China – Der Drache im Teufelskreis

Zur Lage in China erklärt unser Autor, warum ein Aufstieg Chinas zur Weltmacht nicht bevorsteht, warum aber auch ein Zusammenbruch des KPCh-Staates in absehbarer Zukunft mit höchster Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist.

Beim Betrachten der faktischen Lage in China kommt man nicht umhin festzustellen, dass ein Zusammenbruch des KPCh-Staates in absehbarer Zukunft mit höchster Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.

II. China als nach innen gerichteter Staat

Ebenfalls ist ein Aufstieg Chinas zur Weltmacht nach meiner Ansicht für die absehbare Zukunft nicht möglich und dies aus folgenden Gründen:

  • Fehlendes kulturelle Konsolidierung und kaum kulturelles Selbstbewusstsein seit 1644

Dazu sollte man die jüngere chinesische Geschichte seit der Ming-Dynastie genauer unter die Lupe nehmen:

Zhu Yuanzhang gründete das Kaiserreich von Ming (1368-1644) nach der Vertreibung der Mongolen aus China.

Anno 1644 nutzten die Mandschu (Reich Qing) den chinesischen Bürgerkrieg aus und fielen in China ein. China befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem Zustand der Anarchie und das Reich konnte keinen wirksamen Widerstand leisten. Die verbliebenen Anhänger des Kaiserhauses Zhu in Südchina waren zu sehr um den verwaisten Thron zerstritten, um  die Invasion abwehren zu können. So eroberten die Mandschu in nur 20 Jahren mit Hilfe von chinesischen Generälen, denen sie Reichtum und Königtitel versprochen hatten, ganz China. Das letzte han-chinesische Kaiserreich der Ming erlosch, als der letzte Kaiser Zhu Youlang und sein zum Christentum konvertierte Kronprinz Constantin (nach dem Römischen Kaiser Constantin benannt) von den Mandschu gefangen genommen und hingerichtet wurden.

Die Mandschu waren bei ihrer Reichsgründung noch eine Stammesgesellschaft. Sie machten chinesische Bauern zu ihren Leibeigenen und befahlen nach der erfolgreichen Eroberung Chinas allen chinesischen Männern, nach mandschurischer Sitte fast sämtliche Kopfhaare zu scheren und einen Zopf zu tragen, damit der kulturelle Stolz der Chinesen gebrochen werden konnte. Die Chinesen betrachteten das Zopftragen als eine Barbarei. So gab es erbitterte Aufstände gegen diesen Befehl und Millionen Tote auf der Seite der chinesischen Bevölkerung waren die Folgen. Auf das Nicht-Beachten des Zopf-Gesetzes von 1645 stand die Todesstrafe. So wurde der Zopf zum Symbol der Unterwerfung der Han-Chinesen unter der Mandschu-Herrschaft. Den Chinesen wurden zudem aufgezwungen, die nomadisch geprägte Kleidung der Mandschu zu tragen, die übrigens heute international als die „traditionelle Kleidung der Chinesen“ gilt.  Das war besonders demütigend für die damaligen Chinesen, da die mehr als 3.000 Jahre alte traditionelle Kleidung der Han-Chinesen einen wichtigen Bestandteil der chinesischen Identität  darstellte.

Die Mandschu waren gegenüber Chinesen in absoluter Unterzahl. Deswegen regierten sie das unterworfene chinesische Reich durch die Kooperation mit der chinesischen Oberschicht (z.B. Großlandbesitzer/ Konfuzianer). Die Mandschu übernahmen die erzkonservativen konfuzianischen Traditionen der Li-Schule, um die konservativen Konfuzianer auf ihre Seite zu ziehen und so ihre Herrschaft zu festigen. Konfuzius wurde von den Mandschu-Herrschern in noch nie dagewesenem Ausmaß vergöttert. Doch gleichzeitig wurden die Mandschu speziell gefördert und besetzten die meisten Führungspositionen in der Regierung und im Militär.  Ein Mandschu musste beispielweise keine Beamtenprüfung ablegen, um einen staatlichen Posten zu erhalten. Die Ehe zwischen Mandschu und Chinesen war strengstens verboten.

