Der Bankrott der „Volksparteien“: keine Wähler, keine Mitglieder, keine Ideen

CDU und SPD sind von „Volksparteien“ zu regierenden Parteien abgerutscht. Ihnen fehlt es an Wählern, Mitgliedern und einer inhaltlichen Basis. Das führt zwangsweise zu den Pleiten der Regierung Friedrich Merz – etwa in der immer noch offenen Rentenfrage.

picture alliance/dpa | Carsten Koall

Zu den lustigsten Figuren im Repertoire des Kabarettisten Georg Schramm gehörte der rheinhessische Sozialdemokrat. In etwas weinerlicher Stimme klagte er über die Beschwerden der Welt und kündigte an, dass er da „im Ortsverein“ noch drüber reden müsse. Das war von Schramm fein beobachtet. Die lustige Seite daran, aber auch der nützliche Wert, den der Ortsverein hatte. Der war eine Keimzelle der Demokratie, in dem sich eine Mehrheit bildete – egal, ob es um Ostpolitik ging oder das Ostkreuz der Autobahn.

Die SPD hatte in den 1970er Jahren mal über eine Million Mitglieder, wie die Bundeszentrale für politische Bildung informiert. In der Union waren es demnach rund 900.000 Mitglieder Anfang der 80er Jahre. Aber laut Statistischem Bundesamt waren es Ende 2024 nur noch 490.000 Mitglieder in der Union, 365.000 davon in der CDU. Die SPD hatte demnach weniger als 360.000 Mitglieder. Ein hoher Anteil davon ist im Rentenalter. Es wäre also interessant, wie viele der Karteileichen buchstäblich tot sind.

Der Ortsverein hat als Raum für politische Willensbildung ausgedient. Sehr zum Schaden der SPD – und noch mehr zum Schaden Deutschlands. Denn im Ortsverein trafen professionelle Politiker und Funktionäre noch auf Kumpels, Rentner, Lehrer, Fließbandarbeiter oder Handwerker. Heute bleiben sie unter sich. Eine Generation von Berufspolitikern, die nichts kennengelernt hat außer Kreißsaal, Hörsaal und Plenarsaal. Kaum einer, der außerhalb des öffentlichen Dienstes einen Cent verdient hat.

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Entsprechend ist der Ausbau des öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Haushalte für diese Art Politiker erstrebenswert. Schon jetzt hat Deutschland laut einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft anteilig die höchsten Sozialabgaben und Verwaltungskosten unter seinen Nachbarn. Doch wer sozialdemokratischen Politikern zuhört und glaubt, muss meinen, er lebe in den Zeiten des Manchester Kapitalismus und ein Sozialwesen müsse erst noch aufgebaut werden.

Rund 200 Milliarden Euro ist der Sozialetat mittlerweile im Bundeshaushalt schwer. Das entspricht in etwa 40 Prozent des Gesamtetats. Dürfte Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) gar keine Schulden aufnehmen, würde der Sozialetat rund die Hälfte seiner Ausgaben ausmachen. Trotzdem fordert der SPD-Vorsitzende den Ausbau eben dieses Sozialstaats. Das Rentenniveau will er künstlich festnageln, egal, wie sehr die Wirtschaft abschmiert. Gegen eine echte Reform des Bürgergelds wehrt er sich mit Händen und Füßen. Und jede Kritik an der Einwanderung ist aus Sicht der Sozialdemokraten ein Angriff von Rechts. Es fehlt an kleinen und mittelständischen Unternehmern, die in den Ortsverein gehen und Klingbeil samt Genossen erzählen, wie sehr die Lohnnebenkosten ihnen schon jetzt die Luft zum Atmen nehmen – oder die vom U-Bahn-Fahren in Berlin oder München erzählen.

