Von Stichforschern und anderen Narrativkräften

„Expertin für Messerkriminalität“, „Transformationsforscherin“ – mittlerweile existiert ein Markt für Experten, die medial passgenau das Gewünschte abliefern. Ein kleiner Überblick von Jürgen Schmid

Die Anthropologin Bonnie Urciuoli hat vor einigen Jahren die Ergebnisse ihrer Feldforschung über „Neoliberal Education“ an amerikanischen Universitäten mit dem vielsagenden Untertitel „Preparing the Student for the New Workplace“ veröffentlicht. Urciuoli beschreibt anschaulich, wie in der neoliberalen Vorstellungswelt jede Person zu ihrem eigenen Produkt werden muss („Students thinking of themselves ’as products, not people‘“) – mit einem primären Zweck: sich selbst zur Marke zu machen.

Professorale Lehrkörper sind zu einer Ausbildung in diesem Sinne exzellent befähigt, weil die meisten von ihnen selbst bestens präpariert sind für den Markt der neuen Aufmerksamkeitsökonomie. Sie haben sich Expertisen zugelegt, die marktgängig klingen und mehr einem Bewerbungsschreiben für einen Fensterplatz in der medialen Expertokratie gleichen, als dass sie einen akademischen Kanon abbilden würden. Denn keine Nachrichtensendung, keine Talkshow, kein „einordnendes“ Interview ist inzwischen mehr denkbar ohne den passenden Experten, der nichts weniger als „die Wissenschaft“ repräsentiert.

In diesem Sinne gibt es mittlerweile Professuren für „Gender Studies und Kulturtheorie“, bei denen nur der verschämte Anhang „und Neuere Deutsche Literatur“ eine Zuordnung zur Fachdisziplin der Germanistik zulässt – vorerst jedenfalls. Was traditionell als Historiker oder Volkskundler (jetzt: Ethnologe) forschte und lehrte, firmiert heute als Migrationsexperte oder kritische Grenzregimeforscherin.

So wie Beratungsfirmen inflationär versprechen, „passgenaue“ oder „maßgeschneiderte“ Lösungen für alle Probleme dieser Welt entwickeln zu können, so haben sich diejenigen, die bisher Wissenschaftler hießen – und ganz früher Gelehrte – passende Narrativkompetenzen in ihren Lebenslauf gezaubert, von denen bisher noch nie jemand etwas gehört hat. Die futuristischen Kompetenzzuschreibungen sind aber unabdingbar, um als Teil der herrschenden „Moralbourgeoisie“ anerkannt und alimentiert zu werden.

Zwei Beispiele aus dem Klimadiskurs: Die „Transformationsforscherin“ Maja Göpel und „der Wohnforscher Daniel Fuhrhop von der Universität Oldenburg“ gehören zu einer komplett neuen Gattung „Forscher“ bzw. „Wissenschaftler“, die es so gar nicht gibt, zumindest nicht ihre selbstgebastelten Berufsbezeichnungen. Der akademische Kanon der Disziplinen, der sich seit Humboldts Zeiten, also über mehr als zwei Jahrhunderte, herausgebildet hat, kennt Medizin, Theologie, Jurisprudenz, Wirtschafts- und Naturwissenschaften sowie die uns hier interessierenden Geistes- und Gesellschaftswissenschaften – etwa Geschichte, Ethnologie, Soziologie, Politologie und allerhand Philologien.

Wenn nun Maja Göpel behauptet, „Transformationsforscherin“ zu sein, dann ist das Unsinn. Sie muss ja – akademisch betrachtet – irgendetwas sein, was es gibt, und kann nicht einfach ihr Beschäftigungsfeld zur akademischen Disziplin erheben. Wikipedia bezeichnet Göpel als „Politökonomin, Transformationsforscherin, Nachhaltigkeitsexpertin und Gesellschaftswissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf transdisziplinärem Denken“. Korrekt ist lediglich die Gesellschaftswissenschaftlerin, da sie einen Doktorgrad „rer. pol.“ erworben hat – also Politikwissenschaftlerin ist. Ihre Dissertation beschäftigt sich mit „institutionalistischen Theorien und hegemonialen Praktiken globaler Politikgestaltung“, eingereicht 2007 an der Universität Kassel am „Fachbereich Gesellschaftswissenschaften“ (q.e.d.).

