In Sicherheit, doch ohne eindeutigen Aufenthaltsstatus – Eine Ukrainerin erzählt

Im Landkreis Görlitz machen ukrainische Flüchtlinge auf die Folgen der Überlastung aufmerksam: Aufenthaltspapiere werden nicht ausgestellt, stattdessen Fiktionsbescheinigungen. Die genauen Gründe bleiben im Dunkeln. Werden die Ukraine-Flüchtlinge subtil unter Druck gesetzt, das Land wieder zu verlassen?

IMAGO / Future Image
Ukrainische Flüchtlinge kommen am 19.03.2022 am Bahnhof in Görlitz an

Es ist ein Fall, der die aktuelle Migrationsmisere in ein Bild und in Worte fassen könnte: Ukrainer sind nach Deutschland gekommen, weil ein Leben im Kriegszustand gefährlich, sicherlich auch unbequem ist. Aber was erwartet sie hier? Wird ihnen von Deutschland eine Zukunft eingeräumt? Ist das überhaupt in der aktuellen Überlastung der Aufnahmesysteme möglich?

Wie viele andere Kreise ist auch der Landkreis Görlitz derzeit überlastet von Flüchtlingen und anderen Migranten. Der Kreis liegt im Eck zwischen der polnischen und der tschechischen Grenze, hat also selbst unmittelbar zu tun mit den neuen illegalen Migrationsrouten. Daneben muss er aber sein Soll im großen Plan der Innenministerin erfüllen. Mehr als tausend Ukrainer haben Kreis und Stadt schon aufgenommen. Und jeden Monat kommen um die hundert illegale Migranten hinzu, das sind nach aktuellen Berichten meistenteils noch immer „junge Männer aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum“.

Die Zahlen von 2015 und 2016 könnte man hier nicht nochmal bewältigen, so Landrat Stephan Meyer im Radio Lausitz. Denn die Kapazitäten sind schlichtweg nicht mehr da. Verständlich auch: Man möchte nicht noch einmal Sportstätten und Kulturräume für eine Migrationslage opfern, die sich ins Unendliche zu verstetigen scheint. Es wäre kein Wunder, wenn der Kreis auch akut nach Abhilfe suchen würde und zumindest die Belastung durch Menschen, die in ihre Heimat zurückkehren können, vermeiden wollte.

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Auf der persönlichen Facebook-Seite des Görlitzer Bürgermeisters Octavian Ursu machen mehrere Ukrainerinnen auf sich aufmerksam, weil sie unzufrieden mit ihrer Behandlung durch die Behörden im großen Landkreis Görlitz sind, der von Zittau bis Bad Muskau reicht. Es sind junge Frauen um die zwanzig. Sie hatten ein Leben in der Ukraine, vielseitige Interessen und Pläne für die Zukunft. Sie studierten an der Kiewer Universität, bevor der Krieg ihnen einen Strich durch dieses Leben machte. Eine junge Dame, Natalia M., schreibt, an den deutschen Bürgermeister gewandt: „Lieber Octavian Ursu! Ich bitte Sie, ukrainischen Flüchtlingen im Landkreis Görlitz zu helfen. Wir bekommen keine Aufenthaltserlaubnis! Und wir fühlen uns wie in der Sklaverei, ohne das Recht, andere europäische Länder zu besuchen, und wir möchten unsere Verwandten in unserem Land besuchen!“

Was Ukrainer in anderen Gemeinden haben, ist bekannt

Eine andere junge Frau, Polina D., schlägt in dieselbe Kerbe. Die Ausländerbehörde verweigere das besagte Papier, das eine kleine Plastikkarte ist, vergleichbar dem normalen Personalausweis, wie sie im Gespräch mit Tichys Einblick erzählt. Sie weiß von Landsleuten in anderen Kreisen, dass ukrainische Flüchtlinge, die in Deutschland ja automatisch Asyl erhalten, auch dieses ‚Kärtchen der Freiheit‘ leicht bekommen – „aber im Landkreis Görlitz kein einziger Mensch“. Sie weiß von 100 Ukrainern im Kreis Görlitz, die ohne Aufenthaltserlaubnis auskommen müssen.