In der Qing-Dynastie war es den Han-Chinesen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein verboten, in Mandschurei, Tibet, Xinjiang oder Mongolei zu siedeln. „Teile und Herrsche“, so haben die Mandschu versucht, über die Völker ihres Riesenreiches zu herrschen. Außerdem galt die Mandschurei als das Rückzuggebiet für die Mandschu, falls ein Aufstand der Chinesen im chinesischen Kernland Erfolg haben sollte. Die Mandschu haben deswegen eine 2.700-km lange Palisade vor den Toren der Mandschurei gebaut, um eine chinesische Einwanderung zu verhindern. Erst das Eindringen der Russen in die dünn besiedelte Mandschurei zwang die Qing-Dynastie dazu, die Einwanderungssperre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenüber Han-Chinesen aufzuheben.

Obgleich sich die große Mehrheit der chinesischen Oberschicht mit der Herrschaft der Mandschu abfand und sich als Teil des Staatsapparates sah, gab es durch die gesamte Qing-Dynastie hinweg ununterbrochen (mal mehr, mal weniger) Rebellionen von Han-Chinesen gegen den Mandschu-Staat, die die Qing-Dynastie als eine Fremdherrschaft ansahen. Insbesondere in Südchina existierten während der gesamten Qing-Dynastie ,Geheimgesellschaften, die von den ehemaligen Anhängern der Ming-Dynastie gegründet wurden und zum Ziel hatten, irgendeinen Nachfahren der Zhu-Kaiser wieder auf die Thron zu hieven, um so den „chinesischen Staat“ wiederaufstehen zu lassen.

Sun Yat-Sen (1866-1925), der als Vater der Chinesischen Republik galt und heute sowohl in Festlandchina als auch in Taiwan verehrt wird, war Mitglied der Geheimgesellschaft Hongmen. Die Geheimgesellschaft „Hongmen“ strebte ursprünglich nach der Wiederrichtung des Kaiserhauses der Zhu. Viele Mitstreiter von Sun kamen auch aus dem Hongmen. Sun Yat-Sen, der eine Republik in China nach amerikanischem Vorbild einführen wollte, dachte freilich nicht daran, einen Zhu wieder auf die Kaiserthron zu setzen. Stattdessen wollte er mithilfe der seit hunderten von Jahren antimandschurisch ausgerichteten Hongmen die Qing-Dynastie stürzen.

Die anschließende chinesische Revolution von 1911/1912 unter der Führung von Sun-Yat-sen, die die mandschurische Qing-Dynastie beendete und die Republik China ausrief, war in erster Line eine gegen die Fremdherrschaft der Mandschu gerichtete Revolution, die zum Ziel hatte, „China wiederherzustellen“ und „die Tataren zu vertreiben“. In erster Linie wollten die Revolutionäre nur die 18 han-chinesischen Provinzen, also das eigentliche China, von der Mandschu-Herrschaft befreien. Nachdem die Qing gestürzt worden war, führten die Han-Chinesen das Konzept der „chinesischen Nation“ (zhonghua minzu) ein. Der Begriff der „Chinesischen Nation“ diente freilich dazu, um die Nicht-Han-Gebiete und Völker des Mandschu-Reiches in den neuen han-chinesisch dominierten Staat zu integrieren. Demnach sollen Han, Mandschu, Mongolen, Tibeter und Uiguren einem chinesischen Volk angehören. „Zhonghua“ war übrigens früher ein Synonym für die han-chinesische Zivilisation.

Nachdem die Chinesen ihre politische Unabhängigkeit erlangt hatten, versuchten sie nicht, die chinesische Zivilisation wieder aufblühen zu lassen. In den Augen der neuen chinesischen politischen wie akademischen Eliten bedeutete die westliche Zivilisation den Fortschritt, wo die Hoffnung für ein fortschrittliches China liegen würde. Die chinesische Kultur war für die neue Elite, besonders nach den Bewegungen des 4. Mai 1919, ein Inbegriff der Rückständigkeit geworden. Für eine Renaissance der chinesischen Kultur hatten die chinesischen Intellektuellen nichts übrig.

Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949, insbesondere während der Kulturrevolution 1966-1976, wurde der Rest der chinesischen Kultur systematisch vernichtet. Alles Traditionelle wurde als böse, rückständig und feudalistisch abgestempelt und wurde mit allen Mitteln bekämpft.

Im China von heute ist von jener traditionell chinesischen Kultur und ihren Werten nicht mehr viel übrig geblieben. Heute sind die Spuren altchinesischer Zivilisation vor allem in Japan, Südkorea und Taiwan vorzufinden.