„Wohnforscher“ Daniel Fuhrhop ist Architekt, der im Nebenfach Betriebswirtschaftslehre studiert hat. Er diplomierte an der TU Berlin über Shopping-Center aus betriebswirtschaftlicher und stadtplanerischer Sicht. Später arbeitete er als Verleger. Niemals dürfte ein journalistischer Interviewer solchen Experten erlauben, dass sie ihm und seinen Lesern ihre handgeschnitzten Berufsbezeichnungen andrehen. Ein Politologe muss als Politologe vorgestellt werden, eine Ethnologin als Ethnologin – und wenn sie dem Publikum noch dreimal verkaufen will, dass sie sich als Grenzregimeforscherin fühlt. Fuhrhop wäre demnach „studierter Architekt, heute Verleger“.

Bei dieser Imageaufpolierung zum Zwecke der Marktgängigmachung von Expertise kann man zwei Typen unterscheiden: Die einen haben tatsächlich einen akademischen Hintergrund, den sie verbal – nun ja – etwas frisieren für ihre mediale Präsenz. Wenn ein Mittelalterhistoriker wie Valentin Groebner, der über das „Wirtschaften armer Leute in Nürnberg am Ende des 15. Jahrhunderts“ promoviert hat, mit dieser Thematik in die Presse wollte, täte er sich schwer. Wenn er aber als eine Art Tourismuskritiker auftritt und in einem Buch mit dem Titel „Ferienmüde“ die These vertritt, Reisen könnte „obsolet werden“, schlägt er zwei korrespondierende Fliegen mit einer Klappe: Er bedient einen der herrschenden „Diskurse“, hier jenen über die Klimaschädlichkeit menschlichen Tuns, wofür er Aufmerksamkeit in transformationsfreudigen Medien wie Deutschlandfunk und FAZ bekommt.

Andere haben ihre Expertise nicht forschend erworben, sondern in verschiedenen Positionen ersessen – sei es als Parlamentarier in Ausschüssen oder im Fall der als Verkehrsexpertin gelabelten Katja Diehl als Leiterin „Marketing und Kommunikation Mobilität“ bei den Osnabrücker Stadtwerken, nachdem sie deutlich expertisenfern Literaturwissenschaften studiert hatte. Der Marketingjob genügte offensichtlich dafür, zur „Remarkable Women in Transport“ einer „Transformative Urban Mobility Initiative“ ernannt zu werden, damit als Beirätin der österreichischen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler wirken zu dürfen und in gleicher Funktion beim baden-württembergischen Verkehrsminister Winfried Hermann (beides Grüne), außerdem als allzeit auskunftswillige Expertin des WDR, wenn es dort um die Schädlichkeit des Autos geht. Mit etwas Lust an Polemik könnte man aus dieser Vita auch einen weiteren Typus des Experten herausdestillieren – jenen des Hochstaplers.

Für den Phänotyp des politischen Kompetenzersitzers bietet sich die langjährige grüne Energieexpertin Sylvia Kotting-Uhl an, die bis 2021 auch dem Bundestagsausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vorsaß. Ihrem Lebenslauf zufolge studierte sie Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte – wobei keine Abschlüsse erwähnt werden. Vorübergehend arbeitete sie als Dramaturgin an der Landesbühne Baden-Baden. Außerdem heißt es in ihrer Biographie, dass sie 1985 eine Kinderwerkstatt aufbaute. Solchermaßen für Fragen der Energieversorgung eines Industrielandes gerüstet machte sie 2021 Furore, als sie vor dem Bundestag verkündete, die Stromversorgung der Zukunft werde „spannender“ und „nicht mehr nachfrage- sondern angebotsorientiert“ sein.

