Wien: Wer die richtige Regierungskrise will

Eine Mehrheit gegen die Neue Volkspartei von Kurz ist im Nationalrat mathematisch kein Problem. Kurz wusste natürlich, dass er dieses Risiko eingeht, wenn er die Koalition mit der FPÖ beendet.

Michael Gruber/Getty Images

Der liebe Gott in Österreich scheint immer mal wieder zum Scherzen aufgelegt – oder wie an der Donau formuliert wird: zum Blödeln. Also nicht der Gott, von dem die Amtskirche gepredigt haben will, sondern der Gott, den die allermeisten Österreicher in sich tragen mit ihrer katholischen Kultur der Freude am Leben.

Warum die Vorfrau der SPÖ, Pamela Rendi-Wagner, eine komplett aus „Experten” vom Bundespräsidenten zusammengesetzte Bundesregierung will, ist klar. Sebastian Kurz soll nicht mit dem Amtsbonus Bundeskanzler in den Nationalratswahlkampf gehen.

Den Weg dahin durch einen Rücktritt von Kanzler und Ministern frei machen, wie die bei öffentlichen Auftritten zum fröhlichen Hüpfen neigende SPÖ-Obfrau blauäugig von Sebastian Kurz verlangt, wird dieser ihr höflich verweigern.

Deutsche mache ich aufmerksam, dass die österreichische Verfassung – anders als das deutsche Grundgesetz – kein konstruktives Misstrauensvotum kennt, sondern nur ein negatives. Der Nationalrat kann jeden Bundeskanzler mit einfacher Mehrheit für ein Misstrauensvotum stürzen. Der Bundespräsident hat in Wien viel mehr Kompetenzen als in Berlin. Für die jetzige Situation gibt es kein Muster in Wien, keinen Präzedenzfall, auf den der Bundespräsident Alexander van der Bellen als Blaupause zurückgreifen könnte. So einfach, wie Thomas Mayer es sieht, wird es nicht sein.

Ginge es nach Pamela Rendi-Wagner, würde über einen solchen Misstrauensantrag morgen, Mittwoch, im Nationalrat abgestimmt. Das hat der Parlamentspräsident mit der zutreffenden Begründung abgelehnt, dass der Termin für Neuwahlen auch nach den EU-Wahlen festgelegt werden kann. Das österreichische Ergebnis der EU-Wahl darf als Test für die Nationalratswahl verstanden werden und wird die Stimmung in Österreich nachhaltig prägen, mit der es in die Neuwahlen geht.

Im Nationalrat sind die Stimmen so verteilt:

Eine Mehrheit gegen die Neue Volkspartei von Kurz ist mathematisch kein Problem. Kurz wusste natürlich, dass er dieses Risiko eingeht, wenn er die Koalition mit der FPÖ beendet. Der früher ÖVP-treue Kurier schreibt:

»Die ÖVP hat sich vorbereitet: Sie will SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner anbieten, dass sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl jener Experten bekommt, die die FPÖ-Minister ersetzen sollen.

Geht die SPÖ auf den Deal nicht ein und wird Kurz vom Parlament abgesetzt, dann liegt die türkise Botschaft der kommenden Monate auf der Hand: Die SPÖ half mit, das Land ins Chaos zu stürzen. „Denn man stelle sich vor, am EU-Gipfel, wo über den künftigen EU-Kommissionspräsidenten entschieden wird, nimmt nicht Kanzler Kurz teil, sondern möglicherweise ein unbekannter, ranghoher Beamter, den dann Alexander Van der Bellen ernennen muss“, ätzt ein ranghoher ÖVPler.«

Ob die FPÖ für einen Misstrauensantrag stimmt, steht noch nicht fest, selbst dann nicht automatisch, wenn der auf Rache sinnende Ex-Innenminister Herbert Kickl statt Norbert Hofer als Spitzenkandidat der FPÖ in den Nationalratswahlkampf zieht.

Vor allem ist Bundespräsident van der Bellen vor keine leichte Aufgabe gestellt. Er entscheidet mit seinem Verhalten auch darüber, ob er noch einmal für sein Amt mit Erfolg kandidieren kann.

Am Ende wird es auf die besseren Nerven und die klügere Strategie ankommen. Das spricht für Sebastian Kurz. Allerdings spielt er auch hoch, auf volles Risiko.