Die zuständige Ausländerbehörde mauere außerdem, wenn sich die Ukrainer mit Nachfragen an sie wenden, lasse sie nicht ins Gebäude und beantworte keine Briefe oder Anrufe. Polina glaubt, dass eine russlandfreundliche, folglich ukrainer-kritische Haltung hinter dieser Weigerung stehen könnte. Dabei hat der Kreis Görlitz die „Hilfe für Kriegsflüchtlinge“ aus der Ukraine sogar auf seiner Homepage plakatiert. Die Kreisverwaltung Görlitz reagierte bisher nicht auf Anschreiben von TE.

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Polina und die anderen ukrainischen Flüchtlinge – zumeist sind es Frauen mit kleinen Kindern – fordern dasselbe für sich, was Ukrainer in anderen Gemeinden auch haben: eine offizielle Aufenthaltsgenehmigung, mit der sie ins europäische Ausland reisen können – aber auch in die Ukraine. Und an dieser Stelle hört die Geduld der Görlitzer Ausländerbehörde offenbar regelmäßig auf. Polina erzählt die Geschichte einer anderen Ukrainerin, die kurzfristig in ihre Heimat zurückkehren wollte, um ihre verstorbene Mutter zu begraben. Der Frau wurde eröffnet, dass sie dann auch ihre Fiktionsbescheinigung verliere, die ihr ein provisorisches Bleiberecht in Deutschland gewährt und unter anderem dann vergeben wird, wenn die Prüfung zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis länger als die ersten drei Monate nach Einreise dauert. Bei Polina sind inzwischen mehr als sieben Monate vergangen.

Im Gespräch mit TE malt die 20-jährige Polina ihr Leben anfangs in grellen Farben aus. Später wird sie diese Probleme relativieren. In einem kleinen Ort nahe der tschechischen Grenze sei sie mit ihrer Mutter und dem kleinen Bruder untergebracht. Die Grenze nach Tschechien, auch die nach Polen, ist wenige Kilometer entfernt, aber sie darf sie nicht überschreiten. Dabei seien viele ukrainische Familien heute über mehrere Staaten Europas verstreut, wollten sich naturgemäß wiedersehen.

In dem Ort gibt es nicht viel für sie zu tun, Arbeit findet sie keine, bekommt auch von der Arbeitsagentur keine Vorschläge. Das Geld sei folglich knapp. So gehe es den meisten Ukrainern im Kreis, deren Zahl sie auf einige Tausend schätzt, 2.000, vielleicht 3.000. Eine Telegram-Gruppe allein habe tausend Mitglieder. Sie weiß von einer einzigen Ukrainerin, die als Kellnerin arbeite.

Der Beginn des neuen Lebens dauert noch ein ganzes Jahr

Aus der Ukraine floh Polinas Familie schon im März 2020, am 19. des Monats waren sie in Polen, am nächsten Tag in Deutschland. In Kiew hatte Polina Buchhaltung und Jura studiert. Aber der Krieg vertrieb sie. Ihr zweijähriger Bruder habe aufgrund der Bomben und Sirenen seelische Probleme bekommen und aufgehört zu sprechen. Der Vater und der 18-jährige Bruder der Familie sind ordnungsgemäß in Kiew geblieben. Polina würde sie gerne besuchen, aber eine dauerhafte Rückkehr nach Kiew schließt sie zurzeit aus – nicht nur wegen ihres kleinen Bruders und weil sie bei ihrer Mutter bleiben will. Auch das Leben in Kiew sei weder sicher, noch gebe es für sie dort eine Zukunft. Hier vermischen sich Flucht- und ökonomische Gründe, wie sie selbst zugibt.

In Kiew könne nach wie vor „alles passieren“, auch Bombenbeschuss. Daneben gibt es bei der Elektrizitätsversorgung inzwischen Hauptlastzeiten zwischen acht und elf Uhr sowie zwischen 17 und 23 Uhr, zu denen energieintensive Geräte am besten eingeschaltet werden sollten. Die Elektrizitätswerke des Landes, die einst auch seine Nachbarn mit Strom versorgt haben, seien unter Beschuss. Es ist also kein im engeren Sinne „normales Leben“ möglich.