Dazu kommen noch diejenigen, die erst auf den medialen Expertenmarkt drängen. Das sieht im Falle von Christoph Burger so aus: Er hält seine Profession für „zu unpolitisch“, träumt öffentlich von einer Psychologie, „die uns hilft, […] alle unsere Wertungen herumzudrehen“, so herum, dass man „den Klimakleber normal nennt und die Normalität hochriskant“. Er sieht „uns“ „vor Kipppunktkaskaden stehen“, weshalb er als Psychologist for Future eine „kritische Umweltpsychologie“ fordert, „die in den radikalen Notfallmodus wechselt“. Seiner Berufung zum ARD-Experten mit Bauchbinde „Umweltpsychologe“ dürfte nichts mehr im Wege stehen.

Erfundene Selbstbezeichnungen von Wissenschaftlern und Lobbyisten – zwei einander in der moralgesättigten Agendawissenschaft paradox überschneidende Felder – bilden ein Fundament für die propagandistische Aufbereitung der Wirklichkeit. Aus dem reichhaltigen Angebot an Experten können die Medien jederzeit das Passende wählen: Wenn über Frontex zu urteilen ist (früher nannte man das in einer Nachrichtensendung „berichten“), holt sich der ÖRR keinen drögen Politologen, sondern eine nassforsche Grenzregimeforscherin ins Studio, die für „No nation, no border“ wirbt. Wenn die Zeit eine gendersensible Mobilitätswende propagieren will, hat sie sogleich eine Verkehrsexpertin zur Hand, bevorzugt mit Schwerpunkt auf „geschlechtergerechte Perspektiven in der Verkehrs- und Stadtplanung“.

Meike Spitzner spricht hierbei für die ur-grüne Denkfabrik „Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie“. Ihre erlernte Profession wird etwas nebulös mit „Sozialwissenschaft“ angegeben (Soziologie?) – jedenfalls nichts, was sie speziell für die Themen „Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik“ befähigen würde, die sie projektleitet. Perfekt angepasst ist Verkehrsexpertin Spitzner dagegen an die Bedürfnisse einer Transformations-Avantgarde namens Zeit, um einem Pamphlet über „Die männliche Stadt“ den erwünschten wissenschaftlichen Segen zu spenden für diese steile These: „Viele Städte sind von Männern für ihre Bedürfnisse gebaut: Hauptsache, effizient zur Arbeit. Pech für alle mit Kinderwagen, Einkaufstaschen oder Rollstuhl.“

Selbst jemand, der ein Studium absolviert hat und sich im akademischen Milieu auskennt, kann inzwischen kaum mehr zuordnen, in welchem Fach jene Experten ausgebildet wurden und forschen, die uns in den Medien täglich vorgesetzt werden. Es findet eine Inflationierung willkürlicher Expertisen-Zuschreibungen für alles statt, was einer politischen Agenda gerade dienlich ist.

Nun tauchte im Zusammenhang mit der jüngsten Messerattacke in einem Zug zwischen Kiel und Hamburg (zwei Ermordete, mehrere Schwerverletzte) zum genau richtigen Zeitpunkt eine „Expertin für Messerkriminalität” auf. Auf dem Nachrichtenportal von t-online darf sie zur drängenden Frage „Messerattacken und Herkunft“ Entwarnung im Sinne des Mainstream-Narrativs geben: „In unserer Forschung können wir keinen Zusammenhang sehen.“ Auch eine Zunahme von Messerattacken sieht sie nicht.

Elena Rausch, besagte Expertin, wird auch als „Juristin“ vorgestellt, als Mitarbeiterin der Kriminologischen Zentralstelle e.V. in Wiesbaden. Eine Disziplin namens „Messerkriminalität“ ist allerdings bisher im juristischen Bereich noch nicht vorstellig geworden, weder in der akademischen Ausbildung noch im rechtsanwaltlichen Alltag. Das Themenfeld dürfte dem Strafrecht angehören, was (zu) sehr nach Verurteilung und Strafvollzug klingt, um es einem größeren Publikum präsentieren zu können. Rausch hat ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert und mit dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen – Schwerpunkt: Kriminologie und Strafrechtspflege. Immerhin wird die Expertin bei n-tv zutreffend als „Kriminologin“ geführt.