Japan ist der Übergang zu einer konstitutionellen Monarchie und in einen modernen Industriestaat auch deshalb so gut gelungen, weil die Japaner sich vollständig mit ihrer kulturellen, nationalen Identität und mit ihrem Kaiserhaus identifizieren konnten. So war es dann für Japan leicht möglich, mit einem selbstbewussten kulturellen und nationalen Bewusstsein die westliche Zivilisation zu adaptieren und diese mit ihren vorhandenen Strukturen und mit ihren kulturellen Traditionen zu verknüpfen.

China wurde hingegen auf seinem Weg in die Moderne im ausgehenden 19. Jahrhundert und im frühen 20. Jahrhundert von einer Kaiserdynastie beherrscht, die von vielen progressiven Chinesen wie Sun Yat-Sen immer noch als eine Fremdherrschaft angesehen wurde, die es zuerst zu beseitigen galt. Auf diese Weise konnten die Chinesen weder auf ihre Traditionen (da das vorige Herrscherhaus und das damit verbundene Staatssystem als kulturelle und ethnische Unterdrückung empfunden wurde) zurückgreifen, noch konnten sie die eigenen kulturellen Traditionen (da als mandschurisch geprägt angesehen oder als rückständig empfunden) mit der westlichen Zivilisation kombinieren.

Dieser an der eigenen Identität und Kultur zweifelnde innere Zustand der chinesischen Nation ist bis heute erhalten geblieben. Das China von heute schöpft seine nationale Identität vor allem aus seiner als Schande empfundenen militärisch-kulturellen Niederlage gegenüber der Übermacht des Westens.

Wer jedoch als Nation nicht von seiner eigenen Kultur überzeugt ist, der kann anderen seine kulturelle Werte ebenfalls nicht wirksam vermitteln. Darum ist China derzeit nicht in der Lage,  als eine selbstbewusste Kulturnation in der Welt zu fungieren und seine Kultur in der Moderne zu erhalten und zu entwickeln.

  • Gesellschaftliche Diskrepanz und wirtschaftliche Nicht-Nachhaltigkeit

Während Taiwan und Hongkong pluralistische Zivilgesellschaften mit einem großen Mittelstand und einer breiten Mitte geworden sind, ist Festlandchina immer noch eine klassische Obrigkeits-Gesellschaft geblieben. Ohne Beziehung zur Partei kann kein Unternehmen in China groß werden, kein Mensch politisch etwas werden. Darum dreht es sich in China alles um die „Guan“, die Beamten oder Kader des Machtapparates.

Was die Gesellschaftsstrukturen in Festlandchina angeht: Zu Maos Zeiten gab es im Grunde vier Gruppen: die Bauern, die Arbeiter, die Parteifunktionäre und die reaktionären Elemente. Parteifunktionäre hatten den höchsten Status und den größten Wohlstand. Die Arbeiter in der Stadt hatten durchaus einen vergleichsweise gehobenen Status, aus denen auch überwiegend Parteifunktionäre rekrutiert wurden. Die Löhne der städtischen Bevölkerung, die Parteifunktionäre mal ausgenommen, waren ziemlich gleich. Alle hatten wenig, sodass es auch wenig Sozialneid gab. Die Bauern waren extrem arm und waren durch das strenge Hukou-System auf die ländlichen Regionen festgesetzt und hatten kaum Perspektive, aus dem Land herauszukommen. Denn damals galt noch das Rückführungsprinzip des Hukous: Bauern, die unerlaubt in die Stadt gehen, wurden interniert und wieder aufs Land  abgeschoben. Dennoch sahen die Bauern sich als Teil der herrschenden Klasse, da sie immer noch über den „reaktionären Elementen“ standen.

Heute haben wir folgende Situationen in China (grob zusammengefasst): Die hohen Parteifunktionäre sind immer noch die Oberschicht, Machtelite und auch Geldelite. Im Übrigen sind die allermeisten Milliardäre in China KPCh-Funktionäre oder deren Angehörige. Eine prozentual gesehen kleine, aber in absoluten Zahlen große Mittelschicht entsteht (bestehend aus Fabrikbesitzern, privaten Unternehmern, Angestellten öffentlicher Institutionen oder Unternehmen, Beamten, Parteikadern, etc).

