Der Staat versucht zunehmend, ins Leben der Menschen hineinzuregulieren. Doch insbesondere der digitale Dschungel bietet Rückzugsorte. Da kommt der Obrigkeit gelegen, über Medienverbote, die das Kindeswohl sicherstellen sollen, Kontrollmechanismen zu installieren.
picture alliance/dpa | Martin Schutt
Eine träge Gesellschaft liebt Verbote. Denn ein Verbot befreit uns von der Notwendigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, womöglich gar uns unangenehme. Einer Geisteshaltung, die gewöhnlich das, was man will, missversteht als das, was man soll, erscheint nichts kontraintuitiver, als sich selbst etwas aufzuerlegen.
Das betrifft nicht zuletzt den digitalen Medienkonsum. Erwachsene Menschen schaffen es häufig nicht, einige Stunden am Tag offline zu sein, ihr Handy für ein paar Tage daheim zu lassen, oder auf das Doom-Scrolling vor dem Schlafengehen zu verzichten. Obwohl sie selbst der Ansicht sind, dass es ihnen guttäte, das zu tun.
Aber Selbstdisziplin und Wille reichen eben nicht einmal, um das als schädlich und selbstschädigend erkannte Verhalten einzustellen. Wenn nun schon Erwachsene oftmals eher Sklave der digitalen Welt sind, anstatt sich ihrer verantwortungsvoll zu bedienen, wie soll Kindern gesunder Medienkonsum gelingen?
Kein Wunder also, dass immer wieder Stimmen laut werden, die Social-Media- oder Smartphone-Verbote für Minderjährige fordern – zuletzt geäußert vom thüringischen Ministerpräsidenten Mario Voigt. Der setzt sich in einem Gastbeitrag für die FAZ für ein Verbot von Smartphones für Kinder unter vierzehn Jahren ein, soziale Medien sollen Jugendliche erst ab sechzehn Jahren nutzen dürfen. Dies fällt zusammen mit Empfehlungen der Leopoldina. Die hat Maßnahmen vorgeschlagen, darunter einen Verzicht auf die Nutzung von Smartphones in Kitas und Schulen bis zur zehnten Klasse, sowie ein Nutzungsverbot für soziale Medien für Kinder unter dreizehn.
Oberflächlich betrachtet mag das sinnvoll erscheinen. Denn obwohl Anhänger grenzenloser Digitalisierung die Auswirkungen von Smartphone und Internetkonsum weiterhin leugnen, sind die Folgen der Flucht des Menschen in die digitale Pseudoexistenz bereits überall sichtbar – nur weigert man sich, diese Konsequenzen den entsprechenden Ursachen zuzuordnen. Der Realitätsleugnung assistieren die Grenzen der empirischen Wissenschaft: Die Studie, die lückenlos belegt, wie viel glücklicher der mittelalterliche Bauer gegenüber dem postmodernen Smartphone-Dauernutzer ist, wird es nicht geben.
Es braucht Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, keine Empirie, um festzustellen, wie viel schlechter das eigene Gedächtnis funktioniert, wie viel schwieriger es geworden ist, Inhalte auswendig zu lernen und zu behalten, wie viel kürzer die Konzentrationsspanne ist. Noch viel weniger ausgeprägt als die Bereitschaft, diese Probleme anzuerkennen, ist die Bereitschaft, etwas dagegen zu tun. Das Gerät auszuschalten, zum Beispiel.
Ein gesetzliches Verbot aber würde die elterliche und gesellschaftliche Verantwortung für das Kindeswohl durch staatliche Kontrolle ersetzen. Anstatt auf Eigenverantwortung und Menschenverstand zu setzen, soll das Verbot die selbstbestimmte Auseinandersetzung mit dem Thema obsolet machen.
Das ist eine Form von Faulheit und freiwilliger Aufgabe des Geistes und des Willens, die eines freien Individuums unwürdig ist. Eine funktionierende Gesellschaft sollte dem Einzelnen und der Gemeinschaft zuträgliche Verhaltensnormen ohne entsprechende Gesetze entwickeln können: Es gibt kein Gesetz, das zu Begrüßung oder Dank verpflichtet. Dennoch begrüßen und danken wir einander. Ebenso selbstverständlich könnte es sein, reale Kontakte über digitale zu priorisieren, Nachrichten stumm zu schalten, wenn sie ablenken, oder ein physisches Buch statt eines elektronischen zu lesen. Der Eindruck, man könne sich der digitalen Wucht nicht erwehren, ist ein irrtümlicher. Eine Gesellschaft, die ihre Kultur über Gesetze steuern muss, besitzt keine echte Kultur mehr.
