Springer-Chef Mathias Döpfner sprach mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Selten im Journalismus: Die beiden versuchten, einander zu verstehen. Das gelang nicht immer.
Screeprint via YouTube / MDMEETS
Bis 2020 war Mathias Döpfner als Springer-Chef mittelbar auch mein Chef (ich arbeitete bei der „Welt“). Seit 2020 arbeite ich beim regierungsnahen ungarischen Think Tank MCC, insofern ist Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nicht ohne potentiellen Einfluss auf mein berufliches Leben. Nun sprachen beide miteinander – für mich ein denkwürdiges Erlebnis, das auf Youtube anzusehen.
Nicht so sehr deswegen, was Orbán sagte. Wenn man die Zusammenfassung des Gesprächs auf der Webseite der ungarischen Regierung liest, wird man darin nichts finden, was Orbán nicht in der einen oder anderen Form schon einmal gesagt hätte.
Es war die Art, wie Döpfner fragte. Und die Art, wie Orbán antwortete. Döpfner schien es tatsächlich zu interessieren, was Orbán dachte und vorbrachte. Die Fragen waren keine verdeckten Anschuldigungen. Dabei aber immer potentiell gefährlich, die kritische Haltung war zwar nicht zur Schau getragen, aber keine Frage war ohne Fallstrick. Orbán seinerseits antwortete, wie wir es in Ungarn von ihm gewohnt sind: in einfachen Worten, aber in großen, strategischen Zusammenhängen, auf eine Art und Weise, wie es europäische Politiker nicht zu tun pflegen. Döpfner schien dabei neugierig, ob Orbán in Bezug auf Deutschland und die Zukunft der EU guten Rat habe.
Beispiel: Döpfner fragte, ob die EU, wie die USA, den chinesischen Eigentümer von TikTok dazu zwingen sollte, die europäische Präsenz dieser Plattform an europäische Investoren zu verkaufen. Er war sichtlich interessiert an Orbáns Meinung, die Falle war aber auch spürbar: Orbán kann gut mit der chinesischen Führung, würde er versuchen, eine Antwort zu vermeiden? Der Regierungschef antwortete, auf Döpfners Nachfassen, dass dies eine Frage des europäischen Konsenses sei. Wenn sich die EU-Schwergewichte darauf einigen können, dann bitte sehr, „let’s do it“. Die eigentliche, erste Antwort aber war strategisch, und typisch für Orbáns Denken: Er skizzierte ein umfassendes Bild mehrschichtiger „digitaler Souveränität“, deren Schutz man aufbauen müsse, aber erst ganz am Anfang stehe. Dabei gehe es um europäische, aber auch nationale und nicht zuletzt individuelle Daten-Souveränität. Das alles müsse man als strategisches Gesamtgebilde angehen, nicht losgelöst voneinander.
Natürlich war Döpfner neugierig auf Orbáns Besuch bei Donald Trump. So ganz mag er ihm nicht gelaubt haben, als Orbán ihn einen „guten Menschen“ nannte, und „guten Christen“. Da schloss Döpfner, wie ermattet, lange die Augen, der Kopf wiegte ein wenig nach links, ein wenig nach rechts, kaum ein Kopfschütteln zu nennen, aber doch nicht ganz der Ausdruck tiefer Überzeugtheit von Orbáns Antwort. Sehr viel genauer schien er hinzuhören, als es um Trumps Charakter ging: „Ein echter leader“, sagte Orbán, das sei „in Krisenzeiten nötig. Kein Bürokrat wie die meisten Politiker.“ Da merkte Döpfner ergänzend und zustimmend an: „Fast ein Antipolitiker“ (das ist Orbán auch). Döpfner schien hier wirklich wissbegierig: Orbán, der alle nennenswerten Politiker dieser Welt persönlich kennt, sollte sagen, wer von Europas Politikern, außer Orbán selbst, Trump respektiert. „Keiner“, sagte Orbán. Nur solange Trump Macht habe.
Als es um Atomkraft ging – Orbán einigte sich mit Trump darauf, neuartige „Small Modular Reactors“ (SME) für Ungarn zu kaufen –, da wurde es auch für Deutsche interessant: Orbán nahm die digitale Wirtschaft als Ausgangspunkt seiner Logik, die wachsende Bedeutung Energie-intensiver künstlicher Intelligenz. Deswegen werde es in Zukunft für die Volkswirtschaften wettbewerbsentscheidend sein, wie billig und in wie großen Mengen Strom hergestellt werden kann. Das, so sagte er, werde ohne Atomkraft nicht gelingen. Ungarn strebe daher einen Mix an von 70 Prozent Atomenergie und 30 Prozent Sonnenenergie.