Ein Großteil der Arbeiter jedoch ist in die Armut abgedriftet und gehört nun auch zur Unterschicht. Parteikader werden heute überwiegend unter den reicheren Chinesen rekrutiert. Von daher sind die Arbeiter die eigentlichen großen Verlierer der Reformpolitik der letzten 30 Jahre. Obwohl es den Arbeitern zu Maos Zeiten materiell nicht gut ging, fühlten sie sich doch als Teil der herrschenden Klasse.

Ein Teil der Bauern hat sich inzwischen aus der Armut befreit, weil sie ihre Agrarprodukte nun gewinnerbringend verkaufen dürfen (anders als zu Zeiten Maos) und weil sie nun in der Stadt einer Arbeit nachgehen dürfen. Das Hukou-System ist gelockert worden, Bauern werden nun nicht zwangsinterniert, wenn sie in die Stadt ziehen. Eine neue soziale Gruppe entstand: Die Wanderarbeiter.

Zusammen gefasst kann man sagen, dass die heutige festlandschinesische Gesellschaft vielfältiger geworden ist als zu Zeiten Maos. Viele soziale Klassen sind entstanden. Die chinesische Gesellschaft ist jedoch immer noch streng hierarchisch und die soziale Mobilität ist äußerst gering. Durch das immer noch bestehende Hukou-System bleiben viele der 200 Millionen Wanderarbeiter immer noch ihr Leben lang Bauern, obwohl sie inzwischen schon ihr Geld durch Fabrikarbeit in den Großstädten verdienen und ihren Lebensmittelpunkt in der Stadt haben. Denn die Lockerung des Hukou-Systems in den letzten Jahren, wonach mache Bauern sich mit ihren Familien in der Stadt niederlassen konnten, gilt in erster Linie nur für mittlere und kleinere Städte.

In den Großstädten sind die allermeisten Wanderarbeiter von der Stadtbürgerschaft und den damit verbundenen Sozialleistungen weiterhin ausgeschlossen. Ihre Kinder besuchen folglich meist schlecht ausgerüstete, privat finanzierte „Wanderarbeiterschulen“ und machen ihr Abitur, wenn überhaupt, in der meist ländlich geprägten Heimat ihrer Eltern und haben so deutlich schlechtere Chancen, auf eine gute Universität zu kommen. Für normale Stadtbürger ist es inzwischen äußerst schwer, Parteikader oder Beamte zu werden oder anders ins Herrschaftssystem einzudringen. Jedes Jahr gibt es zwar eine nationale Beamtenprüfung, aber nur die wenigsten werden eingestellt. Teilweise konkurrieren hunderte Studienabsolventen um eine einzige Beamtenstelle. Außerdem ist es in China ein offenes Geheimnis, dass von den besten Prüflingen für eine Beamtenstelle oft nur derjenige letztendlich eingestellt wird, der den besten „familiären Hintergrund“ hat. Von daher kann man die Prüfung noch so gut bestehen, man geht ohne entsprechende Kontakte oft leer aus.

Die Mittelschicht ist sehr konservativ (im Sinne vom systemkonform) und möchte vor allem die soziale Stabilität erhalten und damit ihren Wohlstand und ihre Privilegien gegenüber der Unterschicht. Aufgrund der gravierenden Umweltverschmutzung, Rechtsunsicherheit des chinesischen Justizwesens, der Unberechenbarkeit der chinesischen Wirtschaftsentwicklung, und vor allem der systematischen Benachteiligung des privaten Sektors gegenüber dem staatlichen Sektor in den letzten Jahren, wollen viele chinesische Mittelständler in den Westen oder sind bereits ausgewandert.

Jahr für Jahr steigen die Kosten für die „Wahrung der Stabilität“, d.h. Kosten für die Niederschlagung der Proteste, Kosten für die Einsätze der Militärpolizei im Inland, usw. Zuletzt wurden die Militärkosten von den Kosten der „Wahrung der Stabilität“ übertroffen. Es sind enorme Summen, die dort fehlen, wo sie am dringendsten benötigt werden, etwa für die Bildung und bei den Gesundheitsausgaben.

Dadurch, dass das Land in China dem Staat bzw. dem „Kollektiv“- sprich: den Parteifunktionären, gehört, können Bauern ihr Land nicht selbst gewinnerbringend verkaufen. Hingegen verkaufen lokale und regionale Regierungen in China das Land der Bauern teuer an Immobilienfirmen weiter und kassieren kräftig mit. Die enteigneten Bauern werden oft nicht ausreichend entschädigt, da ja das Land per Definition nicht ihnen gehört. Dies führt Tag für Tag zu Protesten und Unruhen.