Merkwürdig nur, dass die Bundespolizei andere Zahlen nennt als Expertin Rausch. Danach kam es 2022 zu 82 Messerangriffen in Zügen, nahezu eine Verdoppelung im Vergleich zu 2021, als 44 entsprechende Straftaten erfasst wurden. An Bahnhöfen und Haltestellen mussten sogar 254 Messerattacken registriert werden, deutlich mehr als die 122 vom Vorjahr. Dabei wurden im Jahr 2022 fünf Personen getötet – im Jahr 2021 nur zwei. Daneben gab es 6747 Verletzte, im Jahr zuvor waren es nur 4138. („Nur“ zwei Tote durch Messerangriffe, „nur“ 4138 Verletzte – kleine Sprachpartikel können so zynisch sein.)

Diese Zahlen widersprechen in krasser Form den Einlassungen der „Expertin für Messerkriminalität” (t-online), die gerade durch die Medien gereicht wird. Bei n-tv dekretiert Elena Rausch ohne Wenn und Aber: „Wir können in keinem Bundesland einen Anstieg verzeichnen, eher einen Rückgang beziehungsweise ein gleichbleibendes Niveau.“ Nur durch den Umstand, dass „verstärkt über Messerkriminalität berichtet“ werde, entstehe der „Eindruck“, „Messergewalt in Deutschland nehme zu“. Es ist demnach keine Tatsache, dass immer mehr Menschen mit Messern ermordet werden, sondern ein falscher „Eindruck“, den der Mediendiskurs generiert.

Gefragt nach der „Herkunft der Täter“, lautet die themaverfehlende Antwort von Kriminologin Rausch: „Etwa 60 Prozent, also die überwiegende Mehrheit der Angriffe werden von Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit verübt.“ Ein durchschaubarer Versuch, den Kern des Problems zu umschiffen. Denn nicht die Staatsangehörigkeit messermordender Täter steht zur Klärung an, sondern ihre ethnische Herkunft. Was sagt dazu die polizeiliche Eingangsstatistik? Von 71 Tatverdächtigen, gegen die 2022 „wegen Gewaltstraftaten mit Messereinsatz in Zügen“ ermittelt wurde, waren 36 „Nicht-Deutsche“ – sprich: eine deutliche Überrepräsentation. Denn der Anteil Nichtdeutscher an der Gesamtbevölkerung liegt bei etwa 13 Prozent.

Wenn Aljoscha Prange von n-tv radebricht: „Was leitet Menschen, mit einem Messer in der Tasche herumzulaufen oder es sogar anzuwenden?“, wird dem Leser schwindlig. Eine derart unangemessene, unbeholfene, ja verquaste Formulierung kommt wohl heraus, wenn man sich jahrelang abtrainiert, die Dinge beim Namen zu nennen, weil alles, was man anfasst, von Tabus umstellt ist, die man selbst mit aufgestellt hat. Rauschs Antwort entbehrt dann auch nicht der Rabulistik: „Viele Personen tragen Messer zum Selbstschutz. Verteidigungsgedanken spielen dabei eine große Rolle.“ Fazit: „Psychische Probleme sind klar das Hauptproblem, das Messer ist im Grunde nur ein Symptom.“ Wer von einem Messer ins Jenseits befördert wird, so muss man schlussfolgern, ist also gar nicht tot, sondern lediglich einem Symptom begegnet.

Auf die ebenfalls merkwürdig klingende Frage, was „Messer als Tatmittel“ gefährlich mache, erklärt Messerkriminalitätsexpertin Rausch, „bei solchen Angriffen“ würden „hauptsächlich Küchenmesser eingesetzt“. Das Problem: „Es kommt jeder dran, der möchte.“ Wer bisher ohne einordnende Expertise vermutet hat, ein Messer würde dann zur tödlichen Gefahr, wenn damit zugestochen wird, kann hier durchaus Neues lernen.