Für mich heißt das, ich darf wohl vorerst jeden Tag etwas über Österreich schreiben. Das habe ich mir auf meine älteren Tage auch nie vorgestellt. Aber wie gesagt, der liebe Gott in Österreich scheint ab und zu gern zu blödeln. Das nehme ich als Auftrag. – Ich muss mal wieder bei Karl Kraus bis Helmut Qualtinger nachschauen.

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Kommentare ( 94 )

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Augustiner Edelstoff
4 Jahre her

Falls es jemanden interessiert, die freien medien sin dbereits sehr viel weiter mit dem recherchieren von WEM dieser Film erstellt wurde.
Zur Info dahinter steckt ein Vorbestrafter der sich auf Spionage spezialisiert hat und ein Anwalt mit Iranischen Roots. Beide wohnen in Wien und werden gerade gesucht. Diese beiden haben den Film geplant und an Infobrokers verkauft die wiederum den Film den Medien bereits vor Monaten angeboten haben.
Also GRATIS war da gar nichts so wie es der Recherche Club behauptet!!!

Auch wer den Film in Auftrag gegeben hat, kommt immer mehr ans Tageslicht, FYI ganz weit Links suchen.

Arzt397
4 Jahre her

Vielleicht sollte man bei der Strache Geschichte auch ganz anders denken. Beim ersten Anblick der Videoschnipsel hatte ich irgendwie ein komisches Bauchgefühl bei Gudenus. Heute habe ich auf YT Ausschnitte von Lanz gesehen. Da saßen die zwei Hauptbeteiligten von der Alpen-Prawda und haben Interessantes durchblicken lasen. So habe Strache mehrfach gegenüber Gudenus geäußert, dass dies eine Falle sei. Ihm sind wohl auch dreckige Fußnägel der Dame aufgefallen, die er mit einer Multimillionärin nicht in Einklang brngen konnte. Da sei es wieder G. gewesen, der Strache beruhigt habe: Keine Angst, das ist kein Fake… G. hat in Russland studiert, spricht die… Mehr

Sabine Ehrke
4 Jahre her

Ich darf zitieren zu den Vorgängen, was ich bisher am treffendsten fand: von Petra Schwerdtfeger / 22.05.2019 : Kurz hat sich nicht jagen lassen – Kurz hat einen Auftrag erfüllt. Nicht mehr und nicht weniger. (gefunden bei achgut.com Europawahl: Der Weg des Durchpeitschens)

Pulcher
4 Jahre her

Was haben wohl Böhmermann und Co. damit zu tun? Falls es tatsächlich so sein sollte, dann haben diese Damen, Herren und Diverse jedes Augenmaß verloren. Den offiziellen Verlautbarungen der Alpen-Prawda glaube ich kein Wort.

Carli
4 Jahre her
Antworten an  Pulcher

Böhmermann wurde (wahrscheinlich) nur als Nebelkerze verwendet. Mit der Urheberschaft des Lockvideos hat er nichts zu tun.

Nachdenkerin
4 Jahre her

Laut Artikel auf http://www.eu-infothek.com war auch ein Deutscher involviert. Er wurde bei einem Treffen als „Julian Thaler“ vorgestellt, er sei aus München und Chef einer Sicherheitsfirma. Der Artikelverfasser vermutet, dass der Name falsch ist.
welt.de hat inzwischen einen Artikel zu den bisher bekannten Hintergründen des Videos veröffentlicht, aber die Spur nach Deutschland geflissentlich verschwiegen. Mal sehen, was noch alles vor der EU-Wahl herauskommt. Wenn die Spur tatsächlich in die deutsche Politik führen würde, dann hätten wir den größten Skandal der Nachkriegszeit.

Cato_the_Elder
4 Jahre her

Die „Affäre Strache“ ist mit der „Affäre Kohl“ zu vergleichen, bei der herauskam dass der damalige Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Kohl über mindestens ein Jahrzehnt als Kanzler verdeckte Parteispenden für die CDU einsammelte. Die dabei geführten Hinterzimmersimmergespräche sind bei Herrn Kohls bescheidenen Frauengeschmack wohl nicht mit „scharfen“ Frauen geführt worden, aber das ist ja selbst bei dem in D herrschenden Feminismus 4.0 noch kein strafmildernder Umstand. Bei Herrn Kohl handelte es sich im Gegensatz zu Strache und nicht um besoffenes Gerede sondern um in die Tat umgesetztes Fehlverhalten eines regierenden Kanzlers. Herr Kohl war zudem bei Ermittlungsbeginn 2000-2001 noch MdB. Herr… Mehr

FZW
4 Jahre her
Antworten an  Cato_the_Elder

: besten Dank für die umfassende Sammlung.

schurli71
4 Jahre her
Antworten an  Cato_the_Elder

Danke. Darf man sie zitieren?