Der Rest des Gesprächs war größtenteils ein spektakulärer Zusammenprall westlicher und deutscher Grundüberzeugungen bezüglich des Kriegs in der Ukraine und Orbáns Neigung, immer zu fragen, ob das denn auch stimmt. Ob Orbán nicht die Gefahr sehe, dass Russland, wenn man ihm die Gebiete zugesteht, die es erobert hat, nicht als nächstes ein EU- oder Nato-Mitglied angreift, wollte Döpfner wissen. Denn dann sei das Nachkriegsprinzip tot, dass Grenzen nicht durch Gewalt geändert werden dürfen.
Nein, sagte Orbán. Der Gedanke sei lächerlich. Mit fast 500 Millionen Einwohnern und viel mehr Geld als Russland sei Europa viel zu stark. Russland werde nicht westliche Länder angreifen. Ja aber, sagte Döpfner, der hier plötzlich auflebte, weil ihm der Gedanke eines starken Europa ganz offensichtlich gefiel, müssten die Europäer angesichts dieser eigenen Stärke den Krieg nicht viel entschlossener eskalieren? Um zu siegen?
Da war sie, die europäische Schizophrenie in Bezug auf diesen Krieg: Russland ist eine große Bedrohung und wird weiter angreifen, wenn man ihm nicht Einhalt gebietet, aber es ist so schwach, dass man es militärisch besiegen kann und muss.
Dazu Orbán: Wie besiegt man eine Atommacht? Sein logisches Argument: Niemand will Atomwaffen benutzen, weil es Selbstmord wäre, auch Putn nicht. „Aber wenn eine Atommacht einen konventionellen Krieg verliert, dann ist die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen sofort da.“
Migration: Gut für die Wirtschaft, sagte Döpfner. Orbán: Wir haben Gastarbeiter. Die gehen nach zwei Jahren wieder zurück. Das sind keine Migranten.
Ob der Gedanke eines europäischen Gesamtstaates nicht die beste Idee seit 200 Jahren sei, fragte Döpfner. Da schüttelte es Orbán förmlich. Ohne die Nationalstaaten funktioniere nichts, sie müssten aber effizient kooperieren – darauf müsse sich die EU konzentrieren, nicht auf den Aufbau eines Superstaates.
Von Deutschland sei er überrascht, sagte er, weil seine politischen Ziehväter – Otto Graf Lambsdorff und Helmut Kohl – ihm immer eingeschärft hätten, dass für Deutschland und Europa Frieden die Grundlage für alles andere sei. „Und jetzt höre ich deutsche Politiker dauernd von Krieg reden“, sagte er. Das sei auch seine größte Enttäuschung bezüglich der EU: Sie wandele sich von einem Friedensprojekt zu einem Kriegsprojekt und werde deshalb „zerfallen“, wenn man sie nicht reformiere.
Das war dann immerhin eine klare Prophezeihung. An manchen Stellen schien es, als habe Döpfner Orbán verstanden, etwa als er ihn fragte, was die Deutschen in der Migrationspolitik falsch gemacht hätten (Orbán: Wir haben Nein gesagt zur illegalen Migration, ihr nicht). Streckenweise schien es aber so, als teile Döpfner die Hybris vieler europäischer Politiker, dass man Russland militärisch kompromisslos und viel radikaler als bisher die Stirn bieten müsse, und auch am Ende siegen werde – ohne Atombomben.
Alles in allem war es ein Interview, wie man es sich immer wünschen würde: direkt, neugierig, fair, ohne journalistische Agenda oder Selbstherrlichkeit, Und auch Orbán war so, wie man sich Politiker immer wünschen würde: unverschnörkelt, ehrlich, zugleich einfach und hochintellektuell. Und menschlich. Er lobte die Charakterstärken Merkels („Sie war alles in allem eine nette Person, auch wenn sie mich anschrie“) und Trumps („ein guter Mensch“) in einer Weise, wie das kein deutscher Politiker jemals wagen würde. Es war, alles in allem, ein Gespräch, dass Hoffnung machte: Vielleicht kann Journalismus, und kann die Politik, auch im digitalen Zeitalter menschlich bleiben.


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Ja es lebe die angebliche Vielfalt, Toleranz und bunte Republik. Wenns dann einem Wessi nicht paßt für was man steht, wirds ausfallend. Aber von dem Clown HP nix anderes erwartet
Ironie versteht der Michel nicht, zu doof dafür.
