Schulkampf in Frankreich: Schluß mit schweren Fächern

Ach ja, sieht aus wie Tablets, sind aber Schiefertafeln - der Fortschritt in den Schulen ist oft eher Rückschritt

Auf den ersten Blick scheint es sich um eine unfreundliche Geste gegen Deutschland zu handeln: In Frankreich sollen auf der mittleren Schulstufe (collège) die speziellen Fremdsprachenklassen abgeschafft werden und das trifft besonders den Deutschunterricht. Aber der Fall liegt anders. Er ist noch gravierender.




Denn bei der Reform geht es um eine ganze Reihe von Unterrichtsinhalten und Fächern, die als „schwierig“ gelten und durch einfachere Inhalte und Fächerzuschnitte ersetzt werden sollen. So soll zum Beispiel auch das Lernen klassischer Sprachen wie Latein und Griechisch ersetzt werden durch ein interdisziplinäres Modul „Sprachen und Kultur der Antike“. Das hört sich interessant an, aber die Breite des Interdisziplinären vertuscht die Oberflächlichkeit des Lernens. Es ist nur noch ein Kennenlernen. Dass es um ein weniger anstrengendes Lernen geht, zeigt die Rechtfertigung der Collège-Reform. Die zuständige Ministerin spricht von „elitären“ Anforderungen, die gesenkt werden müssen, weil viele Schüler durch sie ausgeschlossen würden. Das Leitmotiv der neuen Schule ist also nicht ein aufklärerischer Bildungsehrgeiz, sondern eine absolut gesetzte Gleichheit, für die im Zweifelsfall Lerninhalte geopfert werden. Die pompös verkündete „Neugründung der republikanischen Schule“ bedeutet eine Einebnung des Schulsystems – Tabula rasa.

Lernkrise an den Schulen

In unserem Nachbarland (und nicht nur dort) gibt es eine Lernkrise. Auf der Homepage des französischen Bildungsministeriums ist der Rückgang der Zahl der Schüler, die ein gutes Niveau erreichen, dokumentiert: beim Textverständnis beträgt der Rückgang von 2000 auf 2012 3,7%, bei Mathematik 2003 auf 2012 5,6%, bei Geschichte und Geographie von 2006 auf 2012 6,4%. In dieser Krise wird nun eine verheerende Konsequenz gezogen. Man entscheidet sich nicht für eine neue Betonung der Lernarbeit und für eine Honorierung der besseren Arbeiten, sondern für eine Anpassung nach unten, für einen Abbau der Bildungsinhalte. Und man tut, als wären die schlechteren Leistungen eine Folge des Gegensatzes von arm und reich – als hätte es diesen Gegensatz nicht schon vor 10 oder 20 Jahren gegeben. So befasst man sich im Grunde gar nicht mit Bildungsproblemen, sondern macht alles zur Verteilungsfrage. Als hätten die lernschwächeren Schüler irgendeinen Gewinn, wenn man den Lernstärkeren ihre Klassen wegnimmt. Die bisherigen Sprachklassen waren ein Beleg, das gutes Lernen in Frankreich möglich ist: 15% eines Jahrgangs besuchten sie (fast 90% der französischen Deutschlehrer arbeiten dort) und die Klassen waren begehrt. Wenn sie nun abgeschafft werden, soll zwar eine zweite Fremdsprache angeboten werden, aber nur mit zweieinhalb Stunden pro Woche. Wer einmal eine Fremdsprache gelernt hat, weiß, dass es so nicht geht. Die Ministerin spricht mit forschem Lächeln von „besserem Lernen“, aber ihr Motto „weniger Langeweile“ verrät, dass sie das Motivationsproblem, das der Lernkrise zu Grunde liegt, nur zu umschiffen versucht.

Gewiss ist das Problem auch nicht mit dem bloßen Appell „Seid endlich fleißig!“ zu beheben, doch der Ausweg, nun jene Teile des Systems abzuschaffen, die mit höheren Anforderungen funktionieren, führt in eine völlig aussichtslose Situation. Wenn es soziale Anreize zum Lernen gibt, dann gehen sie gerade vom Vorbild lernstarker Milieus aus. Sie zeigen, was geht – auch in Zeiten medialer Überflutung und bunter Spaßgesellschaft. Indem jedoch die Ministerin die gut Lernenden als „Kinder der Reichen“ diffamiert und den anspruchsvollen Unterricht als „elitär“ bezeichnet, zerstört sie alle weiterführenden Vorbilder und Anreize. Sie verschließt die Wege nach oben, ins Freie. Sie hält alle unten in einer dumpfen, engen Gleichheitswut gefangen.

Soziale Spaltung?

Hier nimmt die fixe Idee der „sozialen Spaltung“, die die französische Politik seit Ende der 1990er Jahre beherrscht, eine neue Wendung. Erst ging es gegen die „Reichen“, jetzt soll das Bildungssystem eingeebnet werden. Das Ressentiment gegen alles Herausragende beschneidet die Bildungsbestände des Landes. Es schwächt einen wichtigen gemeinsamen Bezugspunkt aller Franzosen. Es geht an die Substanz Frankreichs und das ist nicht nur ein Thema „rechter“ politischen Kräfte. Vielmehr fühlt sich jetzt auch die größte Lehrergewerkschaft (SNES), die eher der Linken nahesteht und manche Sozialkritik noch bereitwillig mitgetragen hat, angegriffen und hat das im Streik am 19.Mai zum Ausdruck gebracht. Die Lehrer spüren, dass diese Reform den Wert eines gehaltvollen Unterrichts herabsetzt und damit die Rolle des Lehrers beschädigt.

Mit dem neuen Schulkampf in Frankreich steht – knapp fünf Monate nach den Pariser Attentaten – die Frage im Raum, ob man noch in der Lage ist, die aufklärerischen Errungenschaften der Republik zu begründen und zu verteidigen. Es geht um die Einsicht, dass man dem Besseren Platz geben muss, um das Gute für alle zu ermöglichen.

Dieser Beitrag erschien auf Achse des Guten




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