Wolfgang Brennenstuhl
4 Jahre her

@Alter weiser Mann Ich gebe Ihnen Recht. Habe dieses 6 minutenlange Video gesehen und war entsetzt, geradezu erschüttert ob der Dummheit, Naivität, Plumpheit der Sprache des Herrn. Hätte das einer meiner Schüler/Studenten von sich gegeben (Wirtschaftswissenschaften) hätte ich ihn gefragt, ob er gesoffen und gekifft hätte. Selbst in dem Zustand …. kaum Möglich. Satire ? Unter Berücksichtigung der Position des Mannes kann es sich meiner Meinung nach nur um ein „Fakevideo“ handeln. Aber warum bestätigt er es? Wie gesagt, ich bin immer noch erschüttert. Selbst kurz vor „Koma“ kann man doch so etwas nicht von sich geben, unmöglich, auch die… Mehr

Kampfkater1969
4 Jahre her

Warum hat sich seine Frau verdrückt mit dem Hinweis, Ihr Kind sei jetzt das wichtigste?

Denis Diderot 2018
4 Jahre her

„Also nicht der Gott, von dem die Amtskirche gepredigt haben will, sondern der Gott, den die allermeisten Österreicher in sich tragen mit ihrer katholischen Kultur der Freude am Leben.“
Wie sehr vermisst man ihn in seinen deutschen Landsleuten.

Tomsen
4 Jahre her

Vera Lengsfeld heute:
Nun Österreich. Das bundesdeutsche Establishment schwelgt in gar nicht so klammheimlicher Freude. Es hat sichtbar kein Problem damit, dass deutsche politische Säuberer sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes eingemischt haben – mit Mitteln, die in Deutschland strafbar sind, wie der Ex-BND-Chef August Hannig klar gemacht hat. Er sprach in einem ntv-Interview von Geheimdienstmethoden, die hier zur Anwendung gebracht wurden. Was es bedeutet, dass die Regierung eines Landes nicht mehr von den eigenen Wählern abgewählt, sondern von fremden, gesichtslosen Mächten zu Fall gebracht wird, darüber kann man nicht nachdenken, ohne zu frösteln.

Carli
4 Jahre her
Antworten an  Tomsen

Warten Sie noch ein bisschen ab. Die „gesichtslosen Mächte“, die die geheimdienstlichen Macher beauftragt haben, sind wahrscheinlich gar nicht so fremd.

Britsch
4 Jahre her
Antworten an  Tomsen

Vera Lengsfeld hat auch bereits vor längerer Zeit festgestellt: Die Stasi ist mitten unter uns. Vera Längsfeld hat ja Erfahrungen was für Methoden bei der Stasi in der DDR so üblich waren. Sie sie war den Methoden der Stasi ja selbst ausgesetzt und wurde von der Stasi „beobachtet, behandelt. Situationen mit denen man Jemand unliebsamen etwas Anhängen kann durch Lug und Trug provozieren. Das ganze dann zu einem Zeitpunkt wo man meint dem „Gegner“ damit besonders schaden zu könne aus der Schublade ziehen und entsprechend präsentieren. Da fällt mir der „Aufstieg“ von Merkel ein. Bevor das Treiben gegen Vorgesetzte von… Mehr

JoergPlath
4 Jahre her

Einige „Spiegel-Online“-Überschriften, die von der „journalistischen Notwendigkeit der Veröffentlichung“ des Videos zeugen: „Kurz´Schluss“, „Wiener Geschnetzeltes“, „Kurz und schmutzig“… Klingen alle überhaupt nicht aggressiv und hämisch. Der „Spiegel“ und die „SZ“ hatten ja auch überhaupt keine politische Intention bei ihrem mutmaßlich kriminellen Handeln…