Nicht nur bei den Mitgliedern haben CDU und SPD die Basis verloren, auf denen ihr Status als „Volksparteien“ einst ruhte. Auch bei den Wählern. Früher bildeten sie gemeinsam eine Konstellation, die treffend „Große Koalition“ genannt wurde. Heute verzichten Journalisten auf diesen Titel – aus ebenso gutem Grund. In den Umfragen kommen CDU und SPD auf keine Mehrheit mehr. Eigentlich wäre das schon im Februar so gewesen. Da rettete die „großen Koalitionäre“ die Fünf-Prozent-Hürde, an der das Bündnis Sahra Wagenknecht knapp gescheitert ist. Deswegen wehren sich Christ- und Sozialdemokraten auch mit Händen und Füßen gegen eine Neu-Auszählung der Wahl: Würde sich herausstellen, dass dem BSW tatsächlich 10.000 Stimmen zu wenig zugerechnet wurden, zöge das Bündnis nachträglich ins Parlament ein – und die einstige „große Koalition“ hätte schon jetzt keine Mehrheit mehr.

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Um „Volksparteien“ zu sein, fehlt CDU und SPD also mittlerweile die Basis an Mitgliedern und Wählern. Trotzdem bleiben sie die „regierenden Parteien“: In 15 von 16 Bundesländern stellen sie den Ministerpräsidenten. In allen 16 Bundesländern sind entweder Christ- oder Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt. Im Bund regieren sie gemeinsam – so wie bereits in 13 der letzten 20 Jahren. Ihr Zugriff auf den Staat ist nach wie vor der von „Volksparteien“. Wenn sie „unsere Demokratie“ gegen die AfD verteidigen, meinen sie ihre Demokratie, in der sie der AfD Posten in Ausschüssen und Präsidien verweigern, in den Verwaltungs- und Programmräten des Staatsfernsehens oder auf den Richterstühlen des Bundesverfassungsgerichts – damit verteidigen sie ihre Demokratie, indem Leute aus ihren Reihen diese gut bezahlten Posten besetzen.

Die „Große Koalition“ von 1966 bis 1969 unterschied sich auch von den CDU-SPD-Konstellationen dieser Tage nicht nur dadurch, dass sie seinerzeit die Wähler und Mitglieder von „Volksparteien“ hatten. Sie unterschied sich auch dadurch, dass sich die beiden Parteien ein gemeinsames Wertegerüst teilten: Soziale Marktwirtschaft, innere Sicherheit, West-Anbindung … Das waren Themen, in denen sich Christ- und Sozialdemokraten grundsätzlich so einig waren, dass die „Große Koalition“ Deutschland für die schwierigen 70er Jahre gescheit aufstellen konnte.

Dieses gemeinsame Wertegerüst fehlt den Partnern heute. Das der SPD ist bereits beschrieben. Es heißt: mehr Staat und mehr Soziales. Immer mehr. Egal, ob der Anteil des Sozialetats irgendwann bei 50, 70 oder 120 Prozent der Einnahmen steht. Aber immerhin. Das ist ein Wertegerüst. CDU und CSU scheint das seit Angela Merkel völlig abgegangen zu sein. Sie hat mehr christdemokratische Positionen aufgegeben, als die Partei heute noch hat. Und seit Merkel hat sich gezeigt, welch aalglatter Karrierebückling da in der Union heranwächst. Fest überzeugt vom Erhalt der Atomkraft, fest überzeugt von der Abschaffung der Atomkraft. Fest überzeugt von der Wehrpflicht, fest überzeugt von der Abschaffung der Wehrpflicht. Fest überzeugt von der Sicherung der Grenzen, fest überzeugt von einem Land, in dem es keinen Ausweis und keinen Einreisegrund braucht, um einzuwandern. Der christdemokratische Karrierist ist fest überzeugt von der Meinung des Chefs. Egal, wer Chef ist und welche Meinung der hat.