Nichts Neues im Narrativschaffen deutscher Willkommenskultur ist hingegen Rauschs Inschutznahme der Täter, denen sie „Opfer-Erfahrungen“ attestieren will, aus denen „psychische Probleme“ resultierten – gerade so, als wäre der Messermörder dadurch in seiner Tat gerechtfertigt.

Dann stellt n-tv-Mann Prange tatsächlich noch eine journalistische Frage: „Der mutmaßliche Täter von Brokstedt ist polizeibekannt, wurde nur wenige Tage vor der Tat in Hamburg aus der U-Haft entlassen. Wie lässt sich ein so schneller Rückfall erklären?“ Auch hier zeigt die Messerforscherin vor allem Verständnis für den Täter: „Im Gefängnis ist man völlig fremdbestimmt, der Alltag ist stark reguliert. Aus der Haft zu kommen, ist grundsätzlich ein Realitätsschock. Den muss man erstmal verarbeiten. Und wenn man psychisch nicht so stabil ist, kann einem das ganz schön zusetzen.“ Würden „psychisch labile Menschen“ – und nur solche würden zu Messerstechern, soll uns dies sagen – besser betreut, wären das „Maßnahmen“, die „sehr erfolgversprechend“ seien. Diese Empathie für Straftäter lässt der Journalist zum Abschluss des Interviews, das einen Mord an zwei Menschen thematisieren sollte, unkommentiert im Raum schweben.

Auf t-online ein ähnliches Schema. Auch hier gibt sich Expertin Rausch dem Täter zugewandt: „Ein wichtiger Faktor, warum sich eine Person mit einem Messer bewaffnet, kann sein, dass sie sich bedroht fühlt.“ Nicht derjenige, der ein Messer als Mordwaffe einsetzt, bedroht jemanden; er selbst ist der Bedrohte. Der angestrebte Tugendpfad ist eingeschlagen, Journalistin Lisa Becke kann „Traumata“ zur Sprache bringen – perfektes Stichwort für die Interviewte: „Für Menschen, die geflüchtet sind, sind das oft traumatische Erfahrungen. Und in Deutschland machen diese Menschen häufig nicht die besten Erfahrungen. Das kann auch zu einer ablehnenden Haltung der Gesellschaft gegenüber führen.“ Subtext: kein Wunder, dass so jemand mal willkürlich zusticht.

Die neuen Experten sind wahre Tausendsassas: keine Regierungskritik, die sie nicht entkräften könnten; keine Beschreibung der Wirklichkeit, die nicht ins polit-mediale Narrativ passt, welche von ihnen nicht dekonstruiert und als Fake enttarnt würde; kein alternativer Lösungsvorschlag für Probleme, die sie nicht als Schwurbelei von Verschwörungstheoretikern und Demokratiedelegitimierern entlarven könnten. Wie Kai aus der Kiste sind sie zur Stelle, wenn eine politische Forderung narrativtechnisch mit akademischem Vokabular unterfüttert werden muss. Oder falls eine Tatsache, die das beste Deutschland, das wir jemals hatten, nicht in bunten Farben schillern lässt, dringend eingeordnet gehört. Der Experte hat nicht die Aufgabe, zu sagen, was ist, sondern was sein soll.

Und wenn jemandem nicht gefällt, was diese Experten sagen, wenn einer gar so dummdreist wäre, Widersprüche zwischen Experten-Erzählung und Wirklichkeit aufzudecken, dann gibt es – neben den Fakten-Checkern und mit diesen Hand in Hand arbeitend – zum Glück immer noch den Extremismusforscher oder die Expertin für Verschwörungstheorien, die mit wissenschaftlicher Expertise nachweisen, warum es sich bei Kritikern von Migration und Transformation um gefährliche Rechtsextremisten handelt. Experten, die auf Linksextremismus spezialisiert sind, gibt es auch – sie werden nur selten bis nie von etablierten Medien nach ihren Erkenntnissen gefragt. Ein Publicity-gestählter Exponent des Extremismusdefinierens ist der Soziologe Matthias Quent, der praktischerweise zu Rassismus, Hasskriminalität, Hasssprache, Radikalisierung, Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus forscht, was ihn zum Gründungsdirektor des Institutes für Demokratie und Zivilgesellschaft prädestinierte – einer staatlich alimentierten NGO in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung – und damit naturgemäß zum Stammgast in der Tagesschau und bei Markus Lanz beförderte.