Wirtschaftlich ist Chinas Entwicklung nicht nachhaltig, da das bisherige Wirtschaftswachstum hauptsächlich durch die Anlageninvestitionen angetrieben wird. Ein 7-Prozentiges Wirtschaftswachstum ist für Deutschland traumhaft, für China dagegen ein Grenzwert zu einer Katastrophe, weil ein Wachstum unter 7 Prozent nach Ansicht der chinesischen Regierungspolitik nicht ausreichend neue Arbeitskräfte in China absorbieren und zur Massenarbeitslosigkeit führen würde. Der Binnenkonsum ist aufgrund der niedrigen Einkommen der meisten Chinesen und der fehlenden sozialen Systeme sehr schwach und ist in absehbarer Zeit kein Ersatz-Motor für das chinesische Wirtschaftswachstum. Der Export allein kann kein 7-Prozentiges Wachstum sichern und die Nachfrage nach chinesischen Industriegütern in den Industrieländern wächst nicht mehr so stark wie früher – das goldene Zeitalter des chinesischen Exports ist schon längst vorbei. Außerdem kann ein so hohes Wachstum ohnehin nicht langfristig beibehalten werden.

Die autoritäre Staatsform scheint in der Anfangsphase einer Volkswirtschaft förderlich zu sein, weil sie wesentlich schneller als eine Demokratie Beschlüsse verwirklichen und große Infrastrukturprojekte ohne viel Rücksicht auf die Bevölkerung vorantreiben kann.

Sobald diese Volkswirtschaft jedoch auf ein mittleres Niveau angelangt ist und die nächste Entwicklungsstufe unweigerlich eine Transformation von einem Massenproduktionsland zu einem innovativen Land erfordert, da spielen Faktoren wie eine unabhängige Justiz, mehr Pressefreiheit, mehr Meinungsfreiheit (= mehr innovative, kritische und selbstständig denkende Köpfe) eine entscheidende Rolle bei der Transformation.

Aber genau das würde unweigerlich der Staatsräson des KPCh-Staates, nämlich das unbedingte Festhalten an dem Machtmonopol der KPCh, zuwider laufen. Darum wird es für China sehr schwierig werden, sich in eine stabile innovative Volkswirtschaft zu transformieren. Der Strukturwandel von einem Massenfertigungsland in ein Hochtechnologieland ist ohne Rechtssicherheit, unabhängige Justiz und freie Forschungseinrichtungen kaum zu bewerkstelligen.

Das absolute Machtmonopol der KPCh auf sämtliche Ressourcen Chinas und die daraus resultierende Nicht-Verantwortbarkeit vor dem Volk (da nicht wählbar) führt auch dazu, dass die Machthaber nicht in der Lage sind, für einen wirksamen Interessenausgleich zwischen den internen Profiteuren des KPCh-Staatssystems und den Massen der Bevölkerung zu sorgen, weil das Volk politisch wenig gehört wird und es im Zweifel immer zugunsten der internen Profiteure des KPCh-Staatssystems ausfällt.

Sobald die internen Interessenvertreter der KPCh und die Nicht-Systemangehörigen (d.h. diejenigen, die nicht zum Staatsapparat gehören) um das Interesse oder um die Ressourcen konkurrieren, ist die KPCh-Führung schon aufgrund ihrer Machtbasis mehr oder weniger gezwungen, das Interesse der eigenen Leute über das der Nicht-Systemangehörigen zu stellen. Das gleiche ist der Fall, wenn es um den Konflikt zwischen dem Wohl der Nation und des Machterhalts der KPCh geht. Langfristig gesehen bedeutet dies: Es findet eine Beharrung auf das Interesse der eigenen Partei-Profiteure auf Kosten der Zukunftsfähigkeit der gesamten chinesischen Nation statt.

Beispiele dafür gibt es genug. So würden zum Beispiel mehr Pressefreiheit oder eine unabhängigere Justiz die enormen sozialen Spannungen wesentlich lindern und zumindest den unzufriedenen Menschen auf dem Land einen Ausweg zu mehr Gerechtigkeit oder ein Sprachrohr bieten. Dies würde aber zwangsläufig das Machtmonopol der KPCh gefährden.