In dieser Konstellation haben Kanzler Friedrich Merz (CDU) und sein Vize Klingbeil angefangen zu regieren: alles im Sinne der SPD, die den Staat und das Soziale ausbauen will. Egal, wie sehr beides schon auswuchert. Das Geld für den „Klimaschutz“ in anderen Ländern. Mehr Geld für die Parteifreunde in den NGOs. Mehr Klimaplanwirtschaft statt Freiheit für Unternehmer. Eine Schuldenorgie von 850 Milliarden Euro, um das alles bezahlen zu können. Trotzdem höhere Beiträge zur Krankenversicherung, obwohl ein Sinken der Lohnnebenkosten versprochen war. Und obwohl die Zuschüsse für die Rente schon jetzt den größten Teil des Sozialetats ausmachen, „Aktivrente“, „Mütterrente“ und künstliche Festschreibung des Rentenniveaus und damit hunderte Milliarden Euro zusätzlicher Lasten für Rentenversicherung und Staatshaushalt.

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Es waren nicht die Unternehmer in der Union, die diesen Wahnsinn gestoppt haben. Dieser Flügel ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. Der Unternehmer oder Geschäftsführer, der mal den Ortsverband der CDU besucht hat, den gibt es nicht mehr. Der flüstert keinem Berufspolitiker mehr etwas ein. Es waren die 18 „Jungen Abgeordneten“, die bei der Rente ihr Veto angekündigt haben, gegen das CDU, CSU und SPD keine eigene gemeinsame Mehrheit im Bundestag hätten. Es sind halt auch die Jungen, die ihren Altersgenossen erklären müssen, warum die Politik an der Verachtung gegenüber ihrer Generation festhält, die sie schon in der Pandemie gezeigt hat. Warum sie den Wählern von morgen nur Schulden ohne Investitionen hinterlässt, um heute über den Sozialstaat Geschenke verteilen zu können – zur Hälfte an die, die noch nicht länger hier leben.

Diese Generation will auch Karriere in der Berufspolitik machen. Aber ihre Vertreter müssen sich persönliche Fragen stellen: Ob sie in zehn Jahren eine Politik vertreten wollen, die nur Zinsdienst und Verwaltungskosten bezahlen kann? Ob sie selber dabei genug verdienen, um sich wie ihr Kanzler im Privatflugzeug ins Ausland absetzen zu können, wenn hinter ihnen alles zusammenbricht? Es ist diese Generation, die Jens Spahn nun davon überzeugen muss, einer Rentenreform zuzustimmen, die ihren Leuten immer höhere Kosten für ein System bringt, aus dem sie selbst immer weniger erhalten werden. Die wissen, dass sie künftig selbst als einstige „große Koalition“ keine Mehrheiten mehr in Wahlen erzielen werden – es sei denn, sie lassen alle echten Oppositionsparteien verbieten.

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Kommentare ( 105 )

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Dieter Rose
21 Tage her

Gestern aus Versehen Hern Klingbeil gesehen: lauter hohle Phrasen, dieser Herr Hohlbeil!

jopa
21 Tage her

Die Negativauslese ist nicht nur ein Problem der SPD. Alle Parteien sind davon betroffen oder werden lanlangfristig davon betroffen sein. Hauptgrund dafür ist der Klüngel der Seilschaften bei der Vergabe von Posten. Es werden die gewählt, deren Freunde entweder mehr Sitzfleisch haben und die Partei übernehmen wollen oder lieb-Kind mit den Parteichefs sind, also Leute die keine Unruhe in die Versammlungen bringen.

WGreuer
21 Tage her

Reinhard May erkannt diesen Trend im Lande schon viele Jahre zuvor und besang ihn mit seinem „Narrenschiff“. https://www.youtube.com/watch?v=46hobUy4mc4 Aber um mich einigen meiner Vorposter anzuschließen: zumindest die Parteiführungen wissen ganz genau, was sie da tun. Sie tun es mit vollem Wissen der Konsequenzen für das Land uns seine Bürger (natürlich icht für sie). Sie tun es mit voller Absicht. Denn sie arbeiten nicht für den Souverän, der steht nur pro-forma im GG, sondern sie haben ganz offensichtlich andere Herrn. Und die sitzen in Davos, New York und Brüssel. Man kann sie nennen wie man will: Globalisten, Kabale, Deep State, völlig… Mehr

Dieter Rose
21 Tage her
Antworten an  WGreuer

Ich fragte mich, warum die EU- und BT- Abgeordneten (fast) alle so gleichgeschaltet sind. Dann kam ich drauf: GELD, GELD, GELD!

