr her

So sehr ich die Beiträge von Herrn Herles schätze, diesen hier kann ich nicht ganz nachvollziehen. Man kann politmediale Kaste der Woken ebenso verachten wie die „Kameltreiber“-Staaten. Ich finde Habeck, Baerbock, Faeser & Co ebenso widerwärtig wie die in Bettlaken gehüllten Machthaber aus dem Orient, deren Macht einzig und allein darauf beruht, daß sich unter ihrem Hi..ern jede Menge Rohöl befindet. Und so gibt es gleich 2 gute Gründe, dieses Wüstenspektakel zu boykottieren: zum einen, wegen des Austragungsortes, zum anderen wegen der „Mannschaft“, deren Kapitän den Schwulen-und Lesben-Fetzen als Armbinde trägt und für einen amerikanischen Verbrecher symbolisch auf die Knie… Mehr

szenaria
1 Jahr her

Mir haben sich die Einlaufkinder mit Masken neben unmaskierten Spielern ins Gedächtnis eingebrannt.

Wo und bei welchem Spiel ist sekundär. Es ist geschehen.

Dass die Katarer ein derartiges Verbrechen an ihren Kindern zulassen würden, glaube ich eher nicht.

jopa
1 Jahr her

Weltmeister in Moral. Und im Fußball? Ende nach der Gruppenphase? Moral und Leistung passen nur selten zusammen, besonders wenn Moral das Wichtige ist und Leistung nur als Nebensache betrachtet wird.

AnSi
1 Jahr her

Ich finde weder Katar noch die WM schlimm. Was ich allerdings absolut zum K***en finde, ist das Getue der „Mannschaft“. Da bindet man sich jetzt keine Regenbogenflagge um, sondern so „etwas ähnliches“. Da kniet man wegen irgendetwas anerzogenem (!) auf dem Rasen, da tönt man vorher rum wegen Menschenrechten etc. pp. Überall muss man als Fußballer scheinbar seinen Senf dazu geben und immer muss man besonders „gut“ sein. Das geht mir so auf den Keks! Statt die Typen sich um Fußball kümmern und gut spielen oder die Nationalhymne lernen und laut mitsingen, blasen sie sich immer nur auf! Das ist… Mehr

Julischka
1 Jahr her

Ich kann mich noch allzu gut an die Zeit erinnern als die Fußballmillionäre kein Problem hatten mit „Menschenrechtsverletzungen“ als sie selbst auf den Rasen durften, unsere Kinder aber weder in die Schule, Kita, noch in den Sportverein! WO war da die Entrüstung?

Dr. Hansuli Huber
1 Jahr her

Es wird doch niemand, der bei Trost ist, annehmen, dass bei der Vergabe von Olympiaden, Weltmeisterschaften und anderen weltweites Interesse findenden Events nicht gemauschelt wird im Vorfeld. Das beste Argument für gewisse Leute in den Jurys dürfte noch immer ein „Gastgeschenk“ der Wahl sein. Katar ist gewiss kein Einzelfall sondern bestätigt die Regel. Hinsichtlich Menschenrechte, insbesondere der Ausnützung der Gastarbeiter (-Sklaven) beim Stadionbau, hätte man damals protestieren sollen. Wenn beispielsweise einige prominente, grosse Fussballverbände, u.a. Deutschland, mit einer Nichtteilnahme gedroht hätten, wäre es höchstwahrscheinlich möglich gewesen, bessere Arbeitsbedingungen in Katar herauszuholen, inkl. internationale Kontrollen dazu (*). Doch was tat etwa… Mehr