Nun ist Polina also zum Herumsitzen gezwungen, weil sie keine Arbeit bekommt. Sie will Deutsch lernen, um ihr Studium in Deutschland wieder aufzunehmen – das Gespräch fand in einem Gemisch aus Englisch und Deutsch statt. Doch das nötige Sprachniveau C2 erreicht sie wohl erst in einem Jahr. Am Ende des Gespräches ist sie etwas versöhnlicher gestimmt: Die nicht ganz komfortablen deutschen Sozialleistungen seien kein Problem. Aber sie würde einfach gerne etwas tun. Als angehende Juristin glaubt sie außerdem, dass sie als Mensch bestimmte „Rechte“ habe, die man ihr nicht entziehen kann. Sie pocht so auch auf die Einlösung des Asylversprechens der Bundesregierung, mit der sich die lokalen Behörden oft mehr als schwer tun.

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Kommentare ( 76 )

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beuer
1 Jahr her

Krieg ist prinzipiell Sch… und daß man davor flieht, kann sicher jeder nachvollziehen. Jedoch bezweifle ich, daß sich diejenigen Ukrainer, denen es wirklich dreckig geht, auf den Weg zu uns machen, sondern vor allem die, welche es sich leisten können. Die junge Frau versucht hier in D das Maximum für sich zu erreichen, weil sie vermutlich wie viele ihrer Landsleute völlig falsch indoktriniert ist. Seit Kriegsbeginn höre ich dauernd, Selensky fordert dieses, fordert jenes, ohne je einen Gedanken darauf zu ver(sch)wenden, daß diese Mittel anderswo auch erwirtschaftet werden müssen und nicht wie die gebratenen Tauben vom Himmel fallen. Die Krönung… Mehr

Manfred_Hbg
1 Jahr her

Zitat(e): „Arbeit findet sie keine, bekommt auch von der Arbeitsagentur keine Vorschläge. (…….). So gehe es den meisten Ukrainern im Kreis. (……….). Sie weiß von einer einzigen Ukrainerin, die als Kellnerin arbeite.“ > Es ist schon bemerkenswert: Hier in Dummland werden Arbeitskräfte gesucht und (angeblich) soll es bei uns noch nicht mal möglich sein Arbeitskräfte für z.Bsp. kopfmäßig einfache Verladetätigkeiten am Flughafen zu finden so das man extra (weitere) 2000 Türken aus der Türkei herholen muß – und Kriegsflüchtlinge wie diese arbeitswilligen und -suchenden Ukrainerinnen können und dürfen entweder nicht arbeiten weil sie keine nötigen Papiere erhalten oder es wird… Mehr

foxthefox
1 Jahr her

Mal n andern Aspekt: irgendwer in DE kam vor 2015 auf die fixe Idee, dass dieses Land ohne blutauffrischende Zuwanderung junger Leute keine Zukunft habe. Als ob ein DE nicht mit 60-70 Mio existieren könnte. Die Invasion der ‚Fachkräfte‘ ab 2015 hat ja „überraschend“ weder zur Integration noch Besserung welcher Aspekte auch immer in DE geführt. Nun versucht man es mit Ukrainern als „Kriegsflüchtlingen“ wieder: jung, weiss, christennah und wieder angeblich hochgebildet und erwartet, dass die zu großen Teilen hier bleiben und sich ansiedeln. Pustekuchen: Ukrainer sind sehr heimatverbunden, nationalbewusst oder gar nationalistisch. Die Segnungen, die Ihnen aufgedrängt werden, nehmen… Mehr

Andreas aus E.
1 Jahr her

„Und TE haut jetzt in dieselbe Kerbe wie es bisher nur linksgrünbunte Multikultigutmenschen taten?“ Zuerst dachte ich ja auch: Meine Güte, gleich kommt noch die Ukrainerin, welche ein Goldgeschmeide am Straßenrand gefunden hatte, das zum Fundamt gebracht hatte und deshalb Einschreibefrist verpaßte und darum von tumben deutschen Rechtsreaktionären um ihr Studium zur Nobelpreisträgerin gebracht wurde. Aber bei genauerer Lektüre stellte ich fest, daß dieser Artikel eben nicht jener Machart ist, mit welcher uns seinerzeit zum Höhepunkt der Merkelkrise die Leit/dmedien beglückten. Ich lese da eher Kritik. Aber hierbei: „Deutschland ist bereits an den Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit angelangt. Daran ändert auch… Mehr