GR
21 Tage her

Keine Ideen? Die Politik müßte, damit die Probleme gelöst werden, um 180° geändert werden. Alle Glaubenssätze müssten aufgegeben werden. Den Parasiten müßten Härten zugemutet werden. Das schafft Verärgerung. Und dann wären sie weg vom Fenster. Also besser ein Krieg. Die FPÖ ist jetzt bei 40%+.

Ein Mensch
21 Tage her

Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal??? Viele Abgeordnete der SED 2.0 waren länger im Kreißsaal als im Hörsaal, so denn sie überhaupt jemals im Hörsaal waren. Das ist auch eines dieser großen Probleme im Schafland.

Aegnor
21 Tage her

Es ist richtig, dass die vollständige Entwurzelung von der Basis und die daraus folgende Negativauslese der Parteipolitiker die Voraussetzung für diese katastrophale Politik der letzten 20 Jahre war (und in Teilen bereits der letzten 40 Jahre). Aber bzgl der Motivation würde ich Klingbeil, Merz und Konsorten nicht so einfach mit Unwissenheit und Betriebsblindheit entschuldigen. Die wissen genau was sie tun. Die SPD-Granden wehren sich deshalb so gg jede Einschränkung der (islamisch dominierten) Zuwanderung und ihrer Finanzierung per Sozialstaat (aka Dschizya) weil sie längst islamisch unterwandert sind und sie die Spitze des Messers im Rücken spüren. Dazu haben wir 5-6 Mio… Mehr

Juergen Semmler
22 Tage her

Gemäß der bekannten indianischen Weisheit (oft den Dakota-Indianern zugeschrieben):

„Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab“.

Mittlerweile lachen sogar schon Unternehmer-BOSSE LAUT und unverholen auf offener Bühne über die heillos überforderte

„BAS“ATZUNG

des unter „SCHWARZ-ROTER-FAHNE IRR-SEGELNDEN
NARRENSCHIFFs INSOLVENTIA“

und machen sich zudem auch noch lustig über die SEE-UNTÜCHTIGE Seelenverkäufer- CREW.

Aber der sauerländische Süßwasser-Leicht-Matrose am Steuerrad hört die Schüsse vor den Bug nicht…. er will sie nicht hören.

Schäuble würde ihm zuraunen:

“ ISCH OVER“ FRITZE !

Dieter Rose
21 Tage her
Antworten an  Juergen Semmler

Gibt es auch Leicht-Piloten???

Spyderco
22 Tage her

Vielleicht sind sie keine,,Volkspartei“,aber noch immer vereint die ,,Bunte Einheitspartei für Messermigration,Klimawahnsinn und Steuermilliarden von Afghanistan bis Ukraine“ 74% der Wählerstimmen auf sich!😉

Last edited 22 Tage her by Spyderco
Urbanus
22 Tage her

SPDCDUGRÜNE…ist der Öffentliche Dienst, Caritas, Diakonie, Kirchen, Universitäten, Stiftungen, etc.

Micky Maus
22 Tage her

Was nützen die Feststellungen, dass die angeblichen „Volksparteien“ am Ende sind? Wieso regiert dann dieses verlogene, und zu nichts in der Lage und unfähige Pack immer noch ein ganzes Volk? Sicherlich liegt es daran, dass der dumme deutsche Michel still hält, anstatt auf die Straße zu gehen. Vorallem der Wessi begreift hier garnix. Der Ossi war 1989 nicht so feige, so bequem und vorallem nicht so dumm!

DDRforever
22 Tage her
Antworten an  Micky Maus

Weil es so etwas wie „Das Deutsche Volk“ schlicht nicht mehr gibt. Ein Blick auf Ihren Marktplatz sollte sie davon überzeugen.