Die Expertokratie dient den Regierenden als lückenlos geknüpftes Sicherheitsnetz zur Aufrechterhaltung ihrer Deutungshoheit über die Realität, verhalte diese sich, wie sie wolle. Und als wissenschaftlich unhinterfragbares Schutzschild vor jedweder Kritik an legislativen oder exekutiven Entscheidungen. Der moderne Experte ist quasi ein Leibgardist von „Mentalitätsmachthabern“ (Peter Sloterdijk).

Wohl der Demokratie, die solche Experten hat. Und Medien, die den Experten-Markt so gut überblicken, dass sie bei deren Auswahl stets die richtigen finden. Dass die Bundespolizei zu ganz anderen Zahlen kommt als die Messer-Fachfrau, erklärt sich übrigens ganz einfach: Dort arbeiten nur Praktiker. Und keine Experten.


Jürgen Schmid ist Historiker und freier Autor. Er lebt in München.

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Kommentare ( 20 )

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Helfen.heilen.80
1 Jahr her

Dieses Dickicht aus Neologismen für allerlei „Tätigkeiten“, Zuständigkeiten, „Kompetenzen“ nebst deren verwobene Art der Präsentation und der Zahl der Diskurs-Keyplayer entfalten im Kern eine katalytische Wirkung. Denn das Publikum ist paralysiert in Orientierungslosigkeit und Unverständnis, während sich die Fortentwicklung weitgehend ungestört abwickelt.
Die Frage nach dem zugrundliegendem Muster und den zu erwartenden Zukunftsszenarien bleibt aus.

Last edited 1 Jahr her by Helfen.heilen.80
Norbert Baumgaertner
1 Jahr her

Nur der Korrektheit halber: Ein „Dr. rer. pol.“ muss nicht notwendigerweise ein Politologe sein. Überwiegend handelt es sich dabei sogar um Wirtschaftswissenschaftler.

Wilhelm Mueller
1 Jahr her

Ich glaube, dass die große Masse des woken Expertentums sich schlicht unter „Hochstapelei“ einordnen lässt. Da auch auf der Seite der Medien immer mehr recht bizarre Pflänzchen der Sonne entgegen wachsen, macht alles noch einen recht stimmigen Eindruck- bis denn unter denen, die sich noch einen gesunden Menschenverstand erhalten konnten, ein Gemurmel aufkommen wird: „Aber er hat doch gar nichts an…“ Unser Gemeinwesen wird in allen Kernbereichen immer dysfunktionaler, in wenigen Jahren werden wir es uns nicht mehr leisten können, die tauben Blüten am Baum der Erkenntnis so üppig zu versorgen wie heute. Vielleicht können sie dann ja wenigstens einen… Mehr

ChrisBurns
1 Jahr her

Gib den Menschen ein neues Wort und sie glauben an eine neue Wirklichkeit…!

powerage
1 Jahr her

Ich hab mir seit 2015 angewöhnt, schon während des Berichts im ÖR die sogenannten Experten zu googeln. Vielfach führen die Infos ins linke oder linksextremistische Lager, beim Thema Migration fast immer zu Anette Kahanes AA-Stiftung oder in den Dunstkreis von Soros und seinen NGOs. Matthias Quent ist anscheinend nicht mehr so gefragt oder sein Background bei der AA ist mittlerweile einfach zu bekannt, zudem wurde er ja mit einer Professorenstelle belohnt. Zeitweise wurde dann Miro Dittrich als Experte präsentiert, der ist auch von der AA. Eine offensichtlich linke Österreicherin wird auch gerne genommen. Maja Göpel hält sich seit dem Ärger… Mehr