Rainer Schweitzer
1 Jahr her

Wird ihnen von Deutschland eine Zukunft eingeräumt?“

Warum sollte das geschehen? Deutschland soll ihnen Schutz gewähren. Ihre Zukunft aber kann nicht bei uns liegen, sondern muß doch darin bestehen, nach dem Krieg in ihr Land zurückzukehren, um es wieder aufzubauen.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Rainer Schweitzer

„Wird ihnen von Deutschland eine Zukunft eingeräumt?“
Wir müssen schon ziemlich hinüber sein, um solche Fragen tatsächlich ernst zu nehmen.
Zu meiner Zeit hat man tatsächlich angepackt, um sich selbst eine Zukunft zu schaffen. Ist es inzwischen wirklich so weit, dass man abwartet und zuschaut, bis andere das für einen tun?
Seit Jahren immer dieselbe Leier. Ich kann es nicht mehr hören!
Junge Menschen, die dastehen, wie ein Kind vorm Dreck. Hätte wohl meine Mutter gesagt.

Hans Buttersack
1 Jahr her

Die Ukrainerin hat eine Unterkunft, sie bekommt genug zu essen, und sie ist in Deutschland in Sicherheit. Mehr kann sie auch nicht verlangen.

Sie fordert eine Berufsausbildung, Arbeit, Zukunftsperspektiven, mehr Geld, das „Recht“, andere Länder und ihre Heimat zu besuchen und und und. Das ist mehr, als es viele Einheimische haben oder sich leisten können.

Neben Millionen Ukrainern kommen jedes Jahr noch Hunderttausende von Versorgungssuchenden aus arabischen und afrikanischen Ländern, die auch von den einheimischen Steuerzahlern alimentiert werden wollen. Mehr als der Mindeststandard ist da einfach nicht mehr drin.

Last edited 1 Jahr her by Hans Buttersack
TinaTobel
1 Jahr her

Wenn das Ziel ist, den hierher geflüchteten Ukrainern eine Zukunft in Deutschland zu ermöglichen. Dann heißt das doch, dass man davon ausgeht, dass sie für immer hierbleiben und nicht in die Ukraine zurückkehren werden. Das wiederum kann nur bedeuten, dass man sich bereits sicher ist, dass die Ukraine diesen Krieg verlieren wird.
Wenn man sich aber schon sicher ist, dass die Ukraine diesen Krieg verlieren wird, dann haben doch all diejenigen Recht, die sagen, dass eine Unterstützung der Ukraine den Krieg nur unnötig verlängert.

Deutscher
1 Jahr her

„Werden die Ukraine-Flüchtlinge subtil unter Druck gesetzt, das Land wieder zu verlassen?“

Wohl kaum. Mir stellt sich aber eine andere Frage: Zwischen den umkämpften Gebieten liegen noch 90% der Ukraine selbst, Polen, die Slowakei, Ungarn, Tschechien und Österreich. In nächster Nachbarschaft Moldawien und Rumänien, etwas weiter der gesamte Balkan. Warum muß es unbedingt Deutschland sein?

roady63
1 Jahr her

also….. komischerweise taucht in der Nachbarschaft zum Monatsende/Anfang neuerdings immer ein Auto mit ukrainischen Kennzeichen zu „Besuch“ auf. Nach 1-3 Tagen ist der Wagen wieder weg. Auch etwas komischer. Das Auto „wächst“ auch neuerdings etwas. Klartext, wer aus Kriegsgebieten flüchtet, flüchtet, ist zufrieden, wenn er überlebt, was zu Essen und eine Unterkunft hat.
Alles andere an Anspruch sind wohl eher Dinge, um sich auf Kosten anderer ein gemütlicheres Leben zu machen…..

Schorschi
1 Jahr her

Liebe Natalia M. Seien Sie versichert, dass ich mit Ihnen fühle. Auch ich stand mitten im Leben, hatte vielseitige Interessen und Pläne für die Zukunft, bis man in der Nachbarschaft anfing, auf seine Landsleute zu schießen und nationale Parolen auszukramen und versuchte aus seinem Bruderhass einen globalen Konflikt zu machen, bis hin zur Förderung nach atomaren Präventivschlägen. Auch ich würde gerne mal wieder meine Verwandten besuchen, aber zuerst eine Infektionskrankheit und nun Spritpreise, die ich mir nicht mehr leisten kann, machen mir da einen Strich durch die Rechnung. Und auch uns Ausland würde ich gerne. Allerdings war ich schon mal… Mehr