HPs? Dummer Mann, der gar nichts durchschaut 🤦♂️.
Von der unseligen EU-Glücklichkeit abgesehen, scheint für mich Herr Döpfner deutlich Sieger nach Punkten zu sein. Ich räume ein, es war das erste Lob des Uz. für einen Springer-Mann seit Jahren.
Mit Herr Orbans tiefem Russland-Verständnis fühle ich mich an Teile der AfD, insbesondere aber die SED-Nachnachfolgepartei LINKE erinnert. Niente, nada, nö, njet.
Der Einschätzung des Autors ob der gelungenen Interviewform schliesse ich mich an.
Wenn die ungarische Sprache nicht so verflixt schwierig wäre, stünde Ungarn höchstwahrscheinlich als Auswanderungsland Nr. 1 in Europa da.
Ich halte Orban für einen der wenigen vernünftigen und realistischen Staatsoberhäupter in Europa.
Das Problem Ungarns als Asylland ist nicht die Sprache, sondern seine Mitgliedschaft in der EUdSSR.
Sehr geehrter Herr „HPs“, entschuldigen Sie vielen negativen Bewertungen, doch hierdurch sehen Sie, wie Ironie wirkt.
Hochachtungsvoll
D`accord, Herr Gutman,
nach nochmaligem Lesen von „HPs“ Rundumschuss komme ich zu dem Ergebnis:
Das Geschriebene ist so evidenter Unsinn. Das MUSS Ironie gewesen sein. Aber sehr übel getarnt.
Vielleicht. Vielleicht zeigt es aber auch das zeitgeistige intellektuelle Defizit, ohne den ausdrücklichen Hinweis Ironie als solche zu erkennen.
Was wiederum ein Symptom eines paternalistischen, sozialistischen Staates sein könnte.
Doch das nur ganz am Rande.
Hochachtungsvoll
Nein, der Clown meint das definitiv ernst und jeder der hier schon länger mitliest weiß das auch ‼️
Nö, glasklar.
Orban und Fico sind die Outlaws europäisch linker Mainstream-Interessen, während andere wie Meloni sich zur Tarnung einen nationalen Anstrich verpaßt haben um nicht in Ungnade zu fallen und das wird sich langsam aber sicher wenden, wenn die rechten nationalistischen Töne aus den USA bei uns stärker werden, was derzeit ja unschwer zu erkennen ist, wie der lange Arm von Trump diese linke Bande bereits erreicht hat um sie mit allerhand geeigneten Mitteln zur Räson zu bringen und die werden sich hier noch umsehen, was noch alles kommt, wenn sie erst in Gießen zur Tat schreiten, was dann zu ersten Konsequenzen… Mehr
Nach diesem Interview ist mir erneut klar geworden, warum der deutsche Mainstream in den Medien und in der Politik Herrn Orban so kritisch sieht, gar Ihn ablehnt und diffamiert. Orban redet Klartext, er ist genau das Gegenteil was man ihm vorwirft. Er ist einer der ganz wenigen Realpolitiker in Europa!
Ahoi Herr Kálnoky, man kann Ihnen nicht absprechen, den Versuch eines gewissen Konsenses zwischen Mathias Döpfner & Viktor Orbán schriftlich zu inszenieren, gemacht zu haben. Ich sehe den Konsens aber nicht wirklich. Obwohl Orbán schon lange Politiker ist, kann man Ihm den Versuch, Bodenhaftung zu halten, nicht absprechen. Alleine schon, wenn Er Jahr für Jahr auf diesem Ungarischen Volksfest spricht, sind ein Indiz dafür. Döpfner, hingegen, lebt in seiner Milliardärs-Blase auf dem Pfingstberg zu Potsdam. Neben seiner Villa gibt es keine Flüchtlingsheime, eine Existenz auf einem anderen Planeten. Döpfner ist einer von Goodharts Anywheres ohne jegliche Bindung an das Deutsche… Mehr
Orbán ist nur zu verstehen, wenn man mal akzeptiert hat, dass er durch und durch korrupt und egoistisch ist. Das ist dessen Leitratio.
Und bei ihnen so? Schon auf den Weg in den ukrainischen Schützengraben?!
Bin Flieger, kein Frontschwein.
Sie verwechseln Orban mit Uschi, Fritze, Manuela, Angela, Markus, ach mir fallen so viele ein…
Unterstellen Sie mir nicht Ihre eigene … . Das ist doch doof, oder? Sie disqualieren sich nachhaltig, tun Sie’s besser nicht.