Bernd Bueter
1 Jahr her
Antworten an  powerage

Die Regierung erfindet den Corona-Massenbetrug und
Pfizer sagt dazu:
„Wir haben das Land nicht betrogen, sondern den von der Regierung angeordneten Betrug durchgeführt.“

alter weisser Mann
1 Jahr her

Diese Blödsinnsgestalten, früher nannte man die Scharlatane, werden durch Politik und Medien bezahlt, um für die gewollten Änderungen der Gesellschaft Flankenschutz zu liefern. Bezahlte, intellektuell herumschwafelnde Nützlinge, die die erwarteten oder bestellten Stichworte und Texte liefern.

Dr.KoVo
1 Jahr her
Antworten an  alter weisser Mann

Kleine Korrektur. Sie werden durch uns bezahlt, nicht durch Politik und Medien.

Ulric Viebahn
1 Jahr her

Wenn Sie Mainstream hören oder lesen, dann sind alle Auskunftspersonen -experten, -spezialisten, -forscher, -wissenschaftler. Ihr Bildungsstand und ihre Erfahrung werden nicht erwähnt, weil sie keine Rolle spielen. Selbst wenn sie formal höchstqualifiziert sind, haben sie meistens durch Unsinn und Unrecht und hanebüchene Parolen zu Klima und Corona jede Vertrauenswürdigkeit verloren.

Alleswasrechtist
1 Jahr her

Das Problem ist weniger der Erfindungsreichtum und/oder das Geltungsbedürfnis vermeintlicher Experten, sondern, man ist geneigt zu formulieren: wieder einmal der MSM-„Journalismus“. Sowohl von umfassender als auch bzgl. der selektierten Themen qualitätsvoller Berichtserstattung hat sich dieser komplett verabschiedet. Heutzutage müssen „stimmige“ Geschichten erzählt werden, die ins eigene woke-belehrende Narrativ passen. Da sind keine wirklichen Fachleute gefragt, da wäre jemand mit einschlägigem Berufsabschluss und -erfahrungen eher fehl am Platze, die Moral von der Geschichte ist bereits im Vorfeld voreingenommen festgelegt, es geht nur noch darum, eine pseudowissenschaftliche, alibihafte „Bestätigung“ aufzutun. Das würden sich ernsthafte Fachleute wahrscheinlich auch gar nicht antun. Umgekehrt sind… Mehr

StefanB
1 Jahr her

Guter Artikel! Die Expertokratie hat für die Hofberichterstattungsmedien mit ihren Haltungsjournalisten den Vorteil, dass sie nicht mehr selbst recherchieren müssen und damit für die „Informationen“ nicht mehr verantwortlich sind. Später werden sie sagen „Ich habe von nichts gewusst“. Beide, die „Journalisten“ und die „Experten“ sind ordinäre Systemn… Unterstützt werden sie von den Vielen draußen vor den Bildschirmen, die nicht selbst denken, aber auf der moralisch richtigen Seite stehen wollen. Sie sind die eigentliche Ursache dafür, dass die Propagandamühle mit täglich neuen Fake-Experten und Fake-News in der Breite wie geschmiert funktioniert.

mediainfo
1 Jahr her

Vielen Dank für diesen erstklassigen Artikel, der Sachverhalte unterhaltsam auf den Punkt bringt, die einem seit Jahren in den gängigen Medien auffallen.

Ihrem Lebenslauf zufolge studierte sie Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte – wobei keine Abschlüsse erwähnt werden

Das hat sich mittlerweile politikweit eingespielt, lediglich von „hat studiert“ zu sprechen. Ist ja auch für viele dienlich, ein paar Semester dieses und jenes, dem Lebenslauf in schmückender Absicht hinzufügen zu können.
Auch das dürfte ein Journalist dem Gegenüber nicht durchgehen lassen, der Kompetenznachweis (und der Nachweis einer gewissen Zielstrebigkeit) besteht ausschließlich im Abschluß eines Studiums, nicht im „hat studiert“.