Social-Media-Verbote und Smartphone-Verbote für Kinder sind sinnvoll – aber sie müssen den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Kindes entsprechen, und sie sollten mit der Vorbildfunktion der Erwachsenen verknüpft sein. Wenn Eltern und Erwachsene keinen verantwortungsvollen Umgang mit der digitalen Welt vorzuleben gewillt sind, ist ein Verbot für Kinder und Jugendliche heuchlerisch. Zudem nimmt es Kindern pauschal die Möglichkeit, an den positiven Aspekten der Online-Welt teilzuhaben; etwa am Zugang zu Wissen und Information, oder am Austausch mit Menschen und Gleichgesinnten aus der ganzen Welt.
„Kindheit statt Klicks“ ließ Voigt auf X verlauten. Das klingt sympathisch und griffig, und das ist auch vollkommen richtig. Aber das gilt auch für die Erwachsenen, die die Kinder anleiten: Auch sie müssen an der Kindheit der Kinder teilhaben, anstatt durch Abwesenheit zu glänzen, und dem Staat zu überlassen, zu entscheiden, was für das eigene Kind richtig ist. Die Gängelung der Kinder geht einher mit Infantilisierung und Entmündigung der Erwachsenen.
Dies führt zum politisch brisanten Aspekt dieser Forderung: Die Sicherheit, die Entwicklung und das Wohlergehen der Kinder sind lediglich vorgeschoben, um unter dem Deckmantel des Kinderschutzes digitale Kontrolle zu implementieren.
Denn um das Alter eines Nutzers festzustellen, muss dieser seine Daten zugänglich machen. Es lässt aufhorchen, wenn die Leopoldina am ehesten auf EU-Ebene Möglichkeiten zur Regulierung sieht. Noch mehr Kontrolle. Noch weniger Freiheit. Davon abgesehen werden junge Menschen, die ab sechzehn ja bereits wählen dürfen, von politischer und anderweitiger Meinungsbildung, die zu einem maßgeblichen Teil online erfolgt, ausgegrenzt.
Das Kindeswohl als Einfallstor zu nutzen für Politik und Regierungen, die den digitalen Raum kontrollieren wollen, ist ein durchschaubares aber nichtsdestotrotz demokratiegefährdendes und antifreiheitliches Manöver.

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Es ist wohl kein Zufall, dass dieses Thema nahezu zeitgleich in mehreren Staaten (UK, Australien, Alterskontrolle durch YouTube) auftaucht. Wieder ein Beispiel dafür, wie orchestriert vorgegangen wird, um die Freiheit der Menschen immer weiter einzuschränken.
Es geht natürlich nicht um den Schutz von Kindern, sondern, wie im Text beschrieben, um den generellen Nachweis der Identität im Internet. Wenn die Feststellung des Alters verlangt wird, wird zukünftig JEDER sein Alter belegen müssen, d.h. seine Identität preisgeben.
Das Verbot ist gut, da die Eltern meistens selbst anhängig und süchtig sind. Daher können sie keine Vorbildfunktion einnehmen.
So werden wenigstens die Kinder gerettet, denn gerade für sie überwiegen die schlechten Einflüsse und Seiten des unbegrenzten und unkontrollierten Internetzugangs.
Wieviele Eltern kennen Sie persönlich unter 84 Mio. Bewohnern D’lands? Ihnen muss doch klar sein, dass Ihrer Behauptung jede ausreichende Evidenz fehlt.
Naja, wenn ich täglich etwa zwei Stunden mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs bin, treffe ich zu diesen Zeiten eher weniger Jugendliche an. Dafür aber etwa 90% Erwachsene, deren Handys offensichtlich implantiert sind. Selbst im dichten Gedränge und ohne die Möglichkeit, Halt zu finden, nehmen sie das Ding nicht aus der Hand.
Und ob das in irgendeiner Stadt Deutschlands anders ist, wage ich zu bezweifeln.
Erwachsene als Vorbilder wären die bessere Alternative. Nur ist meine Wahrnehmung im öffentlichen Raum, selbst 50-jährige schaffen keine 5 Minuten ohne ihren Trostpreis smartphone. Kopfhörer und Ohrstöpsel unterstreichen zudem die Wichtigkeit der Person, Ansprechbarkeit gegen Null. Geschlechtsunabhängig hängt es sichtbar in der Gesäßtasche oder wird wie eine Tafel Schokolade vor sich getragen. Paare sitzen im Restaurant und starren auf ihr smartphone. Beim bunten Abend Gruppentreffen wird in gespeicherten 30.000 Fotos oder Videos gesucht. Wer nicht in einer „whats app“ organisiert ist, gehört nicht dazu, ist kein Herdentier. Wie sagt es die eiskalte Zierpflanze aus dem Nachwuchs der Grünen, Zitat: “Leute,… Mehr
Die Sache erinnert stark an die Film- und Literaturzensur, die seit Jahrzehnten praktiziert wird – gegen das Grundgesetz, laut dem eine Zensur nicht stattfindet. Unter dem Stichwort Jugendschutz werden bekanntlich vornehmlich Filme indiziert oder gar beschlagnahmt, die für Jugendlich wegen der Altersfreigabe gar nicht vorgesehen sind. In der Folge werden diese für den deutschen Markt in vorauseilendem Gehorsam von den Produzenten schon so gekürzt, dass sie keine Probleme bereiten können. Man mag nun von den betroffenen (Mach-)werken halten, was man will, aber Fakt ist: Hier setzten eine Obrigkeit bzw. bestimmte Gruppen ihre Ansichten von dem, was die Bevölkerung sehen darf,… Mehr
Wie war das nochmal mit Voigts Dissertation?