So weisen fast alle Demographen auf die katastrophalen Folgen der Geburtenplanungspolitik hin, weil Chinas Bevölkerung bereits altert, bevor überhaupt ein flächendeckendes Sozialsystem etabliert ist. Trotzdem geht es mit der Reform der Geburtenplanungspolitik nur schleppend voran. Warum? Weil seit Jahrzehnten zigtausende Parteifunktionäre bzw. Parteikader von der Umsetzung dieser Politik leben, ja eine mächtige Lobbyisten- und Interessengruppe um das Parteikomitee für Geburtenplanung herausgebildet hat, die unbedingt an dieser Politik festhalten will, weil sonst ihre Daseinsberechtigung in Frage steht.

So sind derzeit die staatlichen Unternehmen in China nur für ein Drittel der Produktionsleistung in China verantwortlich, erhalten aber 75 Prozent des Kapitals. Hingegen tragen private Unternehmen zwei Drittel der Produktionsleistung bei, erhalten aber nur 25 Prozent des Kapitals von den Banken.

Die Antwort liegt auf der Hand: Weil die Aufrechterhaltung der Dominanz der staatlichen Unternehmen für den Machterhalt der KPCh unverzichtbar ist und weil die eigenen Leute (Staatliche Unternehmer= KPCh-Funktionäre) davon am meisten profitieren. Dies geschieht aber auf Kosten der gesamten Wettbewerbsfähigkeit des Landes und erschwert zudem die Transformation Chinas zu einer innovativen und fortschrittlichen Volkswirtschaft wie Japan oder Südkorea damals.

2.3. Fazit

Ein Aufstieg Chinas zur Weltmacht wird daher für die absehbare Zukunft nicht stattfinden. Dagegen spricht zum einen das fehlende kulturelle Erbe und Selbstbewusstsein, zum anderen die mangelnde Nachhaltigkeit des chinesischen Wirtschaftsmodells. Die Innovationsfähigkeit Chinas leidet strukturell an der Bürokratie und am Parteifilz. Darüber hinaus hat die chinesische Gesellschaft aufgrund ihrer sozialen Schieflage wenig Zusammenhalt. Es gibt noch nichts, was sämtliche Chinesen, unabhängig von der sozialen Schicht, gesellschaftlich unter einer Identität vereint. Die rasante Alterung der chinesischen Gesellschaft macht aus China einen der wenigen Staaten der Welt, die bereits in die alternde Gesellschaft abdriften, bevor ein flächendeckendes Sozialnetz errichtet worden ist. Es sieht derzeit alles danach aus, dass China in die „Mittlere Einkommens-Falle“ gerät, aus der es nur schwer herauskommem kann.

Weiterhin sitzt der KPCh-Staat genau wie die ehemalige Nationalregierung der KMT in der Falle: Als alleinige Regierungspartei der Nation hat sie zwar Zugang zu sämtlichen Ressourcen Chinas, ist jedoch den gleichen Einschränkungen als Regierungspartei unterworfen. Wenn man viel hat, hat man viel zu verlieren. Es gibt mächtige Interessengruppen innerhalb der Partei, die gegenseitig konkurrieren und eine radikale Reform unmöglich machen, weil die Parteispitze immer zu Kompromissen mit verschiedenen Interessengruppen der herrschenden Cliquen verdammt ist. Des Weiteren steht sie als eine nationale Regierungspartei viel stärker im Fokus der Öffentlichkeit als jede Opposition und ist mehr oder weniger dem Druck der inneren wie ausländischen Öffentlichkeit ausgeliefert. Sie kann daher überwiegend nur defensiv agieren, aber nicht mehr so offensiv, wie sie es einst gegen ihre politischen Gegner zu ihren Zeiten als Opposition tat.

Die VR China ist daher ein in erster Linie nach innen gerichteter Staat. Seine innenpolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme werden seine politische Führung dazu verleiten, den Fokus weiter nach innen zu richten. Damit reiht sich das Schicksal der kommunistischen Partei und des Staates Volksrepublik China ein in die ewigen Dynastiewechsel in der langen Geschichte Chinas.

Dynastien wurden auf Millionen Toten gegründet. Dann blühten die Dynastien auf und gingen anschließend, zerfressen durch Korruption und ausgezehrt durch soziale Probleme und eine stagnierte privilegierte Schicht, unaufhaltsam dem Niedergang entgegen.

Und dieser Teufelskreis dreht sich weiter.

Unser Autor möchte aus Rücksicht auf seine Familie ungenannt bleiben.

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