Dr. Weber hat da viele Ungereimtheiten, sprich Plagiate, festgestellt.
Wer hält die schützende Hand über Voigt?
Verbote stärken den Zusammenhalt im Rudel, die Rudelmitglieder rücken enger zusammen. Verbote können und werden umgangen. Die Bösen werden ausgestoßen. Zuerst sind es wenige Ausgestoßene, denn es gibt erst wenige Verbote. Die werden zu Freiwild, die Macht des Rudels steigt. So weit, so gut. Die Zahl der Verbote steigt, und die Zahl der Ausgestoßenen. Das Rudel wird kleiner, weil man immer mehr ausstößt, und irgendwann überschreitet man den Gipfel der Macht. Die fehlende Masse macht sich bemerkbar und wegen der Prinzipientreue ist ein Umschwenkungen unmöglich. Die Ausgestoßenen bilden ein eigenes freies Rudel und lösen das alte Rudel ab. Alles scheint… Mehr
Ausgerechnet die Parteipolitiker, diejenige Kaste die während der Corona-Krise die staatlich organisierte Misshandlung unserer Kinder verbrochen hat, und sich ihrer Verantwortung bis heute nicht stellen will. Spielt sich heute als Erziehungsberechtigte der Eltern auf, und wollen den Familien vorschreiben wie sie ihre Kinder zu erziehen haben. No way.
Und wir mussten ja leider lernen: es ist Täuschung. Dahinter steckt die Gier nach Macht und Kontrolle.
Wenn ich den Namen Mario Voigt schon höre….Der selbsternannte Volkskontrolleur. Will doch tatsächlich den Menschen in Thüringen vorschreiben wie sie richtig zu sprechen haben und Sprachverbote einführen. Der steht Björnie um nichts nach. Schon allein wegen diesem Menschen würde ich nie CDU wählen!
Bei ihren Einschätzungen verhält es sich so wie mit den Einschätzungen der Grünen, immer das Gegenteil davon ist ziemlich sicher das Richtige/Bessere 😉.
„Eine träge Gesellschaft liebt Verbote“
Echt jetzt? Das die Ansicht der Autorin?
Natürlich geht das NUR mit einem Verbot. An die Vernunft der Eltern zu appellieren, bringt ja ganz offensichtlich nichts. Wenn die Eltern sich nicht kümmern und ihre Kinder geistig verwahrlosen lassen, MUSS der Staat eingreifen.
Es ist auch richtig, dass an immer mehr Schulen Smartphones verboten sind. Aber das ist denn ja wohl in den Augen der Autorin auch nicht richtig?
Der Staat ist kein Erziehungsberechtigter und hat in der Erziehung nichts verloren. Volkserziehung von Kindesbeinen an hatten wir in Deutschland schon mehrfach. Unter welchen System ist bekannt.
Woher wissen Sie, dass „die Eltern“ ihre Kinder verwahrlosen lassen? Und selbst wenn alle in Ihrem Umfeld das täten – was machen wir, wenn ich sage, dass in meinem Umfeld keine Eltern ihre Kinder verwahrlosen lassen? Sie sehen, wie leicht man aufgrund nicht repräsentativer Eindrücke der Regelungswut der Etatisten auf den Leim gehen kann. Und noch etwas: Wenn Sie bei den Eltern generell keine Vernunft vermuten, wieso glauben Sie, dass es bei den Vertretern der Regierung nicht genauso ist? Woher kommt dieses naive Bild vom wohlmeinenden Staat? Wie war das noch mal während des Corona-Regimes?
Wie viele Kinder in diesem Alter haben Sie, ich vermute Keines, Null, Nada, Zero und noch etwas, Fr. Diouf hat zu 100% Recht.
Dies fällt zusammen mit Empfehlungen der Leopoldina. Die hat Maßnahmen vorgeschlagen, darunter einen Verzicht auf die Nutzung von Smartphones in Kitas und Schulen bis zur zehnten Klasse, sowie ein Nutzungsverbot für soziale Medien für Kinder unter dreizehn. Wie soll das denn bitte technisch funktionieren. Vor dem Zugang zu einem Sozialen Medium Frage zum Ankreuzen: Bist Du mindestens 13 Jahre alt? O ja O Nein. Bitte scanne Deinen Pass ein, damit wir Deine Daten haben. Danke! Beim Fernsehen gibt es auch Altersfreigaben, nur: Wer schert sich darum. Und bei Spielen ab 16, die man früher bei Saturn erwerben konnte, ist dann… Mehr